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Veröffentlicht am 02.11.2019

Roman über die Bauhausjahre

Blaupause
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eresia Enzensberger´s Roman Blaupause behandelt die Anfänge der Bauhaus-Jahre in Weimar und Dessau zwischen 1921 und 1926. Das Buch erschien als Hardcover 2017 im Hanser Verlag und als Taschenbuch 2018 ...

eresia Enzensberger´s Roman Blaupause behandelt die Anfänge der Bauhaus-Jahre in Weimar und Dessau zwischen 1921 und 1926. Das Buch erschien als Hardcover 2017 im Hanser Verlag und als Taschenbuch 2018 im dtv-Verlag.

Luise Schilling kommt aus einer gut situierten Familie im Berliner Stadtteil Charlottenburg. Anfang der Zwanzigerjahre beginnt sie ihr Studium am Bauhaus in Weimar. Dort studiert sie unter einflussreichen Personen wie Walter Gropius und Wassily Kandinsky. Luise ist jung, ehrgeizig und voller Ideen und auf der Suche nach Gleichgesinnten.

Luise setzt sich stark mit dem Bauhaus-Milieu auseinander, sie geht ihr Studium interessiert und wissbegierig an. Außerdem ist sie für die damalige Zeit äußerst emanzipiert und weigert sich, nach den Vorstellungen ihrer Eltern, einen Mann zu heiraten, nur um finanziell abgesichert zu sein. Luise möchte sich selbst verwirklichen, ihr eigenes Geld verdienen und ihre Pläne umsetzen.

Während ihrer Studienzeit in Weimar, später Dessau, begegnet sie den Itten-Jüngern, welche Mönchskutten tragen und die zweifelhafte Mazdaznan-Lehre predigen, die eine Nähe zum Nationalsozialismus aufweist. Sie verliebt sich in einen Jungen der Anhänger, wird einer Clique zugehörig und kämpft um ihren Platz am Bauhaus. Nachdem sie sich von der Gruppierung abzugrenzen versucht, lernt sie neue Freunde kennen, die ihr zunächst wohlgesonnen scheinen. Neben zwischenmenschlichen Enttäuschungen und beruflichen Rückschlägen, wird sie mit dem aufkommenden Faschismus konfrontiert.

Enzensberger schreibt eindringlich, klug und regt zum Nachdenken an. Sie gibt einen tiefen Einblick in die Baushaus-Szene, macht ihre Leser mit deren prägenden Persönlichkeiten bekannt und vereint die Euphorie der Zwanzigerjahre mit der aufkommenden rechten Bewegung. Hin und wieder erscheint die Protagonistin bezüglich der Auswahl ihrer Freunde recht naiv, was der Geschichte im Gesamten aber keinen Abbruch tut.

Besonders für Interessierte der Kunstszene ist dieser Zeitsprung in das Deutschland der Zwanzigerjahre sicherlich eine Reise wert. Aber auch ohne einen Bezug zu Kunst und Architektur macht das Lesen Spass und vermittelt einen Eindruck der damaligen Zeit. Die modernen Denkweisen vieler Bauhaus-Studenten, aber auch die Gefahren, sich zwielichtigen Gruppen anzuschließen werden deutlich.

Die Autorin nimmt ihre Leser mit auf eine spannende Zeitreise zwischen Aufbruchsstimmung und der nahenden Machtergreifung der NSDAP.

Veröffentlicht am 02.11.2019

Grandiose Slimani

All das zu verlieren
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All das zu verlieren ist ein Roman der französisch-marokkanischen Schriftstellerin Leïla Slimani, der im Frühjahr 2019 im Luchterhand Verlag, welcher dem Hause Randomhouse zugehörig ist, erschien. Slimani ...

All das zu verlieren ist ein Roman der französisch-marokkanischen Schriftstellerin Leïla Slimani, der im Frühjahr 2019 im Luchterhand Verlag, welcher dem Hause Randomhouse zugehörig ist, erschien. Slimani schildert in der Geschichte die nagende Unzufriedenheit ihrer Protagonistin, die trotz Familienleben, erfolgreichem Job und schönem Heim nicht glücklich ist.

Adéle führt ein idyllisches Leben mit ihrem Mann Richard und ihrem gemeinsamen Sohn. Richard ist wohlhabender Chirurg und Adéle arbeitet als Journalistin. Mitten in Paris bewohnt die kleine Familie eine schicke Wohnung, sodass man glauben könnte, Adéle hätte alles, was eine Mutter und Ehefrau glücklich machen sollte.

Die junge Frau aber bricht immer wieder aus dem schönen Leben aus und gibt sich wildfremden Männern hin, die sie in Bars und Kneipen trifft. Auch vor Kollegen ihres Ehemannes schreckt sie nicht zurück. Ihr Doppelleben kann sie lange Zeit geheim halten und sogar ihre beste Freundin Lauren deckt Adéles Affären. Irgendwann jedoch bröckelt die Fassade und ein schwerer Verkehrsunfall ihres Mannes ändert alles.

Leïla Slimani beschreibt das Verhalten ihrer Protagonistin Adéle schonungslos offen und bringt so deren Zerrissenheit auf den Punkt. Die junge Frau provoziert und polarisiert durch ihre sexuellen Ausschweifungen und wirkt dennoch sehr menschlich. Die Frage, wie eine Frau ihrem Mann und ihrem Sohn das antun kann, schwingt beim Lesen immer mit und dennoch will möchte man Adéle mögen. Das macht die Einzigartigkeit von Slimanis Büchern aus: sie gibt immer Raum zum Nachdenken, lässt Interpretationen zu und ringt ihren Lesern Verständnis und Akzeptanz für ihre Figuren ab.

Die kurzen Kapitel spiegeln den fragwürdigen Lebenswandel von Adéle hinreichend wieder. Neben den gegenwärtigen Geschehnissen sind es zudem Rückblenden, durch welche die Geschichte lebt. Als Leser erfährt man vieles über die Kindheit von Adéle und lernt die Familien beider Ehepartner kennen, sodass sich manches Puzzleteil zusammenzufügen scheint. Der Erzählstil ist griffig und derb, die Beschreibungen und Handlungen Adéles haben mich manches Mal schockiert zurück gelassen.

Mich konnte Leïla Slimani wieder einmal vollends überzeugen. Sie schafft ein beschauliches Setting, ein nach außen hin perfektes Familienleben und zeigt auch dieses Mal menschliche Abgründe auf. Ich mag ihre direkte, ungeschönte Ausdrucksweise und den tiefen Blick in die Seele ihrer Figuren. Auch All das zu verlieren bleibt im Gedächtnis und wirkt noch lange nach.

Veröffentlicht am 02.11.2019

Gruseligers Beziehungsgeflecht

The Couple
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Araminta Hall´s The Couple ist ein Thriller, der im Mai 2019 im Heyne-Verlag erschien. Verity und Mike sind nach Jahren immer noch ein Traumpaar. Das zumindest glaubt Mike, der die Trennung nicht akzeptieren ...

Araminta Hall´s The Couple ist ein Thriller, der im Mai 2019 im Heyne-Verlag erschien. Verity und Mike sind nach Jahren immer noch ein Traumpaar. Das zumindest glaubt Mike, der die Trennung nicht akzeptieren kann. Er glaubt, auch nachdem Verity ihn verlassen hat, an eine gemeinsame Zukunft. Verrückt vor Liebe zu ihr verliert er immer mehr den Hang zur Realität.

Verity, genannt „V“ und Mike (im Buch als „Adler“ bezeichnet), waren über viele Jahre ein glückliches Paar, welches in London lebte. Mike hatte eine schwere Kindheit, kam ins Heim und wuchs später bei Pflegeeltern auf, die sich rührend um ihn kümmerten. So gelang es ihm, eine gute Bildung zu erlangen und einen erfolgreichen Job anzutreten. Als er „V“ begegnete, war es Liebe auf den ersten Blick. Verity hingegen kommt aus einem gut behüteten und gebildeten Elternhaus, sodass ihr die steile Karriere quasi in die Wiege gelegt wurde.

Sexualität spielte in der Beziehung von Verity und Mike immer eine wichtige Rolle. So suchten beide nach dem letzten Kick und begannen mit einem Spiel, dem „Crave“. Infolgedessen gehen beide in eine Bar und warten, bis die am Tresen allein sitzende Verity von einem Fremden angesprochen wird, den Mike anschließend in die Flucht schlägt. Angetörnt durch dieses Erlebnis haben die Beiden anschließend in der Bar Spass miteinander.

Um noch mehr Geld zu verdienen als ohnehin schon und um sich mit fünfundvierzig zur Ruhe setzen zu können, nimmt Mike schweren Herzens ein berufliches Angebot aus New York an. Für zwei Jahre lebt er in den Vereinigten Staaten und das Paar führt eine Fernbeziehung. Währenddessen aber lernt Verity den begehrten Junggesellen Angus kennen. Wenig später erklärt sie Mike unter einem Vorwand, dass sie sich trennen möchte und bald darauf erhält dieser auch schon die Hochzeitseinladung von Verity und Angus. Mike aber glaubt fest an die Liebe zwischen ihm und „V“, sodass er all das für ein ultimatives „Crave“ hält und eine gemeinsame Zukunft mit seiner Traumfrau plant. Im Verlauf kommt es zur Katastrophe.

Ein Psychothriller, der entsetzt, mitreisst und mehr und mehr zermürbt. Araminta Hall hat einen Beziehungs-Krimi geschrieben, welcher vor allem durch die instabile Persönlichkeit ihres Protagonisten Mike lebt. Die gesamte Geschichte hindurch werden seine Isolation zur Außenwelt, seine wahnhafte Liebe zu Verity und die latenten Aggressionen, ausgelöst durch seine tragische Kindheit, deutlich. Hall spart nicht an Details, sodass der Leser sich ein genaues Bild machen kann und sich hier und da im Geschehen wähnt.

Die Figur des Mike hat mich nach wenigen Seiten schon völlig entnervt zurück gelassen. Erwartet habe ich eine völlig andere Geschichte und wurde dementsprechend überrascht. Trotz vielem Kopfschütteln und „das-kann-doch-nicht-sein-ernst-sein“, hat mich die Story in ihren Bann ziehen können. Es ist eine ganz neue Idee, die Hall hier zu Papier bringt und thrill-like umsetzt. Auf blutige Szenen wird weitestgehend verzichtet. Die Handlung lebt vorwiegend von ihrem Nervenkitzel und dem Liebeswahn.

The Couple ist ein guter Thriller, der insbesondere tiefenpsychologische Muster nutzt um ans Ziel zu kommen. Ich habe mich durchweg gut unterhalten gefühlt, auch wenn ich mit den Figuren nie ganz warm geworden bin.

Veröffentlicht am 02.11.2019

Familientragödie

Was ich euch nicht erzählte
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"Was ch euch nicht erzählte" ist ein Roman der Autorin Celeste Ng, der 2014 in den USA veröffentlicht wurde und im Herbst 2017 im dtv-Verlag erschien. Der plötzliche Tod eines jungen Mädchens beschäftigt ...

"Was ch euch nicht erzählte" ist ein Roman der Autorin Celeste Ng, der 2014 in den USA veröffentlicht wurde und im Herbst 2017 im dtv-Verlag erschien. Der plötzliche Tod eines jungen Mädchens beschäftigt ihre Familie und die Menschen in Ohio. Wollte sie sterben oder wurde sie getötet? Diese Fragen kreisen in den Köpfen und vor allem ihre Eltern und Geschwister suchen nach Antworten, denen sie nach und nach auf die Spur kommen.

Es ist der 3. Mai 1977 und Lydia ist tot. Gleich zu Beginn der Geschichte wird der Leser mit dieser traurigen Gewissheit konfrontiert. Nur einen Tag nach ihrem Verschwinden wird ihre Leiche im Wasser geborgen. Was aber geschah in der Nacht ihres Ablebens und was sind die Gründe für dieses? Ihr Vater James ist Sohn chinesischer Einwanderer und fühlte sich aufgrund seines asiatischen Aussehens in den Vereinigten Staaten nie ganz zugehörig. Lydias Mutter Marylin hatte immer den Wunsch, Ärztin zu werden, musste diesen Traum aber aufgeben. Ihren Ehrgeiz hat sie fortan ihrer Tochter Lydia übergestülpt.

Nathan ist der ältere Bruder von Lydia und immer ihr nächster Ansprechpartner und engster Vertrauter gewesen. Hannah ist das Nesthäkchen der Familie und sieht sich Zeit ihres Lebens im Schatten ihrer geliebten Schwester Lydia. Es wird deutlich, wie sehr James und Marylin ihre Tochter Lydia liebten und wie sehr sie ihre beiden anderen Kinder dabei vergaßen. Ihre Mutter sieht in Lydia immer das talentierte, intelligente Mädchen, dem es gelingen wird, Medizin zu studieren und als erfolgreiche Ärztin zu arbeiten. Dabei übersieht sie, dass dies vor allem ihr eigener Wunsch ist und weniger der ihrer Tochter.

„Leichenfledderer, dachte Marylin. Was für eine Arbeit, die Häuser von Toten auszuräumen, ganze Leben in Mülltonnen zu werfen und an den Straßenrand zu stellen. „

Ng zeichnet authentische Figuren, die jeder auf ihre Weise eine tiefe Zerrissenheit in sich tragen. James, der aufgrund seiner Abstammung nie angekommen ist, Marylin, die ihrem großen Traum Medizin zu studieren nachtrauert und Lydias Geschwister Hannah und Nathan, die nach Aufmerksamkeit und Liebe seitens ihrer Eltern zehren. Und auch Lydia selbst hatte viele Geheimnisse, die zeit ihres Lebens im Verborgenen blieben. Wer war sie wirklich, was waren ihre Ziele im Leben und welche waren ihre Leidenschaften? Diesen Fragen müssen sich ihre Angehörigen nach ihrem Tod stellen. Dabei unvergessen die Frage danach, ob es Selbstmord war.

Über die Rolle der Eltern konnte ich die Geschichte hindurch nur den Kopf schütteln. Besonders die Mutter misst ihren Kindern völlig unterschiedliche Wertigkeiten bei, indem sie Lydia in den Vordergrund stellt, sie in Bereichen fördert, die ihrer Tochter gar nicht liegen und sie förmlich mit ihrer Liebe erdrückt. Merken tut sie davon nichts. Ihre beiden anderen Kinder leben zwar mit im Haushalt, ihnen wird aber wenig Beachtung seitens ihrer Eltern zuteil, sodass die Eifersucht auf die Schwester, die so sehr geliebt wird, wächst.

Eine fesselnde Familientragödie über das hohe Gewicht des Ungesagten.

Veröffentlicht am 02.11.2019

Beziehungsgeschichten

Gemischte Gefühle
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"Gemischte Gefühle" ist ein Roman der Schriftstellerin Katherine Heiny, der im Frühjahr 2018 bei Tempo aus dem Verlag Hoffmann und Campe veröffentlicht wurde. Die Autorin schildert darin das Eheleben eines ...

"Gemischte Gefühle" ist ein Roman der Schriftstellerin Katherine Heiny, der im Frühjahr 2018 bei Tempo aus dem Verlag Hoffmann und Campe veröffentlicht wurde. Die Autorin schildert darin das Eheleben eines Paares mit all seinen Freuden, Tücken und Besonderheiten.

Graham ist sechsundfünfzig Jahre alt und ist in zweiter Ehe mit der fünfzehn Jahre jüngeren Audra verheiratet. Gemeinsam haben sie den elfjährigen Sohn Matthew, der das Asperger-Syndrom hat. Zuvor war Graham mit der etwa gleichaltrigen Elspeth verheiratet, die er für Audra verließ. Das Familienleben wird vor allem durch Matthews besonderen Förderbedarf bestimmt. Seine Eltern versuchen alles, um ihren Sohn seinen Bedürfnissen entsprechend zu erziehen. Das beinhaltet neben seinen aussergewöhnlichen Essgewohnheiten und dem Umstand, dass der Alltag nicht von seiner Norm abweichen darf auch seine Origami-Leidenschaft.

Audra fällt mit ihrer schier endlosen, fast kindlichen Neugier immer und überall auf. Sie gibt nicht viel auf gesellschaftliche Konventionen und trägt ihr Herz auf der Zunge. Und obwohl Graham sich auch nach vielen Ehejahren noch immer über das oft ungewollt taktlose Verhalten seiner Frau wundert, liebt er diese innig. Audra wirkt durch ihre aufgeweckte, ehrliche, nachbohrende Art und ihr Engagement für das Familienleben glücklich, dennoch kommen während des Lesens Zweifel auf.

Die Geschichte wird zwar nicht in der Ich-Perspektive erzählt, dennoch ist es überwiegend Grahams Inneres, das dem Leser zuteil wird. Heiny benennt Tabuthemen, lässt ihren Figuren Raum für zum Teil auch fragwürdige Ansichten, große Sehnsüchte und zutiefst menschliche Gedankengänge. So schildert sie neben der Verbundenheit und Liebe zu ihrem Sohn auch die Sorgen von Eltern eines autistischen Kindes, sowie den hin und wieder kurz aufflammenden Wunsch, ein „normales“ Kind zu haben, um sich mit diesen Ängsten nicht konfrontiert zu sehen.

Sehr einfühlsam und nachvollziehbar macht die Autorin deutlich, wie zerrissen Ehepartner sich nach vielen gemeinsamen Jahren fühlen können, wie herausfordernd es sein kann den gemeinsamen Alltag meistern zu müssen und dass es manchmal viel Kraft erfordert sich äußeren Reizen nicht hinzugeben und aus dem familiären Gefüge auszubrechen. Bei all den ernsten Themen kommt der Humor nie zu kurz. Die Dialoge sind durchweg amüsant und herzerwärmend ehrlich. Der Sprachstil ist angenehm und leicht, was dem Inhalt entgegen kommt.

Einzig gestört haben mich die manchmal sehr langatmigen Monologe von Audra, die sich in Nichtigkeiten verlieren und das eigentliche Thema ungewollt umschiffen, sodass dies häufig zu kurz kommt. Ich mag das Buch hingegen wegen seiner modernen Sichtweisen, den nachvollziehbar geschilderten Herausforderungen einer Beziehung, seiner großen Sachlichkeit und außerdem für seine Präzision und Menschlichkeit.