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Veröffentlicht am 17.06.2025

Sehr ruhig!

Strandgut
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STRANDGUT
Benjamin Myers

Wie durch ein Wunder bekommt der 70-jährige Earlon „Bucky“ Bronco eine Einladung nach Scarborough in England – zu einem Weekender Soulfestival.
Zunächst hält er das Ganze für ...

STRANDGUT
Benjamin Myers

Wie durch ein Wunder bekommt der 70-jährige Earlon „Bucky“ Bronco eine Einladung nach Scarborough in England – zu einem Weekender Soulfestival.
Zunächst hält er das Ganze für einen schlechten Scherz. Schließlich kennt heute kaum jemand seine Musik, geschweige denn seinen Namen. Die zwei Songs, die er in jungen Jahren aufgenommen hat, sind längst in Vergessenheit geraten – zumindest in Amerika. Doch die Einladung ist echt: gut bezahlt, Flugticket inklusive.

Bucky, unser liebenswerter Protagonist, nimmt das Angebot an – obwohl er physisch als auch psychisch am Ende ist. Man könnte sagen, Bucky ist ein Wrack: Er lebt allein, pendelt zwischen Bett und Apotheke, betäubt sich mit Opiaten und Alkohol. Eine neue Hüfte könnte er dringend brauchen, doch die Kosten sind für ihn untragbar. Und ausgerechnet an dem Tag, an dem sein Auftritt stattfinden soll, jährt sich der Todestag seiner geliebten Frau May.

Trotz aller Zweifel tritt Bucky die Reise an. Am Flughafen in England wird er von Dinah abgeholt, einer warmherzigen Frau in ihren Fünfzigern, die ihn während der Tage in York begleitet. Doch kaum hat er sich eingerichtet, merkt er, dass er seine Tabletten im Flugzeug vergessen hat.

Von Dinah erfährt er, dass seine Songs in England Kultstatus haben. Für viele gilt er als der „King of Soul“, und man erwartet sehnsüchtig seinen Auftritt.
Zwischen Dinah und Bucky entsteht schnell eine stille, berührende Verbindung – zwei verlorene Seelen, die sich gegenseitig Halt geben.

Benjamin Myers erzählt diese Geschichte ganz langsam, beinahe zögerlich.
In den ersten hundert Seiten passiert sehr wenig, aber genau das schafft Raum für feine Beobachtungen und liebevoll gezeichnete Figuren. Besonders Dinah wächst einem mit ihrem trockenen Humor ans Herz – ich musste mehr als einmal lachen.

Die zweite Hälfte, vor allem das Ende, ist berührend und versöhnlich.
Schön sind auch die atmosphärischen Beschreibungen – ich hatte das Gefühl, selbst im Hotel Majestic abgestiegen zu sein, den leicht muffigen Geruch in der Nase.

Besonders bewegt hat mich der Brief, den der Autor vor Erscheinen des Buches an alle Buchhändler*innen geschrieben hat. Und sollte ich je nach Yorkshire kommen, nehme ich seine Einladung zu einer Tasse Tee garantiert an. ❤️

Fazit:
Ein stilles Buch über zweite Chancen, Musik und Menschlichkeit.
Empfehlenswert für alle, die ruhige, detailverliebte Romane mögen.
3½/ 5

TW: Drogen und Alkoholmissbrauch.

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Veröffentlicht am 17.06.2025

So toll!

Der Club
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DER CLUB
Takis Würger

Was für ein geniales Buch!
Ich bin eingetaucht in die Welt der Cambridge-Studenten, habe mich zwischen ihnen treiben lassen – und war gleichzeitig abgestoßen von ihrer Selbstherrlichkeit ...

DER CLUB
Takis Würger

Was für ein geniales Buch!
Ich bin eingetaucht in die Welt der Cambridge-Studenten, habe mich zwischen ihnen treiben lassen – und war gleichzeitig abgestoßen von ihrer Selbstherrlichkeit und ihrem Snobismus. Ja, stellenweise war ich regelrecht angewidert davon, wie sie mit vollen Händen Papis Geld verprassen, ohne je etwas Eigenes im Leben erreicht zu haben.

Takis Würger erzählt eindrucksvoll von einem fiktiven Verbrechen, begangen von Studenten einer Elite-Universität – und doch beschlich mich beim Lesen das ungute Gefühl, dass diese Geschichte der Realität näherkommt, als uns lieb ist.

Unser junger deutscher Protagonist Hans hat früh seine Eltern verloren. Er ist ein stiller, anständiger Junge, der nie viele Freunde hatte. Statt durch die Straßen zu ziehen, zog er sich lieber mit einem Buch zurück. Nur beim Boxen blüht er auf – hier zeigt er Stärke, Mut und Emotion.

Eines Tages lädt ihn seine Tante Alex nach London ein. Hans ist überrascht, denn nach dem Tod seiner Eltern hatte sie ihn nicht aufgenommen, sondern ins Internat geschickt – ein Vertrauensbruch, den er nie ganz überwunden hat. Doch nun bittet sie ihn um einen Gefallen: Er soll sich um ein Stipendium an der Elite-Uni Cambridge bemühen – und dort versuchen, in den berüchtigten Pitt Club aufgenommen zu werden. Ein exklusiver Zirkel, der nur wenigen Auserwählten offensteht. Hans soll dort herausfinden, wer hinter den Verbrechen steckt, die sich in den Kreisen der privilegierten Mitglieder ereignen.

Was für ein spannendes Buch!
Ach, ich wiederhole mich … also lest es einfach selbst. Ich konnte es jedenfalls nicht aus der Hand legen und habe es an nur einem Tag verschlungen.

Große Leseempfehlung für ein weiteres Buch aus der Feder Takes Würger.
5/5

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Veröffentlicht am 15.06.2025

Highlight!

Die Rettung
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DIE RETTUNG
Charlotte McConaghy

Kennt ihr diese Bücher, bei denen ihr die letzte Seite umblättert, das Buch zuschlagt – und euer ganzer Körper bebt, weil euch Gänsehaut überzieht?
Hier kommt so ein Buch:

In ...

DIE RETTUNG
Charlotte McConaghy

Kennt ihr diese Bücher, bei denen ihr die letzte Seite umblättert, das Buch zuschlagt – und euer ganzer Körper bebt, weil euch Gänsehaut überzieht?
Hier kommt so ein Buch:

In einer Zeit der Waldbrände, Überschwemmungen und der allgegenwärtigen Bedrohung durch den Klimawandel lebt Dominic Salt mit seinen drei Kindern auf einer abgelegenen Insel mitten im Ozean – bewohnt nur von Forschenden, Robben, Albatrossen und Pinguinen.
Shearwater liegt irgendwo zwischen Australien und der Antarktis.
Die Insel droht überschwemmt zu werden, täglich steigt der Wasserspiegel, als eine schwer verletzte Frau an den Strand gespült wird – halb erfroren, dem Tod näher als dem Leben.
Dominic und seine Kinder pflegen die Fremde gesund.
Während er ihr misstraut, schließt sein jüngster Sohn Orly sie sofort ins Herz – er vermisst seine verstorbene Mutter und sieht in der Frau eine Art Ersatz.
Doch Dominic hat andere Sorgen: Der Meeresspiegel steigt unaufhaltsam, die Funkanlage wurde sabotiert und das gesamte Forschungsprojekt steht auf der Kippe.

Als die Fremde wieder zu Kräften kommt, beginnt sie Fragen zu stellen – über die Insel, über die spurlos verschwundene Forschermannschaft, die vor Ort sein sollte.
Aus anfänglichem Misstrauen wächst langsam eine Verbindung. Geheimnisse kommen ans Licht, Beziehungen vertiefen sich – und dann nimmt alles eine völlig unerwartete Wendung.

Was für ein Buch!
Ich habe den neuen Roman von Charlotte McConaghy sehnsüchtig erwartet – und wurde nicht enttäuscht. Schon ihre beiden vorherigen Werke haben mich tief beeindruckt.

Langsam und atmosphärisch entfaltet sich die Geschichte. In typischer McConaghy-Manier verknüpft sie persönliche Schicksale mit drängenden Umweltfragen: Artensterben, steigende Meeresspiegel, verheerende Waldbrände – und das alles ohne erhobenen Zeigefinger.
Und dann wird es plötzlich so spannend, dass ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen konnte.

Ich habe wieder viel gelernt – und gleichzeitig das Gefühl gehabt, das Salz des Meeres auf der Haut zu spüren.
Ein dichter, kraftvoller Roman, der mich tief bewegt hat.

Da ich das Buch nicht nur lesen, sondern auch hören durfte, möchte ich euch auch das Hörbuch ans Herz legen: Elisabeth Günther verleiht der Geschichte mit ihrer Stimme eindrucksvolle Präsenz.

Fazit:
Große Lese- und Hörempfehlung für dieses (Hör-)Buch – ebenso wie für seine beiden Vorgänger. Für mich war es ein weiteres Lesehighlight aus der Feder McConaghys.
5+/5

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Veröffentlicht am 10.06.2025

Aufwühlend und fesselnd

Vergiss mich
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VERGISS MICH
Alex Schulman

„Ich wurde zwischen Mamas und Papas Launen eingequetscht und lernte, dass es am besten war, zu schweigen. Ich bin still und vielleicht auch traurig, seit ich dreizehn war." ...


VERGISS MICH
Alex Schulman

„Ich wurde zwischen Mamas und Papas Launen eingequetscht und lernte, dass es am besten war, zu schweigen. Ich bin still und vielleicht auch traurig, seit ich dreizehn war." (S. 122)

In Alex Schulmans neuestem autobiografischen Buch steht seine Mutter Lisette Schulman im Zentrum. In eindringlichen Rückblicken erzählt der Autor von ihrer Entwicklung – von einer einst liebevollen Mutter hin zu einer vom Alkohol gezeichneten Frau.

Jung ist sie, als Lisette den deutlich älteren Mann – Schulmans Vater heiratet. Gemeinsam bekommen sie drei Söhne. Doch mit den Jahren verändert sich etwas: Lisette beginnt zu trinken. Dieses Problem wird jedoch in der Familie nie offen benannt. Stattdessen hört man im Hause Schulman immer wieder denselben Satz: „Mutter fühlt sich heute nicht, sie ist krank.“
Ihre Ausbrüche, ihre Launen, ihr verletzendes Schweigen – all das wird kommentarlos hingenommen. Die Kinder werden zu feinfühligen Seismografen der mütterlichen Stimmung, bemüht, zu besänftigen, zu retten, zu verstehen. Doch meist vergeblich.
Trotz fehlender Nähe, Zärtlichkeit oder Zuspruch geben die Kinder die Hoffnung auf die Liebe ihrer Mutter nie auf.

Auch Jahrzehnte später hat sich kaum etwas verändert. Lisette trinkt mehr denn je, begegnet ihrem Sohn und seinen Töchtern mit Kälte und Missachtung. Und doch buhlt der erwachsene Alex weiter – um Aufmerksamkeit, um eine Verbindung, um ein Stück Anerkennung.

Dieses Buch ist keine leichte Lektüre. Es ist schmerzhaft, ehrlich und tieftraurig. Ein Porträt einer Frau, die – geprägt von ihrem Vater, dem Schriftsteller Sven Stolpe – offenbar nie gelernt hat, was Liebe und Empathie bedeuten.
Ich empfinde großen Respekt für Alex Schulmans Frau, die diese zerstörerische Mutter-Sohn-Dynamik über lange Zeit miterlebt hat.
„Vergiss mich“ ist kein Wohlfühlbuch. Aber Schulmans lebendiger, eindringlicher Schreibstil hat mich durch die Seiten getragen.

Fazit:
Ein aufwühlendes, lesenswertes Buch, das ich wärmstens weiterempfehle.
5/5 Sterne

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Veröffentlicht am 09.06.2025

Spannend und böse!

Auf der Lauer liegen
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AUF DER LAUER LIEGEN
Liz Nugent

Dies ist mein drittes Buch von Liz Nugent.
Um es vorwegzunehmen: Es handelt sich um ihr zweites Buch – und auch dieses habe ich regelrecht verschlungen und geliebt.

Lydia ...

AUF DER LAUER LIEGEN
Liz Nugent

Dies ist mein drittes Buch von Liz Nugent.
Um es vorwegzunehmen: Es handelt sich um ihr zweites Buch – und auch dieses habe ich regelrecht verschlungen und geliebt.

Lydia und Andrew Fitzsimons ermorden Annie Doyle und vergraben ihre Leiche auf dem eigenen Grundstück. Lydia macht sich wenig Sorgen, dass man diese entdecken könnte – das Ehepaar lebt zurückgezogen in einem herrschaftlichen Haus mit riesigem Anwesen, Besucher sind eine Seltenheit.
Doch dann steht plötzlich die Polizei vor der Tür und befragt ihren Ehemann, der ein hohes Amt als Richter bekleidet. Die Polizei sucht nach dem Fahrer eines seltenen Oldtimers, der mehrfach vor Annies Haus gesehen wurde – und genau diesen Wagen fährt ihr Ehemann Andrew.
Mithilfe ihres Sohnes Laurence, der ihnen ein Alibi gibt, gelingt es dem Ehepaar, die Ermittlungen ins Leere laufen zu lassen.
Während Lydia die Tat verdrängt, wird Andrew von seinem Gewissen eingeholt – schließlich stirbt er an den Folgen eines Herzinfarkts.
Sohn Laurence, der inzwischen ahnt, dass auf dem Grundstück eine Leiche vergraben ist, hält dennoch an der Version fest, sein Vater sei allein verantwortlich für den Tod der „prostituierten und drogenabhängigen Annie“.
Laurence wird fortan zum Versorger seiner Mutter, muss seinen Traum von einem Studium aufgeben und nimmt eine Stelle im Jobcenter an.
Eines Tages steht dort ausgerechnet der Vater der verschwundenen Annie Doyle – auf der Suche nach Arbeit. Eine schicksalhafte Begegnung, denn aus ihr entwickeln sich unvorhersehbare Folgen.

Was für ein Buch hat Liz Nugent hier geschrieben! Ich konnte es kaum aus der Hand legen – Seite um Seite musste ich weiterlesen, um zu erfahren, wie es weitergeht. Ihr Stil ist einfach besonders: Die Autorin hat ein bemerkenswertes Talent, böse Charaktere so selbstverständlich zu zeichnen, dass ihr Verhalten beinahe als normal erscheint. Mit verblüffender Leichtigkeit schildert sie düstere Szenen, ohne Rücksicht darauf, ob das Verhalten der Figuren für uns noch nachvollziehbar ist.
Auch wenn das Buch für mich ganz leicht hinter ihren späteren Werken zurückbleibt, spreche ich uneingeschränkt eine klare Leseempfehlung aus.
Wer spannende und böse Bücher mag, ist hier genau richtig.
5/5

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