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Marielle_liest

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 26.02.2024

Ein Buch als Ode an den Zusammenhalt

Der Wal und das Ende der Welt
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Bereits das Cover ist mir schon so lange in der Buchhandlung aufgefallen. Ich habe das Buch in der Adventszeit gelesen und im Nachhinein finde ich, es passt ganz wunderbar zum Jahresende. Gerade dann empfand ...

Bereits das Cover ist mir schon so lange in der Buchhandlung aufgefallen. Ich habe das Buch in der Adventszeit gelesen und im Nachhinein finde ich, es passt ganz wunderbar zum Jahresende. Gerade dann empfand ich es als so wohltuend, davon zu lesen, wie ein winziges Dorf durch Zusammenhalt wirklich alles schaffen kann.

Die Handlung ist unglaublich fesselnd, sodass ich wortwörtlich die gesamte Zeit mitgefiebert habe. Nach einer Weile fühlte ich mich fast schon selbst wie eine Dorfbewohnerin und war mitten drin im Geschehen. Die einzelnen Personen sind lebendig und authentisch beschrieben, mit all ihren Besonderheiten und Begabungen. So gelingt es, trotz der Vielzahl, eine Beziehung zu ihnen aufzubauen.

Durch den Wal schwingt außerdem immer etwas Mystisches mit. Meine persönliche Faszination für Wale hat dafür gesorgt, dass mich einige Stellen sehr bewegt haben.

Das Thema des Buches hinterlässt nach den Erlebnissen der letzten Jahre sicherlich bei allen Leser:innen die ein oder andere Sorgenfalte, was jedoch die Spannung des Buchs nicht mindert.

Veröffentlicht am 26.02.2024

Starke Frauen und der ganz große Coup

Mayfair House
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Mrs King arbeitet in der prunkvollen Villa der Familie de Vries, im "Mayfair House", als Haushaltsführung. Doch nach dem Tod des Hausherrn wird sie entlassen und beginnt einen Racheplan zu schmieden. Es ...

Mrs King arbeitet in der prunkvollen Villa der Familie de Vries, im "Mayfair House", als Haushaltsführung. Doch nach dem Tod des Hausherrn wird sie entlassen und beginnt einen Racheplan zu schmieden. Es ist Sommer im Jahr 1905, als sie gemeinsam mit sechs anderen Frauen – die zum Teil ihre ganz eigene Geschichte mit den de Vries verbinden – die Villa ausrauben will. Ausgerechnet in der Nacht des großen Maskenballs.


Das leuchtend rote Cover hat mir bereits auf den ersten Blick gefallen. Doch als ich es dann in der Hand hatte mit seinen haptischen und golden glänzenden Elementen, hat es mich so richtig verzaubert. Das Highlight ist für mich schließlich der dunkelblaue Grundriss des Mayfair House ganz vorne und ganz hinten im Buch. Darin sind auch Teile des Coup-Plans notiert, sodass ich mir die Handlungsorte immer wieder während des Lesens anschauen konnte.

Der Autor Alex Hay nimmt uns in seinem Buch "Mayfair House" mit in das London vor über hundert Jahren und sorgt mit einem zeitgemäßen und dynamischen Schreibstil dafür, dass die Villa zum Leben erwacht. Mit seinen Worten schenkt er jeder Figur einen einzigartigen Charakter, der im Verlauf des Buchs nach und nach zum Vorschein kommt. Aus den geheimnisvollen Unbekannten werden beeindruckende Frauen mit all ihren Eigenheiten, mit Narben, mit Stärken und Schwächen und vor allem mit so vielen tief bewegenden Facetten, dass ich mich am Ende des Buches kaum von ihnen losreißen kann.

Von Seite zu Seite kommen die verschiedenen Beweggründe von Mrs King und ihren Helferinnen ans Licht, die sie zu ihrem gerissenen Plan bewegten. Dafür wird häufig ein Blick in die Vergangenheit der Figuren mit in die Handlung eingeflochten, doch niemals so, dass man den Blick auf das Wesentliche verliert. Der Prunk des Adels steht dabei in Kontrast zu den Abgründen der damaligen Zeit. Manch ein dunkler Moment im Leben der Frauen lässt sich so intensiv nachempfinden, dass ich Gänsehaut bekomme.

Auf über hundert Seiten erzählt Alex Hay die Nacht des großen Raubs, was so fesselnd ist, dass ich das Buch ab diesem Moment nicht mehr aus der Hand legen kann. Doch auch die detailreiche und geniale Planung im Vorhinein wird in vielen spannenden Kapiteln beschrieben.

Zum Schluss bleibt für mich nichts als große Bewunderung für die sieben fantastischen Frauen, die so intelligent und schlagfertig sind, die sich schon zu dieser Zeit nichts gefallen lassen, sich zur Wehr zu setzen wissen und sich für die Rechte anderer Frauen engagieren. Und all das, obwohl jede von ihnen eine große Last auf den Schultern trägt. Sie sind für mich Heldinnen und Vorbilder und ich werde tatsächlich ganz viel von ihnen für mich mitnehmen in die heutige Welt. Wie schön, wenn ein Buch so viel Stärke, Mut und Energie in mir als Leserin auslösen kann.

Ich spreche eine große Leseempfehlung aus für alle, die mitreißende weibliche Idole lieben und für alle, die einen spektakulären Coup mit ganz viel Glanz, prachtvollen Kleidern und einer ordentlichen Portion Raffinesse erleben möchten.

Veröffentlicht am 26.02.2024

Ein Papagei und eine Achterbahnfahrt

Die Verletzlichen
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Es ist Frühling im Jahr 2020, der Beginn der Pandemie, als die Autorin in die Wohnung einer Bekannten zieht, um den Papagei Eureka zu betreuen. Ein junger Mann, den sie Giersch nennt, der aber in Wirklichkeit ...

Es ist Frühling im Jahr 2020, der Beginn der Pandemie, als die Autorin in die Wohnung einer Bekannten zieht, um den Papagei Eureka zu betreuen. Ein junger Mann, den sie Giersch nennt, der aber in Wirklichkeit anders heißt, hat zuvor Eureka gehütet, ist jedoch spurlos verschwunden. Aus dem Nichts ist er wieder zurück in der Wohnung und nun muss sich die Autorin mit ihm arrangieren - in so vagen und beängstigenden Zeiten, wie wir sie 2020 alle erlebt haben.

So viel zur eigentlichen Handlung des Romans, die interessant und tiefgründig erzählt war und so viele zarte und emotionale Momente hatte. Doch huiuiui, da gab es noch den ein oder anderen weiteren Handlungsstrang, denn die WG mit Eureka und Giersch hat insgesamt etwa ein Drittel des Buches eingenommen. Im großen Rest berichtet die Autorin von einer Schreibblockade, und möglichen Wegen, diese zu lösen, ebenso wie vom Tod einer Freundin und dazwischen bekommen auch die Theorien und Werke von großen Schriftsteller:innen und Philosoph:innen einen Platz.

Beim Lesen musste ich immer wieder schmunzeln, wie die Autorin von einem Thema zum nächsten springt. Das verursachte in meinem Kopf ein bisschen Verwirrtheit und vor allem eine Achterbahnfahrt - eigentlich ganz ähnlich wie damals zu Beginn der Pandemie. Also auch irgendwie passend. Zu meiner Freude waren alle Themen stilistisch extrem eindrucksvoll geschrieben, sodass mir das Lesen der einzelnen Stränge leicht fiel. Aber durcheinander bin ich trotzdem irgendwie.

Und am Ende bin ich auch ein bisschen traurig, dass ich von dem wundervollen Eureka so wenig erfahren habe und dass die Geschichte mit Giersch endete, bevor sie so richtig anfing. Denn die sensiblen Momente dieser ungewöhnlichen Wohngemeinschaft waren ein Highlight und haben das zauberhafte Cover auf ganz besondere Weise widergespiegelt.

Ich glaube, dass dieser Roman polarisieren könnte - entweder es ist ein Volltreffer oder es ist keiner. Ausprobieren solltest du es selbst. Für mich war es der erste Roman von Sigrid Nunez und ich bin gespannt, wie ihre anderen Werke sind.

Veröffentlicht am 26.02.2024

Eine andere Perspektive

Notizen zu einer Hinrichtung
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Ansel Packer ist Serienmörder und befindet sich in Haft. Die 12 letzten Stunden seines Lebens sind angebrochen und ihn erwartet dasselbe Schicksal, dass er seinen weiblichen Opfern angetan hat. Wie Ansel ...

Ansel Packer ist Serienmörder und befindet sich in Haft. Die 12 letzten Stunden seines Lebens sind angebrochen und ihn erwartet dasselbe Schicksal, dass er seinen weiblichen Opfern angetan hat. Wie Ansel zu diesem Monster wurde und wie er das Leben von vielen Frauen beeinflusste, erfahren wir in diesem außergewöhnlichen Buch.

„Notizen zu einer Hinrichtung“ ist kein typischer Krimi und kein typischer Thriller. Die schrecklichen Geschehnisse kommen viel mehr wie ein Roman daher und schaffen etwas, das ich auf diese Art bisher noch nicht gelesen habe.

Die Autorin kritisiert, wie die Faszination für TrueCrime vor allem die Täter:innen auf eine Empore hebt. Doch mit ihrem Buch gelingt es ihr, eine tragische Magie auf umgekehrte Weise zu kreieren. Die Geschichte des Täters Ansel wird von den Frauen Lavender, Saffy und Hazel erzählt, deren Leben auf verschiedenste Weise mit Ansels Leben verflochten ist.

Was Ansel selbst von sich Preis gibt, ist alles andere als faszinierend. Er erhofft sich durch seine wirren Schriften Verständnis für seine Taten und hält sich für besonders und überlegen. Bei mir als Lesende entwickelt sich keinerlei Sympathie für ihn, auch wenn seine ersten vier Lebensjahre definitiv entsetzlich waren.

Vor allem die brillante Kommissarin Saffy und die Ballerina Hazel schaffen es jedoch, mein Herz zu erreichen. Sie geben den Opfern ein Gesicht und eine Stimme und sorgen dafür, dass die Frauen während des gesamten Buches die Hauptrolle spielen. Es hat mich tief bewegt, wie die Morde ihr Leben gravierend prägten. Alle Dämme brachen bei mir in den Momenten, die ein alternatives Leben ohne Ansels Eingreifen aufgezeigten.

Der Schreibstil der Autorin war leicht zu lesen und unglaublich fesselnd. Ich fand das Buch durchweg spannend und aufwühlend und kann es uneingeschränkt empfehlen, wenn du einmal die andere Perspektive auf ein Verbrechen kennenlernen möchtest.

Veröffentlicht am 26.02.2024

Kann ich meiner Umlaufbahn vertrauen?

Trabant
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Eine wirre SMS des Vaters veranlasst Georg, sich ins Auto zu setzen und kurz vor der Hochzeit des besten Freundes Hals über Kopf aus Kroatien abzuhauen. Er muss das Schlimmste verhindern, die Wahrheit ...

Eine wirre SMS des Vaters veranlasst Georg, sich ins Auto zu setzen und kurz vor der Hochzeit des besten Freundes Hals über Kopf aus Kroatien abzuhauen. Er muss das Schlimmste verhindern, die Wahrheit herausfinden und seine Familie retten – daran führt kein Weg vorbei. Auf der Fahrt zurück nach Deutschland sind skurrile Gedanken und ebenso skurrile Erlebnisse Georgs ständige Begleiter.

Georg macht sich viele Sorgen – häufig unbegründet, er hasst es, im Mittelpunkt zu stehen, er hat Ängste, die sich auch körperlich äußern und er fühlt sich vor allem in der Schulzeit so fehl am Platz, dass es kaum auszuhalten ist. Was sich alles nach einem richtig seltsamen Typen anhört, hat jedoch auch eine andere Seite. Denn Georg hat eine ganz besondere Bindung zu seinen Eltern und ein unerklärliches Gespür für das, was in unserer Welt für die meisten im Verborgenen bleibt. Wenn es darauf ankommt, kann er über seinen Schatten springen und seine größte Faszination sind Himmelskörper – was auch den Titel des Buchs erklärt. Der Trabant der Erde ist der Mond und ebenso scheint Georg der Trabant seiner Eltern zu sein und umgekehrt.

Im Laufe der Kapitel erzählt der Autor viele lustige und rührende Stationen von Georgs Kindheit. Das gelingt ihm mit seiner bildhaften und lebendigen Sprache so gut, dass ich mich schnell so fühlte, als wäre ich mittendrin im Familienleben. Viele Momente zwischen Georg und seinen Eltern haben mich tief bewegt und mich oft an meine eigene Kindheit erinnert.

Auch das Ende des Romans geht richtig ans Herz und kommt mit einer unerwarteten Wendung um die Ecke. Ich habe die letzten Seiten sogar zwei Mal gelesen, weil ich dieses zarte und empfindliche Verglimmen all der Sorgen noch einmal erleben wollte.

Georg hat mich von Anfang an eingenommen und ich bin unglaublich dankbar, dass es dieses Buch gibt. Es zeigt, dass in unserer Welt meist kein Platz ist für all die sensiblen und einsamen Seelen, die sich eine Daseinsberechtigung im Orbit des Alltags so sehr wünschen würden. Ich empfehle dieses Buch allen, die Lust haben auf große Gefühle, auf das Annehmen der eigenen Schwächen - die aber genauso gut Stärken sein könnten - und auf ehrliche und ungeschönte Verletzlichkeit.

Manche Bücher treffen mitten ins Herz... Ich habe „Trabant“ gefühlt und gelebt – und in einem Rutsch durchgelesen.