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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 20.11.2025

Sehr intensiv

Lázár
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Nelio Biedermann entführt uns in seinem Roman Lázár in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wir begleiten eine ungarische Adelsfamilie, die sich den Umbrüchen dieser Zeit stellen muss und damit unweigerlich ...

Nelio Biedermann entführt uns in seinem Roman Lázár in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wir begleiten eine ungarische Adelsfamilie, die sich den Umbrüchen dieser Zeit stellen muss und damit unweigerlich ihrem Untergang zusteuert. Der junge Autor erzählt diese Geschichte unglaublich intensiv und einfühlsam, teilweise aber auch sehr grausam. Einige Sätze treffen einen mitten ins Herz und zeugen von einer großen Weisheit, die ich so einem jungen Autor gar nicht zugetraut hätte.
„Tony hatte geweint und nach ihr gerufen, und sie hatte zum ersten Mal in ihrem Leben gedacht, dass es vielleicht doch nicht richtig war, Kindern die Welt zuzumuten, in der Hoffnung, es gehe schon irgendwie gut.“
Bei der Lektüre des Buches habe ich oft gedacht, dass es viele Parallelen zu heute gibt, die der Autor vielleicht auch mit Absicht so gewählt hat. Ein großes Thema ist natürlich der Krieg, der das Leben der Protagonisten gehörig durcheinanderwirbelt und die alte Welt in ihren Grundfesten erschüttert. Was mir nicht so gut an dem Buch gefallen hat, ist, dass, sobald man sich an die Figuren gewöhnt hat, schon wieder zur nächsten Generation gesprungen wurde.
Dennoch würde ich das Buch auf jeden Fall weiterempfehlen, denn mir hat dieser ganz eigene Sound sehr gut gefallen. Diese wundervollen Sätze, die sich auf jeder Seite wiederfanden und einen zum Nachdenken angeregt haben.
„Es war das Gefühl, die ihm bekannte Welt sei wie eine versunkene Stadt, deren Denkmäler und Gebäude, Kirchtürme und Paläste man zwar unter der Wasseroberfläche noch sehen kann, deren Zeit aber nie mehr zurückkehren wird.“

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Veröffentlicht am 20.11.2025

Sehr detailliert geschrieben

Wenn die Sonne untergeht
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In seinem neuesten Buch widmet sich Florian Illies der Familie Mann. Der Autor hat sich das Jahr 1933 herausgegriffen, in dem sich auch für die Familie des berühmten Schriftstellers Thomas Mann alles verändert. ...

In seinem neuesten Buch widmet sich Florian Illies der Familie Mann. Der Autor hat sich das Jahr 1933 herausgegriffen, in dem sich auch für die Familie des berühmten Schriftstellers Thomas Mann alles verändert. Am 11. Februar bricht Thomas Mann mit seiner Frau zu einer Vortragsreise ins Ausland auf, ohne zu ahnen, dass er sein Haus in München nie wieder betreten wird.
Sehr ausführlich und gut recherchiert schildert der Autor diese Zeit. Sein Blick richtet sich jedoch nicht nur auf die Familie Mann, sondern auch auf die Daheimgebliebenen in München. So sind seine Schwiegereltern beispielsweise Juden und haben unter den Repressalien der Nationalsozialisten noch stärker zu leiden, wollen dies jedoch anfangs nicht wahrhaben. Auch begegnet Thomas Mann im Exil zahlreichen Schriftstellerkollegen.
Wer bereits andere Bücher von Florian Illies gelesen hat, wird auch in diesem Werk den unverwechselbaren Stil des Autors wiederfinden. Einfühlsam und detailreich zeichnet er die ersten Monate der Manns im Exil nach. Manchmal wiederholen sich die Schilderungen etwas, doch spiegelt das wohl auch den Alltag der Familie Mann in jener Zeit wider.
Ich habe das Buch sehr gern gelesen, auch wenn ich manche Seiten gegen Ende nur überflogen habe, da dort nicht mehr viel Neues geschah. Wer den Stil des Autors schätzt, wird auch mit diesem Buch bestens unterhalten sein.

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Veröffentlicht am 29.10.2025

Nicht nur für Kinder

Der Club der kalten Hände
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Darf man tote Menschen anfassen? Wie riechen Tote eigentlich? Diese Fragen hat sich wohl schon jeder einmal gestellt, und gerade Kinder stehen den Toten erst einmal ganz unvoreingenommen gegenüber, bis ...

Darf man tote Menschen anfassen? Wie riechen Tote eigentlich? Diese Fragen hat sich wohl schon jeder einmal gestellt, und gerade Kinder stehen den Toten erst einmal ganz unvoreingenommen gegenüber, bis wir Erwachsene sie mit unseren Ansichten beeinflussen.
In diesem Buch lernen die Kinder Lizzy kennen, deren Eltern ein Bestattungsunternehmen haben. Lizzy und ihre Freunde beschließen, mehr über die Toten zu erfahren, und gründen den "Club der kalten Hände". Sie nehmen an verschiedenen Bestattungsritualen teil und stellen sich mutig dem Umgang mit der Trauer.
Dies ist der erste Teil des Buches. Im zweiten Teil erfährt man, natürlich alles sehr bunt und kindgerecht zusammengestellt, wie so ein Bestattungsunternehmen überhaupt arbeitet, wie eine Beerdigung abläuft und warum im Anschluss fast immer gegessen wird.
Also, ich fand dieses Buch wirklich genial. Die kindliche Neugier auf das Thema wird damit auf jeden Fall befriedigt, und auch für Erwachsene ist es sehr interessant, denn wer stellt schon diese Fragen gerne?

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Veröffentlicht am 08.10.2025

Schatten der Vergangenheit

Furye
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Alec, erfolgreiche Musikmanagerin, Ende 30, kann nicht weinen. Um die Ursache zu finden, muss sie sich ihrer Vergangenheit stellen. Hierfür fährt sie in ihre alte Heimat nach Südfrankreich und wird dort ...

Alec, erfolgreiche Musikmanagerin, Ende 30, kann nicht weinen. Um die Ursache zu finden, muss sie sich ihrer Vergangenheit stellen. Hierfür fährt sie in ihre alte Heimat nach Südfrankreich und wird dort ein Wechselbad der Gefühle erleben.

Ich mochte den Stil des Buches sehr. Dieses Buch lebt einfach von diesem einen, ganz bestimmten Sound, der stark und melancholisch zugleich ist. Die Vergangenheit wird anhand von Tagebuchaufzeichnungen von Alec erzählt. Hier spricht ihr junges Ich, das aber schon ziemlich reflektiert auf ihr Leben als Teenagerin blickt.

Aber auch die Geschichte rund um Alec, ihre Freundinnen aus reichem Hause und den mysteriösen Romain ist einfach ganz toll gelungen. Die Autorin schafft es ganz geschickt, mit den Erwartungen ihrer Leserinnen und Leser zu spielen: was wohl damals, in diesem einen Sommer, passiert sein mag. Und vielleicht war ja doch alles ganz anders? Die Geschichte entblättert sich ganz almählich und entlässt einen nicht mehr so schnell aus Ihren Bann, sie ist von einer düsteren Schönheit: verstörend, aber zugleich faszinierend.

Ich habe das Buch sehr gern gelesen. Es ist kein Wohlfühlroman, sondern eine eher unbequeme, tiefgehende Geschichte. Wer sich darauf einlassen kann, wird mit einem eindrucksvollen Leseerlebnis belohnt.

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Veröffentlicht am 29.09.2025

Sehr klug und raffiniert manipulativ

Heimat
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Da ich „Die Gespenster von Demmin“ von Verena Keßler sehr mochte, war ich schon sehr gespannt auf diesen Roman. Auch wenn das Thema ein ganz anderes ist, hat mich dieses Buch wieder vollkommen vereinnahmt.
Wir ...

Da ich „Die Gespenster von Demmin“ von Verena Keßler sehr mochte, war ich schon sehr gespannt auf diesen Roman. Auch wenn das Thema ein ganz anderes ist, hat mich dieses Buch wieder vollkommen vereinnahmt.
Wir begleiten eine namenlose Erzählerin durch viele unglaublich starke Szenen. Sie bewirbt sich für einen Job im Fitnessstudio. Angesprochen auf ihre weniger sportliche Figur, behauptet sie einfach, sie habe kürzlich entbunden. Diese „Notlüge“ begleitet einen durch den ersten Teil, was manchmal ziemlich lustig ist. Aber man merkt schnell, dass unsere Hauptfigur kein schlechtes Gewissen wegen ihrer Lüge, und der zahlreichen anderen Lügen, die diese nach sich zieht, hat. Dann trifft sie auf Vick, eine Bodybuilderin, und von da an hat sie nur noch ein Ziel: besser zu sein als die Beste, koste es, was es wolle.
Ich habe dieses Buch sehr genossen. Diese präzisen Sätze von Verena Keßler treffen immer genau ins Schwarze. Die Sprache ist so herrlich direkt, und die weibliche Hauptperson, die sich immer mehr in den Optimierungswahn hineinsteigert, habe ich sehr gerne, oft mit einem Kopfschütteln, beobachtet. Im Laufe der Geschichte wird ihr Lebensweg immer weiter entblättert, und langsam fügt sich alles zusammen.
Besonders einfallsreich und genial fand ich den Schluss. Man kann erahnen, wie die Geschichte höchstwahrscheinlich weitergeht, ohne dass darüber noch ein weiteres Kapitel geschrieben werden müsste.
Einfach ein witziges, spritziges und auch leicht verstörendes Buch, was ich durchaus positiv meine. Lesenswert!

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