Sehr experimentell
LebensversicherungSie teilt die Angst ihrer Familie vor nahezu allem, weil immer was passieren kann. Selbstverständlich hat sie eine Haftpflichtversicherung. Eine Hausrat-,private Krankenzusatz-, Berufsunfähigkeit-, Reisekranken-, ...
Sie teilt die Angst ihrer Familie vor nahezu allem, weil immer was passieren kann. Selbstverständlich hat sie eine Haftpflichtversicherung. Eine Hausrat-,private Krankenzusatz-, Berufsunfähigkeit-, Reisekranken-, Unfall- und eine Zahnzusatzversicherung, denn man weiß ja nie und der Tarif ist in der Menge günstiger. Ihre Eltern sind Versicherungsvertreter, so wie ihre Großeltern. Selbstredend hat sie die Tradition fortgeführt. Opa F war der erste Versicherungsvertreter im Dorf. Opa O war auch Versicherungsvertreter, machte sich aber im anderen Dorf selbstständig. Papa wurde Reiseversicherungskaufmann, weil er gerne die Welt kennenlernen wollte, übernahm dann die Kunden von Opa F und blieb doch im Dorf hängen. Mama wurde Versicherungskauffrau, das war praktisch, weil sie nebenbei Haushalt und Einkauf machen konnte.
Neunzehnhundertneunzig haben die Eltern ein Fertighaus ins Neubaugebiet gebaut. Im Erdgeschoss entstand Platz für ein kleines Versicherungsbüro mit Gäste-WC, einem Aktenarchiv und separatem Eingang. Die ganze Woche über empfingen die Eltern die Kunden in ihrer Niederlassung und am Wochenende klapperten sie die umliegenden Restaurants ab, um die Unterschriften für die Gebäudeversicherungen einzuholen.
Weil sie sich gut damit auskennt, denkt sie viel über Übelkeit nach. Magendruck vor dem Essen. Völlegefühl nach dem Essen. Übelkeit vor Müdigkeit. Darmkrämpfe. Sodbrennen mit leichtem sauren Reflux. Bauchweh kündigt Erkältung an. Kopfschmerz kündigt Bauchweh an. Diese Kenntnis existiert, seit sie denken kann. Warum weiß sie nicht.
Fazit: Katharina Bachs Prosadebüt verhandelt mit der Angst. Die namenlose Ich-Erzählerin blickt emotionslos auf ihre Familie und ihr eigenes Dasein, was mitunter amüsant ist. Der Text ist gespickt mit Notizen, die einzelnen Kapitel sind kurz und vielzählig. Obwohl die Autorin ihre Protagonistin immer wieder andeutungsweise zeigen lässt, dass die Familie wunderlich ist, erschließt sich das Tragische erst ganz zum Schluss und macht die Angst und das Bedürfnis nach Sicherheit völlig verständlich. Die Technik hat mich nicht wirklich mitgerissen und ich konnte mir lange nicht erklären, warum ich das Buch lese. Mir hat sich der Sinn nicht erschlossen, weil das Vergnügen fehlte. Den Schluss allerdings fand ich gelungen und erhellend.