Profilbild von SigiLovesBooks

SigiLovesBooks

Lesejury Star
offline

SigiLovesBooks ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit SigiLovesBooks über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 13.11.2018

Vortrefflich gelungene kulinarische Reise in die Ritterzeit

Ritter-Kochbuch
0

Das "Ritter-Kochbuch" von Heiko Schwartz ist im Zauberfeder-Verlag erschienen und ein vortrefflich gelungenes Kochbuch, um den Leser (und Nachkocher) in die Zeit der Ritter zu versetzen: Auf 121 kompakten ...

Das "Ritter-Kochbuch" von Heiko Schwartz ist im Zauberfeder-Verlag erschienen und ein vortrefflich gelungenes Kochbuch, um den Leser (und Nachkocher) in die Zeit der Ritter zu versetzen: Auf 121 kompakten und mit viel Detailliebe sowie Rezeptfotos versehenen Seiten präsentieren sich vielfältige Gerichte der damaligen Zeit. Der Clou daran ist: Alle Gerichte sind wirklich einfach nachzukochen und haben sowohl bei mir als auch bei meinem Sohn bzw. in der Familie für Furore sorgen können:


Es geht dem Autor nicht nur darum, dass man die Rezepte nachkochen kann, sondern dass man mit diesem Buch die Möglichkeit hat, alte Traditionen wiederzuentdecken - und auszuprobieren; z.B. das Bier brauen oder die Käseherstellung wie auch die Herstellung des leckeren Met, der auf keinem Mittelalter-Markt (wie neulich hier der St. Martins-Mittelaltermarkt) fehlt. Somit ist dieses Kochbuch mehr als ein reines Rezeptregister aus dem Mittelalter: Es transportiert alte kulturhistorische kulinarische Traditionen!

Die einzelnen Rezeptvorschläge reichen von Getränken der damaligen Zeit (unser Winterfavorit: Würzwein ;) über Brot und Frühstück (süßer Brei, Arme Ritter z.B. und Suppen (Linseneintopf, Gerstensuppe, Lauch- und Fischsuppe) bis hin zu den Hauptspeisen, die auf Ritter's Tafel kamen: So findet man "Wildkaninchen am Galgen", Wildschwein und Hirsch (außergewöhnlich lecker zubereitet), eine Gans im Hirsebett wie auch Lamm und Kalbgerichte, die durchaus in die heutige "Gourmetküche" passen! Es folgt "Leichteres" für Fastentage ("wenn der Pfaffe zu Besuch kommt" ;) und einiges, das wahrlich an "die Verführung der Engel" erinnert: Von Marzipan über Honigwaffeln bis zu den Nonnenpfürzchen, die gerade in der Weihnachtszeit in Süddeutschland ein sehr bekanntes Weihnachtsgebäck darstellen! Zum Schluss werden noch die erforderlichen Grundfertigkeiten angesprochen, die zum Räuchern, Pökeln und Butter herstellen vonnöten sind: Mir hat besonders die liebevolle Darstellungsform der entsprechenden Fotos wie auch der Texte, die teils (als Einleitung) in 'alter', aber gut lesbarer Schrift zu lesen sind, außergewöhnlich gut gefallen.
Ein sehr ausgefallenes Kochbuch für Experimentierfreudige, da man jedes Rezept auch abwandeln kann - und Fantasie hier durchaus gefragt ist. Eine hochwertige Ausstattung mit zahlreichen Fotos und ein weiteres Plus: Die Handlichkeit, es ist sehr gut neben den Zutaten auf dem Küchentisch zu "parken" - und macht große Lust, das nächste Rezept auszuprobieren!

Fazit:

Ein außergewöhnliches, kompaktes, handliches kulinarisches Reisebuch auf die Tische in Burgen und Schlössern zur Zeit der Ritter: Sehr gut nachzukochen, fantasievoll für experimentierfreudige Köche und eine ganz tolle Ausstattung mit zahlreichen Fotos - von mir 5* und eine absolute Weiterempfehlung!

Veröffentlicht am 28.10.2018

Die Rallye ihres Lebens

Ungebremst leben
0

Nach Jahrzehnten im Automobilgeschäft, das sie von ihrem Vater in Berlin übernahm, beschließt die gelernte Automechanikerin und Rallyefahrerin (seit 1953!!) Heidi Hetzer nach dem Verkauf des Autohauses, ...

Nach Jahrzehnten im Automobilgeschäft, das sie von ihrem Vater in Berlin übernahm, beschließt die gelernte Automechanikerin und Rallyefahrerin (seit 1953!!) Heidi Hetzer nach dem Verkauf des Autohauses, auf Weltreise zu gehen: Zunächst muss das richtige Fahrzeug her - bloß kein modernes, ein Oldtimer sollte es schon sein, da die rüstige Dame inzwischen 77 Lenze zählt: Nach einigem Suchen findet sie HUDO, einen Hudson des Bj. 1930 (gefertigt in Detroit, USA) und mit ihm den für sie idealen Reisegefährten...


Eine Vorbereitungszeit beginnt, Hudo wird generalüberholt und erhält seinen "Pass" - das Carnet de Passage, ohne das nichts geht: Visa und Einreiseformalitäten der geplanten Reise verschlingen weitere Zeit, bis es endlich losgeht: Heidi möchte alle Kontinente befahren und war sich durchaus sehr bewusst, dass unterwegs jede Menge passieren kann. Doch ein Credo dieser wagemutigen und abenteuerfreudigen Frau und ehemaligen Rallyefahrerin war stets:

"Lieber mit Vorfreude aufbrechen, als ängstlich zu Hause bleiben" (Zitat S. 87)

So bricht sie mit Hudo im Juli 2014 auf, um auf Weltreise zu gehen: Eine Art GPS berichtet den Fans auf ihrem Blog täglich, wo sie gerade weilt und ein Laptop ist auch mit an Bord, der sich als sehr positiv erweist, da er virtuelle Beifahrer, Ratschläge und Tipps von hilfsbereiten Menschen auf der ganzen Welt bereithalten sollte! Ihre "Fahrten und Abenteuer der Heidi Hetzer" sind mehr als ein Reisebericht, sie enthalten auch Rückblicke in ihre Vergangenheit, ihre Anfänge als Rallyefahrerin und Aufenthalte in den USA, sowie familiäre Ereignisse wie etwa ihre Diagnose und kurze Unterbrechung sowie Wiederaufnahme der Reise oder die Geburt eines Enkelkindes, die sie fernab zum Weinen bringt:

Auf ihrer Route rund um die Welt (mit Schiffspassagen verbunden und der Wiedersehensfreude jeweils mit dem wohlbehaltenen Hudo) durchfahren die beiden Tschechien, Österreich, die Slowakei, Serbien, Montenegro, die Türkei, den Iran, Turkmenistan und Usbekistan, bevor es weiter nach China und Asien geht sowie nach Australien und Neuseeland: Es folgen die USA und Kanada sowie Südamerika und Südafrika, bevor es nach 960 Tagen und 85.000 km wieder nach Europa und dem Ausgangsort der Reise Berlin zurückgeht.

Die lebenslange Liebe zum Autofahren ist spürbar, aber auch die unglaubliche Kompetenz beim "Schrauben", wenn Hudo größere oder kleinere "Wehwehchen" hat: Liebevoll legt Heidi immer wieder Hand an - und überlässt den Oldtimer auch mal dem "Doktor": Insgesamt 3 Motortransplantationen muss Hudo über sich ergehen lassen, bevor er wieder auf europäischen Straßen läuft... Es gibt schöne Momente, in denen man sich mit Heidi freut, dass Hudo kostenlos repariert wird - oder sich das Laptop wieder einfindet, das sie auf einer Bank hat liegen lassen: Man genießt die Landschaften, die sie sehr gut beschreibt und kann verstehen, wie begeistert sie z.B. von China oder Neuseeland ist: Bei einer solchen Liebe zum Auto (und der Lust, sich damit fortzubewegen) versteht man die Reise als logische Konsequenz der Biografie dieser emanzipatorischen Frau und Rallyefahrerin, die mit den Werkzeugen eines Automechanikers schon früh in männliches Territorium "einbrach" - und das mit sehr großem Erfolg!

Die Rückblenden in frühere Lebensjahre (z.B. die 60er in den USA) geben darüber Aufschluss, dass das Fahren für Heidi Hetzer immer schon Teil ihres Lebens war, das auch in höherem Alter nicht wegzudenken ist ("solange ich Auto fahren kann, bin ich nicht alt" ;)

Doch etwas ändert sich in ihrem Bewusstsein, im Tempo: Sie lässt sich nicht mehr (durch's Leben) hetzen und - hetzt sich selbst nicht mehr. Sie plädiert dafür, im Hier und Jetzt zu leben und ist dankbar für die Weltreise, auf der sie in hohem Alter wichtige Lebenserfahrungen und -erkenntnisse erlangen durfte. Auch besitzt sie einen Sinn für Humor, den ich köstlich fand:

"Fahr nicht schneller, als deine Schutzengel fliegen können"

In 960 Tagen durch 46 Länder bereist Heidi mit dem unverwüstlichen Hudo die Welt, bevor sie - glücklich und sich freuend auf ihre Familie und ihre Heimatstadt Berlin, zu der sie eine sehr enge Beziehung hat, zurückkehrt.

Fazit:

Nach der Lektüre dieses tollen Buches, das viel mehr als ein Reisetagebuch ist, kann man sich vor Heidi Hetzer und deren Wagemut, Abenteuerfreude und Kompetenzen als "Schrauberin" bei ihrem Weggefährten Hudo, der sie niemals im Stich ließ trotz seiner 87 Jahre, die er bereits auf dem Buckel hatte, nur verneigen und - wie die Berliner bei ihrer Rückkehr, den Hut ziehen! Ein weiteres Chapeau auch für die tollen Fotos und die Weltkarte, die das Buch vervollständigen. Einen Dank auch an Marla, ihrer Tochter, für's Überreden, über diese fantastische Weltreise ein Buch zu schreiben und an Marc Bielefeld, der dies alles zu Papier brachte . Diese Reise ihres Lebens verdient m.E. 5* und eine absolute Leseempfehlung!

erschien im Ludwig-Verlag
Verlagsgruppe randomhouse
München, 2018
ISBN 978-3-453-28113-4

Veröffentlicht am 08.10.2018

Die Vertreibung der "Gespenster der Vergangenheit"

Ein Winter in Paris
0

Ein Brief Patrick Lestaing's katapultiert den Englischlehrer Victor, (49), zurück in die 80er Jahre - in seine Vergangenheit als Student am renommierten Lycée D. in Paris:


Als Sohn eher bildungsferner ...

Ein Brief Patrick Lestaing's katapultiert den Englischlehrer Victor, (49), zurück in die 80er Jahre - in seine Vergangenheit als Student am renommierten Lycée D. in Paris:


Als Sohn eher bildungsferner Eltern kämpft der aus der Provinz kommende 19jährige Victor sich mit viel Fleiß durch das erste, sehr harte Jahr am Lycée - von den zumeist elitären Kommilitonen ignoriert. Ein Außenseiter, von dem man annimmt, dass er ohnehin das Handtuch schmeißen wird, auch die Lehrer urteilen die Arbeiten der Studenten demütigend ab - und bringen so manchen dazu, aufzugeben. Doch Victor gehört zu den wenigen Auserwählten, die weiterkommen: Durch das harte Studium nimmt er jedoch wahr, dass er sich immer mehr den Eltern entfremdet und ihre Besorgnis kaum noch erträgt, eine bisher nicht gekannte Einsamkeit macht sich in ihm breit, die durch den Lerndruck noch verstärkt wird. An seinem Geburtstag rebelliert er erstmals gegen das System: Er kommt zu spät und beschließt spontan, Mathieu, mit dem er ab und an eine Zigarette raucht und der - wie er ein Außenseiter aus der Klasse unter ihm ist, der versucht, im luftleeren Raum des Lycées irgendwie durchzuhalten - zum Essen einzuladen.

Doch dazu sollte es nicht mehr kommen, da Mathieu - nach einem Schrei der Wut - über das Geländer in den Tod springt, was Victor, der seine Stimme erkennt und als erster nach draußen eilt, erst später realisieren sollte....

Blondel gelingt es ungeheuer sensibel, die Gefühlswelt, in der sich Victor nach dem Suizid von Mathieu befindet und die völlig durcheinandergeraten scheint, zu beschreiben: Alles war in Frage gestellt und Victor beginnt durch das Trauma dieses Verlusts - denn er hätte sich ohne Frage mit Mathieu anfreunden wollen - die Welt anders, neu zu begreifen: Sein eigenes Leben in den folgenden Wochen, den wir ihn als Leser begleiten, als das zu betrachten, was es ist: Kostbar.

Victor entgeht nicht, dass sowohl Studenten als auch Lehrerschaft über das Ereignis des Selbstmordes das Renommée stellen und die eigenen Interessen, dass über den Vorfall hinweggegangen wird. Diese Stimmung bringt Blondel realistisch zum Ausdruck und man fragt sich, warum alle so schnell wie möglich wieder "zur Normalität" zurückfinden wollen, besonders, weil jedem klar ist, dass Mathieu dem rauen Klima, dem Lernstress und den täglichen Demütigungen seitens der Lehrer nicht mehr gewachsen war.

Mit den Eltern Mathieu's tauchen sowohl der Vater als auch die Mutter auf, deren Bewältigung des ungeheuren Verlusts sehr unterschiedlich sind: Der Vater sucht Kontakt zu Victor und beide helfen einander, in dem sie über Mathieu sprechen, Antworten suchen. Dieser Romanteil gefiel mir besonders gut, da er zutiefst menschlich ist - und sich Menschen in Ausnahmesituationen sehr viel geben können, um ihren Weg besser weitergehen zu können. Für Victor war es nicht von Nachteil, endlich "sichtbar" zu werden, den umschwärmten, aber dennoch einsamen Paul Rialto zum Freund zu haben und dadurch überall offene Türen der Akzeptanz zu finden, da er "der Freund des Opfers" für die Mitstudenten war.

Die tiefen Empfindungen und die außergewöhnliche Ehrlichkeit Victors, seine eigene Rolle in diesem Drama betreffend als auch in seiner Vorstellung, "wie alles hätte werden können" und Armelle sowie Mathieu betreffen, berühren zutiefst. Auch die Kochaktionen mit Patrick Lestaing, der für Victor zeitweise ein Vater wird, wie er nie zuvor einen hatte, erstaunen den Leser - und sind gleichzeitig tröstend.

Auf der Verlagsseite habe ich ein Interview des Autors gelesen, das ich an dieser Stelle nur empfehlen kann.

Einzig die Reaktion der Mutter Mathieu's, die die Treffen von Victor und ihrem Ex-Mann "krank" fand, konnte ich überhaupt nicht nachvollziehen. Sie waren wichtig, für jeden der beiden. Die Tatsache, dass auch ein Suizid nichts am Lycée D. änderte, erzürnt den Leser nicht zu unrecht; auch dies leider sehr realistisch.
Die Abschlussprüfung Victor's verläuft für die Prüfer anders, als gedacht: Er ist umso entschlossener, welchen Weg er gehen wird, worin seine größte Leidenschaft besteht - was eine Frage Patrick L. an ihn gewesen war:

"Er wollte Wörter wie ein Netz über den Abgrund spinnen" (Zitat S. 184) - und Schriftsteller werden.

30 Jahre später - Victor ist inzwischen Ende 40, schreibt Patrick Lestaing ihm einen Brief, um sich mit ihm zu treffen. Er möchte dadurch "das entschwindende Gespinst der Erinnerungen zurückbringen" - und Victor stellt sich dieser Herausforderung!

Fazit:

Ich kann mich nur der Aussage von "Le Figaro" anschließen, der dieses literarische Kleinod - ein 'trouvaille' - so beschreibt:
"Es gibt niemanden, der die Verwirrung der Gefühle auch nur annähernd so bescheiben kann wie Jean-Philippe Blondel".
Von mir erhält dieses kleine, aber sehr lesenswerte und sprachlich feinfühlige Meisterwerk eine absolute Empfehlung, 5* und 100° auf der "Belletristik-Couch".

Veröffentlicht am 30.08.2018

Ein gelungener Genremix (Histo/Sozialstudie und Kriminalroman) aus dem England der 20er Jahre

Die Schwestern von Mitford Manor – Unter Verdacht
0

"Die Schwestern von Mitford" von Jessica Fellowes, hier mit dem Untertitel von Bd. 1 "Unter Verdacht" ist der Auftakt zu einer Romanserie von 6 Bänden, in dem sich jeder Roman einer der Mitford-Schwestern ...

"Die Schwestern von Mitford" von Jessica Fellowes, hier mit dem Untertitel von Bd. 1 "Unter Verdacht" ist der Auftakt zu einer Romanserie von 6 Bänden, in dem sich jeder Roman einer der Mitford-Schwestern widmet. Im vorliegenden Début ist es Nancy Mitford, die älteste der Schwestern.


Schon im Prolog begibt man sich in eine andere Zeit, die der 20er Jahre in London, in der ein Mord in einer (Dampf)eisenbahnlinie geschieht: Die Krankenschwester Florence Nightingale Shore wird brutal während der Zugfahrt ermordet; real ist dieser authentische Mordfall bis heute nicht aufgeklärt worden; im Roman jedoch sind die Hauptprotagonisten Louisa Cannon, Nancy Mitford und Guy Sullivan, seines Zeichens Bahnpolizist, dem Mörder auf der Spur....

Zum Inhalt:

Louisa Cannon, die in ärmlichen Verhältnissen aufwächst, erfährt von einer Freundin, dass die glamouröse Familie Mitford ein neues Kindermädchen sucht - und ergreift mutig ihre Chance, sich ein Leben in stabileren und besseren Verhältnissen aufbauen zu können. Sie bekommt die Stelle und freundet sich mit Nancy, der 17jährigen Tochter, an und wird deren Vertraute. Als die jungen Frauen von dem brutalen Mord erfahren, der einer Freundin der Familie zum Verhängnis wurde, sind sie nicht davon abzubringen, den Mörder zu finden. Hilfe finden sie hierbei von Guy Sullivan, einem Bahnpolizisten, der durch Zufall Louisa dabei hilft, die ersehnte Arbeitsstelle auf Mitford Manor zu bekommen - und sich dabei in sie verliebt...
Wer war der Mann im braunen Mantel, der zu Florence Shore in das Abteil stieg? Werden sie den Mörder finden, auch wenn es Guy von seinem Vorgesetzten Jarvis untersagt ist, im Fall Shore weiterzuermitteln, obgleich er abgeschlossen ist?

Meine Meinung:

Bereits von der ersten Seite an fand ich Zugang zu dieser recht spannenden und historischen Geschichte, deren Protagonisten real existieren und die den Leser ins London der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts entführen: Die gesellschaftlichen Gegensätze zwischen reich und arm werden sehr durch die Figur der Louisa deutlich: Ihr gelingt es durch Intelligenz und auch Fleiß, in der Upper Class Fuß zu fassen und Nanny von 6 Mädchen zu werden, besonders Nancy, die sehr schlagfertig ist und gute Geschichten und Abenteuer liebt sowie auf der Schwelle zum Erwachsenwerden steht, sehr zugetan ist. Gemeinsam mit Guy gelingt es den beiden jungen Frauen, dem Mörder eine Falle zu stellen und im showdown, das bei der Party für Nancy stattfindet, diesen zu enttarnen....

Der Autorin, die eine Nichte von Julian Fellowes ist und die Begleitbücher zu "Downton Abbey" schrieb, gelingt es von Beginn an, den Leser in die Welt der 20er Jahre zu katapultieren: Der Roman ist in 3 Teile gegliedert und hat 79 recht kurze Kapitel, die den Spannungsbogen steigern, da die Erzählperspektiven wechseln. Der Schreibstil ist flüssig und sehr gut zu lesen sowie absolut unterhaltsam. Auch die Spannung kommt m.E. nicht zu kurz; über Louisa, die eine große Sympathieträgerin ist, kann man zuweilen schmunzeln, sich mit ihr vor ihrem üblen Onkel Stephen fürchten - und respektvoll ihre ermittlungstechnischen Fähigkeiten bestaunen! Auch Guy Sullivan ist ein sehr netter, wenn auch kurzsichtiger junger Polizist, der über ungeheure Ausdauer, Kombinationsgabe und Willensstärke verfügt - was ihm letztendlich nicht zum Nachteil gereicht. Das Zeitkolorit spielt ebenfalls sehr authentisch mit Rückblicken in den gerade erst beendeten 1. Weltkrieg durch die Briefe von Florence Shore eine wichtige Rolle, da das Leben von den Auswirkungen dieses schrecklichen Krieges - überall in Europa - geprägt war. Was für die Zeit zwischen den Weltkriegen mit den technischen Entwicklungen, dem Aufatmen und der Lebenslust der Menschen, die sich in neuer Musik und Tänzen z.B. widerspiegelt, sehr gut von der Autorin dargestellt und bildhaft gemacht wird. Andererseits sind die gesellschaftlichen Prägungen sehr eindrucksvoll geschildert und die starken Grenzen zwischen "oben und unten" sowie auch die Stellung der Frau, die sich in diesen Zeiten wandelte...

Fazit:

Eine sehr unterhaltsame und auch spannende Reise in die Vergangenheit des Englands der 20er Jahre in eine glamouröse Familie, in deren Auftakt der Serie die älteste Tochter Nancy Mitford eine der Hauptrollen einnimmt. Eine wirklich gelungene Mixtur aus Gesellschaftsstudie, historischem Roman und Krimi, der mir sehr gut gefallen hat, mich hier und da (ich sage mal nur "Mrs. Stobie" )auch an Downton Abbey erinnerte und den ich sehr gerne weiterempfehlen möchte! 4,5 *

Veröffentlicht am 27.08.2018

Das Gedicht ....

Weit weg von Verona
0

"Weit weg von Verona" von Jane Gardam erschien 2018 (HC, gebunden im Hanser-Verlag, Berlin.

Die 13jährige Protagonistin Jessica Vye ist bereits nach wenigen Seiten eine große Sympathieträgerin:
Ein Schlüsselerlebnis ...

"Weit weg von Verona" von Jane Gardam erschien 2018 (HC, gebunden im Hanser-Verlag, Berlin.

Die 13jährige Protagonistin Jessica Vye ist bereits nach wenigen Seiten eine große Sympathieträgerin:
Ein Schlüsselerlebnis mit einem Autor, der in der Schule aus seinen Werken liest und dem sie all' ihre vorhandenen "Kritzeleien" im zarten Kindesalter zuspielt (und dies mit einer ungewöhnlichen Zielstrebigkeit), verändert ihr Leben: Jener Autor, Mr. Hangar (der auch später noch eine Rolle in diesem herrlichen Roman von Jane Gardam (übersetzt von Isabel Bogdan) spielen wird, versichert ihr, dass in ihr bereits eine Schriftstellerin schlummert! (Sie muss, was angeboren scheint, immerzu schreiben...)

Sich selbst beschreibt Jessica als "nicht ganz normal, wenig beliebt, und als jemand, der nie die Klappe halten kann, sondern IMMER und ÜBERALL die Wahrheit sagt" - die feine Ironie in Gardam's Erstlingswerk, mit dem wir es hier zu tun haben und das in England 1971 erschienen ist, sowie der typisch englische Humor sind bereits zu finden ("Bücher sollen Spaß machen", so ihr Credo; und ich bin überzeugt, dass dieser Roman all jenen LeserInnen gefallen wird, die sich bereits über good old Filth sehr amüsieren konnten (zu denen ich mich ebenfalls zähle).

"Weit weg von Verona" spielt in einem englischen Badeort an der Nordostküste Englands im Jahr 1940; das Leben der 13jährigen Jessica ist also - wie jenes all ihrer Klassenkameraden und deren Familien - kriegsüberschattet: So bleibt es nicht aus, dass ihr erstes Rendezvous mit dem kritischen Christian, der die Bourgeoisie, der er entstammt, hasst und dem Kommunismus sehr zugetan ist, in den sie sich (ebenfalls erstmals im Leben) verliebte, durch einen Fliegerangriff drastisch endet, wobei beide Glück haben, mit dem Leben davongekommen zu sein.

Ausser viel Situationskomik (Jessica sitzt der Schalk im Nacken; sie ist gerne lustig, lacht gerne und ist mit großer Fantasie ausgestattet; sie hat die "Gabe", meist zu wissen, was jemand denkt, was sich nicht eben immer einfach für sie selbst erweist, jedoch umso köstlicher zu lesen ist ;), beschreibt der Roman vieles aus dem Schulleben, Lehrerinnen mit viel Verstand (und welche ohne) spielen köstliche Nebenrollen), bleibt dem Leser jedoch auch nicht verborgen, welche Not durch den 2. Weltkrieg auch die englische Bevölkerung litt: Es geht um Nahrungsmittelknappheit und -mangel, Luftangriffe und Deserteure, die in den Roman miteinfließen und die Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen (mit)bestimmt. In der Schule gibt es einen Gedichtwettbewerb und Jessica braucht lange, den ihren abzugeben - annehmend, dass der Briefkasten bei einem weiteren Angriff beschädigt wurde und die Briefe niemals rechtzeitig ankamen, wird sie einige Zeit später bei einer Schulversammlung eines Besseren belehrt.....

Ein weiterer Lesegenuss ist die Darstellung des Elternhauses und ihrer Eltern, ihre Vorliebe für die Bibliothek, die sicher alle Herzen höherschlagen lassen, die wie ich Bibliotheken lieben sowie die Dialoge zwischen Jessica und ihrer Freundin Florence über Bücher, die sie gerade lesen.....

Das Romanende ist sehr tiefgründig und auch positiv, da die Protagonistin durch den Erhalt eines Telegramms die Bestätigung erhält, dass "gute Dinge geschehen" (nachdem die Bibliothekarin einen Roman von Thomas Hardy ausmusterte, nachdem sie feststellte, dass dieser Lesestoff Jessica trübsinnig machen würde :)

Fazit:

Ein großartiger Roman, dieses Erstlingswerk, mit einer sehr willensstarken und äußerst sympathischen 13jährigen Protagonistin, die sicher jedes Leserherz nur erobern kann: Der witzige, humorvolle und SEHR erfrischende Schreibstil der Autorin ist einzigartig; besonders ihr knochentrockener englischer Humor - und die Prise Ironie ;)
Der Abschied von der Kindheit in Kriegszeiten, in der auch alle Verunsicherungen einer angehenden Schriftstellerin nicht ausgeklammert werden. Ich kann "Weit weg von Verona" nur eine absolute Leseempfehlung und 5* geben!