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Veröffentlicht am 24.05.2021

Über's Frausein

Kim Jiyoung, geboren 1982
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Ein schmales Buch, das von den Schattenseiten des Frauseins erzählt, angeborene Rollenverteilungen thematisiert und aufzeigt, wie schwierig es für eine Frau in Südkorea ist, ein erfülltes Leben zu führen.

Der ...

Ein schmales Buch, das von den Schattenseiten des Frauseins erzählt, angeborene Rollenverteilungen thematisiert und aufzeigt, wie schwierig es für eine Frau in Südkorea ist, ein erfülltes Leben zu führen.

Der Roman schildert in knapper Art etwa 30 Lebensjahre der südkoreanischen Frau Kim Jiyoung. Während ihrer Kindheit und Jugend, dem Berufsleben, der späteren Ehe und ihrer Mutterschaft spürt Jiyoung am eigenen Leib die systematische Benachteiligung von Frauen, deren Werte offensichtlich geringer geschätzt werden, als die der Männer. Sie fügt sich dem traditionellen Gesellschaftssystem, das sämtlichen Frauen im Land vorherbestimmt ist und in welchem sie ein eher passives und fremdbestimmtes Leben führt. Und sie reflektiert.

Das Buch erzählt vom Stigma, eine Frau zu sein, schneidet Themen wie Gender-Inequality und Triebtäterschaft an. Es liest sich als gesellschaftskritischer Roman, beschreibt Auszüge des Alltags einer ganz gewöhnlichen jungen Frau in Korea und die den Frauen genommene Chance auf Selbstverwirklichung. Von der Geburt an von Töchtern als "medizinisches Problem" gesprochen, wirft das Buch das Problem einer äußerlichen Zuweisung von Rollen und Verantwortlichkeiten bis zur Arbeiterschaft und Kindererziehung auf und beschreibt das überwältigende Gefühl einer Frau, zweiter Klasse und Zuspieler verschiedener Männer ihres Lebensstadiums (Schwester/Ehefrau/Mutter) zu sein. Das Thema ist nicht nur unbedingt auf Südkorea anwendbar, einige Problemkerne sind auch hier und anderswo noch aktuell und veraltet - Stichwort: Patriarchat. Kein Wunder also, dass es ein Weltbestseller ist, und somit ganz klare Leseempfehlung von mir.

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Veröffentlicht am 22.05.2021

Empfehlenswert!

Die Anderen
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In einer kleinen Stadt inmitten der kalifornischen Mojave-Wüste wird eines Nachts der marrokanische Einwanderer Driss Guerraoui angefahren. Der Verursacher des Unfalls begeht Fahrerflucht, und so stirbt ...

In einer kleinen Stadt inmitten der kalifornischen Mojave-Wüste wird eines Nachts der marrokanische Einwanderer Driss Guerraoui angefahren. Der Verursacher des Unfalls begeht Fahrerflucht, und so stirbt der zweifache Familienvater und Ehemann am Unglücksort vor den Türen seines eigenen Restaurants. Driss' Tochter Nora, eine angehende Komponistin, kehrt nach Jahren der Abwesenheit erstmals zur Beerdigung in die Kleinstadt zurück.
Der Schmerz über den Verlust ihres Vaters treibt sie dazu an, nach Antworten zu suchen, denn Nora vermutet hinter seinem Tod mehr als einen versehentlichen Unfall.

Im Verlauf lernen wir eine gute Handvoll Personen kennen, die sowohl unmittelbar als auch über Unwege mit dem Vorfall in Berührung stehen. Wir lernen Driss am Tag seines Todes kennen und begleiten seine beiden Töchter und seine Ehefrau nach dem Tod in ihrer Phase der Trauer. Wir begeben uns mit Polizisten auf die Spurensuche und lernen dabei gleichzeitig die Perspektive des unmittelbaren Tatverdächtigen kennen. Und wir erleben die Perspektive eines mexikanischen Einwanderers ohne Papiere, der Zeuge des Unfalls ist, aber aus Angst vor der Abschiebung zögert zur Polizei zu gehen.

Einwanderung, die amerikanische Klassengesellschaft und Rassismus sind Themen, aber nicht der Schwerpunkt des Romans. Die Geschichte zentriert sich um polizeiliche und private Nachforschungen nach dem Unfallverursacher und dessen Motiv, und kratzt somit ziemlich an der Grenze zum Krimi. Trauerbewältigung, familiäre Differenzen und das erdrückende Gefühl von Einsamkeit spicken das Buch mit vielerlei aufwühlenden Emotionen und machen den Roman zum Austragungsort einer Liebesgeschichte und einer Familienchronik zugleich.

Ein in sich relativ ruhiges Buch, gefühlvoll und durch viele verschiedene Erzählstränge ziemlich lebendig geschildert. Leseempfehlung für alle, die einen stillen Krimi mit einigen gesellschaftskritischen Themen lesen möchten.

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Veröffentlicht am 18.05.2021

Stark und wütend

Drei Kameradinnen
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Ein unbequemes Buch. Ein anstrengendes, aggressives, anklagendes und ausfallendes Buch. Provokant, pessimistisch - und intim.

Es geht um die drei Frauen Kasih, Saya und Hani, über die wir ganz bewusst ...

Ein unbequemes Buch. Ein anstrengendes, aggressives, anklagendes und ausfallendes Buch. Provokant, pessimistisch - und intim.

Es geht um die drei Frauen Kasih, Saya und Hani, über die wir ganz bewusst nicht viel erfahren. Denn wir sollen mit unseren einverleibten, rassistischen Denkmustern mal so gehörig auf die Schnauze fallen - und wenn man denkt 'nee, ich doch nicht', dann spätestens zum Ende eben doch.
Was wir hingegen wissen ist, dass es sich um drei Frauen unter Alltagsrassismus an einem beliebigen deutschen Stadtrand handelt. Der Interpretation des Lesers werden hier keine Grenzen gesetzt. Ich will gar nicht viel zur Handlung sagen - das Geschehen spitzt sich lediglich auf irgendeine vage angedeutete Katastrophe zu und erzählt währenddessen von einigen prägnanten Erlebnissen aus dem Alltagsleben der drei Kameradinnen, komplett ohne roten Faden.
Kasih übernimmt die Rolle der Erzählerin, springt dabei von einem belanglosem Thema zur nächstbesten zynischen Anekdote. Dann verliert sie sich wieder in Abschweifungen, dass das genau so passiert wäre, wäre es denn tatsächlich passiert. Und dies und jenes ist passiert, das kann sie sich denken und das weiß sie auch ganz sicher und der Leser natürlich nicht, denn der ist dumm und grundlegend rassistisch und kann aus seinem angeborenen rassistischem Sog nicht ausbrechen. Puh, irgendwie anstrengend zu lesen und verwirrend, aber das ist die Eigenart des Romans.

Also. Was will das Buch nun vom Leser? Aufklären durch Publikumsbeschimpfung vielleicht, oder Sensibililisieren durch Rollentausch. Hasstiraden mischen sich mit stumpfen Parolen, die drei Protagonistinnen wollen das Gegenteil dessen sein, was sie anprangern, sind aber letztendlich genau so, wie sie nicht sein wollen. Klingt irgendwie verquirlt, aber ist so.

Vom Leser wird unterdessen viel abverlangt. Die Erzählerin spielt ein komplexes Spiel mit uns, das uns irgendwo zwischen Vertrauen, Interpretation und Abrechnung komplett an der Nase herum führt. Die Charaktere sind überwiegend nervig und ja, ich war froh, als sich das Buch irgendwann dem Ende neigte. ABER am Ende gab es dann doch plötzlich ein unerwartetes Gefühlschaos bei mir, denn das Ende war wirklich gut. Wer es schafft bis zum Ende zu lesen, wird hier belohnt. Das Ende ist nicht nur gut, sondern eigentlich wirklich ziemlich grandios.
 
Es ist auf jeden Fall ein starker und wütender Roman. Ein Lesegenuss war es mittendrin ganz sicher nicht, aber im Nachhinein irgendwie schon. So verworren wie das Buch auch meine Rezi, entschuldigt, ich bin komplett geplättet.
Ich war mir noch nie so unschlüssig bei der Bewertung eines Buches, das hier liegt irgendwo zwischen Grottenschlecht und Lesehighlight. Daher keine pauschale Leseempfehlung von mir und neutral gemeinte (aber lodernde) 3 Sterne.

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Veröffentlicht am 10.05.2021

Das Leben ist mehr als eine Formel

Caspers Weltformel
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Der Berliner Physik-Doktorand Casper hat eine Weltformel aufgestellt, mit der sich jegliche soziale Interaktionen vorhersagen lassen. Als er unverhofft seinen Zug nach München verpasst, steht der vor der ...

Der Berliner Physik-Doktorand Casper hat eine Weltformel aufgestellt, mit der sich jegliche soziale Interaktionen vorhersagen lassen. Als er unverhofft seinen Zug nach München verpasst, steht der vor der Chance, aus seinem Leben der Gewohnheiten zu entfliehen und die ihn anödende Stadt hinter sich zu lassen. So kommt es, dass er in den nächstbesten Zug steigt, welcher ihn nach Budapest bringt. Dort trifft er auf Ilona - eine Frau, die ihm weder sonderlich charmant, noch berechenbar erscheint. Eine Frau, die ein ihm total gegensätzliches Leben führt und die ihm zeigt, dass das Leben eben doch manchmal andere Wege einschlagen kann, als geplant. Eine Frau, die seine Formel erstmals auf die Probe stellt.

Ich muss zugeben, dass mich das Buch streckenweise gelangweilt hat und ich schon kurz davor war, das Buch beiseitezulegen. Wirklich packen konnte mich das Buch erst im letzten Drittel.

Das lag überwiegend an den Charakteren, die mir unglaublich unnahbar und furchtbar eintönig waren. Casper - ein gutsituierter Mann, dessen Leben sich um seine Formel dreht und der versucht, aus seiner faden Existenz auszubrechen und dem wilden Leben nachzuspüren. Doch leider ist sein Charakter sehr spärlich definiert und für mich bleibt er einfach nur ein mir fremder, uninteressanter Mann der den Doktortitel anstrebt und noch schnell ein wenig das jugendliche Aussteigerleben nachholen will, das er bisher verpasst hat.
Ilona, von Anfang an sehr oberflächlich und materiell geprägt, wurde leider im Verlauf des Buches immer unsympathischer und unerträglicher. Das ging mir einfach zu sehr ins Extreme. Sie träumt wie Casper davon, aus dem gewohnten Leben auszubrechen. Klar, sie stammt aus armen Verhältnissen und natürlich möchte sie etwas daran ändern, aber sie sehnt sich nach einem ihr unerreichbaren Leben in Extravaganz an der Seite eines Prinzen. Ilona bleibt leider ein graues Mäuschen, das vor Hinterlistigkeit strotzt. Statt klein anzufangen, will sie gleich das ganz Große und stolpert dabei immer wieder über ihre eigenen, sehr hohen Ansprüche. Sie ist kein Mensch, dem das Glück vor die Füße fällt, und als Casper bei ihr einzieht (natürlich gegen Miete und Einkauf), nutzt sie ihn schamlos aus. Eine Frau, bei der ich einfach nur den Kopf schütteln kann. Wenn sie sich zum Essen einladen lässt, muss natürlich auch Champagner dabei sein und der Mann muss selbstverständlich auch ansehnlich aussehen, weil sonst könnten ja die Leute über sie urteilen. Rundum ein sehr schwacher, naiver Charakter, der mich einfach kalt ließ. Ich bin mir sicher, das Buch wird sein Publikum finden, aber mein Geschmack war es leider nicht. Das Ende hat's für mich etwas raushauen können, das fand ich wirklich gut gelungen und hat mich tatsächlich doch noch positiv überrascht.

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Veröffentlicht am 06.05.2021

Politthriller

Berlin Heat
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Die Hauptstadt im ersten Sommer nach der Pandemie. Die Menschen treibt es wieder nach draußen, die Touristen sind zurück. Tom verdient sein Geld durch krude Geschäfte mit Partytouristen, vermietet Wohnungen, ...

Die Hauptstadt im ersten Sommer nach der Pandemie. Die Menschen treibt es wieder nach draußen, die Touristen sind zurück. Tom verdient sein Geld durch krude Geschäfte mit Partytouristen, vermietet Wohnungen, besorgt Drogen und alles andere, was das Partyvolk begehrt. Sein sonstiges, relativ unspektakuläres Leben verbringt er überwiegend in Wettbüros, hoffend auf den großen Jackpot - der Schulden wegen. Doch dann wird ein hochrangiger AfD-Politiker entführt und Toms Leben steht plötzlich auf dem Kopf. Denn der Mann wird ausgerechnet in einer seiner vermieteten Wohnungen festgehalten. Tom weiß, hier läuft ein ganz abgekatertes Spiel ab, denn es ist kurz vor der Bundestagswahl, und die AfD inszeniert diese Entführung als eine Schandtat der Linken - um die Sympathien der Wähler zu gewinnen und um neue Wähler anzulocken. Und Tom, als Beteiligter, steckt nun unmittelbar ganz tief mit drin.

Berlin, Kriminalitätshochburg, Schandfleck Deutschlands, wie es im Buch so schön heißt. Ein aktueller Politthriller, der es in sich hat, und gar nicht mal so unrealistisch ist. Von Verschwörungstheorien, dem erneuten Aufschwung der AfD bis hin zur zurückgewonnenen Lebensfreude nach der Pandemie, fächert das Buch ein buntes Spektrum aktueller Themen auf. Ein fein ausgearbeiter Thriller, fast schon satirisch, der ein überspitztes Abbild der Politik aufzeigt, das tatsächlich aber auch genau so in der Realität bestehen könnte.
Als Berlinerin kenne ich die Schauplätze, deswegen fand ich das Buch auch sehr interessant zu lesen. Weil es einfach faszinierend echt wirkt und man die passenden Bilder dazu im Kopf hat, das habe ich sonst wirklich selten beim Lesen. Der Autor kann unglaublich realistisch das Stadtbild und die Menschen darin festhalten, Respekt. Knotenpunkt im Buch ist der Potsdamer Platz, aber die Handlung verläuft sich auch oft in die Außenbezirke. Auch da: sehr authentisch.
Die Gespräche und Gedanken sind überspitzt, aber immer irgendwie auf den Punkt. Hält auf jeden Fall, was der Klappentext verspricht und hat mich doch sehr positiv überrascht, obwohl das gar nicht so mein Genre ist.

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