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Veröffentlicht am 14.05.2019

empfehlenswertes, aber leider nicht wirklich allzu gutes Buch

Mogadischu
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Das ist ein Buch, auf das ich schon lange gewartet habe. Die Ereignisse rund um die Thematik RAF/Deutscher Herbst '77 interessieren mich sehr, und die Dramatik der Flugzeugentführung aus Perspektive der ...

Das ist ein Buch, auf das ich schon lange gewartet habe. Die Ereignisse rund um die Thematik RAF/Deutscher Herbst '77 interessieren mich sehr, und die Dramatik der Flugzeugentführung aus Perspektive der Geiseln war eine Sichtweise, die mir bislang noch gefehlt hat. Klar, ein gewisses Maß an voyeutistischer Neugier ist da schon zu erkennen, aber mal ehrlich: Fünf Tage in einem Flugzeug, in der Hand von Terroristen, umgeben von Hitze, Panik, Gewalt - wie kann man sich diese dramatische Situation vorstellen? Was genau haben die gefangenen Menschen getan, gedacht, gefühlt? Wie groß war die Hoffnung, wenn es sie noch gab? Und überhaupt, wie kann man das durchstehen, ohne richtige Ernährung, Privatsphäre oder ohne die Chance, menschlichen (biologischen) Grundbedürfnissen adäquat nachzukommen? Wann ist Scham nur noch ein Wort ohne Bedeutung, und wie lange hält einen der schiere Überlebenswille bei halbwegs klarem Verstand?

Fragen über Fragen, von denen ich mir in diesem Buch Antworten erhofft hatte - und die es auch liefert. Diana Müll, Protagonistin und Ich-Erzählerin, war eine von den Geiseln, gerade einmal 19 Jahre alt damals, und sie schildert ihre ganz persönliche Tortur. Wir begleiten ein junges Mädchen, das nach einer Woche Feierurlaub auf Mallorca nur nach Hause fliegen will und in einem Alptraum landet, den man sich kaum vorstellen mag.

So weit, so gut.

Leider scheitert dieses Buch für mich an der Umsetzung, was mein Lesevergnügen deutlich beeinträchtigt hat. Die Struktur des Berichts ist grob zweigeteilt: Zum einen ist da Diana, die von den Qualen berichtet, die sie und die anderen Passagiere im Flugzeug durchstehen müssen. Andere Passagen legen den Fokus auf die Menschen "daheim", auf Dianas Familie, und beschreibt, wie sie mit dem Schock, dem Unwissen und der eigenen Handlungsunfähigkeit umgehen bzw. es versuchen. Diese Teile waren zum einen sehr redundant - das Leid und die Hilflosigkeit waren von Anfang an beklemmend und wurden durch ständige Wiederholungen nicht anders/intensiver (dass die Eltern z.B. ständig von der Presse belagert wurden oder bei der Lufthansa anrufen, um nach Neuigkeiten zu fragen, muss nicht mehrfach ausgeführt werden...), eher im Gegenteil, durch die Wiederholungen setzte mich für mich eher ein gewöhnender Effekt ein - schade.

Zum anderen störe mich die inkohärente Struktur des Buchs. Ganz grob sind die fünf Tage der Entführung in fünf große Kapitel eingeteilt, was ja auch Sinn ergibt. Dann gibt es aber noch kleine Unterkapitel, die mit Zwischenüberschriften im Text abgesetzt sind. Diese Methodik wird anfangs für den Wechsel der Erzählperspektive genutzt, dann aber plötzlich nicht (und der Bericht wechselt zwischen Diana und ihrer Familie ohne erkennbare Zäsur außer einem einfachen Zeilenwechsel hin und her), dann gibt es mal einen Absatz zwischen den POVs, dann wieder eine Zwischenüberschrift - das habe ich als willkürlich und störend empfunden. Und ganz allgemein ist der Schreibstil der Autorin (nicht Diana selbst) wirklich eher, nun ja, durchschnittlich. Platt gesagt: Einige Passagen lesen sich wie ein Schüleraufsatz über ein ganz schlimmes Urlaubserlebnis. Dazu kommen leider ein paar zu viele blöde Rechtschreibfehler.

Fazit: Inhaltlich ein sehr faszinierendes Buch, die Geschichte von Diana ist spannend und aufwühlend. Leider ist sie nicht gut aufgeschrieben, da wäre deutlich mehr drin gewesen. Grundsätzlich also ein (aufgrund der Thematik) sehr empfehlenswertes, aber leider nicht wirklich allzu gutes Buch. Zwei Sterne = okay.

Veröffentlicht am 14.05.2019

Ein rundum sehr kurzweiliges, unterhaltsames Buch

Trash-TV. 100 Seiten
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Ein sowohl sehr unterhaltsames, als auch gut strukturiertes und durchaus sogar zum Denken anregendes Buch (ja, das geht selbst bei diesem Thema, dank Frau Rützel). Anja Rützel war mir zuvor durch ihre ...

Ein sowohl sehr unterhaltsames, als auch gut strukturiertes und durchaus sogar zum Denken anregendes Buch (ja, das geht selbst bei diesem Thema, dank Frau Rützel). Anja Rützel war mir zuvor durch ihre Kolumnen zum Thema Trash TV bei Spiegel Online sowie als Gast eines Podcasts bekannt, von daher kannte ich schon ihr umfangreiches Expertenwissen und ihren feinen Humor. Beides setzt sich auch im vorliegenden Buch fort: Anja Rützel kennt sich bestens aus im Thema, es ist auch ein Thema, das ihr sehr am Herzen liegt, das sie aber dennoch "richtig" einordnet. Soll heißen: Sie macht sich über viele Dinge lustig, allerdings geschieht dies stets mit einem gewissen Maß an Respekt vor den Shows, ihren Teilnehmenden und den Fans. Besonders nett fand ich die Art, wie Rützel mit Sprache spielt und teils neue Begrifflichkeiten erfindet ("Scham-Shrimp" ist mir besonders im Gedächtnis geblieben...)

Die Struktur des Buches hat mir sehr gut gefallen. Angefangen von einer generellen Begriffserklärung (was ist überhaupt Trash-TV) über einen kurzen historischen Ausflug (Stichwort "die durchsichtige Bluse" bei "Wünsch dir was" Anfang der 70er oder die Nonsenshow "Vier gegen Willi" in den frühen 90ern) zu den gängigsten "Genres" der Trash-Formate bis hin zu den immer wiederkehrenden KandidatInnentypen. Abgerundet wird das Ganze durch eine moralische (darf man über die Menschen, die sich derart bloß stellen lassen, lachen?) und eine philosophische Betrachtung des Trash-TV - und ja, auch das geht, wenn man es richtig macht.

Ein rundum sehr kurzweiliges, unterhaltsames Buch, das sich sehr gut in meine bisherigen Erfahrungen zum "100 Seiten"-Reihe des Reclam Verlags einfügt: Kurze, aber dennoch sehr informative und gut geschriebene Überblicke über ein bestimmtes Thema.

Veröffentlicht am 14.05.2019

Eindringlich und vielfältig

Wir sind ja nicht zum Spaß hier
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Ich sag's mal so: Irgendwann, so nach ca. einem Drittel des Buches, habe ich angefangen, die Texte, die mir "richtig gut" gefallen haben, im Inhaltsverzeichnis mit einem Kreuz zu versehen. Jetzt bin ich ...

Ich sag's mal so: Irgendwann, so nach ca. einem Drittel des Buches, habe ich angefangen, die Texte, die mir "richtig gut" gefallen haben, im Inhaltsverzeichnis mit einem Kreuz zu versehen. Jetzt bin ich durch und habe wohl so rund 2/3 der Texte markiert. Die vorliegende Auswahl umfasst ein "Best of" aus verschiedenen Publikationen, für die Herr Yücel tätig war. Es gibt zahlreiche alte/ältere Texte, grob thematisch sortiert, einen (wirklich sehr eindringlichen) Themenblock über die Türkei während der 2013er Proteste und der Zeit danach (der Unterschied in Stimmung, Sprache und Intention zwischen den hoffnungsvollen, optimistischen Texten aus 2013, und den Texten nach dem Putsch ist schon bedrückend) sowie einige wenige Texte aus seiner Zeit im Gefängnis.

Er schreibt eindringlich, sehr vielfältig (sowohl, was die Themenauswahl als auch die Darstellungsform angeht) und mit einem mir sehr genehmen bissigen Humor (der, wie wir ja wissen, nicht von allen verstanden bzw. gerne auch mal instrumentalisiert wird - was dann, am wohl bekanntesten Beispiel des "kontroversesten" Textes dieses Bandes "Super, Deutschland schafft sich ab", eine wundervolle ironische Metaebene bekommt, wenn diese "Kritik" den Kern dieses satirischen Textes bestätigt...).

Grundsätzlich haben mir gerade diese Texte am besten gefallen, in denen er die Finger selbstkritisch in deutsche Wunden legt und/oder sich sozialen/gesellschaftlichen Themen zuwendet. Eines der Highlights war für dabei die Aufzählungen der Verfehlungen bisherigen Bundespräsidenten (Jasager, Ausrutscher, Saubermänner) - geschrieben zum Ende der "Ära Wulff", dem ja nachgesagt wurde, er habe "das präsidiale Amt beschädigt"... gut, dass Herrn Yücel da noch ein paar ganz andere Kaliber einfallen. Andere Highlights: Dieses verdammte, beschissene "Aber" (zur Instrumentalisierung der Charlie-Hebdo-Opfer durch rechte Individuen, denen linke Satire sonst am Allerwertesten vorbei geht, die aber am lautesten brüllen, wenn sie, aus welchen Gründen auch immer, Flagge gegen Andersgläubige zeigen können) und "Lasst die Bälle hüpfen" - eine wunderbare Replik auf sexistische Berichterstattung im Frauenfußball. Sehr schön auch die satirisch-bösen Länderporträts, hier am Beispiel von Italien, Kroatien und Österreich.

Nun, Herr Yücel ist und bleibt wohl für viele ein Politikum mit hohem Aufregerpotenzial, was ja auch die teils völlig substanzlosen 1-Stern-"Kritiken" auf Amazon beweisen. Schön wäre es, sich bei einer Rezension von sowas etwas frei zu machen, oder es zumindest nicht zum einzigen Gegenstand der Rezension zu machen. Aber wer kann das schon? Ich selbst ja auch nicht, gebe ich ganz offen zu, denn ohne dieses ganze "Drumherum" wäre ich vermutlich gar nicht auf das Buch aufmerksam geworden - wobei, wer weiß, ob es ohne dies "Drumherum" überhaupt jemals veröffentlicht worden wäre.

Mir hat's jedenfalls sehr gut gefallen. Und ich freue mich, dass Herr Yücel wieder frei ist. Und hoffentlich bald wieder schreibt, seine Stimme wird gebraucht. Und die Mission geht sowieso weiter: #freealljournalists

Veröffentlicht am 14.05.2019

Ich bin total begeistert.

Heftig deftig
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Heutzutage denke ich ja oft: "Wozu brauche ich überhaupt noch Kochbücher, bei dem Überangebot an Rezepten und Tipps online, die so schnell zur Verfügung stehen?" Und dann stolpere ich durch Zufall über ...

Heutzutage denke ich ja oft: "Wozu brauche ich überhaupt noch Kochbücher, bei dem Überangebot an Rezepten und Tipps online, die so schnell zur Verfügung stehen?" Und dann stolpere ich durch Zufall über so ein Werk und weiß wieder genau, warum es manchmal eben doch ein Buch sein muss: Weil es manchmal nicht nur um "das schnelle Rezept mal eben", sondern um das Kennenlernen eines neuen, großen Themas geht.

Das Thema hier ist Umami, der fünfte Geschmackssinn, das sogenannte "Fleischige", das Würzige, das Deftige, also das, was in den meisten unserer Küchen in Westeuropa vornehmlich durch den Einsatz von Geschmacksverstärkern wie künstlichem Glutamat hervorgekitzelt wird. Darauf kann ich gut verzichten (also, auf das künstliche Glutamat), und Copien zeigt, wie das geht, wie man Umami nicht nur auf natürliche, sondern dazu auch noch auf ganz vegane Weise erzeugt.

Nun muss ich sagen, dass wir erst zwei Rezepte aus der recht umfangreichen Sammlung ausprobiert haben, aber schon die waren so unfassbar gut, mmmmh. Kochsud plus Marinade für Sojasteaks zum Grillen waren so lecker, würzig und deftig - ich habe endlich "meine" vegane Grillalternative für alle Gelegenheiten gefunden. Unfassbar lecker, fanden auch meine eher omnivoren Mitgriller - "Wie, da ist kein Fleisch dran, aber das schmeckt doch so?" Ja, willkommen in der Welt der Würzzauber ;)

Als Zweites haben wir das vegane Kimchi angesetzt. Das ist ja schon fast mehr Kunst als Kochen. Die Einkäufe, die Vorbereitungen, das Ansetzen und spätere Beobachten, wie es blubbert und "arbeitet" - hey, ich koche nicht nur, ich fermentiere jetzt. Ergebnis: Ein scharfer-saurer Kohl, der grandios schmeckt und so ziemlich jede Mahlzeit nochmal toppen kann. Viele weitere Rezepte werden sehr bald ausprobiert, meine to-do-Liste ist gut gefüllt :)

Hinzu kommt die generelle Aufmachung, Gliederung und Gestaltung des Buches. Copien erklärt erstmal ein bisschen was Grundsätzliches, sehr strukturiert, sympathisch und hilfreich. Verschiedene Zubereitungsarten werden erläutert, ein "Grundstock" aufgebaut, es gibt eine Liste, welche Zutaten untereinander ausgetauscht werden können - gerade Letzteres finde ich super praktisch, wenn man was nicht mag oder nicht da hat. Die Rezepte sind grob in Gruppen unterteilt, wobei hier weder Menüfolge noch Hauptzutat, sondern einzig und allein die Zubereitung (gebraten, gegrillt, geräuchert usw) ausschlaggebend ist.

Zwei Extras noch, die mir sehr zusagen und die ich so auch noch nicht oft in Kochbüchern gesehen habe: Bei Gewichtsangaben bezieht sich Copien ausdrücklich auf die direkt zu verarbeitende Menge, also ohne "Abfall" - 400 g Kartoffeln sind die 400 g, die dann auch im Topf landen, denn jeder schält anders. Klingt ja bestechend logisch. Und: er kocht nach Mis en Place, also erst alles komplett vorbereiten, bevor es ans eigentliche Zubereiten geht (nix mit "Während das Öl in der Pfanne erhitzt, schnell drei Kilo Zwiebeln schälen" oder ähnlicher Stumpfsinn der, zumindest bei mir, sowieso nie klappt).

Ein Wort noch für alle Bilderfans: Es gibt nicht zu jeden Rezept ein Bild des fertigen Gerichts. Mir persönlich ist das nicht so wichtig, ich finde eine gute Anleitung wichtiger, und die ist hier gegeben. Aber viele mögen oder brauchen Bilder zur Orientierung, deshalb wollte ich es nicht unerwähnt lassen.

Fazit: Ein sehr lohnenswertes Buch, das genau die Art von Rezepten vereint, nach denen ich schon länger gesucht habe. So, und jetzt habe ich Hunger.

Veröffentlicht am 14.05.2019

Lesenwert und sehr informativ

#ichbinhier
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Gut zusammenfasstes, ansprechend lesbares Buch über verschiedene Themenkomplexe zu Hatespeech im Internet (v.a. auf Facebook).

Im Mittelpunkt steht die namensgebende Gruppe #ichbinhier, deren Mitglieder ...

Gut zusammenfasstes, ansprechend lesbares Buch über verschiedene Themenkomplexe zu Hatespeech im Internet (v.a. auf Facebook).

Im Mittelpunkt steht die namensgebende Gruppe #ichbinhier, deren Mitglieder (nach schwedischem Vorbild) den mühsamen Kampf gegen Hasskommentare auf facebook (hier vor allem auf den großen, meist unmodierten Medienseiten) angenommen haben. Gemeinsam versuchen sie, Fake News zu entlarven, Hass zu entkräften und allgemein für eine bessere Diskissionskultur zu sorgen. Von der Idee und Gründung der Gruppe über ihre bisherige Geschichte bis hin zum status quo und den bislang schon erreichten Erfolgen und weiteren generellen Zielen erzählt dieses Buch.

Gleichzeitig gibt es einen guten Überblick über "Hass im Netz". Es gibt einen geschichtlichen Rückblick (u.a. mit 4chan und Gamergate), erklärt Bedeutung und Vorgehensweisen von Trollen (ob "privat" oder im großen Stil organisiert), auch Bots und Botfabriken sind ein großes Thema (auch im Hinblick auf jüngere Ereignisse, wie die Einflußnahme auf den jüngsten US-Wahlkampf oder weitere aktuelle Themen). Diesen Überblick würde ich unbedingt allen empfehlen, die die ganze Thematik mit einem "ach, so schlimm kann das doch alles gar nicht sein" abtun (oder sich dem Thema überhaupt erstmal nähern wollen und nicht wissen, wie oder wo) - hier wird gut erklärt, warum das alles genauso so, wenn nicht noch schlimmer ist, als viele Menschen meinen.

Ein weiteres Thema ist der sehr kritische Blick auf die Rolle von Facebook (und Google). Auch hier wird gut erläutert, warum das Unternehmen, gerade nach den Vorfällen der jüngsten Zeit, so viel Kritik erfährt und warum es sich seiner Verantwortung noch lange nicht genug stellt. Abgerundet wird das Ganze durch praktische Tipps zum Umgang mit Trollen und Hasskommentaren.

Lesenwert und sehr informativ, auch wenn mir vieles davon bekannt war - die Zusammenfassung hat als Auffrischung richtig gut getan.