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Veröffentlicht am 29.09.2021

„Liebe Leiche, sprich mit mir und erzähl' mir die Geschichte deines Mordes!“

Tote schweigen nie
4

Mit „Tote schweigen nie“ beginnt A. K. Turner eine neue Krimi-Serie, die zu einem großen Teil im Bereich der Forensik spielt. Mit eben diesem sehr abwechslungsreichen Auftaktband ist der Autorin der Einstieg ...

Mit „Tote schweigen nie“ beginnt A. K. Turner eine neue Krimi-Serie, die zu einem großen Teil im Bereich der Forensik spielt. Mit eben diesem sehr abwechslungsreichen Auftaktband ist der Autorin der Einstieg in dieses Vorhaben mehr als geglückt. Das mag zum einen daran liegen, dass Turner ihren beiden Protagonistinnen Zeit lässt ihre jeweiligen Charaktere zu entfalten, zum anderen dass der Plot recht vielschichtig gestaltet ist und mehrere Handlungsstränge parallel verfolgt werden.

Zum einen gibt es da die etwas spleenige, mit Tatoos und Piercings übersäte Gothic-Queen Cassandra „Cassie“ Raven, die Sektionsassistentin im Londoner Institut für Rechtsmedizin ist. Auf ihrem Seziertisch landen allerlei Leichen, die allesamt ihre ganz eigene Geschichte „erzählen“ und mit sich herumtragen. Stets geht Cassie mit ihnen sehr behutsam um und versucht zu ergründen, welches Schicksal ihre Schützlinge ereilt hat. Da sie bei ihrer Arbeit sehr aufmerksam ist, fallen Cassie auch die kleinsten Details auf. Darüber hinaus besitzt sie die Gabe mit ihren Leichen „sprechen“ zu können – es handelt sich hierbei weder um ein reales noch um ein übernatürliches oder übersinnliches Gespräch, sondern vielmehr um ein imaginäres, welches sich in Cassies Fantasie abspielt. Die Toten und auch Cassie finden gewissermaßen erst dann ihre Ruhe, wenn geklärt wurde, wie die Toten umkamen. Völlig geschockt ist Cassie allerdings, als sie in Vorbereitung des nächsten Falls den Leichensack öffnet und gänzlich unerwartet ihre ehemalige Mentorin Mrs. Edwards, genannt „Mrs. E“, von ihr obduziert werden soll, der sie im Prinzip ihren ganzen Werdegang zu verdanken hat. Lediglich zuletzt hatte sie sich mit Mrs. E ein wenig verkracht und den Kontakt verloren. Cassie ist sich sicher, dass Mrs. E nicht eines natürlichen Todes gestorben ist. Als Gegenpol ruft A. K. Turner die überaus gewissenhafte, korrekte und linientreue Detective Sergeant Phyllida Flyte ins Leben, die stets nach Vorschrift handelt und dies auch sehr deutlich in Kleidung und Auftreten verkörpert. Zu Beginn verschwindet erst einmal eine Leiche aus der Forensik und die beiden Damen sind sich untereinander nicht besonders sympathisch – Flyte verdächtigt zunächst Cassie sogar, da sie bei ihr zu Hause einen Totenschädel findet und von Cassies außergewöhnlichem Hobby des Ausstopfens von Tieren mehr als überrascht ist. Aber im Verlauf des Buches finden die beiden, entgegen aller Vorbehalte, zueinander und Cassie kann Flyte - wider der Beweislage - davon überzeugen, den Tod von Mrs. E auch kriminalistisch weiter zu verfolgen.

Die Handlung wurde von A. K. Turner sehr klug inszenierten, die Geschichte wird immer aus wechselnden Perspektiven geschildert und es gibt gleich mehrere Fälle, die parallel zueinander aufgeklärt werden müssen, bei denen der Leser sich stets am Puls der Ermittlungen befindet. Sprachlich leicht verständlich geschrieben und von Marie-Luise Bezzenberger hervorragend aus dem Englischen (Originaltitel: "Body Language") übersetzt, werden die Charaktere sehr Detail-genau geschildert; dies gilt nicht nur für die Protagonisten Cassie und DS Flyte, sondern auch für alle Nebencharaktere, insbesondere für Cassies polnische Großmutter Weronika. Die Hörbuchvariante wird zudem großartig von Sandra Voss gesprochen.

Fazit: Basierend auf einem für einen Krimi zunächst ungewöhnlichen Blickwinkel der Forensik entwickelt sich ein exzellenter Krimi mit zwei überaus Charakter-starken Frauen, die in vielerlei Hinsicht nicht unterschiedlicher sein könnten, sich aber immer mehr aufeinander zu bewegen, immer besser zusammenarbeiten, die offenen Fälle erfolgreich angehen und im Hinblick auf eine Fortsetzung am Ende so gut miteinander harmonieren, dass der Leser gespannt sein darf, wie sich das Ganze zwischen den beiden noch weiterentwickeln wird. Das Buch ist gespickt mit unerwarteten Wendungen, entwickelt sich immer mehr zum Pageturner und hält eindeutig, was sein überaus interessantes Cover verspricht. Angereichert durch forensisches Wissen ist die Lektüre für den Leser/Hörer auch überaus informativ, spannend und durch den humorvollen Schreibstil auch sehr unterhaltsam. Ich persönlich fiebere der Fortsetzung dieser Krimi-Reihe entgegen: Vermutlich möchte aber jeder Leser nun nach Band 1 noch mehr über die nur auszugsweise, angerissene Vergangenheit der beiden Protagonistinnen erfahren.

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Veröffentlicht am 20.09.2021

Exzellenter Krimi über einen Mehrfachmord, Nanobots, graue Gänse und graue Grütze

Seht ihr es nicht?
3

„Aha, bei diesem Buch handelt es sich also tatsächlich um einen Kriminal-Roman“ nahm ich zur Kenntnis, als ich zum wiederholten Male den Klappentext studiert hatte, nachdem mir das erste Fünftel von Georg ...

„Aha, bei diesem Buch handelt es sich also tatsächlich um einen Kriminal-Roman“ nahm ich zur Kenntnis, als ich zum wiederholten Male den Klappentext studiert hatte, nachdem mir das erste Fünftel von Georg Haderers „Seht ihr es nicht?“ gleichsam seines Buchtitels gar nicht so recht zu einem spannenden Krimi passen wollte. „Okay, ... und in dieser Geschichte geht es also um Forschung mit und an Nanobots … um was, bitteschön?“ Vermutlich geht es einer Vielzahl von Lesern so oder so ähnlich beim Einstieg in diesen Roman, was daran liegen dürfte, dass der Autor sich die nötige Zeit nimmt seine aus dem alltäglichen Leben gegriffenen Protagonisten sehr behutsam in den, wie sich im Laufe des Weiterlesens herausstellen wird, großartigen Plot einzuführen und den Kriminalfall und dessen Aufklärung sich erst mit der Zeit entwickeln lässt. Hierdurch ist der Leser immer hautnah bei den Protagonisten und deren aktuellstem Stand der Ermittlungen aber auch an deren Privatleben – im Gegensatz zu sonstigen Ermittlern in Krimis oder Thrillern haben die Hauptpersonen in „Seht ihr es nicht?“ tatsächlich ein solches und sind darüber hinaus auch weit von einem Superhelden-Status entfernt, was sie allesamt recht sympathisch und vertraut wirken lässt.

Natürlich gibt es frühzeitig bereits den rätselhaften Mord an Helena Sartori, ihren Eltern und ihrem Sohn – lediglich ihre jugendliche Tochter, Karina, scheint von dem Massaker verschont geblieben zu sein, ist seither aber spurlos verschwunden. Die Familie hatte sehr abgeschieden gelebt, zudem hatte Helena aus ungeklärten Gründen ihren gut bezahlten und sehr angesehen Job gegen einen viel schlechteren „in the middle of nowhere“ eingetauscht und sich ferner von ihrem Mann, Franz Morell, getrennt. Für den Mord scheint jegliches Motiv zu fehlen – zumindest zunächst. Dann wiederum wird der Leser direkt ins Leben der unangepassten Ermittlerin Philomena „Philli“ Schimmer und ihrer beiden Schwestern Thalia und Nemo und deren Leben hinein geworfen. Die Schwestern gehen gemeinsam zum Friseur, machen gemeinsame Ausflüge mit der Familie oder gehen mit dem Hund der Eltern Gassi. Bei vertrauten Unterhaltungen von Philli mit ihren Schwestern und Kollegen wird einerseits oft philosophiert, andererseits jedoch driftet Schimmers Sprache häufig auch in einen recht vulgären Alltagsslang ab, was allerdings der Rolle der authentischen Kommissarin durchaus angemessen erscheint. Schimmer ist durch einen ehemaligen Fall stark traumatisiert und wurde daraufhin auf ihren Wunsch hin in eine Sondereinheit zum Auffinden vermisster Personen beim österreichischen BKA versetzt. Auf einer zweiten Schiene lernen wir Michael „Michi“ Muster kennen, der die Ermittlungen in diesem Mordfall leiten soll und Schimmer unbedingt zur Aufklärung des Falles mit im Boot haben möchte. Zudem ist er Phillis Ex-Freund, ist mittlerweile aber mit einer anderen Frau verheiratet – allerdings haben die beiden seit geraumer Zeit wieder ein Verhältnis. Er benötigt Schimmers Unterstützung, da er um ihre Gabe weiß, Dinge zu sehen, welche anderen entgehen.

Basierend auf diesem Gerüst, lässt Georg Haderer sprachlich sicherlich eigenwillig, aber gewandt die Aufklärung des Kriminalfalls Stück für Stück reifen. Anfangs gibt es jede Menge Geheimnisse um die Ermordete und fast alle Befragten scheinen etwas zu verbergen oder wichtige Informationen zurückzuhalten. Zusammen mit den Ermittlern (mal sind wir gemeinsam mit Philli, mal mit Michi unterwegs, mal schließen sich die beiden kurz) tappt der Leser im völligen Dunkeln bis sich schließlich das Puzzle zusammensetzt und Licht ins Dunkel kommt - scheinbar. „Seht ihr es nicht?“ lebt weniger von geballter Action als vielmehr von interessanten Beobachtungen und psychologischen Einblicken in die Gefühlslage und Charaktereigenschaften seiner Protagonisten und bleibt durchweg spannend bis hin zum überraschenden Finale.

Fazit: „Seht ihr es nicht?“ ist einerseits ein sicherlich höchst unkonventioneller Kriminalroman, der aber andererseits sehr intelligent und spannend inszeniert wurde. Hat der Leser sich erst einmal an die Sprache gewöhnt und den roten Faden in der Handlung entdeckt, wird er/sie das Buch nicht mehr aus der Hand legen wollen. Angereichert durch die wissenschaftlichen Aspekte ist der Roman auch informativ und Humor und Ironie lässt die Lektüre ebenso wenig vermissen. Auf großartige Weise nimmt Georg Haderer den Leser durchweg auf Augenhöhe mit seinen Protagonisten mit auf eine Kriminalreise voller unerwarteter Wendungen und erlaubt dem Leser gewissermaßen gemeinsam mit den Kommissaren „Philli und Michi“ von nebenan den Fall zu durchleben und zu lösen.

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Veröffentlicht am 15.09.2021

Können wir gemeinsam unseren Planeten noch retten oder ist es bereits zu spät?

Was, wenn wir einfach die Welt retten?
3

Normalerweise kennen wir Frank Schätzing als Autor von so großartigen und spannenden Romanen wie „Der Schwarm“ oder Mixturen aus historischem Geschichtswissen und faszinierendem Thriller wie in „Breaking ...

Normalerweise kennen wir Frank Schätzing als Autor von so großartigen und spannenden Romanen wie „Der Schwarm“ oder Mixturen aus historischem Geschichtswissen und faszinierendem Thriller wie in „Breaking News“. Mit „Was, wenn wir einfach die Welt retten?“ hat Schätzing nun das Schreiben eines weiteren solchen Thrillers eigens für das Verfassen des vorliegenden Sachbuches, welches zusätzlich den Untertitel „Handeln in der Klimakrise“ trägt, unterbrochen. Dies unterstreicht umso mehr, dass ihm das Schreiben eines so wichtigen Buches zum aktuellen Stand des Klimawandels und zur Rolle, welche wir alle dabei spielen und was wir tun können, um dieser Entwicklung entgegen zu wirken, eine absolute Herzensangelegenheit ist.

Schätzing beginnt sein Buch mit den an den Leser gerichteten Worten: „Wir sind in einem Thriller. Sie und ich. Nicht als Leser und Autor. Als Akteure.“ Und so nimmt er den neugierigen Leser im Thrillerstil auf eine flotte Reise durch die acht Kapitel des Buches mit, in denen er wissenschaftlich korrekt den aktuellen Kenntnisstand zum Klimawandel darlegt und durchleuchtet - keine der jüngsten wissenschaftlichen Entwicklungen und Möglichkeiten lässt er dabei unerwähnt. Er unterscheidet dabei zwischen dem natürlichen Klimawandel und dem durch den Menschen verursachten. Ohne zu fach-spezifisch zu werden, vermittelt er auch in für den Laien verständlicher Sprache das nötige Hintergrundwissen und die Grundlagen, um auch Leugnern des Klimawandels etwas entgegenhalten zu können. Schätzing führt äußerst informativ, sehr unterhaltsam und, wann immer angebracht, auch untermalt mit ironischem Humor seinen Lesern vor Augen, wo wir alle aus wirtschaftlichen Interessen, Bequemlichkeit, Gewohnheiten oder purem Egoismus große Fehler begehen und wo wir schlichtweg wegsehen und vergessen zu handeln; kurz gesagt, wo wir auf voller Linie versagen - nicht nur in der Politik, in der Industrie und der Wirtschaft, sondern auch im Verhalten jedes einzelnen von uns. Zu keinem Zeitpunkt kritisiert und mahnt er hierbei lehrmeisterhaft mit erhobenem Zeigefinger, vielmehr bezieht er sich selbst geschickt ebenso mit ein und gesteht auch seine eigenen Fehler. Dennoch ist klar erkennbar, dass er mit großer Hingabe seine Leser zu einem Umdenken und zum sofortigen Handeln motivieren möchte. Großartig legt er uns dar, dass unser Planet vermutlich noch zu retten wäre, wenn wir endlich und möglichst umgehend anfangen würden zu HANDELN und nicht mit allerlei guten Vorsätzen in Schockstarre verharrend mit einem Nichtstun nur einfach irgendwie so weiter machen wie bisher und die Welt an den Abgrund fahren … oder darüber hinaus. Jeder einzelne kann sich selbst in seiner alltäglichen Rolle und mit seinen jeweiligen Gepflogenheiten und Fehlern in dem Buch wieder entdecken und hinterfragen und wird dazu angeregt, umzudenken und schleunigst etwas zu tun. Vermöge seines mitreißenden Schreibstils gelingt es Schätzing, den Leser nicht nur zu unterhalten, sondern ihn tief in seinem Inneren zu erreichen und ihm völlig Vorwurfs-frei direkt ins Gewissen zu sprechen.

Das Buch wurde natürlich exakt zum richtigen Zeitpunkt geschrieben und bekommt zusätzliche Bedeutung dadurch, dass es aus der Feder eines so großartigen und bekannten Autors wie Frank Schätzing stammt. Alle wichtigen Themen wie Chaostheorie, Fake News, Corona, Bio-Produkte, ökologischer Fußabdruck, Kipppunkte, erneuerbare Energien, Treibhaus-Effekt, CO2-Verbrauch, künstliche Intelligenz und vieles mehr werden auf vielfältige Weise angesprochen und diskutiert. Es ist ein beeindruckendes und auch wichtiges Werk, das auch nochmal hervorhebt, welch enorme Bedeutung uns allen, aber insbesondere auch der jungen Generation unserer Kinder zukommt und welche Impulse durch Aktionen wie „Fridays for Future“ gesetzt wurden. In diesem Sinne sollte das Buch gleichsam für Leser ab dem Teenageralter, wie auch für Erwachsene hervorragend als Lektüre geeignet sein. Als kleines Manko möchte ich das letzte Kapitel nennen, in welchem Schätzing ein Bild von einer - für meinen Geschmack – zu abgefahrenen und zu spekulativen Zukunft malt. Dem hervorragenden Gesamteindruck des Buches tut dieses Kapitel jedoch keinerlei Abbruch.

Fazit: „Was, wenn wir einfach die Welt retten?“ von Frank Schätzing ist ein großartiges und wichtiges, populär-wissenschaftliches Sachbuch zur aktuellen Klimaproblematik, geschrieben vom Meister des Thrillers, durch welches jeder Leser motiviert wird zu überdenken, wie er/sie selbst zur Erhaltung unseres Planeten beitragen kann. Jedem sollte klar werden, wie nahe wir bereits am Abgrund stehen und dass sofortiges Handeln und Umdenken der Gesellschaft aber auch jedes einzelnen unabdingbar sind. Dem Weltall wird es vermutlich egal sein wie wir uns verhalten, aber unsere Kinder und deren Nachkommen werden es uns sicherlich danken. Meine persönliche Schlussfolgerung aus Frank Schätzings Buch: „Lasst uns versuchen die Welt zu retten und mit ihr un-zählbar viele Tier- und Pflanzenarten.“ Zumindest versuchen müssen wir es, ob es uns gelingt, wird sich zeigen.

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Veröffentlicht am 30.08.2021

Auf Perihelbahnen präzediert man der Auflösung des Kriminalfalls entgegen

Dein dunkelstes Geheimnis
12

"Dein dunkelstes Geheimnis" ist der mittlerweile sechste Roman von Jenny Blackhurst. Er firmiert unter dem Genre Psychothriller, wäre jedoch weitaus besser im Genre des Kriminalromans aufgehoben, unterlegt ...

"Dein dunkelstes Geheimnis" ist der mittlerweile sechste Roman von Jenny Blackhurst. Er firmiert unter dem Genre Psychothriller, wäre jedoch weitaus besser im Genre des Kriminalromans aufgehoben, unterlegt mit etwas gesellschaftskritischen und leicht dramatischen Aspekten. Nicht uninteressant geschrieben und durchaus bestens als unterhaltsame Lektüre geeignet, ist er weder einschläfernd noch aufpeitschend und befindet sich in puncto Spannungslevel irgendwo zwischen diesen beiden Extremen – Tendenz: Zunehmend ansteigende Spannung mit voranschreitender Seitenzahl bis hin zum fulminanten aber ein wenig überstürzten Finale.

Das Buch beginnt mit der Frage „Wo ist sie?“ und zusammen mit dieser Fragestellung und den Protagonisten mäandert der Leser so nach und nach durch die Handlung des Buches. Gestellt wird die Frage während regelmäßig wiederkehrender Gefängnisbesuche von Kathryn an ihren Vater Patrick, der vor 25 Jahren Kathryns beste Freundin Elsie ermordet haben soll – zumindest hat er den Mord, obwohl unaufgeklärt, an der damals Fünfjährigen gestanden und wurde dafür zu lebenslanger Haft verurteilt. Es ist dieses Ereignis, welches Kathryns Leben komplett auf den Kopf stellt und entgleisen lässt. Seither musste sie eine Menge durchmachen, hat wiederkehrende Alkoholprobleme, befindet sich in psychologischer Therapie und fühlt sich schlicht als „die Tochter des Monsters“. Vertrauen und Freundschaften kann sie nur noch zu wenigen Personen aufbauen, unter ihnen ihr Bruder Jordan, ihre Mutter Jill (zu der sie aber den Kontakt meidet) und ansatzweise ihre Nachbarin Miriam sowie ihre Therapeutin Veronica. Für ihren Vater empfindet Kathryn nur noch Hass und Verachtung. Ungewöhnlich und ein wenig gewöhnungsbedürftig berichtet Kathryn dies aus einer „Ich“-Perspektive heraus.

In einem parallelen, wenngleich nicht unabhängigen, Handlungsstrang wird nun auf Kathryns Heimatinsel Anglesey am 25. Jahrestag von Elsies Verschwinden wieder ein fünfjähriges Mädchen vermisst. Das Mädchen wird aus dem gleichen Wäldchen, hinter dem gleichen Haus wie damals entführt und sieht Elsie darüber hinaus auch noch zum Verwechseln ähnlich. Mit der Aufklärung dieses Falles sind „Detective Inspector“ Maggie Grant, deren Sexleben in der ersten Hälfte des Buches unnötigerweise etwas zu viel beleuchtet wird, und ihr Team befasst. Spätestens als Kathryn sich dazu entscheidet nach Anglesey zu reisen und bei der Suche des vermissten Mädchens mitzuhelfen, werden die beiden Handlungsstränge enger miteinander verwoben. Angekommen auf ihrer Heimatinsel wird Kathryn mehrfach wiedererkannt und es entfaltet sich – reichlich spät, aber gerade noch rechtzeitig - eine durchaus spannende Geschichte.

Das Buch - Jenny Blackhursts gefälligem und unkompliziertem Schreibstil lässt sich dabei recht einfach folgen - hat sicherlich seine Stärken, aber auch deutliche Schwächen. Zu seinen Stärken zählen zweifellos seine gesellschaftskritischen und dramatischen Komponenten, die das Leben Kathryns beschreiben, die (ungewollt) in eine Situation gerät, welche sie als Kind und ihrem weiteren Leben komplett überfordern. Zu den großen Schwächen des Buches gehört jedoch sicherlich, dass dem Leser in ein paar Schleifen zu viel die gleichen Informationen vorgekaut, wichtige Details zum Miträtseln hingegen verschwiegen werden und letzten Endes dann auch leider ein paar Zufälle zu viel zusammenkommen. Darüber hinaus gibt es mehrfach logische Brüche in der Handlung, manche Aktionen versanden und werden nicht mehr aufgenommen. Repräsentatives Beispiel ist u.a. der unklare Zusammenhang zwischen Handlung und Cover des Buches, wobei das Cover alleine ein echter Blickfang ist. All dies lässt die Lektüre ein wenig zu konstruiert wirken. Dennoch steigert sich im Verlauf des Buches das Spannungslevel im schwungvollen zweiten Teil deutlich, was den Leser dann schon mitzureißen vermag und anregt darüber nachzudenken, wie er selbst in verschiedenen Rollen wohl gehandelt hätte und wie leichtfertig man sich oftmals ein Urteil über andere Menschen bildet.

Fazit: Die Grundidee zu Jenny Blackhursts "Dein dunkelstes Geheimnis" ist sehr gut gewählt und die gesellschaftskritischen und dramatischen Aspekte kommen auch deutlich heraus; die Entfaltung der Handlung hingegen mutet, trotz flüssigen und nie langweiligen Schreibstils, dann doch eher wie ein Kriminalfall in bester „Tatort“-Manier an - gleichsam einer unterhaltsamen Geschichte, die man entspannt gerne mal so nebenbei liest, welche allerdings den Leser nicht sonderlich fordert und auch kaum zum Mitdenken bei der Lösung des Falls motiviert. Da die Protagonisten insgesamt eher blass bleiben, hätte ich mir an manch einer Stelle ein plötzliches Auftauchen von Margaret Rutherford alias Miss Marple gewünscht, die den Leser aus seiner aufgezwungenen Lethargie wachrüttelt und mit gezielten Hinweisen etwas Klarheit in den Fall und sein überhastetes, leicht konfuses Ende bringt. Das Buch ist weiß Gott nicht schlecht, aber aus dieser wirklich originellen Basis hätte Jenny Blackhurst meines Erachtens deutlich mehr machen können. Das Potential zu einem wunderbaren Kult-Psychothriller wäre eindeutig da gewesen, diese Chance wurde aber leider vertan. Was bleibt, ist ein unterhaltsamer, aber durchschnittlicher Kriminalroman mit kleinen kritischen Botschaften.

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Veröffentlicht am 19.08.2021

Schläfst du noch ... oder mordest du schon?

Tief wirst du schlafen
4

Das Buch „Tief wirst du schlafen“ von Christian Kraus ist ein überaus spannender Psycho-Thriller über die „dunkle Seite“ der Hypnose, der vom Autor sehr intelligent aufgebaut ist. Zunächst beginnt die ...

Das Buch „Tief wirst du schlafen“ von Christian Kraus ist ein überaus spannender Psycho-Thriller über die „dunkle Seite“ der Hypnose, der vom Autor sehr intelligent aufgebaut ist. Zunächst beginnt die Geschichte mit einem Hypnose-Text und wird dann, wie in vielen Thrillern, mit einem handelsüblichen Mord fortgesetzt, wobei in diesem Fall die Mordwaffe ein Küchenmixer ist und die Art und Weise wie die Frau ihren Lebensgefährten um die Ecke bringt, nichts für schwache Nerven sein dürfte.

Christoph Kerber andererseits ist Gerichtsgutachter für forensisch-psychologische Fragestellungen. In dieser Funktion sorgt er zu Beginn des Buches mit seiner psychologischen Einschätzung eines Angeklagten für die Verurteilung des Bruders eines Mafiapaten, der im Gegenzug noch während der Gerichtsverhandlung versucht ein Attentat auf Kerber zu verüben. Nur knapp und mit gehörig Glück überlebt Kerber den Angriff. In einem weiteren parallelen Handlungsstrang wird die Escortdame Selina von einem Mann hinterhältig betäubt, in ein abgelegenes Studio gebracht und soll dort in einem Film von mehreren Männern vergewaltigt werden. Selina ist aber eigentlich Reporterin und erfahrene Kampfsportlerin hat die Gefahr antizipiert und die K.O.-Tropfen gar nicht eingenommen, die Situation stets unter Kontrolle und kann sich aus der Umklammerung ihrer Entführer befreien. Sie scheint überaus Risiko-bereit und scheint sich in der Vergangenheit für eine gute Story schon öfters solchen Gefahren ausgesetzt zu haben. Fast zeitgleich mit einem im Internet kursierenden Hypnose-Video taucht dann Kerbers alter Studienfreund 'Fish', mit dem er früher an der Optimierung von Hypnose (genau genommen dunkler Hypnose) experimentiert hat, auf und Kerber bekommt erste Schwierigkeiten in der Beziehung mit seiner schwangeren Lebensgefährtin Eva.

Der Leser wird hier also mit sehr vielen zunächst unabhängigen Handlungssträngen konfrontiert, die sich dann aber so nach und nach zu klären und zusammen zu fügen scheinen - man glaubt fest, der Nebel lichtet sich. Immer jedoch, wenn der Leser glaubt, das Geschehen nun zu verstehen und im Griff zu haben, folgt aber eine völlig unvorhersehbare Wendung und man fragt sich zusehends mehr, was in der Geschichte ist nun Realität und was ist Fiktion im Leben der Protagonisten, insbesondere von Christoph Kerber. Möglicherweise wird der Leser selbst durch wiederkehrende Anleitungen zeitweise hypnotisiert, in jedem Fall wird er vom Handlungsstrom unweigerlich mitgerissen und befindet sich ohne Unterbrechung im Bann dieses hervorragenden Thrillers.

Christian Kraus hat hier einen sehr klug inszenierten Psychothriller vorgelegt, der mir auf seine Art etwas ganz Neues in diesem Genre zu sein scheint. Sehr flott, spannend und überzeugend treibt der Autor die Handlung mit einer für jedermann verständlichen Sprache voran, führt die Protagonisten zusammen mit dem Leser nach Belieben in Klarheit oder in die Irre – umso mehr, je weiter man mit der Seitenzahl voranschreitet. Absolut passend dazu wurde ein eindrucksvolles und in jeglicher Hinsicht „wahnsinniges“ Buchcover gewählt – bei zu langer Betrachtung führt es den Leser vermutlich direkt in die Hypnose oder zu Wahnvorstellungen – ganz ohne besagtes Video.

Die Hörbuchversion wird zudem sehr überzeugend von Frank Stieren vorgelesen. Aufgrund der wiederkehrenden, authentischen Hypnose-Anweisungen und Frank Stierens für diese Hörbuch idealen Lesestils tendiere ich dazu, in diesem Fall das Hörbuch dem Buch sogar vorzuziehen.

Fazit: Christian Kraus hat mit „Tief wirst du schlafen“ einen hervorragenden Psychothriller geschrieben, der von der ersten bis zur letzten Seite zu überzeugen vermag. Kraus setzt dazu alle seine Fachkenntnis als Psychiater und Psychoanalytiker ein und verbindet sie mit seinem grandiosen Talent als Autor. Zu gu­ter Letzt wartet das Buch mit einem völlig überraschenden Finale auf, welches den Leser zum nochmaligen Lesen verleitet, ja letzteres aufgrund der offenen Fragen fast schon unabdingbar macht. Für mich zählt „Tief wirst du schlafen“ zu den spannendsten und interessantesten Büchern seines Genres. Chapeau, Christian Kraus!

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