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Veröffentlicht am 14.04.2022

Gute Ansätze & wichtiges Thema, aber ich habe viel mehr erwartet!

My Body
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Die meisten von uns kennen sie, ohne je ihren Namen erfahren zu haben: Emily Ratajkowski. Als schönes Model im umstrittenen Musikvideo zu „Blurred Lines“ wurde sie ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Die meisten von uns kennen sie, ohne je ihren Namen erfahren zu haben: Emily Ratajkowski. Als schönes Model im umstrittenen Musikvideo zu „Blurred Lines“ wurde sie bekannt, jetzt kommt ihre Abrechnung mit der Unterhaltungsindustrie. In ihrer Essaysammlung geht es um die Objektifizierung von Frauen, um das ambivalente Verhältnis zum eigenen Körper, um Grenzüberschreitungen und sexualisierte Gewalt.

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Essaysammlung, Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzählerin, Präteritum
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: lang
Tiere im Buch: + Im Buch werden keine Tiere verletzt, gequält oder getötet.
Triggerwarnung: Sexismus, sexualisierte Gewalt (auch Vergewaltigung), Machtmissbrauch
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: Schla+++

Warum dieses Buch?

Der Klappentext verspricht ein mutiges feministisches Buch, das die Schattenseiten der Unterhaltungsbranche beleuchtet und Missstände kritisiert. In einer Zeit, in der (leider!) immer wieder neue Missbrauchsvorwürfe gegen mächtige Stars auftauchen, konnte ich mir diese Essaysammlung natürlich nicht entgehen lassen!

Meine Meinung

Einfach, nüchtern, distanziert (Schreibstil: 3 Lilien)

Meine Anforderungen an die Sprache eines Sachbuches oder einer Essaysammlung sind nicht hoch. Ich erwarte hier keine wunderschönen Formulierungen oder kreativen Metaphern, weil der Inhalt im Vordergrund steht. Trotzdem hat mich der Schreibstil leider enttäuscht. Er lässt sich zwar ganz angenehm und flüssig lesen, aber mir war er zu einfach, zu nüchtern, zu distanziert. Deshalb war es auch sehr schwer für mich, eine Verbindung zur Autorin aufzubauen und mich mit ihr zu identifizieren.

„Ich bin über die Scham und Angst hinaus- und in die Wut hineingewachsen.“ Seite 220

Gute Ansätze, aber viel mehr erwartet (Inhalt, Themen & Botschaft: 3 Lilien)

Als überzeugte und (in dem Bereich) schon recht belesene Feministin waren meine Erwartungen natürlich hoch. Ich erwartete zwar kein feministisches Manifest, aber doch eine schonungslose Abrechnung mit der Unterhaltungsindustrie, eine deutlich erkennbare feministische Haltung und eine klare und scharfe Kritik am System. Zu meiner Überraschung stellte sich „My Body“ dann allerdings mehr als lose strukturierte Biografie mit vielen Zeitsprüngen und vereinzelten feministischen Passagen heraus. Da hatte ich mir etwas anderes und vor allem deutlich mehr erhofft!

Doch nun zuerst zu den Stärken des Buches. In meinen Augen ist Emily Ratajowksi eine mutige Frau, weil sie es wagt, den Mund aufzumachen und Missstände in der Unterhaltungsindustrie anzusprechen. Im ihren Essays geht es um den „Male Gaze“ (den männlichen, sexualisierenden, objektifizierenden Blick auf Frauenkörper), um das ambivalente Verhältnis zum eigenen Körper, um sexualisierte Gewalt bis hin zur Vergewaltigung und um ein System, das Täter schützt und Machtmissbrauch erst möglich macht. Es beeindruckt mich, dass die Autorin einzelne Täter sogar namentlich nennt, wie zum Beispiel Robin Thicke (Sänger von „Blurred Lines“) und den Fotografen Jonathan Leder. Dass ihre Enthüllungen nicht höhere Wellen geschlagen haben, wundert mich! Wo bleibt der Aufschrei, frage ich mich? Insgesamt ist das Buch, das einige sehr starke Kapitel und Passagen enthält, oft nicht leicht zu verdauen. (Warum der Verlag hier auf eine Triggerwarnung verzichtet hat, ist für mich nicht nachvollziehbar!) Stellenweise hatte ich jedenfalls eine unglaubliche Wut im Bauch und mir wurde übel, als ich las, was sich mächtige Männer teilweise erlauben können und wie leicht sie ihre Macht missbrauchen können – ohne Konsequenzen fürchten zu müssen.

Obwohl mich das Buch also streckenweise durchaus überzeugen konnte, möchte ich auch ein paar Kritikpunkte ansprechen. Erstens hätte mir gewünscht, mehr feministisch relevanten Inhalt vorzufinden, weniger Alltagsbeschreibungen, weniger Belanglosigkeiten. Vor allem im Mittelteil kam ich daher nur schleppend voran und habe mehrmals mit dem Gedanken gespielt, das Buch abzubrechen. Zweitens ging mir Emily Ratajkowskis Kritik oft nicht weit genug, war zu oberflächlich, zu wenig reflektiert, fokussierte sich zu sehr auf einzelne Personen als auf das allen Taten zugrunde liegende toxische System. Vergewaltigungen werden teilweise nicht als das benannt, was sie sind und obwohl die Autorin den Male Gaze, die Objektifizierung und die Sexualisierung von Frauen, immer wieder kritisiert, ist ihr Instagram-Account voller Fotos, die genau diese Perspektive bedienen. Aus diesen Gründen wirkt es für mich, als wäre die Autorin noch am Beginn ihrer feministischen Reise und hätte noch keine wirklichen Konsequenzen aus ihren Reflexionen gezogen. Vielleicht wäre es besser gewesen, sie hätte dieses Buch ein paar Jahre später geschrieben.

Fest steht, dass man nach der Lektüre dieses Buches viele Dinge mit anderen Augen sehen wird: Emily Ratajkowski (die bis jetzt für viele ein namenloses Model war), das Musikvideo zu „Blurred Lines“, Robin Thicke, Fotografen generell, die Modelbranche, mächtige Männer im Showbusiness und neue Missbrauchsvorwürfe, die zukünftig auftauchen werden. Nostalgische Interviews wie zuletzt das von Designer Wolfgang Joop, in dem er die in der Vergangenheit noch schlimmeren Zustände im Modelbusiness beschrieb, in dem er die damalige Welt als „wunderbar frivol und frigide“ bezeichnete und gut gelaunt und ohne einen Funken Mitgefühl erzählte, dass damals Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt an der Tagesordnung waren und dass sogar reichen Männern die Schlüssel zu den Hotelzimmern aufstrebende Models gegeben wurden, lösen nach dieser Essaysammlung nur noch mehr Unverständnis, Ekel und Wut aus. Trotzdem - und das darf man nicht vergessen - tut sich auch etwas in der Branche und die Entwicklung geht in die richtige Richtung. Immer mehr Frauen arbeiten als Regisseurinnen und Produzentinnen, immer mehr sind also in Führungspositionen tätig und können eine sichere Umgebung für die Menschen am Set schaffen. Außerdem habe ich den Eindruck, dass es seit der MeToo-Bewegung mehr Bewusstsein für sexualisierte Gewalt gibt, dass sie auch seltener totgeschwiegen wird und dass Täter immer häufiger Konsequenzen zu spüren bekommen.

Einen wichtigen Punkt möchte ich an dieser Stelle unbedingt noch ansprechen. Bei den Diskussionen und Rezensionen zum Buch bin ich leider immer wieder auf Victim Blaming (= Opfer-Täter-Umkehr) gestoßen, was ich sehr traurig finde. Anstatt den Fokus auf den Täter zu richten und uns zu fragen, wie ER die Situation verhindern hätte können (z. B. Robin Thicke, indem er weniger trinkt, wenn er sich ansonsten nicht unter Kontrolle hat), wird leider immer noch zu häufig versucht, der Frau / dem Opfer eine Teilschuld oder gar die ganze Verantwortung zuzuschieben. Die Argumentation startet bei sexueller Belästigung (hätte sie mal weniger getrunken und nicht nackt posiert, dann wäre das nicht passiert!) und endet bei Vergewaltigung (hätte sie mal nicht so ein kurzes Kleid getragen, wäre sie nicht so betrunken gewesen, dann wäre das nicht passiert!) und ist ABSOLUT toxisch. Was wir dringend brauchen, ist weibliche Solidarität und keine Verurteilungen und verinnerlichten Frauenhass – denn nichts anderes ist Victim Blaming.

Diese Argumentation erweckt zudem leider den Eindruck, dass man als Frau steuern könnte, was einem passiert, indem man weniger Alkohol trinkt, misstrauischer ist, seinen Körper mehr bedeckt. Dabei ist es (leider!) eine Tatsache, dass einem als Frau immer sexualisierte Gewalt widerfahren kann, egal wie viel man getrunken hat, egal was man anhatte, egal wie man sich verhalten hat. (Die meisten Vergewaltigungen passieren auch nicht durch fremde Männer auf der Straße, sondern durch Freunde, Familienmitglieder und Bekannte. Das ist eine traurige Tatsache, die vielen Leuten nicht bewusst ist.) Die einzige Person, die für eine solche Situation die Verantwortung trägt und sie verhindern hätte können und MÜSSEN, ist immer der Täter. Und NUR er! Mein Filmtipp zum Thema sexualisierte Gewalt und Victim Blaming: "Promising Young Woman" von der Regisseurin Emerald Fennel. Der Film ist großartig - gleichzeitig fesselnd, lustig und sehr beklemmend - und lässt garantiert niemanden kalt. Manche von euch werden danach vielleicht anders denken...

„Erst in diesem Moment wurde mir klar, wie sehr ich Menschen in Machtpositionen misstraute, die mir […] das Gefühl gegeben hatten, mein Körper gehöre nicht mir.“ Seite 118

Wichtiges Thema (Feminismus: 4 Lilien)

In ihrer Essaysammlung spricht Emily Ratajkowski auf mutige Weise ein sehr wichtiges Thema an, dafür gibt es von mir ein großes Lob! Weil mir die feministische Kritik jedoch oft nicht weit genug geht und sich auch vereinzelt problematische Aussagen im Buch finden (wie zum Beispiel, die gefährliche Behauptung, alle Frauen würden ihre Sexualität als „Sicherheit“ einsetzen), ziehe ich hier einen Punkt ab.

„Ich hatte mir angewöhnt, Erfahrungen zu verdrängen, die schmerzhaft waren oder im Widerspruch zu meinen Überzeugungen standen.“ Seite 16

Mein Fazit

“My Body” ist ein mutiges Buch, in dem Emily Ratajkowski wichtige Themen anspricht und Missstände in der Unterhaltungsbranche kritisiert. Trotz guter Ansätze, habe ich mir insgesamt doch etwas anderes (mehr feministischen Inhalt, weniger Biografie) und vor allem in vielen Bereichen MEHR erwartet (mehr Systemkritik, klarere Worte, mehr Reflexion). Einen guten Einblick in die Modelindustrie und ein System, das immer noch (Macht-)Missbrauch fördert und Täter schützt, bietet dieses Buch aber allemal! Nach der Lektüre werdet ihr nicht nur Emily Ratajkowski und das Musikvideo zu „Blurred Lines“, sondern auch generell das Showbusiness sicher mit anderen Augen sehen…

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 3 Lilien
Umsetzung: 3 Lilien
Schreibstil: 3 Lilien
Emotionale Involviertheit: 4 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 4 Lilien
Einzigartigkeit / Chance, dass ich das Buch nie vergessen werde: niedrig

Insgesamt:

❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir 3 Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 01.04.2022

Solide, feministische Dystopie mit interessanter Grundidee und ein paar Schwächen

High Rise Isle
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

2242. Eine Welt voller Gegensätze. Auf den High Rise Isles, auf hohen Säulen erbauten Städten über dem Erdboden, leben die Privilegierten in Frieden und frei von Armut, ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

2242. Eine Welt voller Gegensätze. Auf den High Rise Isles, auf hohen Säulen erbauten Städten über dem Erdboden, leben die Privilegierten in Frieden und frei von Armut, Leid und Krankheiten. Dort wacht Luca im Krankenhaus ohne Erinnerung auf. Währenddessen kämpft June mit ihrer kranken kleinen Schwester auf dem durch den Klimawandel verwüsteten Erdboden jeden Tag ums Überleben. Beiden Frauen fallen eines Tages Ungereimtheiten in ihrer Welt auf, beide machen sich auf die gefährliche Suche nach der Wahrheit…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband (aktueller Stand)
Erzählweise: Figurativer Erzähler, Präteritum
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: lang bis sehr lang
Tiere im Buch: + Im Buch werden Tiere für Nahrung getötet, was aber nie genau beschrieben wird. Ansonsten werden keine Tiere gequält oder verletzt. Auf den High Rise Isles steht es sogar unter Strafe, tierische Produkte zu konsumieren. ♥
Triggerwarnung: Tod von Menschen, Gewalt, psychische Krankheiten
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: keine ♥

Warum dieses Buch?

Die Autorin kannte ich schon vorher aus meinem privaten Umfeld. Deshalb und weil der Klappentext echt spannend klang und einige liebe Bookstagram-Kolleg·innen ebenfalls dabei waren, habe ich mich sehr gefreut, als ich ins Bloggerteam aufgenommen wurde. Meine Rezension ist trotzdem wie immer absolut ehrlich (sonst hätte ich ja nicht 3 Sterne vergeben).

Meine Meinung

Das hat mir gefallen…

… der Feminismus. Eine feministische Analyse lässt mich bei diesem Buch nicht nur zufrieden, sondern begeistert zurück. Die Gesellschaft der Zukunft ist nämlich sehr egalitär und divers. Männer kochen und putzen, Frauen sind stark, intelligent, gute Kämpferinnen, beruflich erfolgreich und wie selbstverständlich in Führungspositionen tätig. Es gibt kompetente Ärztinnen, eloquente Präsidentschaftskandidatinnen, begabte Ingenieurinnen und sogar mächtige Bösewichtinnen. Zudem besteht das Buch natürlich problemlos den Bechdel-Test und ist absolut frei von gegenderten Beleidigungen und sexualisierter Gewalt, was leider immer noch keine Selbstverständlichkeit ist. Auch Menschen, die von dem Thema getriggert werden, können also unbesorgt zu diesem Buch greifen. Das ist auch deshalb etwas Besonderes, weil eine der Protagonistinnen im Buch sich durch ihre Amnesie und ihr Zusammenleben mit ihrem Verlobten (der allerdings ein Fremder für sie geworden ist) in einer sehr verletzlichen Lage befindet – die allerdings nie ausgenutzt wird (und das wäre sicher passiert, wenn andere Autor·innen dieses Buch geschrieben hätten). Die feministische Grundeinstellung der Autorin zieht sich übrigens (ohne eine große Sache daraus zu machen) durch alle Bereiche des Buches. Die Vornamen der Zukunft sind beispielsweise divers, modern und unisex – davon leite ich ab, dass die Gendergrenzen nicht mehr so streng und scharf gezogen werden wie noch heute – eine Zukunftsvision, die ich interessant und positiv finde. Deshalb bleibt von meiner Seite nur zu sagen: Toll! Weiter so! (Feminismus: 5 Lilien ♥)

„Es kam ihr komisch vor, mit Zinnia wieder hier in ihrer gemeinsamen Wohnung zu sein. Wie er ganz selbstverständlich kochte, aufräumte, mit ihr sprach.“ E-Book, Position 4415

… die dystopische Welt. Die Zukunftsvision der Autorin, das Setting und ihre Ideen fand ich von Anfang an innovativ, spannend und interessant. Während die Privilegierten auf auf Säulen erbauten, technologisch fortgeschrittenen, „perfekten“ Städten im Himmel leben, auf denen Armut, Leid und Krankheiten nahezu ausgerottet wurden, kämpfen die nomadisch lebenden Menschen auf dem durch den Klimawandel von Überschwemmungen, Waldbränden und Krankheiten heimgesuchten Erdboden jeden Tag ums Überleben. Dass mir ein paar Ungereimtheiten aufgefallen sind und ich über manche Aspekte gerne noch mehr erfahren hätte, verzeihe ich da gerne. (Idee: 4 Lilien)

„‘Die Zeit der Strafe‘ oder auch ‚der Anfang vom Ende‘, so hatten die Leute diese Zeit [Anmerkung: die 2060er-Jahre] laut Lea bezeichnet. Vor ihrem inneren Auge hatte Luca sich nur zu deutlich die Waldbrände, Hitzewellen, Dürren, Hochwasser durch Starkregen und Sturmfluten vorstellen können, von denen erzählt worden war.“ E-Book, Position 3265

… der Schreibstil. Auch wenn der Schreibstil stellenweise etwas schwerfällig war und ich mir manchmal etwas mehr Tempo gewünscht hätte, fand ich ihn doch sehr flüssig, anschaulich und angenehm lesbar. Dementsprechend fliegt man nur so durch die Seiten. (Schreibstil: 4 Lilien)

Das lässt mich zwiegespalten zurück:

… der Plot und die Themen. Ich habe sofort ins Buch gefunden und fand das erste Viertel wirklich stark, weswegen ich auch am Anfang sehr begeistert war. Auch thematisch (Schuld, Hoffnung, Suche nach der Wahrheit, Neurochips, künstliche Intelligenz, ethische Fragen) konnte mich das Buch überzeugen. Im Mittelteil stagniert dann leider die Handlung und die Geschichte tritt eine Zeit lang auf der Stelle. Hier war es mir dann auch zu viel Infodumping – auch wenn das relativ elegant in Dialoge eingebaut war. Im letzten Viertel kommt dann endlich wieder Schwung in die Sache – hier dürfen sich Leser·innen auf eine spannende Suche nach der Wahrheit und einige unerwartete Wendungen freuen! Mir persönlich passierte am Ende etwas zu viel auf einmal – aber das ist sicher Geschmackssache. (Geschichte: 3 Lilien)

… die Spannung, das Tempo, die Atmosphäre. Die Beschreibungen der verschiedenen Settings fand ich sehr gelungen und atmosphärisch. Ich konnte sowohl das chaotische, pulsierende Nachtleben in den überfüllten Städten als auch Lucas cleane, saubere, mit viel technischem Schnick-Schnack ausgestattete Wohnung bildlich vor mir sehen. Gut gefallen haben mir auch die unerwarteten Wendungen und die zunehmend misstrauischere Suche der Heldinnen nach der Wahrheit. Ich liebe es ja, wenn man in Büchern nicht mehr genau weiß, wem man noch vertrauen kann! Was das „Pacing“ der Geschichte betrifft, hätte ich mir allerdings eine gleichmäßigere Verteilung der Spannungsmomente und im Mittelteil mehr Tempo gewünscht. (3 Lilien)

„Als sie erwachte, war sie kaum mehr als eine Ahnung.“ E-Book, Position 25

… die Protagonistinnen und Figuren. Prinzipiell finde ich die Figurenzeichnung im Buch gelungen. Man trifft auf verschiedenste interessante Persönlichkeiten und die beiden Protagonistinnen Luca und June fand ich sympathisch, und ich habe sie gerne durch die Geschichte begleitet. Trotzdem muss ich zugeben, dass ich Junes Handlungen nicht immer nachvollziehen konnte bzw. dass mir ein paar Brüche in ihrem Verhalten aufgefallen sind. In manchen Momenten wirkt sie zum Beispiel eher vorsichtig und ängstlich, während sie in anderen Leute ohne guten Grund provoziert oder mit einem Messer bedroht und sich dadurch unvernünftigerweise in Gefahr begibt. Mein Herz gewonnen hat dafür der sanftmütige, empathische Verlobte von Luca: Zinnia. Ich finde es super, dass hier toxische Männlichkeit und der typische Dystopie-Bad-Boy durch eine neue, moderne und feministische Vorstellung von Männlichkeit ersetzt wurden! (3,5 Lilien)

Das hat mir nicht gefallen:

---

Mein Fazit

„High Rise Isle“ ist eine solide, überraschend erwachsene und feministische Dystopie mit einer interessanten Grundidee und ein paar Schwächen. Wem eine egalitäre, diverse Vision von der Zukunft (inklusive erfrischend moderner Vorstellung von Männlichkeit) und unerwartete Wendungen wichtiger sind als durchgehende atemlose Spannung, der holt sich mit diesem Debüt sicher einige schöne, unterhaltsame Lesestunden ins Haus!

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 3 Lilien
Umsetzung: 3 Lilien
Worldbuilding: 3 Lilien
Einstieg: 4 Lilien
Ende: 3 Lilien
Schreibstil: 4 Lilien
Protagonistinnen: 3,5 Lilien
Figuren: 4 Lilien
Spannung: 3 Lilien
Wendungen: 5 Lilien ♥
Atmosphäre: 4 Lilien
Emotionale Involviertheit: 4 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 5 Lilien ♥
Chance, dass ich das Buch nie vergessen werde: mittel

Insgesamt:

❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir drei Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 25.03.2022

Wichtiges, feministisches Thema, aber leider enttäuschende, oberflächliche Umsetzung

Nie, nie, nie
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Sie ist Mitte 30, in einer glücklichen Beziehung und will keine Kinder. Weder heute noch morgen, sondern nie, nie, nie. Wie lebt es sich als gewollt kinderlose Frau ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Sie ist Mitte 30, in einer glücklichen Beziehung und will keine Kinder. Weder heute noch morgen, sondern nie, nie, nie. Wie lebt es sich als gewollt kinderlose Frau und welche Auswirkungen hat diese Entscheidung auf die Beziehungen in ihrem Leben (Mutter, Freund·innen, Lebensgefährte)?

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzählerin, Präsens
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: lang
Tiere im Buch: + Im Buch werden keine Tiere verletzt, gequält oder getötet.
Triggerwarnung: Sexismus, übergriffiges Verhalten, Abtreibung, Fehlgeburt
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden!

Warum dieses Buch?

Über dieses Buch hatte ich im Vorfeld nur Gutes gehört, zudem ist das Thema für mich als Feministin und aktuell kinderlose und sehr wahrscheinlich für immer kinderlos bleibende Frau höchst relevant!

Meine Meinung

Einfach, oberflächlich und etwas lieblos (Schreibstil: 2 Lilien)

Nach all den positiven Rezensionen, die ich zu diesem Buch gelesen hatte, erwartete ich mir richtig gute Literatur. Umso ernüchterter war ich nach den ersten Seiten: Der Schreibstil ist sehr einfach gehalten, es gibt einige Wiederholungen und leider keine sprachliche Abwechslung. Die Sprache wirkt nicht nur oberflächlich und distanziert, sondern auch ein wenig wie lieblos hingeklatscht. Mich konnte sie leider nicht überzeugen!

Wichtiges Thema, enttäuschende Umsetzung (Geschichte, Handlung & Themen: 3 Lilien)

„‘Und wenn ich nicht aus der Stadt ziehen, eine Familie gründen und jemand anderes werden will – bin ich dann nicht erwachsen? Oder kann man auch erwachsen sein, wenn man andere Träume und Wünsche hat als DAS?‘“ E-Book, Position 533

Als gewollt kinderlose Frau hat man leider auch im Jahre 2022 noch mit viel gesellschaftlichem Gegenwind zu kämpfen. Es wird einem so lange eingeredet, dass man in irgendeiner Form „defizitär“ sei, dass etwas nicht mit einem stimme, bis man es irgendwo tief in sich drinnen zu glauben anfängt. Und das finde ich sehr traurig! Warum darf man alles im Leben selbst entscheiden - ob man einen Hund will, welchen Beruf man ausübt, ob man sich ein Auto oder Haus kauft –, aber beim Kinderkriegen hören der Spaß und die Entscheidungsfreiheit auf? Warum?! Das ist inakzeptabel!

Übergriffige Fragen, Ratschläge und hin und wieder auch Beleidigungen sind ab Mitte 20 an der Tagesordnung, sobald man in einem Gespräch sagt, dass man keine Kinder haben möchte (wie ich aus eigener Erfahrung weiß). Mir wurde schon vorgeworfen, dass mein Leben ohne Kinder keinen Sinn hätte, dass ich eine Therapie machen solle, dass irgendetwas mit mir nicht stimme. Mir wurde prophezeit, dass ich meine Meinung sicher, ganz sicher noch ändern werde, sobald ich meinen Traummann treffe (klar, dann werfe ich alle meine Wünsche und Prinzipien über Bord, das klingt nach einer tollen, gesunden Beziehung!). Mir wurde eine Zukunft voller Einsamkeit ganz alleine im Altenheim vorausgesagt. Ein besonders misogynes Exemplar von Mann hat mir sogar verraten: Wenn es nach IHM ginge, müssten alle Frauen mindestens ein Kind bekommen, denn sonst würden wir so schrecklich verbittert werden („Der Report der Magd“ lässt grüßen). Am liebsten mag ich aber immer noch den Egoismus-Vorwurf, dabei ist die Entscheidung für Kinder genauso egoistisch wie die dagegen – das muss endlich mal in den Köpfen ankommen! Denn niemand bekommt (hoffentlich!) nur Kinder, um die zukünftigen Pensionen zu sichern, sondern man bekommt Kinder, weil man im Alter nicht alleine sein will, weil man denkt, dass ein Kind das eigene Leben bereichern wird, weil man etwas in der Welt hinterlassen will, wenn man tot ist. Es gibt allerdings mindestens so viele Gründe gegen Kinder wie dafür – wenn nicht mehr, wenn man ans Klima und den CO2-Fußabdruck denkt.

Doch nun zurück zum Buch: Einer der Hauptgründe der kinderlosen Protagonistin ist die gesellschaftliche Erwartung, dass man sich als Mutter bis zu einem gewissen Grad selbst aufzugeben habe, dass man nicht mehr in erster Linie eine Frau mit Hobbies und Interessen, sondern eine aufopferungsvolle Übermutter sein solle. Die Entscheidung, keine Kinder zu bekommen, die gesellschaftlichen Erwartungen an Mütter und der Gegenwind, wenn man keine sein möchte – diese Themen sind aus feministischer Sicht hoch interessant und relevant und müssen endlich angesprochen und öffentlich diskutiert werden. Deshalb war ich auch Feuer und Flamme, als ich den Klappentext gelesen habe und habe ein revolutionäres Buch erwartet, das den Finger in die Wunde legt. Leider kann die Autorin dieses Potential nicht nutzen, denn ihr Buch bleibt über weite Strecken (das letzte Drittel ist etwas stärker) sehr oberflächlich, geht nicht in die Tiefe, bringt kaum neue Erkenntnisse, ja, ist schlicht langweilig und behandelt das wichtige Thema nicht so, wie ich mir das gewünscht hätte. Das Buch hat mich deshalb leider enttäuscht.

Wer sich für das Thema Kinderkriegen in einer patriarchalischen Welt (in der wir immer noch leben) interessiert, sollte besser zu Tanja Raichs kritischem, beklemmendem und großartigem Buch „Jesolo“ greifen, das eine Frau begleitet, die sich zu Kindern überreden lässt und mit dieser Entscheidung dann sehr unglücklich ist.

Langweilig, belanglos, deprimierend (Atmosphäre & Spannung: 2 Lilien)

„Eltern warten auf ein Danke, Kinder auf eine Entschuldigung. Keiner kriegt, was er sich wünscht.“ E-Book, Position 1943

Ich hatte gehofft, dass mich das Buch fesseln und berühren würde, empfand es dann aber leider stellenweise als sehr langweilig und viele der geschilderten Alltagsszenen als belanglos. Wäre das Buch nicht so kurz gewesen, hätte ich es bestimmt abgebrochen. Ich dachte, dass wir hier auf eine starke Frau treffen würden, die mit ihrer Entscheidung gegen Kinder im Reinen ist (vielleicht sogar auf ein feministisches Vorbild), aber sie scheint ihr Leben nicht wirklich zu genießen, wirkt unentschlossen, unzufrieden und irgendwie unglücklich und wie paralysiert, weshalb ich das Buch derart deprimierend fand, dass ich ernsthaft überlegt habe, ob ich nicht vielleicht doch Kinder bekommen sollte, einfach nur, um nicht so zu enden wie sie – und das kann doch nicht die intendierte Wirkung gewesen sein!

Distanz & Austauschbarkeit (Protagonistin: 3 Lilien, Figuren: 2 Lilien)

Mir war die Protagonistin nicht unsympathisch – mich mit ihr identifizieren und eine richtige Verbindung zur ihr aufbauen konnte ich trotzdem nicht. Dazu war einfach zu viel Distanz zu ihr da; ich hatte den Eindruck, dass sie die Leser·innen nicht so richtig an sich heranlässt. Die Charakterzeichnung lässt zudem zu wünschen übrig, denn der Heldin fehlen Ecken und Kanten und eine interessante Persönlichkeit, was sie und die anderen Figuren leider sehr blass und austauschbar macht. Wäre dieses Buch eine Suppe, dann würde hier eine große Prise Gewürze und Salz fehlen. Hier habe ich mir wirklich viel mehr erhofft!

Vorbildlich (Feminismus: 5 Lilien ♥)

„Ich denke immer noch an […] Mütter, die am Bett ihres Kinds stehen, das nicht schlafen will, sie reden auf es ein, erst streng, dann sanft und leise und schließlich mit tränenerstickter Stimme, kannst du nicht wenigstens kurz die Augen zumachen, Mama muss auch ein bisschen schlafen […]“ E-Book, Position 839

Zumindest aus feministischer Sicht gibt es hier nichts zu meckern. Die Autorin spricht ein wichtiges Thema an, das viele Frauen beschäftigt und kritisiert starre Rollenbilder. Zudem trifft die Hauptfigur kompromisslos ihre eigenen Entscheidungen und lässt sich von niemandem zu Dingen überreden oder drängen, die sie nicht möchte. Dafür gibt es ein großes Lob und einen Extrapunkt – den dieses Buch allerdings auch dringend benötigt!

Mein Fazit

„Nie, nie, nie“ ist ein feministisches Buch, das zwar ein wichtiges Thema anspricht, das sein großes Potential aber leider nicht nutzen kann. Besonders enttäuscht haben mich der lieblos wirkende Schreibstil, die blassen, austauschbaren Figuren und die Oberflächlichkeit. Wer sich noch nie zuvor mit gewollter Kinderlosigkeit bei Frauen beschäftigt hat, kann diesem Werk vielleicht etwas abgewinnen, aber alle anderen werden mit Tanja Raichs großartigem, thematisch ähnlichem Buch „Jesolo“ vermutlich mehr Freude haben.

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 3 Lilien
Umsetzung: 3 Lilien
Worldbuilding: 2 Lilien
Einstieg: 3 Lilien
Ende: 3 Lilien
Schreibstil: 2 Lilien
Protagonistin: 3 Lilien
Figuren: 2 Lilien
Spannung: 2 Lilien
Atmosphäre: 2 Lilien
Emotionale Involviertheit: 3 Lilien
Feministischer Blickwinkel: 5 Lilien ♥
Einzigartigkeit / Chance, dass ich das Buch nie vergessen werde: sehr niedrig

Insgesamt:

❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir gut gemeinte 3 Lilien!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 17.02.2022

Philosophischer Horror-Thriller mit unglaublich unheilvoller Atmosphäre! Lieblingsbuch! ♥

The Ending - Du wirst dich fürchten. Und du wirst nicht wissen, warum
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Spoilerfreie Rezension!


Inhalt

Ein junges Paar fährt mit dem Auto durch die winterliche Landschaft Kanadas. Es ist auf dem Weg zu den Schwiegereltern der Protagonistin. Eine unheilvolle Stimmung ...

Spoilerfreie Rezension!


Inhalt

Ein junges Paar fährt mit dem Auto durch die winterliche Landschaft Kanadas. Es ist auf dem Weg zu den Schwiegereltern der Protagonistin. Eine unheilvolle Stimmung überschattet allerdings die Gespräche im Auto. Warum verheimlicht sie ihm, dass sie seit Wochen einen Stalker hat, der ihr Angst macht? Warum erzählt er so gut wie nichts über seine Eltern? Und warum hat man als Leser·in das Gefühl, dass alles auf eine Katastrophe hinauslaufen wird?

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzählerin, Präsens
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: keine Einteilung in klassische Kapitel
Tiere im Buch: - Im Buch kommen verletzte, leidende, kranke und tote Tiere vor. Detaillierte Beschreibungen von kranken Schweinen; Schlachtungen und der Tod von Schweinen und Schafen werden erwähnt.
Triggerwarnung: Tod von Tieren, Krankheit, psychische Erkrankungen, Gewalt, Blut, Suizid, Depressionen
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): NICHT bestanden!

Warum dieses Buch?

Gekauft habe ich mir dieses Buch vor Jahren, weil es so polarisiert hat und viele Leute von den unerwarteten Wendungen geschwärmt haben. Dann wurde es erst einmal ein paar Jahre auf den SUB (= Stapel ungelesener Bücher) verbannt, was mir im Nachhinein echt leidtut. Im November hatte ich dann plötzlich total Lust drauf – und es hat mich tatsächlich aus meiner Leseflaute geholt. ♥

Meine Meinung

Einfach, aber nicht oberflächlich (Schreibstil: 5 Lilien ♥)

„Ich trage mich mit dem Gedanken, Schluss zu machen. Ist der Gedanke erst einmal da, bleibt er haften. Krallt sich fest.“ Seite 7

Iain Reids anschaulicher Schreibstil enthält viele kurze Hauptsätze und lässt sich sehr schnell und flüssig lesen. Wer deshalb aber annimmt, dass er oberflächlich wäre, der irrt gewaltig. Ganz im Gegenteil: In den Dialogen und auch thematisch wird es überraschend tiefgründig.

Wenig Handlung, viele Gespräche & eine Prise Philosophie (Geschichte, Handlung & Themen: 5 Lilien♥)

„Wir können nicht erraten, was der andere denkt, dabei ist das Denken entscheidend. Das Denken ist die Realität, unser Handeln kann nur vorgetäuscht sein.“

Es gibt Bücher, die sind handlungsarm und dabei unglaublich langweilig. Zum Glück gehört „The Ending“ nicht dazu – und das, obwohl es sich handlungstechnisch lange Zeit nicht vom Fleck bewegt. Stattdessen bekommt man eine lange winterliche Autofahrt voller interessanter Anekdoten, philosophischer Fragen und tiefgründiger Dialoge zwischen zwei Liebenden, von denen die eine allerdings gerade heimlich über ein Beziehungsende nachdenkt. Unterbrochen wird der Text durch kursive Gespräche namenloser Leute über eine rätselhafte Katastrophe. Gelangweilt habe ich mich beim Lesen tatsächlich keine einzige Sekunde lang – im Gegenteil, ich habe förmlich an den Seiten geklebt! Die unerwartete Wendung, von der so viele Leute schwärmen, habe ich (als erfahrene Thriller-Leserin) allerdings irgendwie geahnt, trotzdem fand ich die Auflösung sehr gut gemacht.

Unheilvoll, unheilvoller, „The Ending“ (Atmosphäre & Spannung: 5 Lilien ♥)

„Woher wissen wir, dass etwas bedrohlich ist? Woher kommt dieses Gefühl, dass etwas nicht harmlos ist? Der Instinkt siegt immer über den Verstand.“ Seite 21

Auf dem Cover wird damit geworben, dass man sich bei der Lektüre angeblich fürchten würde, aber nicht wüsste, warum. Kurz: Besser kann man meine Gefühle beim Lesen nicht beschreiben. Das ganze Buch durchzieht eine einzigartig bedrohliche, unheilvolle Atmosphäre, wie ich sie bisher noch in keinem Buch hatte. Und das, obwohl es an der Oberfläche eigentlich nur ein paar Gespräche im Auto und einen Besuch bei den Schwiegereltern gibt. Aber wie so oft spielt sich die Magie zwischen den Zeilen ab! Und da entsteht beim Lesen ganz viel innere Anspannung, Grauen und die immer größer werdende Befürchtung, dass die Geschichte schicksalhaft auf eine große Katastrophe zusteuert, die sich nicht mehr abwenden lässt. Teilweise traut man sich fast nicht umzublättern! Deshalb würde ich „The Ending“ auch als sehr gelungene Genremischung aus Thriller und Horror beschreiben, die mich auf ganzer Linie begeistern konnte!

Interessant & eigenwillig (Protagonistin: 5 Lilien ♥, Figuren: 4 Lilien)

Ich möchte hier nicht zu viel verraten, deshalb nur so viel: Ich fand die nachdenkliche, intelligente Protagonistin sympathisch, konnte ihre Gedankengänge nachvollziehen und habe sie gerne durch die Geschichte begleitet. Auch die anderen Figuren sind eigenwillig und interessant – auch wenn man die meisten davon nur oberflächlich kennenlernt.

Buch > Netflix-Film (Verfilmung: 2 Lilien)

Nur durch Zufall habe ich herausgefunden, dass es sich beim Netflix-Film „I’m Thinking of Ending Things“ um eine Verfilmung des vorliegenden Buches handelt. Gedreht wurde sie von Charlie Kaufman, der für seine künstlerischen, ungewöhnlichen Filme bekannt ist, das Drehbuch wurde zusammen mit dem Autor geschrieben. Das alles klang auf den ersten Blick sehr vielversprechend. Leider folgte dann die große Enttäuschung: Der Film ist abstrus, verwirrend, prätentiös und die extrem bedrohliche Atmosphäre des Ausgangsmaterials geht leider verloren. Ich hatte nur deshalb noch eine ungefähre Ahnung, was vor sich ging, weil ich kurz vorher das Buch gelesen hatte; besonders gegen Ende wird sehr viel verändert. Kurz: Wer das Buch nicht kennt, wird verwirrt sein und wer es kennt, wird verwirrt UND enttäuscht sein. Deshalb gibt es von mir zwar eine große Leseempfehlung für die Buchvorlage, aber leider keine für den Netflix-Film.

Passt schon (Feminismus: 3,5 Lilien)

Aus feministischer Sicht fällt „The Ending“ weder positiv noch negativ auf. Es gibt zum Beispiel eine intelligente, sympathische Hauptfigur, den Bechdel-Test besteht das Buch allerdings leider nicht, was seiner besonderen Erzählweise geschuldet ist. Insgesamt gibt es nichts, was man hier besonders loben oder kritisieren könnte.

Mein Fazit

„The Ending“ ist eine ungewöhnliche, tiefgründige Mischung aus Thriller und Horror mit einem Hauch Philosophie und einer einzigartig intensiven unheilvollen Grundstimmung. Mich hat das Buch deshalb von der ersten Seite bis zur letzten gefesselt und auf ganzer Linie überzeugt! Unbedingt lesen!

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 5 Lilien ♥
Umsetzung: 5 Lilien ♥
Worldbuilding: 5 Lilien ♥
Einstieg: 4 Lilien
Ende: 5 Lilien ♥
Schreibstil: 5 Lilien ♥
Protagonistin: 5 Lilien ♥
Figuren: 4 Lilien
Spannung: 5 Lilien ♥
Wendungen: 5 Lilien ♥
Atmosphäre: 5 Lilien ♥
Emotionale Involviertheit: 5 Lilien ♥
Feministischer Blickwinkel: 3,5 Lilien
Einzigartigkeit / Chance, dass ich das Buch nie vergessen werde: sehr hoch

Insgesamt:

❀❀❀❀❀♥ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir fünf Lilien und ein Herz – und somit den Lieblingsbuchstatus!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 30.12.2021

Düstere, atmosphärische, ergreifende Graphic Novel – mit liebenswürdigen Figuren, die einem schnell ans Herz wachsen! ♥

Sweet Tooth Deluxe Edition
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Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Eine tödliche Seuche bricht aus und rafft den Großteil der Menschheit dahin – gleichzeitig werden plötzlich Hybriden geboren, Mischwesen aus Mensch und Tier. Gus bekommt ...

Spoilerfreie Rezension!

Inhalt

Eine tödliche Seuche bricht aus und rafft den Großteil der Menschheit dahin – gleichzeitig werden plötzlich Hybriden geboren, Mischwesen aus Mensch und Tier. Gus bekommt von diesem Chaos nichts mit. Behütet und abgeschirmt wächst der Hirsch-Hybride mit seinem Vater in einem Wald auf. Dieser warnt ihn immer wieder vor den Gefahren, die außerhalb des Waldes lauern und beschwört ihn, diesen unter keinen Umständen zu verlassen.

Doch als auch der Vater erkrankt und stirbt, bleibt Gus alleine zurück. Nur wenig später dringen Hybriden-Jäger in den Wald ein und verfolgen Gus. Im letzten Moment wird er von einem brutalen und geheimnisvollen Mann gerettet, der ihm verspricht, ihn an einen sicheren Ort zu bringen. Aber kann Gus ihm wirklich vertrauen? Er muss es riskieren und verlässt zum ersten Mal in seinem Leben den Wald. Eine Reise voller Gefahren beginnt…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Band #1 einer dreibändigen Comic-Reihe
Erzählweise: Ich-Erzähler, Präsens
Perspektive: männliche Perspektive
Kapitellänge: keine Einteilung in Kapitel, sondern in die einzelnen Comic-Hefte, die in diesem Band enthalten sind
Tiere im Buch: - Tiere und Tiermenschen werden im Buch verletzt, gequält und getötet. Teilweise sogar auf sehr grausame Weise.
Triggerwarnung: Tod von Tieren, Tod von Menschen, Gewalt, Gewalt gegen Frauen, Gewalt gegen Kinder, sexualisierte Gewalt, Alkohol, Blut, Verletzungen, Trauer, psychische Krankheiten, Suizid, Trauma, Folter;
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): NICHT bestanden!

Warum dieses Buch?

Ich hatte gerade die erste Folge der neuen Netflix-Serie begonnen, als ich herausfand, dass es dazu eine Comic-Vorlage gibt. Als vorbildliche Vielleserin wollte ich mir die natürlich pflichtbewusst noch schnell vorher zu Gemüte führen.

Meine Meinung

Fesselnd, emotional & ergreifend (Geschichte: 5 Lilien ♥)

Am Anfang hielten sich sowohl meine Begeisterung als auch meine Erwartungen in Grenzen, was wohl vor allem an den gewöhnungsbedürftigen Illustrationen lag. Mit jeder weiteren Seite wurde ich allerdings mehr in Gus‘ Endzeit-Welt hineingezogen. Die spannende, wendungsreiche Geschichte hat mich nach einer Weile emotional nicht länger kaltgelassen und begann, einen starken Sog auf mich auszuüben, sodass ich den ersten Band schon am ersten Abend fast ganz durchgelesen hatte. Überraschend tiefgründig behandelt der Autor Themen wie Trauer, Verlust, Freundschaft, den oft hohe Preis fürs Überleben und die Frage, was überhaupt noch zählt, wenn man alles verloren hat. „Sweet Tooth 1“ enthält sowohl schockierende Horror-Szenen und trostlose, bittere Augenblicke als auch herzergreifende, stille Momente voller Wärme, Liebe und Zuversicht – und somit alles, was ein grandioser Endzeit-Roman braucht! Für mich ist das Buch daher ein absolutes Jahreshighlight und ein neues Lieblingsbuch, das für immer einen Platz in meinem Regal und Herz haben wird.

Gib mir mein Herz zurück! (Protagonist: 5 Lilien ♥, Figuren: 5 Lilien ♥)

Ich konnte das Buch irgendwann nicht mehr zur Seite legen, und zwar weil ich wissen MUSSTE, wie es den liebevoll ausgearbeiteten Figuren, die sich mit jeder Seite mehr in mein Herz geschlichen haben, weiter ergeht. Ich habe mit ihnen mitgefühlt, mitgefiebert und mitgelitten wie selten zuvor mit fiktionalen Menschen, hätte sie oft am liebsten durch die Buchseiten umarmt. Jeder ihrer Verluste wurde zu meinem Schmerz, jeder ihrer Triumphe löste innere Jubelschreie in mir aus! Besonders der liebenswürdige Protagonist Gus und der kleine, süße Bobby, der nicht richtig sprechen kann, weil es ihm aufgrund seines Aussehens niemand je richtig gelernt hat, haben es mir total angetan. Mein Herz, Leute, mein Herz! Kurz: So geht Charakterentwicklung! Da könnten sich einige Autor·innen eine große Scheibe von Jeff Lemire abschneiden.

Düsterer, blutiger, besser als die Netflix-Serie (Atmosphäre & Spannung: 5 Lilien ♥)

Seit ich die Comic-Vorlage gelesen habe, wirkt die Netflix-Serie auf mich wie ein fader, langweiliger, harmloser Abklatsch der großartigen Originalgeschichte. Die Graphic Novel ist düsterer, blutiger, brutaler, trostloser und enthält mehr Horror-Elemente – und genau das macht die dichte Atmosphäre, den Charme und die Besonderheit dieser Comic-Serie aus! Man hat die Geschichte bei der Adaption kindgerechter gemacht, viel Gewalt gestrichen und Zuversicht addiert. Bekommen hat man ein modernes Märchen, das zwar ein größeres Publikum erreicht, der bedrohliche Charakter des Originals ging dabei allerdings irgendwo auf dem Weg verloren, was ich sehr traurig und schade finde. Ich habe die Netflix-Serie daher nach 5 Folgen abgebrochen und werde mich stattdessen weiterhin an Jeff Lemires Comics halten. Fans der Serie „The Walking Dead“ (die bedrohliche Atmosphäre ist ähnlich) und allen, denen die Serie auch nur ein wenig beeindrucktes „Naja“ entlockte, kann ich nur raten, dasselbe zu tun.

Gewöhnungsbedürftig, aber wirkungsvoll (Illustrationen: 4 Lilien)

Den Zeichenstil des Autors fand ich am Anfang sehr gewöhnungsbedürftig, weil die Einzelbilder (auch wegen der gedeckten und düsteren Farbpalette) sehr trostlos, teilweise leer und auf den ersten Blick vielleicht sogar lieblos wirkten. Nach wenigen Seiten habe ich jedoch erkannt, dass genau diese Illustrationen perfekt zur ebenfalls oft hoffnungslosen Welt passen und es Jeff Lemire gerade damit perfekt gelingt, diese bedrohliche Grundstimmung zu erzeugen. Besonders gut gefallen hat mir, dass oft ganz nah an die Gesichter herangezoomt wird, um den Leser·innen die intensiven Gefühle darin zu zeigen. Sehr gerne mochte ich auch die vereinzelten ganzseitigen Bilder mit vielen Details, die die Struktur etwas auflockern.

Männerüberschuss (Feminismus: 2 Lilien)

In „Sweet Tooth“ gibt es durchaus ein paar starke weibliche Figuren (und auch Geschlechterstereotype werden teilweise gebrochen). Das Problem: Sie sind nur in den Nebenrollen zu finden und bekommen viel weniger „Screentime“ als die männlichen (= Zeit auf der Leinwand / im Buch). Fast alle wichtigen Charaktere (auch die Antagonisten) sind männlich und reden dementsprechend die meiste Zeit miteinander, wodurch die Frauen oft außen vor sind. Dieser „Männerüberschuss“ führt auch dazu, dass Band 1 den Bechdel-Test leider nicht besteht. Hoffentlich wird das im zweiten Band besser, da muss sich im Comic-Genre wirklich noch viel tun! Auch viel Gewalt gegen Frauen gibt es im Buch – diese wird allerdings (immerhin) ausnahmslos kritisiert und verurteilt. Da mich das Buch in allen anderen Aspekten auf ganzer Linie überzeugt hat, drücke ich dieses Mal ausnahmsweise ein Auge zu und ziehe keine Sterne ab.

Mein Fazit

„Sweet Tooth 1“ ist eine düstere, atmosphärische, herzergreifende Endzeit-Graphic-Novel, die auch euch fesseln und berühren wird und deren liebenswürdige Figuren sich auch schnell in euer Herz schleichen werden. Für mich ist „Sweet Tooth 1“ jedenfalls ein absolutes Jahreshighlight und Herzensbuch! Daher gibt es von mir eine große Leseempfehlung für alle Fans von „The Walking Dead“, Endzeit-Romanen und generell guten Geschichten! Unbedingt lesen!

Bewertung

Idee: 5 Lilien ♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 5 Lilien ♥
Umsetzung: 5 Lilien ♥
Worldbuilding: 5 Lilien ♥
Einstieg: 4 Lilien
Ende: 5 Lilien ♥
Schreibstil: 5 Lilien ♥
Illustrationen: 4 Lilien
Protagonist: 5 Lilien ♥
Figuren: 5 Lilien ♥
Spannung: 5 Lilien ♥
Wendungen: 5 Lilien ♥
Atmosphäre: 5 Lilien ♥
Emotionale Involviertheit: 5 Lilien ♥
Feministischer Blickwinkel: 2 Lilien
Einzigartigkeit / Chance, dass ich das Buch nie vergessen werde: sehr hoch

Insgesamt:

❀❀❀❀❀♥ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir fünf Lilien und ein Herz – und somit den Lieblingsbuchstatus!

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