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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 06.07.2017

Prickelnde Erotik, dünne Story

Filthy Beautiful Lust - Von ganzem Herzen
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Wenn man ein Buch wie „Filthy Beautiful Lust“ liest, muss man sich bewusst sein, was man da in den Händen hält. Es geht hier nicht um eine tiefgreifende Geschichte, sondern um prickelnde Erotik und die ...

Wenn man ein Buch wie „Filthy Beautiful Lust“ liest, muss man sich bewusst sein, was man da in den Händen hält. Es geht hier nicht um eine tiefgreifende Geschichte, sondern um prickelnde Erotik und die Erfüllung von Fantasien. Mit genau diesen Erwartungen bin ich an dieses Buch heran gegangen, aber gänzlich zufrieden bin ich dennoch nicht.

Die Geschichte wird abwechselnd aus der Sicht von Pace und Kylie erzählt, jeweils aus der Ich-Perspektive. Die Autorin hält sich dabei streng an die Spielregeln und lässt uns die Welt deutlich aus verschiedenen Blickwinkeln wahrnehmen. Wie Kylie sich selbst sieht, stimmt nicht mit dem überein, wie Pace sie sieht. Das ist gut gemacht und entspricht wohl der Wirklichkeit für viele von uns. Sie ist eben eine relativ frische Mama, deren Körper entsprechende Veränderungen durchlebt hat. Wenn einen der Vater des Kindes zu Beginn der Schwangerschaft verlässt, können die zusätzlichen Pfunde und die Änderungen in der Figur schon das Selbstbewusstsein ankratzen. Auch, wenn ich selbst keine Kinder habe, kann ich diesen Aspekt von Kylies Gefühlswelt nachvollziehen.

Generell empfinde ich Kylie als authentisch und warm. Sie liebt ihren einjährigen Sohn, würde alles für ihn opfern und zeigt ganz klar, dass er die Priorität ist – in allem. Leider führt das auch dazu, dass sie sich damit abfinden will, für immer Single zu bleiben, weil sie sich nicht traut, einen neuen Mann an sich heranzulassen, oder schlimmer noch, ihren Sohn damit zu verwirren, eventuell kurzzeitig einen Vater zu haben und dann wieder nicht mehr oder einen neuen. Man hat es wirklich nicht leicht als Single-Mom – oder als Single-Dad.

Pace hingegen – ja, er soll natürlich dem Klischee des reichen, party-verwöhnten Playboys entsprechend, aber Halleluja. Auf der einen Seite betrachtet er Frauen wirklich ausschließlich als Objekte, auf der anderen Seite verfällt er Kylie beim ersten Anblick – bzw. beim ersten Mal, das er sie in schönen Kleidern sieht. Sie ist anders, sie ist echt, also will er sie. Dieser Gedankengang geht ihm in der ersten Hälfte des Buches unzählige Male in verschiedenen Formen durch den Kopf, so oft in der Tat, dass ich einfach nur mit den Augen rollen konnte. Da wurde uns Leserinnen aber mit dem Holzhammer gezeigt, dass er sie will und sich sogar ändern würde, um sie zu bekommen.

Natürlich ist mir bewusst, dass bei Geschichten wie dieser die Handlung nur den Hintergrund bilden soll. Trotzdem habe ich den Anspruch, dass die Handlung zumindest ein kleines Bisschen vorhanden und logisch ist. Das einzige, was mich auf den ersten Seiten davon abgehalten hat, das Buch wegzulegen, war, dass ich mir gesagt habe: Warte auf die Sexszenen, nur um die geht es hier doch.

Ich bin froh, dass ich durchgehalten habe, denn eines muss man Kendall Ryan lassen: Sie kann hocherotischen Sex schreiben und Nina Bellem gelingt es außerordentlich, das ins Deutsche zu übertragen. In dieser Geschichte gelingt es, dass der Sex gleichzeitig realitätsnah ist und trotzdem wie einer guten Fantasie entsprungen wird. Das ist selten.

Leider ist die Geschichte abgesehen davon zu glatt. Alles läuft zu perfekt, selbst das winzige Hindernis ist schneller aus dem Weg geräumt, als es erwähnt wird, und so ziemlich alle Szenen aus der Sicht von Pace sind zu tief in der Klischeekiste hervor gegraben worden, als dass ich sie wirklich ernst nehmen könnte. Das ist schade, mit ein bisschen mehr Mühe hätte auch der Hintergrund dieser erotischen Geschichte gut sein können.

FAZIT:

„Filthy Beautiful Lust – Von ganzem Herzen“ von Kendall Ryan bietet prickelnde Erotik auf höchstem Niveau, aber nicht mehr. Die männliche Hauptfigur bleibt ein flaches Klischee, während die Frau lebensnah und warm erscheint. Die Hintergrundhandlung ist sogar für eine Geschichte wie diese zu dünn, als dass man sie hätte genießen können. Wer jedoch nach hervorragend geschriebenen Sexszenen sucht, ist hier definitiv richtig.

Veröffentlicht am 04.07.2017

Solide Story, mäßige Übersetzung

Verflucht – Nacht der Toten (Mystery-Thriller)
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Die beiden Hauptfiguren Quinn und Kate sind von ihrem ersten Auftreten an sympathisch. Quinn könnte eigentlich ein gutaussehender Kerl sein, doch die Alpträume, die ihn im Oktober heimsuchen, zehren an ...

Die beiden Hauptfiguren Quinn und Kate sind von ihrem ersten Auftreten an sympathisch. Quinn könnte eigentlich ein gutaussehender Kerl sein, doch die Alpträume, die ihn im Oktober heimsuchen, zehren an seinen Nerven und das wirkt sich auch auf sein Äußeres aus - welch' willkommene Abwechslung zu den stets schönen Männern der New-Adult-Welt! Quinn steht dauerhaft unter Strom und rechnet jederzeit damit, endgültig dem Wahnsinn anheim zu fallen. Dennoch erledigt er die Aufgaben innerhalb der Redaktion gewissenhaft, wenn auch nicht mit allzu viel Begeisterung. Das ändert sich, als er Kate trifft: Kate erscheint wunderschön, beinahe zerbrechlich in ihrem Auftreten, doch es dauert nicht lange, bis sie in der Redaktionskonferenz trotz ihrer gerade erst erfolgten Anstellung dem Besitzer der Zeitung lautstark Kontra gibt. Sie hat einen eigenen Willen und ist entschlossen, ihr Ziel zu erreichen.

Interessanterweise weiß Kate gar nicht so genau, was ihr Ziel eigentlich ist. Sie will nicht länger davonlaufen, deswegen ist sie nach Loudon gekommen, doch einen genauen Plan hat sie nicht. Es ist Schicksal, dass sie gemeinsam mit Quinn die Ermittlungen zu den neuen Serienmorden aufnimmt und so kommt die Geschichte ins Rollen. Wir erfahren stetig mehr über beide, der gutherzige, aber schräge Kollege Janus kommt mit ins Team und je weiter man liest, umso klarer wird: Hier ist etwas Übernatürliches im Gange. Oder ist Quinn einfach nur wahnsinnig? Die journalistische Arbeit der drei wird nah an der Realität, aber literarisch ansprechend und wohl dosiert übertrieben dargestellt, so dass man als Leser tatsächlich das Gefühl bekommt, man könnte mit rätseln, wer der Mörder ist. Das macht Spaß und ich glaube fast, wenn man wirklich aufmerksam ist, ist der Plot-Twist am Ende nicht mehr überraschend. Ich war jedoch zu abgelenkt von anderen Geschehnissen, als dass ich den Mörder erahnt hätte. Ich glaube, jeder ist zu abgelenkt von jenen Geschehnissen.

In die Kapitel eingestreut sind Briefe des Serienmörders, die er vor zwölf Jahren an einen Journalisten schrieb. Sie sind ein deutlicher Hinweis auf seinen Gemütszustand und können helfen, die Identität zu entschlüsseln. Ebenfalls finden sich viele kurze Passagen über die Legende von Sleepy Hollow (welche am Ende des Buches in deutscher Übersetzung vollständig abgedruckt ist) sowie zunächst mysteriös wirkende und verwirrende Schnipsel über einen eher unbekannten, verstorbenen Autor. Das hilft, die Geschichte mit historischem Hintergrund und übernatürlichen Andeutungen zu unterfüttern, welche die aktuellen Geschehnisse nur noch spannender machen.

Leider weist das Buch jedoch handwerkliche Mängel auf, über die ich nicht hinweg sehen kann. Einerseits ist der Stil von Rob Blackwell noch nicht geschliffen genug. Die Anfänge nimmt dieser Roman laut Blackwells eigenen Notizen im NaNoWriMo 2001, also schon eine ganze Weile her. Trotz der diversen Überarbeitungen seitdem stören mich einige Kleinigkeiten, insbesondere, dass er quasi durchgängig "head-hopping" betreibt: Das Buch wird größtenteils aus der Sicht von Quinn oder Kate erzählt, doch innerhalb diverser Szenen bekommen wir sowohl Einblicke in Quinns als auch in Kates Gedanken. Wenn während eines Dialogs mehrfach die Perspektive wechselt, ist das für den Leser unangenehm und verwirrend, und außerdem, zumindest in meinen Augen, schlechter Stil. Entweder wir betrachten die Szene aus Quinns Augen, dann sind uns Kates echte Gefühle verborgen, oder umgekehrt. Deswegen haben wir beim Schreiben Perspektiven: Damit wir die Welt aus der Sicht der Charaktere wahrnehmen. Das hat mich leider öfter gestört.

Noch negativer fällt jedoch die Übersetzung ins Gewicht. An wirklich unzähligen Stellen bin ich über Wörter gestolpert, die wortwörtlich ins Deutsche übersetzt wurden, obwohl sie dadurch sinnentstellt werden. Regelmäßig gehen in Dialogen Sie/sie/ihr/ich durcheinander. Teilweise machen ganze Gespräche keinen Sinn, weil irgendetwas so falsch übersetzt wurde, dass ich nicht einmal mehr aufs Original schließen konnte. Es ist wirklich bedauernswert, dass der Zustand der Übersetzung so schlecht ist, dass man auch als Hobby-Leser nicht anders kann, als es zu bemerken. Besonders überrascht mich das, da eine der beiden Übersetzerinnen (Andrea Blendl) auch "Der Nekromant - Totennacht" übersetzt hat, welches zwar ebenfalls nicht fehlerfrei war, aber bei Weitem nicht so auffällig wie dieses Buch. Ich habe das Buch mehrfach mit frustrierten Flüchen aus der Hand gelegt.



Fazit:

Der Horror-Mystery-Thriller "Verflucht - Nacht der Toten" von Rob Blackwell ist ein angenehm gruseliger, durchaus spannender erster Band der Sanheim Chronicles und verspricht, dass wir noch eine Menge Spaß mit Quinn und Kate haben werden. Die Suche nach dem Mörder ist ausführlich genug geschildert, dass der geneigte Leser mit rätseln kann, während das Übernatürliche so nebenher einschleicht, dass man bis zum Schluss am Verstand der Hauptcharaktere zweifelt. Das ist durchaus gut gelungen. Leider holpert der Schreibstil hier und da und die deutsche Übersetzung weist deutliche Mängel auf, die einfach nicht übersehen werden können.

Veröffentlicht am 26.06.2017

Turbulent und witzig, aber manchmal übertrieben

Vermählung
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Ich war schon erwachsen, als ich das erste Mal mit Jane Austens „Pride and Prejudice“ in Berührung kam, dennoch bin ich dem Buch von der ersten Seite an verfallen. Es war romantisch, es war witzig und ...

Ich war schon erwachsen, als ich das erste Mal mit Jane Austens „Pride and Prejudice“ in Berührung kam, dennoch bin ich dem Buch von der ersten Seite an verfallen. Es war romantisch, es war witzig und es war ein akkurates Gemälde der Zeit. Die Geschichte der jungen Frau, die gegen alle Widerstände den sozialen Aufstieg schafft und den reichen Mann heiratet, ist so alt, wie die Zeit selbst, doch selten war sie so originell und lebendig erzählt wie hier. Gleichzeitig bin ich schon seit meiner Jugend aktive Fanfiction-Schreiberin und -Leserin. Ich was, was transformative Werke sind und erkenne ihren eigenen, originellen Wert an. Auch, wenn ich mir sicher bin, dass es niemals jemandem gelingen wird, Austens Genialität mit einer Transformation ihres Werkes zu toppen, bin ich doch mehr als bereit, mich auf Fanfictions einzulassen. Entsprechend begeistert war ich, als mir „Vermählung“ von Curtis Sittenfeld in die Hände fiel.

Die Geschichte um Liz Bennet und Fitzwilliam Darcy folgt beinahe punktgenau den Ereignissen aus „Pride and Prejudice“, allerdings in einer modernen Zeit, denn wir schreiben das Jahr 2013. Dass Töchter Anfang zwanzig als Probleme gelten, wenn sie unverheiratet sind, ist längst nicht mehr üblich, und so hat die Autorin das Alter angehoben. Jane und Liz sind beide in der späteren Hälfte ihrer Dreißiger. Viel Zeit wird zu Beginn darauf verwendet, die Hintergründe aller Figuren zu beleuchten. Das könnte ermüdend sein, doch es war spannend geschrieben und die Autorin hat sich Mühe gegeben, den Figuren des Originals treu zu bleiben. Während Jane und Liz bereits auf eigenen Beinen stehen und Liz sogar genug Geld verdient, um vollständig unabhängig von den Eltern zu sein, leben Lydia, Kitty und Mary immer noch zu Hause, obwohl auch sie bereits alle die Zwanzig überschritten haben.

Einer der berühmtesten Sätze des Originals ist Darcys Aussage, Elisabeth Bennet sei „not handsome enough to tempt me“ – und Sittenfeld hat es sich nicht nehmen lassen, auch den modernen Darcy von Anfang an arrogant zu zeichnen: Es wundere ihn nicht, dass Liz noch Single sei. Liz ist entsprechend beleidigt und sie zeigt es ihm auch. Genauso, wie sie Caroline Bingley ihr Missfallen zeigt. Sie ist offener und direkter als ihr Vorbild, da es in unserer Zeit üblicher ist, offen und direkt zu sein. Manchmal wird auch sie dabei übermäßig beleidigend, aber der eine Punkt, der bei Austen so wichtig war, kommt hier dafür umso mehr zum Vorschein: Liz Bennet ist voller Vorurteile. Sie urteilt schnell und mit Hingabe, insbesondere über jene, die weniger weltgewandt sind als sie (ihre Familie) und jene, die vom Kleinstadtleben nichts wissen und deswegen Snobs sind (Darcy und Anhang). Jane auf der anderen Seite ist ihr liebenswürdiges, etwas naives Selbst, perfekt ausgedrückt in ihrem Beruf als Yoga-Lehrerin, mit dem sie nicht genug verdient, um ihren Lebensstil in New York zu finanzieren. Sie ist ein ausgeglichener, aber dennoch leicht zu verunsichernder Mensch.

Am lustigstens in diesem Buch war die Verwandlung von Bingley: Denn Bingley hat tatsächlich in der titelgebenden Reality-TV-Sendung „Vermählung“ mitgemacht, was im Buch immer wieder erwähnt wird und eine große Rolle spielt. Es ist beinahe niedlich, wie alle Beteiligten immer so tun, als würden sie das nicht sehen, aber dennoch bestens informiert sind. Wer gibt schon zu, dass er Reality-TV, insbesondere den „Bachelor“, schaut? Außer natürlich Lydia und Kitty, die keinerlei Probleme damit haben. Sie sind ihre vulgären, nur mäßig intelligenten Selbsts, aber: Sie sind herausragend schön und durchtrainiert und folgen einer neumodischen Diät. Auch das erscheint mir mehr als passend, denn natürlich würden Lydia und Kitty dem neuesten Schrei hinterher rennen und dann auf alle herabsehen, die zu zurückgeblieben sind, um den Trend zu verstehen.

Die Geschichte folgt auf turbulentem Pfade dem Original, doch die Autorin baut auch diverse Geschehnisse und Handlungsfäden ein, die neu sind. Während im Original außer der Entwicklung der zwischenmenschlichen Beziehungen rein gar nichts passiert (was für das Leben in der Zeit auch aussagekräftig ist), passieren hier tatsächlich Dinge. Es gibt Konflikte und Probleme, die über das Zwischenmenschliche hinausgehen. Dennoch frage ich mich, ob es wirklich 600 Seiten gebraucht hätte, um diese Geschichte zu erzählen. Streckenweise wird aus den neu eingebauten Ereignissen mehr gemacht, als wirklich nötig gewesen wäre, und so empfand ich einige Geschehnisse als übertrieben und unnötig. Trotzdem habe ich mich sehr gut amüsiert und immer wieder laut aufgelacht, wenn Darcy und Lizzy mal wieder einen besonders pointierten Schlagabtausch geführt haben.

FAZIT:

Mit „Vermählung“ ist Curtis Sittenfeld eine Adaption des berühmten „Pride and Prejudice“ gelungen, die sich nicht verstecken braucht. Deutlich modern und mit eigenen Einfällen, bleibt das Buch doch stets nahe genug an der Vorlage, um allen Fans Freude zu bereiten. Gelegentlich sind die gesellschaftskritischen Untertöne oder Charakterisierungen nicht so subtil wie im Original, so dass Handlungen übertrieben wirken, doch es hat meine Leselust nie wirklich gebrochen.

Veröffentlicht am 24.06.2017

Eine mitreißende Charakterstudie

Die Tochter der Patientin
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Ein Buch wie "Die Tochter der Patientin" lässt sich nicht so leicht rezensieren, zu viel passiert hier, zu viel müsste man besprechen. Felix Bonke vermittelt spannende Einsichten in den Alltag eines Krankenhaus-Arztes. ...

Ein Buch wie "Die Tochter der Patientin" lässt sich nicht so leicht rezensieren, zu viel passiert hier, zu viel müsste man besprechen. Felix Bonke vermittelt spannende Einsichten in den Alltag eines Krankenhaus-Arztes. Er arbeitet ein spannendes Stück chilenischer Geschichte auf. Er erzählt eine feurige Liebesgeschichte. Alles drei würde alleine schon genug Stoff für einen Roman hergeben, doch zusammen ergibt sich ein prächtiges Gemälde über die Irrungen und Wirrungen der Menschen, das seinesgleichen sucht.

Ich werde hier also nur einen Aspekt behandeln, nämlich jenen, der mich in Romanen stets am meisten fasziniert: die Charaktere und ihre Entwicklung. So spannend der Klinikalltag auch beschrieben ist und so lehrreich die Ausführungen über Chile und Pinochet auch sind, es sind die Charaktere, die dieses Buch zu einem schimmernden Juwel machen.

Der Ich-Erzähler Niklas, von Beruf Arzt ohne Leidenschaft, ist ein wahnsinnig durchschnittlicher Mann. Er wäre sterbenslangweilig, wenn er nicht eine atemberaubende Fähigkeit zur Selbstreflexion hätte. Vielleicht liegt es daran, dass er als Arzt oft einen kühlen Kopf bewahren muss, doch die Art, wie er sich selbst und sein Handeln von Außen betrachten kann, ist erstaunlich. Trotzdem - oder vielleicht sogar genau deswegen? - ist er seinen Emotionen hilflos ausgeliefert und taumelt beinahe willenlos durchs Leben. Er fühlt sich zu den schönen, aber traurigen Frauen hingezogen, was ich ihm nicht verübeln kann. Traurige Frauen waren schon in den Glanzzeiten Hollywoods vor bald 100 Jahren die faszinierendsten Geschöpfe. Er erliegt ihnen, weil er sie nicht durchschauen kann.

Genau so eine Frau ist Paulina. Sie ist ein zutiefst unglücklicher Mensch, doch sie weigert sich, unglücklich zu sein. Sie hat in ihrer Kindheit herbe Verletzungen erfahren, die sie nie verarbeitet hat, so dass sie als junge Erwachsene vor allem eines will: rebellieren. Sie stilisiert sich selbst als Diva, als eine immer gut gelaunte, aber gleichzeitig launenhafte Frau, die unnahbar und nicht zu beeindrucken ist. Wenn sie dann doch einmal Tränen zeigt, hat sie ihre Umgebung sofort um den Finger gewickelt, weswegen sie gerne zu dieser Manipulation greift. Sie manipuliert alles und jeden und insbesondere Niklas.

Paulina erscheint aus der Sicht von Niklas voller Gegensätze und irrational in ihrem Verhalten, doch wenn man darunter schaut und sich in ihre Situation versetzt, werden ihre Handlungen plötzlich klar und folgen einem offensichtlichen Muster. Es ist faszinierend zu sehen, wie Niklas gleichzeitig lernt, Paulina immer besser zu verstehen, und sie gleichzeitig immer wieder verstehen kann und will. Er erkennt ihre Manipulationen, doch auch er kann sich ihr nicht vollends entziehen. Denn er weiß, hinter all ihrer sorgfältig aufgebauten Fassade steckt eine verletzliche, aber trotzdem starke, interessante, kluge Frau, eine Frau, in die er sich verliebt und sie es sich zu lieben lohnt. Doch die Angst, dass Paulina immer öfter manipulativ und immer seltener ehrlich sein wird, hält ihn zurück.

Umgekehrt ist auch Niklas für Paulina Segen und Fluch. Er verkörpert alles, wonach sie sich sehnt: Ehrlichkeit, Bodenständigkeit, Geborgenheit. Doch gerade, weil er ehrlich ist, lässt er nicht zu, dass sie ihn manipuliert - und damit ist er unbequem. Kann sie wirklich die Kraft und das Vertrauen aufbringen, sich auf einen derart unbequemen Menschen einzulassen? Sie fürchtet Ablehnung so sehr, dass es ihr schwer fällt, seine wiederholten Abfuhren zu verarbeiten und sich nicht verscheuchen zu lassen.

Neben diesen beiden gibt es noch Nacho, den Mitbewohner von Niklas, der selbst mit seiner Vergangenheit zu hadern hat, aber eine gänzlich andere Strategie für die Bewältigung sucht. Paulinas Mutter Melanie, die mit Krebs als Patientin von Niklas die Geschichte überhaupt ins Rollen bringt und selbst so eine schillernde Person ist, dass neben ihr alle anderen zu verblassen drohen. Selbst die kleinste Nebenfigur erscheint so komplex und authentisch, dass man zu keiner Sekunde daran zweifelt, dass dies alle echte Personen sein könnten.



Fazit:

In seinem Debüt-Roman "Die Tochter der Patientin" beweist Felix Bonke, dass er ein Meister des Erzählens ist. Nicht nur sein Schreibstil ist gleichzeitig amüsant und gefühlvoll, auch die Figuren, die er aufbaut und entwickelt, sind komplex und authentisch. Seine intime Charakterstudie baut er vor dem Hintergrund eines Arztromans, versehen mit Geschichtsstunde und Romantik, so geschickt auf, dass man gar nicht so recht mitbekommt, wie die Personen plötzlich zum Leben erwachen. Für mich ist dieser Roman das Highlight der ersten Hälfte 2017.

Veröffentlicht am 20.06.2017

Die Kreativität kommt nicht voll zur Entfaltung

Fynn Phönix (Band 1)
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Mit "Fynn Phönix" präsentiert Tim Gebert der Welt ein neues Fantasy-Epos, das sich in Sachen Kreativität nicht hinter anderen, berühmten Vorgängern wie "Harry Potter" oder "The Magician's Guild" verstecken ...

Mit "Fynn Phönix" präsentiert Tim Gebert der Welt ein neues Fantasy-Epos, das sich in Sachen Kreativität nicht hinter anderen, berühmten Vorgängern wie "Harry Potter" oder "The Magician's Guild" verstecken muss. Auch hier haben wir eine fremde Welt, in der Kinder an einer Schule lernen sollen, ihre magischen Fähigkeiten zu beherrschen. Auch hier gibt es Gegner, die man erst im Laufe der Geschichte wirklich einzuordnen lernt. Auch wenn das Konzept nicht neu ist, so ist die Umsetzung doch herausragend, da diverse neue Ideen, selbst in den kleinsten Details, eingebracht werden.

Fynn begegnet in der fremden Welt einer Reihe von anderen Figuren, sowohl Schülern, als auch Lehrern im weitesten Sinne. Es ist spannend mitzuverfolgen, wie sie alle Stück für Stück besser werden und lernen, ihre jeweiligen Kräfte zu kontrollieren. Im Hintergrund läuft die ganze Zeit der große Kampf weiter und wir lernen immer mehr über die Motivation aller Beteiligten. Ich gebe zu, ich habe schon seit meinem zwölften Lebensjahr selbst einen Fantasy-Roman in der Schublade liegen, der sich mit dem Kampf der Engel gegen die Dämonen - als Stellvertreter Gottes gegen den Teufel - beschäftigen, entsprechend fasziniert war ich von dieser Plot-Idee.

So fesselnd die Geschichte selbst auch ist, kann ich doch aufgrund des Schreibstils keine volle Punktzahl geben. In diesem Fall ist es weniger die Formulierung der Sätze, die mich stört, sondern die Art des Erzählens. Oft bekommen wir kleine, triviale Alltagssituationen geschildert, welche weder für die Charakterentwicklung noch für den Fortgang der Handlung von Bedeutung sind. Es ist tatsächlich nicht wichtig und bringt den Leser nicht weiter, wenn er weiß, dass der Held gefrühstückt hat und woraus genau das Mal bestand oder dass er zum Schluss noch ein Glas Wasser getrunken hat. Wenn mehrere Szenen aufeinander folgen, in denen der Autor nicht mehr zu sagen hat als "dann tat er dies" und "danach geschah das", bedeutet das, dass diese Szenen für das Buch nicht relevant sind. Sie führen lediglich zu Langatmigkeit und damit schnell zu Langeweile. Das hat mich leider immer wieder aus dem Lesefluss rausgebracht. Ein etwas strafferer Erzählstil würde dieser Geschichte gut tun und die Kreativität nicht in einer Menge von zu lang geratenen Szenen ersticken.





Fazit:

Der Fantasy-Roman "Fynn Phönix und die Legende der heiligen Erzengel" von Tim Gebert ist ein vielversprechendes Debüt, das für die Zukunft des Autors und der Reihe viel Gutes verspricht. Die Kreativität der Geschichte ist faszinierend, ebenso wie die stetig wachsende Zahl an Figuren das Buch bereichern. Der Erzählstil erscheint noch nicht vollständig ausgereift, doch ansonsten ist "Fynn Phönix" ein spannender Auftakt der Reihe.