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Marielle_liest

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 29.03.2025

Ausweglos und zauberhaft

Die Oberfläche des Chaos
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Elli lebt irgendwie zwischen den Welten. Zwischen Schimmel und den banalen Wünschen eines Kindes, zwischen Müll, Urinstein und Unausgeprochenem. Ihre Welt wirkt einsam, ist aber nie leer - und die vermüllte ...

Elli lebt irgendwie zwischen den Welten. Zwischen Schimmel und den banalen Wünschen eines Kindes, zwischen Müll, Urinstein und Unausgeprochenem. Ihre Welt wirkt einsam, ist aber nie leer - und die vermüllte Messi-Wohnung ist ihr Universum. Darin begleiten wir sie für knapp 10 Jahre ihrer Kindheit und erleben zusammen mit ihr das Durchhalten und Überleben.

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Jedes Kapitel ist ein kleines Wunder. Denn Elli schafft es, mich mit ihrem verblüffenden Wesen jedes Mal aufs Neue zu verzaubern. Schimmelpilze werden zu Aquarellen, Bücher werden zum Ausweg in andere Welten. Elli hat diese Gabe: Trotz ihrer durchaus erschreckenden Kindheit findet sie Schönheit im Hässlichen und Zartheit im Verborgenen.

Die Sprache des Romans hat mich sehr beeindruckt. Denn irgendwie ist sie wie Elli selbst: leise und kraftvoll, tabulos und liebevoll. Sie kommt mir ganz nah, ohne mich zu erdrücken. Und es gelingt ihr, die Welt zu beobachten, ohne sie zu verurteilen.

Trotz all dem Zauber schwebt die Traurigkeit immerzu über der Kulisse. Was würde ich Elli einen Ausweg wünschen - eine Person, die sie aus dieser Wohnung holt und vor ihrer Mutter schützt. Doch sie schafft das alles allein, empfindet trotzdem Liebe und eine unerschütterliche Fürsorge für ihre Mutter. Und in ihrem Herzen pocht das Leben, hartnäckig und trotzig.

Ein Lichtblick ist der Nachbarsjunge Jo. Trotz seiner Ecken und Kanten und trotz seines eigenen Schicksals hat Jo etwas tröstendes an sich. Für mich sind diese Passagen so intensiv, dass ich Jos Hände fühlen kann.

Alles in allem tut das Buch weh, da möchte ich nichts schön reden. Und genau deshalb lohnt es sich. Es macht sichtbar, was wir sonst übersehen. Von mir gibt es eine große Leseempfehlung für ein mutiges Buch, das mit Tabuthemen bricht und das liebe ich an Büchern am meisten. Und letztendlich sind im Chaos manchmal die größten Wunder zu finden.

Übrigens können wir uns nach dem Lesen auf Teil 2 und 3 freuen!

Veröffentlicht am 25.03.2025

Ein Geisterschimmel im Watt

Halbinsel
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Die Flut strömt heran und aus dem endlos wirkenden Wattenmeer werden winzige Sandinseln, die vom Meer umschlossen sind. Und innerhalb von wenigen Minuten sind auch diese verschwunden.

Das endlos wirkende, ...

Die Flut strömt heran und aus dem endlos wirkenden Wattenmeer werden winzige Sandinseln, die vom Meer umschlossen sind. Und innerhalb von wenigen Minuten sind auch diese verschwunden.

Das endlos wirkende, junge Glück von Annett, Linn und Johan versank ebenfalls innerhalb von wenigen Minuten. Mutter und Tochter blieben allein zurück - damals vor 20 Jahren. Wie die beiden Frauen heute zueinander stehen und neu zueinander finden, was vom Schrecken übrig ist und ob sie ihr Schicksal aufarbeiten konnten, erfahren wir im Roman „Halbinsel“.

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Dieses Buch ist eine Ode an meine Mama, auch wenn uns zum Glück ein Schicksalsschlag erspart geblieben ist. Doch wir haben gemeinsam eine schlimme Krankheit durchstehen müssen - sich anschließend frei und unbefangen zu entwickeln, ist wohl fast nicht möglich.

Die liebevolle Art von Annett, die für ihre Tochter alles tut, hat mich unglaublich bewegt. Es sind die kleinen Dinge: sich auch als erwachsene Frauen noch aneinander kuscheln, im Krankenhausbett neben der Tochter schlafen, noch immer das Kind in der erwachsenen Tochter sehen und dieser unbändige Stolz auf das Wesen, das aus dem Kind geworden ist.

Obwohl die Thematik des Buchs im ersten Moment sehr schwer wiegt, übernimmt der Alltag das Zepter des Romans. Zum einen bringt das diese wundervolle Leichtigkeit mit sich, die ich auch in Kristine Bilkaus Roman „Nebenan“ so mochte. Zum anderen macht es aber auch deutlich, wie sehr wir auch die kleinen Dinge schätzen dürfen: ein Mosaik aus alten Fliesen legen, die Veranda mit eine Lichterkette schmücken, sich trauen, allein schwimmen zu gehen.

Wie Magnete finden die beiden Frauen zueinander, als das Leben erneut ins Wanken gerät. Das ist für mich einfach nur herzerwärmend. Auch wenn beide Fehler machen, ist es so ergreifend zu verfolgen, wie sie daran wachsen - und größer und schöner erblühen, als je zuvor. Große Leseempfehlung für einen Roman, mit dem ich mich sehr gut identifizieren konnte. Ich wünschte, die Buchseiten hätten nie geendet.

Veröffentlicht am 21.03.2025

Das unendliche Bemühen des Genugseins

Alles, was du wolltest
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Hochglanzschrankfronten, Swimmingpool im Garten, Ahornböden, Regendusche - alles gehört Viktoria. Alexandra darf es mitbenutzen, mitbewohnen, denn die beiden sind ein Paar. Alexandra bekommt von Viktoria ...

Hochglanzschrankfronten, Swimmingpool im Garten, Ahornböden, Regendusche - alles gehört Viktoria. Alexandra darf es mitbenutzen, mitbewohnen, denn die beiden sind ein Paar. Alexandra bekommt von Viktoria ihr heiß ersehntes eigenes Massagestudio, dafür kann Alexandra auch mal einkaufen, die Wäsche waschen, Perlenohrstecker tragen, Staub saugen und kochen. Das klingt irgendwie nicht gleichberechtigt? Ist es auch nicht.

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Was ist eigentlich eine toxische Beziehung? Sind Gegenleistungen fair? Da sollte sie sich doch mal revanchieren - sie lebt doch ein Leben ohne Sorgen und hat alles, was sie immer wollte! Das hat sie alles ihr zu verdanken! Wtf?

Macht. Viktoria hat die Macht, sie nutzt die Macht. Viktoria ist die Überlegenere, sie hält die Fäden in der Hand. Die Fäden, die Alexandra kontrollieren, die sie fesseln und die sie binden.

Der Roman von Christina König ist so wundervoll normal. Scheinbar passiert nichts Schlimmes, aber es ist das Ungetane, das so viel ausmacht. Und es ist das Ungesagte, was zwischen den Zeilen heraus brüllt, sodass man Alexandra am liebsten wachrütteln möchte. Es ist ein so normales Beispiel dafür, was nicht normal sein sollte.

Ich habe „Alles, was du wolltest“ verschlungen, die Sprache ist so echt und angenehm zu lesen. Es ist beeindruckend, wie es der Autorin gelingt, von Seite zu Seite eine immer größere Spannung aufzubauen. Und recht bald wird klar, dass alles einstürzen wird.

Doch wie geht die Geschichte aus? Und damit folgt mein Highlight des Romans: Christina König gibt uns verschiedene Varianten mit auf den Weg, wie die Gechichte enden könnte. Das klingt ungewöhnlich, aber in meinen Augen hat es hervorragend funktioniert!

Große Leseempfehlung für einen neugedachten, aufregenden Roman, der die Lesenden tief mit hineinzieht und nicht mehr loslässt, bevor der letzte Satz endet. Die Thematik ist unfassbar eindringlich und zeigt den Schrecken einer Beziehung zwischen Dominanz und dem unendlichen Bemühen des Genugseins.

Veröffentlicht am 04.01.2025

Von Kristallskorpionen und Wiewölfen

Das Einhörnchen, das rückwärts leben wollte
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Ich habe mich mal in ein eher fremdes Genre gewagt und wollte schauen, was es mit den Büchern von Walter Moers auf sich hat. Entschieden habe ich mich für das neueste Werk - ein ganz schlankes, bestehend ...

Ich habe mich mal in ein eher fremdes Genre gewagt und wollte schauen, was es mit den Büchern von Walter Moers auf sich hat. Entschieden habe ich mich für das neueste Werk - ein ganz schlankes, bestehend aus 20 sogenannten Flabeln: Kurze Geschichten, die sich irgendwo zwischen Fabel, Märchen und Parabel einordnen lassen. Und bei den meisten muss man ein bisschen schmunzeln.

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Wir reisen zusammen nach Zamonien, wo schon viele andere Bücher von Moers spielten. Da wäre zum Beispiel das titelgebende Einhörnchen, das beschließt, sein Leben rückwärts zu leben – eine Auseinandersetzung mit dem Wunsch, den Tod zu überlisten. Oder die Begegnung zwischen Biber und Kristallskorpion mit einem wirklich unerwarteten Ausgang.

Nachhaltig beeindruckt hat mich, dass Moers es schafft, mit wenigen Worten ganz neue Universen zu erschaffen, mich zum Lachen zu bringen und im nächsten Moment mit einem bitteren Nachgeschmack zurückzulassen. Diese Phantasie, mit welcher zum Beispiel ein Schuhu zum Leben erwacht, ist wirklich phänomenal.

Geschrieben sind die Flabeln in einfacher Sprache, sodass sie sich für einen ganz gemütlichen Leseabend eignen. Und trotzdem fordert uns jede Geschichte dazu auf, über uns selbst nachzudenken: über Mut, über Scheitern, und ganz oft fühle ich mich ertappt, aber auf eine sympathische Weise.

Bei all der zamonischen Magie war das Buch für mich ein netter Ausflug in eine andere Welt, mit bleibenden Eindrücken. Jedoch hat es mich nicht unbedingt dazu animiert, die weiteren Werke unbedingt lesen zu wollen. Aber das ist - wie so häufig - eben Geschmacksache.

Dennoch ist „Das Einhörnchen, das rückwärts leben wollte“ eine unterhaltsame Sammlung, die mit Witz und ganz viel Weisheit überzeugt. Das Highlight sind für mich übrigens die wundervollen Illustrationen, die den magischen Wesen ein niedliches Gesicht verleihen. Diese haben mich wirklich verzaubert!

Veröffentlicht am 03.01.2025

Wütend, aufreibend und abenteuerlich

Wir waren Kometen
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Luba und Lukas - zwei Menschen wie Kometen auf kollidierenden Bahnen. In Berlin treffen sie aufeinander, in einer Stadt, die pulsiert, atmet und lebt. Lukas kommt aus Stuttgart, ist still und wünscht sich ...

Luba und Lukas - zwei Menschen wie Kometen auf kollidierenden Bahnen. In Berlin treffen sie aufeinander, in einer Stadt, die pulsiert, atmet und lebt. Lukas kommt aus Stuttgart, ist still und wünscht sich Erdung. Luba ist in Rumänien aufgewachsen und trägt Enttäuschung, Wut und Verrat unumkehrbar in sich. Die beiden finden sich und verlieren sich.

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Wie zwei Magnete mit wechselnden Polen, hin- und hergerissen zwischen Nähe und Distanz. Was die beiden verbindet, sind Narben - körperliche, seelische und gemeinsame.

Ganz ohne Kitsch, ohne Romantik kommt diese Liebesgeschichte aus. Das ist, was mir an diesem Roman sehr gut gefällt. Diese zwischenmenschliche Beziehung ist echt und ungeschönt. Zum Teil war ich unschlüssig, ob sich die beiden guttun oder schaden. Bis zum Schluss bin ich nicht sicher. Doch genau das ist das Leben, aufreibend, schmerzhaft und versöhnlich.

Mein Highlight ist die Sprache, die Daniel Gräfe wählt. Vermutlich muss man den poetischen Stil mögen, meinen Geschmack trifft es. Manche Sätze sind so schön, so bildhaft und warm, dass man sie am liebsten laut aussprechen möchte.

Auch das Roadtrip-Feeling kommt nicht zu kurz, denn die Reise nach Rumänien ist beeindruckend. Skurrile Begegnungen, die flirrende Hitze des Sommers, die Donau, die Walachei - ich bin wirklich gerne mitgereist.

Zu guter Letzt ist dieser Roman lehrreich und wichtig. Was ich alles über den rumänischen Geheimdienst zur Zeit von Lubas Kindheit erfahren habe, über die Schreckensherrschaft von Ceausescu, ist zwar grausam, aber so bereichernd. Geschichte in Büchern nachzufühlen, ist immer noch meine liebste Lernmethode.

Von mir gibt es eine große Empfehlung für eine unbequeme Liebesgeschichte voll von glühender Hitze, Erschütterungen und Einschlägen - wie bei Kometen.