Eindringliches Buch, das anprangert
Das Mädchen"Das Mädchen" ist eine brutale, erschütternde Geschichte über ein Land, in dem der Terror wütet, und über die, die am meisten darunter leiden. Im Mittelpunkt steht das Mädchen Maryam, das eines Tages gewaltsam ...
"Das Mädchen" ist eine brutale, erschütternde Geschichte über ein Land, in dem der Terror wütet, und über die, die am meisten darunter leiden. Im Mittelpunkt steht das Mädchen Maryam, das eines Tages gewaltsam mit ihren Klassenkameradinnen von den Mitglieder von Boko Haram entführt wird. Leider keine Seltenheit, denn im ländlichen Nigeria des Romans ist kaum jemand von der Terrorgruppe sicher. Ganze Dörfer werden verwüstet, die meisten Einheimischen getötet, nur den Kindern droht ein ganz "besonderes" Schicksal. Beide Geschlechter werden mittels Gehirnwäsche und Gewalt gefügig gemacht: Die Jungs so zu Kämpfern gegen das eigene Volk "erzogen", die Mädchen zu (Sex)sklavinnen entmündigt. Maryam bekommt diesen Terror mit voller Wucht zu spüren: Ihrer Welt entrissen, emotional und körperlich auf übelste Weise missbraucht, als Dienerin zu niederen Arbeiten gezwungen und schließlich zwangsverheiratet und geschwängert - leider bringt sie aber nur ein weiteres Mädchen zur Welt, statt eines ersehnten zukünftigen "Soldaten".
Das Buch ist, wie bereits erwähnt, brutal und schockierend. Was mich besonders bewegt hat, war, dass Maryams Alptraum nach ihrer schließlich geglückten Flucht noch nicht vorbei ist. Eindringlich schildert Edna O'Brien, wie abschätzig das verschleppte und wieder entflohene Mädchen behandelt wird. Ihre eigene Familie scheint ihr entrückt, sie wird, aufgrund des ihr aufgezwungenen Schicksals, als "Buschfrau" verunglimpft und gemieden - und das Baby, das aus dieser Gefangenschaft entstanden ist und zu dem Maryam selbst nur schwer einen Zugang finden kann, soll am besten ganz verschwinden. Offizielle Behörden halten Maryam anfangs gar für eine Attentäterin und auch im Dorf sind entflohene Mädchen aus Angst vor möglichen Repressalien seitens der Terrorgruppe unerwünscht. All dies zeigt einmal mehr die perfide "Taktik" von Boko Haram und wie sie die Menschlichkeit an so vielen Stellen negativ beeinflusst.
"Das Mädchen" liest sich schnell weg, die Dramatik der Grundgeschichte mit ihren vielen kaum vorstellbaren Inhalten treibt die Leserschaft vorwärts. Trotzdem konnte mich die Erzählung - obwohl mich diese vielen schlimmen Ereignisse natürlich ziemlich schockiert haben - nicht vollständig packen. "Maryam" selbst ist ein kumulierter Charakter, in dem die Autorin die Schicksale mehrerer betroffener Mädchen, mit denen sie während ihrer Recherchereise nach Nigeria gesprochen hat, vereint hat. Im Buch kommen weitere betroffene Stimmen zu Wort, aus verschiedenen Regionen und Schichten des Landes, doch die Art, wie diese Vielstimmigkeit hier präsentiert wird, hat mich nicht immer gut gefallen. Die Erzählperspektiven schwenken teils recht unmotiviert hin und her, etwa durch das Einfügen längerer kursiver Absätze, die dann im Kontrast zu Maryams eigentlicher Erzählung stehen und mich unnötig aus der Unmittelbarkeit der Erzählung herausgerissen haben. Ebenso wie die Zeitenwechsel, die hier und dort scheinbar willkürlich, teils innerhalb eines nacherzählten Dialogs, auftauchten, und für mich keinen Sinn ergaben.
Nichtsdestotrotz ein eindringliches Buch, das anprangert und auf die schlimmen Schicksale dieser Mädchen aufmerksam macht, sie wieder mehr in den Fokus rückt und, besonders wichtig, sie dabei alles andere als "ausschlachtet": Denn trotz dieser unfassbaren Misshandlungen werden die Mädchen hier nicht als gesichts- und hilflose Opfer, sondern sehr respektvoll, empathisch und mit ihren eigenen Stärken dargestellt.