Südtiroler Auswandergeschichten
Heimat im GepäckWahre Geschichten von Südtiroler Auswanderern erzählt Sabine Peer in ihrem sehr lesenswerten Buch „Heimat im Gepäck“. Es sind die Lebensgeschichten von vier jungen Südtirolern, die in ihrer Heimat keine ...
Wahre Geschichten von Südtiroler Auswanderern erzählt Sabine Peer in ihrem sehr lesenswerten Buch „Heimat im Gepäck“. Es sind die Lebensgeschichten von vier jungen Südtirolern, die in ihrer Heimat keine Zukunftsperspektiven haben.
Da ist Karl Fink aus Ritten, der 1942 hier geboren wurde. Der Hof, den seine Eltern bewirtschaften, gibt alles her, was sie zum Leben brauchen. Daneben betreiben sie eine Gastwirtschaft und auch eine Metzgerei gehört dazu. Karl findet in einer Druckerei einen Ausbildungsplatz, Zukunftschancen sieht er für sich hier dennoch nicht. 1962 verschlägt es ihn nach Stuttgart in einen modernen Druckereibetrieb.
„Ich will nicht zurück nach Bozen“ denkt Christiane Paugger Schanninger, die 1963 nach Ludwigshafen kommt. Herbert, den sie schon in Bozen kennengelernt hat und der schon länger weg ist, schwärmt davon, dass es in Deutschland reichlich Arbeit gibt, die auch noch gut bezahlt wird.
Luzia P. aus dem Pustertal schlägt einen ganz anderen Weg ein. Hinaus aus dem engen Tal möchte sie schon lange, nur muss sie noch ihren Vater dazu bewegen, sie gehen zu lassen. Das Argument, dass in Österreich und in Deutschland die Ausbildung zur Krankenschwester keine Kosten verursacht, überzeugt ihn dann doch.
Auch der 1943 in Seis am Schlern geborene Eduard Wörndle hat – wie auch die Vorgenannten - eine beeindruckende Vita. Schon mit acht Jahren war er Hüterbub, später Knecht. Den wissbegierigen, technisch äußerst begabten Jungen zieht es dann arbeitsbedingt in die Welt hinaus.
Jede einzelne Lebensgeschichte ist beeindruckend, jede ist prall gefüllt mit Leben. Anhand dieser Einzelschicksale entsteht ein gutes Bild der Zeit, als die jungen Südtiroler weg mussten, denn ihre Heimat bot ihnen kein gesichertes Auskommen, Arbeit war Mangelware. Hatte eine Familie mehrere Kinder, war der erstgeborene Sohn Erbe, so es denn etwas zu erben gab. Die Mädchen wurden verheiratet und die jüngeren Buben mussten sich oftmals als Knecht oder Hilfsarbeiter verdingen. Dass ein junger Mensch dem entfliehen will, ist verständlich.
Sabine Peer gelingt es, die Konflikte zwischen den deutschsprachigen Südtirolern und den Italienern, die hier jede einzelne Familie hautnah spürt, mit einzubeziehen. Die zugesicherte Autonomie wird als Scheinautonomie verunglimpft, der Befreiungsausschuss Südtirol, kurz BAS, wird gegründet, Widerstand formiert sich. Und da ist der Militärdienst, dem die jungen Männer auch im Ausland nicht entkommen. Erst wenn sie das Entlassungspapier, Congedo genannt, vorweisen können, sind sie in dieser Hinsicht frei. Viele weitere Themen werden angesprochen und auch die für diesen Landstrich typischen Begriffe erklärt das Glossar am Ende des Buches.
Geschichten, die das Leben schreibt – es sind vier bewegende Lebensgeschichten, die von einer schweren Zeit, von einem bitterarmen Südtirol erzählen, die aber auch den Blick hinaus in die Welt richten. Die Alten mussten bleiben, wo sollten sie auch hin. Sabine Peer hat sich viel Zeit für die Gespräche davor genommen, jede einzelne Geschichte ist in sich stimmig, sie erzählt unaufgeregt und behutsam über den Mut, die Heimat zu verlassen und in der Fremde neu anzufangen - es ist ein fesselnder Blick zurück in die 1960er Jahre.