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Sadie

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Veröffentlicht am 04.09.2020

Kleine, feine Novelle

Sh*tshow
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Eine kleine, feine Novelle/Parabel auf die USA kurz nach der Wahl von Trump. Der Erzähler und seine Frau, pensionierte, gut situierte und gebildete Demokraten, verstehen ihre Welt nicht mehr. Mit ihren ...

Eine kleine, feine Novelle/Parabel auf die USA kurz nach der Wahl von Trump. Der Erzähler und seine Frau, pensionierte, gut situierte und gebildete Demokraten, verstehen ihre Welt nicht mehr. Mit ihren (eigentlich gleich denkenden) Freund*innen beklagen sie sich über den Wahlausgang und die drohende Zukunft - und auch in diesem eigentlich geschützen Umfeld werden schnell erste Vetrauensverluste deutlich. Doch das ist nur der Anfang, denn nachdem Unbekannte menschliche Fäkalien im Whirlpool des Paares hinterlassen haben, geht die wörtliche und titelgebende "Shitshow" erst so richtig los.

Die Metaphorik ist von Beginn an da, laut und unübersehbar, doch dieses Buch hat mehr und vor allem Nuancierteres zu bieten als die sprichwörtlich dampfende Kacke. Das Gefühl der Entfremdung, des Verlassens, des einsamen Zurückbleibens und nicht (mehr) Verstehens zieht sich bei dem Protagonisten, mehr sogar noch bei seiner Frau, durch alle Lebensbereiche und Gefühlsebenen: Das ganze Land hat sich mit der Wahl gegen sie gestellt, die Tochter als Produkt ihrer Erziehung ist bereits vor längerer Zeit in demokratischere Gefilde abgewandert (und selbst dieser "sichere Ort" zeigt Risse - oder?), die Freundschaft zu den anderen Paaren scheint ebenso zu bröckeln und ist mehr und mehr von Eifersucht, Wetteifern und Vertrauensverlust geprägt (die Argwohn ist seit längerem spürbar, nach der Wahl umso mehr), und schließlich wird das Haus durch die ungebetenen Gäste und ihre Hinterlassenschaften zu einer No-Go-Area. Dass sich diese Ansammlung von Unsicherheit und Angst an/mit sicher geglaubten Orten und Menschen auch auf die Beziehung der beiden zueinander auswirkt, scheint unumgänglich.

Richards Russos doch erstaunlich kurze Geschichte ist schnell gelesen, fast ebenso schnell wie sich die Welt der Personen darin verändert. Allerdings verändert sich die Welt außerhalb des Buches fast noch schneller - in Zeiten von Covid-19 und dem, nun ja, "Umgang" des Präsidenten mit der Pandemie erscheinen die Auswirkungen der ersten Monate seiner Amtszeit im Rückblick geradezu unfassbar mild. Man mag sich gar nicht ausmalen, welch unappetitliche Metaphorik sich der Autor für eine aktuell angepasste Parabel à la Shitshow 2.0 benötigen würde...oh je!

Veröffentlicht am 04.09.2020

Okay, aber auch etwas anstrengend

Der 13. Brief
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Joa, ach, das war so ganz nett und okay, aber irgendwie auch ein bisschen anstrengend. Ich mag aber auch nicht ausschließen, dass meine eher unbegeisterte Reaktion was mit meiner aktuellen Krimiunlust ...

Joa, ach, das war so ganz nett und okay, aber irgendwie auch ein bisschen anstrengend. Ich mag aber auch nicht ausschließen, dass meine eher unbegeisterte Reaktion was mit meiner aktuellen Krimiunlust zu tun hat. Ist ja doch ein Genre, zu dem ich eher selten greife, und wenn es dann nichts Besonderes zu bieten hat, haut es mich auch nicht vom Hocker.

Hier ist die Grundidee eigentlich ganz nett: Lila "flieht" aus der ihr elterlich vorbestimmten Karriere als Jurastudentin und heuert stattdessen bei einem ihr bislang unbekanntem Privatedetektiv an. Schon bald schleicht sie sich immer mehr sowohl in sein Privat- als auch Berufsleben... Wow, sogar meine Zusammenfassung hört sich uninspiriert an ;)

Die Grundidee bzw. "der Fall": Nach dem (vermeintlichen?) Selbstmord einer Teenagerin schleust sich die jugendlich aussehende Lila zu Undercoverermittlungen in deren Schule ein. Ach ja, hallo schöne 21, Jump Street-Nostalgie (die Serie! Aus den frühen 90ern!). Das Ganze hat hier und dort durchaus Charme und Pep, der Kriminalfall erweist sich als sensibel konstruiert und auch die angedeutete Backstory von Lila scheint tief zu gehen und ausreichend Entfaltungspotenzial zu haben (die Bücher waren wohl von Beginn als [mittlerweile abgeschlossene neunteilige] Reihe angelegt).

Zum Aber: Mir war, trotz dieser eher "ruhigen" Nuancen, zu viel Gepolter "im Vordergrund". Zunächst geht alles viel zu schnell. Lila krempelt spontan ihr Leben um, lernt zufällig den bis dato eher misanthropisch agierenden Detektiv Danner kennen, der sie spontan aufnimmt und quasi einstellt, sie lernt seine wichtigsten Bezugspersonen kennen und wird sofort von allen angenommen und akzepiert, inkl. ihrer neuen Fake!Freundinnen in der Schule. Auch schrammt Lila, trotz der weiter oben erwähnten (noch) halb versteckten Tiefe, oft nur haarscharf am Klischee vorbei.

Aber vielleicht wurde das in späteren Bänden nachjustiert - ebenso wie die teils echt nervende Sprache, etwas wenn eine bestimmte Person (hier: die auserkorene Antiheldin) durchweg von allen anderen Charakteren als "Schlampe" tituliert wird. Das ging mir ziemlich schnell ziemlich stark auf die Nerven - nicht mal so sehr wegen der Frage, ob eine derartige Bezeichnung in irgendeiner Art gerechtfertigt sein möge oder nicht. Es war vielmehr die penetrante Wiederholung und lieblose Objektifizierung, die den Charakter wie ein flaches, billiges Abziehbild hat dastehen lassen. Auch mit bösen und/oder unangenehmen Charakteren kann man sich doch etwas mehr Mühe geben.

Veröffentlicht am 04.09.2020

Verständlich, sympathisch und extrem lehrreich

exit RACISM
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Von allen Büchern, die ich bisher zum Thema Rassismus gelesen habe, ist dieses das bislang beste - nicht, dass die anderen schlecht und/oder uninteressant waren, im Gegenteil, aber bei exit RACISM passt ...

Von allen Büchern, die ich bisher zum Thema Rassismus gelesen habe, ist dieses das bislang beste - nicht, dass die anderen schlecht und/oder uninteressant waren, im Gegenteil, aber bei exit RACISM passt alles: AbsenderIn, Ansprache, Struktur, Informationsgehalt, Zielpublikum. Tupoka Ogette zeigt auf, wie Rassismus enstand, welchem Zweck er einst diente und heute noch dient, wie tief er verwurzelt ist und warum Verneinen, Ablenken, Umkehren oder komplettes Ablehnen keine Option ist.

Kurzum: Ein Buch ganz besonders für deutsche weiße Menschen, die ihre Privilegien bisher noch nicht erkannt haben (oder erkennen wollten). Diese Menschen sind die klar umrissene Zielgruppe, und da es sich hierbei oft um Menschen handelt, deren Selbstverständnis (Ich, rassistisch? Never!) und tatsächliches Handeln nicht korrelieren, führt Ogette sie ganz behutsam an die Thematik heran und schärft den Blick. Sie erklärt mit schier unendlicher, bewundernswerter Geduld (die muss man in der Form erstmal aufbringen...), warum "Ich sehe keine Hautfarben" ebenso keine Lösung ist wie "Aber ich habe schwarze Freunde" oder "Ach, jetzt stell dich mal nicht so an, das war schon immer so."

Verständlich, sympathisch und extrem lehrreich - dieses Buch sollte nicht nur verpflichtende Schullektüre sein, sondern auch zum Curriculum von Lehramtsstudierenden, Menschen in der ErzierInnenausbildung und der Ausbildung von ähnlichen Berufen gehören. Um etwas zu bewegen, ist Zuhören meist der erste Schritt - dieses Buch bietet dafür den perfekten Einstieg und so viel mehr (und das mit dem Hören geht hier auch wörtlich, denn das von der Autorin eingelesene Hörbuch ist nicht nur wirklich gut produziert, es steht auch bei diversen Streamingportalen kostenlos zur Verfügung).

Veröffentlicht am 04.09.2020

Interessantes Debüt, mal schauen, was da noch so kommt

Land in Sicht
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Hui, dieses Buch ist ziemlich flott an mir vorbeigerauscht, so kurz und knapp war es. Dabei spielt es eigentlich in einer eher entschleunigten Umgebung: Jana, 24, bucht sich auf einer mehrtägigen Donauschifffahrt ...

Hui, dieses Buch ist ziemlich flott an mir vorbeigerauscht, so kurz und knapp war es. Dabei spielt es eigentlich in einer eher entschleunigten Umgebung: Jana, 24, bucht sich auf einer mehrtägigen Donauschifffahrt ein, da sie den Kapitän der "MS Mozart" als ihren bislang unbekannten Vater identifiziert hat. Wir haben es hier also mit einem doppelten Aufprall zweier jeweils fremder Welten zu tun: Eine Mittzwanzigerin auf einem "Rentnerschiff" sowie das erste Aufeinandertreffen von Vater und Tochter, Beziehungsstatus zueinander unbekannt, da nicht vorhanden.

Damit ist der Inhalt des Buches auch schon zusammengefasst, und viel mehr passiert auch nicht. Klingt nöliger, als es rüberkommen sollte, denn die knapp 160 luftig gesetzten Seiten sind sprachlich ansprechend gefüllt - Ilona Hartmann braucht nicht viel Masse, um mich auf der Ebene gut abzuholen. Mit Bedacht gesetzte Spitzen, ausgesuchte Formulierungen, dabei nie überbordend oder zu abgedreht - mir gefällt das aufs Wesentliche reduzierte, das aufgeräumt-straighte hier sehr. Lieber habe ich beim Lesen mehrfach kleine, verschmitzte Schmunzler im Gesicht und denke mir "Ha! Clever", als dass ich einmal laut auflache.

Ich hab es also gerne gelesen, und es liest sich auch sehr gefällig - bis auf einige wenige Rückblenden wird das Ganze recht "geradeaus" erzählt. Dennoch fehlt mir am Ende etwas, das ich gar nicht mal so wirklich benennen kann. Denn die Geschichte rund um Jana und ihren Vater wirkt einerseits unfertig, eher angekratzt - andererseits aber auch irgendwie auserzählt. Könnte noch mehr dran sein, würde aber auch so durchgehen. Hm. Bisschen wie eine Kurzgeschichte, die als Grundlage für einen Roman dienen soll, dann aber doch so, wie sie ist, durchgewunken wurde.

Vielleicht hätte man dem anderen Part, dem "junge Frau unter alten Menschen" noch mehr Zeit und Raum zum Entwickeln geben können. Denn die anderen Charaktere kommen und gehen, ohne große Eindrücke zu hinterlassen. Das ist schade und fühlt sich nach einer verpassten Chance an, denn ich hätte hierzu gerne mehr von Ilona Hartmann gelesen. Ihre Gedanken zu Jana und der Vaterthematik waren teils sehr vielversprechend.

Wird also gespeichert unter "interessantes Debüt, mal schauen, was da noch so kommt."

Veröffentlicht am 04.09.2020

Zugänglich, lesbar und unterhaltsam

Zu viel und nie genug
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Ich glaube, ich habe eine leichte eigentümliche Besessenheit mit Büchern über Donald Trump entwickelt. Es könnte meine Art von nicht fiktiver Dystopie sein, bin mir nicht sicher. So oder so: Hin und wieder ...

Ich glaube, ich habe eine leichte eigentümliche Besessenheit mit Büchern über Donald Trump entwickelt. Es könnte meine Art von nicht fiktiver Dystopie sein, bin mir nicht sicher. So oder so: Hin und wieder gönne ich mir entweder ein Buch über seine politische, strategische (hier im weitesten Sinne verwendete) und / oder geschäftsbezogene Agenda oder eine klatschartige Geschichte. Bei Mary L. Trumps Buch hoffte ich auf eine Mischung aus beiden Seiten, und genau das bekam ich auch. Es ist beängstigend, schockierend und sehr aufschlussreich - das meiste davon wusste ich bereits und / oder vermutete es, aber das alles auf einmal zu lesen und dazu das Ausmaß an Dysfunktionalität dieser Familie -, um den Titel von David Cay Johnstons zweitem Treump-Buch zu zitieren: "Es ist noch schlimmer als du denkst".

Unsere Autorin ist Mary, die Nichte von Donald und die Tochter des ältesten Sohnes des Patriarchen Fred, Freddy. Fred regierte seine Familie emotionsfrei und basierend auf der Belohnung für eine "Killer"-Haltung. Familienmotto: Wer hat und gewinnt, ist Gewinner; Diejenigen, die teilen, sind doppelte Verlierer (da sie verlieren und jemand anderes gewinnt). Ohne jegliche Art von Empathie oder der Aussage, dass Fehler passieren können, und mit einer kalten und wenig kümmernden Mutter, entwickelten diese Kinder bestimmte psychologische Traumata, die Mary - sie nicht nur ein Familienmitglied, sondern auch klinische Psychologin - leicht verständlich erklärt.

Freddy als auserwählter Erbe erfüllte nicht die Erwartungen seines Vaters, Fred der Baumeister Nr. 2 zu werden, und geriet in Ungnade. Er versuchte mit seiner neuen jungen Familie zu fliehen, aber Fred Trump warf einen zu großen Schatten. Freddy gab schließlich den Widerstand auf, scheiterte immer wieder an seinem Vater, wurde alkoholabhängig und starb in einem absurd frühen Alter. Mary beschuldigt ihre Familie, ihren Vater leiden zu sehen und sterben zu lassen - an Schwäche, wie die Trumps es ausdrücken würden.

Und obwohl das, was folgte (besonders als Fred Sr. starb), ein gemeiner und böser Erbschaftskampf war, gehen Marys Motive für das Schreiben dieses Buches über "Rache" hinaus. Sie sah, wie ihre Familie, insbesondere Donald, ihren Vater zerstörte - und sie kann nicht zulassen, dass er als nächstes ihr Land zerstört. Und weisst ihr was? Ich glaube ihr. Sie ist glaubwürdig, sie ist vernünftig, und obwohl sie das Recht hat, wütend zu sein und nur auf ihre Familie einzuschlagen, tut sie es nicht. Zumindest nicht mit voller Kraft. Sie verbrennt Donald wirklich schwer, besonders im Vorwort und im Epilog, aber zu den meisten anderen Familienmitglieder ist sie nicht gemeiner als nötig (SAD!).

Kurz gesagt: Ein sehr zugängliches, lesbares und auch unterhaltsames Buch, das die Familie Trump, insbesondere Donald, aus einem neuen Blickwinkel beleuchtet.