Solide Dystopie – mit Luft nach oben
POSTER GIRL - Wer bist du, wenn dir niemand zusieht? Spoilerfreie Rezension!
Inhalt
Früher war sie das Gesicht der Propaganda-Plakte des autoritären Regimes, doch dann war eine Rebellion erfolgreich und mittlerweile lebt Sonya in einem abgeriegelten ...
Spoilerfreie Rezension!
Inhalt
Früher war sie das Gesicht der Propaganda-Plakte des autoritären Regimes, doch dann war eine Rebellion erfolgreich und mittlerweile lebt Sonya in einem abgeriegelten Stadtviertel in Armut und Gefangenschaft. Dort wird sie auch sterben – denkt sie. Eines Tages jedoch bietet ihr ein alter Bekannter einen Deal an: Sie soll ein vermisstes Mädchen finden, dann wird ihr ihre Freiheit geschenkt…
Übersicht
Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: personale Erzählweise, Präsens
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: mittel bis lang
Inhaltswarnung: Blut, Gewalt, Tod von Menschen (auch Kindern), Medikamentenmissbrauch, Trauer, psychische Krankheiten, Suizid, Gewalt gegen Frauen (angedeutet)
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: --- ♥
Diese Geschichte solltest du lesen, wenn dir folgende Themen/Dinge in Büchern gut gefallen:
- Setting: NACH der Rebellion gegen ein autoritäres Regime
- Dystopien
- Slow-Burn-Geschichten
- Gesellschaftskritik mit Tiefe
- Themen: Politik, Macht, Machtmissbrauch, Propaganda, Überwachung, Umgang mit Täter:innenschaft von Verwandten, Trauer, Schuld, Selbstfindung, Individualität
Lieblingszitate
„Sie hat hier in der Apertur viele Lektionen gelernt, die sie nie lernen wollte.“ Seite 16
„Sonya fühlt sich oft wie von der Sonne gehärteter Lehm, der zu lange draußen lag, um noch eine andere Form anzunehmen.“ Seite 69
„Verdorbene Menschen gibt es überall, aber manche können es besser verbergen als andere.“ Seite 93
„Eine Frau wie ein gehämmertes Stahlblech, von der Welt abgenutzt, aber niemals vor ihr kapitulierend.“ Seite 166
Meine Rezension
„Poster Girl“ wurde mir von meiner lieben Bookstagram-Kollegin Julia (@seiten_hieb) gefühlt 100 Mal „mit Nachdruck“ empfohlen (ja, das ist ein Euphemismus!) und am Ende sogar von ihr und meiner Community bei einer Abstimmung als Lektüre für 2025 ausgewählt. Da ich Veronica Roths Reihenauftakt „Die Bestimmung“ (und NUR diesen Band, es ist mir sehr wichtig, das zu betonen!) als Jugendliche absolut geliebt habe, waren meine Erwartungen demenstsprechend hoch – aber konnten diese auch erfüllt werden?
Hier muss ich leider sagen: nicht ganz. Trotzdem ist für mich „Poster Girl“ ein gutes Buch, das ich unterhaltsam fand und gerne gelesen habe – was nicht zuletzt am extrem angenehmen und fesselnden Schreibstil der Autorin lag. Begeistert haben mich aber vor allem die erfrischende Grundidee, der durchdachte Plot und das lebendig beschriebene Setting. Die meisten Dystopien beschäftigen sich ja mit der Rebellion gegen ein autoritäres Regime – Veronica Roth wählt hier einen ganz anderen Zugang und schildert, was NACH dem Aufstand und Sieg der Revolution passiert. Und das ist ernüchternd und wenig glamourös: baufällige Gebäude, marode Straßen und eine instabile Regierung, die sich erst finden muss. Im Zentrum der Geschichte stehen neben Themen wie Verlust und Trauer auch Täter:innenschaft, Abgrenzung von der Familie und Schuldgefühle – sowohl in Bezug auf eigenes Verhalten als auch auf die Rolle, die die Eltern innerhalb des Regimes gespielt haben. Diese Fragen behandelt die Autorin mit angemessener Tiefe und Ernsthaftigkeit.
Überzeugt haben mich auch die vereinzelten wirklich unglaublich spannenden Passagen und die dichte bedrückende und trostlose Atmosphäre, die die ganze Geschichte durchzieht und die dazu führt, dass man sich als Leser:in unweigerlich die Frage stellt: Die Rebellion war erfolgreich, okay – aber was hat sie den Menschen wirklich gebracht? Und ist die neue Welt tatsächlich so viel besser? Neben den unerwarteten Enthüllungen und Wendungen, die mich immer wieder überrascht haben, lässt mich auch die feministische Analyse zufrieden zurück. Veronica Roth ist für mich mittlerweile eine Garantin für starke und komplexe Protagonistinnen und generell intelligente, kämpferische Frauenfiguren (z.B. eine berühmte Hackerin und IT-Expertin) – und das liebe ich! Auch wenn mich die Liebesgeschichte emotional nicht so erreicht hat, wie sie es vermutlich hätte tun sollen, so haben mir hier doch der Fokus auf Consent/Einverständnis und die selbstbestimmte Se+ualität der Hauptfigur gefallen.
Für ein Lieblingsbuch und Jahreshighlight hat mir bei „Poster Girl“ dann aber doch noch einiges gefehlt. Das gemächliche Tempo des Romans und das langsame Anrollen der Geschichte (zusammen mit den vielen Figuren und Namen) haben mir den Einstieg erschwert, auch danach gab es immer wieder Spannungseinbrüche und Stellen, an denen man das Buch hätte straffen können und sollen. Außerdem empfand ich den Love Interest gerade am Anfang als zu toxisch männlich (inklusive Dominanz-Gehabe und Manspreading). Einige der Figuren hätte ich zudem gerne noch näher kennengelernt, dann hätte mich das Buch vermutlich auch emotional noch mehr mitgerissen. Auch über die aktuelle Politik und die Welt, die die Autorin erschaffen hat, hätte ich gerne noch mehr erfahren. Wie ihr seht, sind das alles aber eher kleine Kritikpünktchen. Es wird daher sicher nicht mein letztes Buch von Veronica Roth gewesen sein!
Mein Fazit
„Poster Girl“ ist eine solide Dystopie, die mich nach dem eher schwierigen Einstieg mit ihrer erfrischenden Grundidee und den tiefgründigen Themen einige Stunden lang gut unterhalten hat und die ich gerne gelesen habe. Für ein Highlight hat mir an einigen Stellen aber doch noch etwas gefehlt – besonders was das Erzähltempo, den Spannungsbogen, die Emotionen und die Figurenzeichnung betrifft. Auch wenn „Poster Girl“ für mich nicht an „Divergent“ (Band 1) heranreicht, kann ich trotzdem guten Gewissens eine Leseempfehlung aussprechen – und zwar für alle, die starke Frauenfiguren mögen und sich für das interessieren, was NACH der großen Rebellion kommt…
Bewertung (in Schulnoten)
Cover / Aufmachung (altes Cover): 1+♥
Idee: 1+♥
Inhalt, Themen, Botschaft: 2
Tiefe: 2
Umsetzung: 2
Worldbuilding: 2-3
Einstieg: 3-4
Ende: 2
Schreibstil: 1+♥
Protagonistin: 1-2
Figuren: 2-
Spannung: 3
Pacing/Tempo: 3
Wendungen: 1+♥
Atmosphäre: 2
Emotionale Involviertheit: 2-
Feministischer Blickwinkel: 1-2
Einzigartigkeit: 1+♥
Insgesamt:
Note 2