Ein tolles Buch!
Die Farben des FeuersIch habe bisher noch nie etwas von Herrn Lemaitre gelesen, werde das aber nachholen, sobald ich dazu komme. Also vermutlich nicht so bald, weil mein Stapel mit ungelesenen Büchern wächst und wächst und... ...
Ich habe bisher noch nie etwas von Herrn Lemaitre gelesen, werde das aber nachholen, sobald ich dazu komme. Also vermutlich nicht so bald, weil mein Stapel mit ungelesenen Büchern wächst und wächst und... Es ist zum Heulen!
"Die Farben des Feuers" wird angepriesen als "spektakuläres Sittengemälde". Das klingt erst einmal, nun ja, dämlich. Sittengemälde hätte vollkommen gereicht, aber wer auch immer verantwortlich ist für Buchzusammenfassungen auf Buchumschlägen, muss wohl zu Übertreibungen neigen. Trotzdem: Diese Wortkombination hat mich tatsächlich erst einmal abgeschreckt. Und natürlich der verfluchte Buchpreis.
Ich schweife wieder ab.
Tatsächlich ist Lemaitre ein tolles Sittengemälde gelungen - und zwar eines, das zeitweise dermaßen witzig ist, dass ich laut auflachen musste. Allein die Beerdigungsszene ganz am Anfang - so tragisch die Geschehnisse währenddessen sind - ist mit einem so herrlich ironischen Unterton geschrieben (der sich übrigens durch das ganze Buch zieht), dass selbst ein versuchter Selbstmord erst einmal witzig ist. Die Tragik ergibt sich erst später, dann aber mit geballter Macht. Ich glaube das ist es, was mich an dem Buch am meisten fasziniert hat: Wie Lemaitre uns durch die locker-leichte, ironische und teilweise sarkastische Sprache in Sicherheit wiegt, uns zum Schmunzeln und Grinsen bringt, um dann (mir persönlich etwas zu selten) - mit nicht weniger Wucht - Spannung, Tragik oder Trauer zu präsentieren.
Um das Buch vollends genießen zu können, bedarf es vor allem folgender Voraussetzungen: Grundkenntnisse der französischen Geschichte zwischen den beiden Weltkriegen (natürlich geht es letztlich auch ohne, aber es geht ja ums "vollends" genießen), die Fähigkeit, sich selbst Dinge zusammenreimen zu können und ein marginales Verständnis für Ironie.
Tja, und es wäre nicht schlecht, "Der Graf von Monte Christo" gelesen oder als Film gesehen zu haben. Denn der Knaller ist, dass "Die Farben des Feuers" im Prinzip eine Neuerzählung des Abenteuerklassikers ist. Zumindest habe ich mich während der Lektüre immer wieder an "Der Graf von Monte Christo" erinnert gefühlt.
All das hilft, den Roman besser zu verstehen, aber ganz ehrlich: Natürlich kann man dieses Werk auch ohne Vorkenntnisse lesen. Es wird nur meiner Meinung nach nicht so viel Spaß machen, denn einiges wird nicht explizit erzählt, manches muss man sich denken. Aber genau das hat mir Freude bereitet, dass ich nicht betrogen werde, nicht als geistig minderbemittelt wahrgenommen werde, sondern das Lemaitre mir und allen anderen Leser*innen zutraut, dass wir allem folgen können, ohne dass er uns alles bis ins kleinste Detail vorkaut.
Manches in dem Roman ist arg konstruiert, mir war es auch streckenweise zu seicht und ab einem gewissen Punkt, lief mir auch alles zu perfekt, aber Lemaitre wollte keinen Thriller abliefern, insofern war das für mich letztlich okay, zumal mich sein Schreibstil immer bei der Stange gehalten hat. Und dann kam noch der Epilog - und diese fünf Seiten haben es in sich. Da bleibt mir nur noch zu sagen: Endlich mal ein Epilog, der dieses Wort verdient hat! Das ist mittlerweile auch selten genug.
Merci (übrigens auch an den hervorragenden Übersetzer, Herrn Tobias Scheffel)!