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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 11.02.2019

Ein gewiefter Schachspieler

Das Echo der Wahrheit
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Das ist der Autor Eugene Chirovici - als virtuoser Stratege auf dem Papier, wohlgemerkt. Er spielt allerdings seine Figuren so gegeneinander aus, dass der Leser zunächst immer wieder auf das falsche Pferd ...

Das ist der Autor Eugene Chirovici - als virtuoser Stratege auf dem Papier, wohlgemerkt. Er spielt allerdings seine Figuren so gegeneinander aus, dass der Leser zunächst immer wieder auf das falsche Pferd - oder auf den falschen Buben? - setzt .

Denn Buben sind es, die im Mittelpunkt der Geschichte stehen und zwar deren zwei - nämlich der Psychiater Dr. Cobb, der auch als Erzähler fungiert und auf der anderen Seite der unendlich reiche Joshua Fleischer, der Cobb für ein paar Tage zu sich einlädt und ihm - unter anderem - seine Geschichte erzählt.

Seit vielen Jahren lastet ihm etwas auf der Seele und Cobb, der vor einigen Jahren ein Erlebnis hatte, das ähnliche Empfindungen in ihm evoziert, lässt nicht locker, bis er es herausfindet. Obwohl es eigentlich gar nicht mehr nötig ist...

Eugene Chirovici spielt nicht nur mit den Rollen seiner Protagonisten (und auch der Nebendarsteller, soviel kann bereits verraten werden), sondern auch mit der Realität bzw. der Wahrheit. Denn diese ist nicht in Stein gemeißelt, sondern durchaus beweglich.

Wie sehr, das zeigt sich in diesem spannend, wenn auch stellenweise ein wenig langatmig geschriebenen Roman, der mit ebensolchem Fug und Recht auch als Krimi tituliert werden könnte. Denn es geht ganz schön zur Sache - und, nebenbei erwähnt, geographisch gesehen um die Welt bzw. zumindet über den Ozean.

Auch wenn man meint, man wäre dem Autor auf die Schliche gekommen, ist man das noch lange nicht und es macht Spaß, sich wieder und wieder neu überraschen zu lassen. Eine Empfehlung für alle Liebhaber von Spannungsromanen!

Veröffentlicht am 10.02.2019

Ich wandre ja so gerne am Rennsteig durch das Land

Was uns erinnern lässt
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So beginnt das "Rennsteiglied", in dem ein ganz besonderer Wanderweg besungen wird: ein Symbol gleichwohl für das geteilte wie auch für das wiedervereinigte Deutschland. Denn der Rennsteig führt durch ...

So beginnt das "Rennsteiglied", in dem ein ganz besonderer Wanderweg besungen wird: ein Symbol gleichwohl für das geteilte wie auch für das wiedervereinigte Deutschland. Denn der Rennsteig führt durch Thüringen und Franken, so ziemlich genau an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze entlang.

Vor dem zweiten Weltkrieg war er von Hotels gesäumt, einfachen und ziemlich eleganten. Ein besonders mondänes, in dem sich die feine Gesellschaft ein Stelldichein gab, war das "Hotel Waldeshöh" das über Jahrzehnte hinweg von Familie Dressel geführt wurde. Die Familie bewohnte das Haus auch noch, nachdem es Teil des Sperrgebiets, eines fünfhundert Meter breiten Streifens unmittelbar an der Grenze, geworden war. Ein hartes Leben, ohne eine besondere Genehmigung durfte niemand zu Besuch kommen und noch schlimmer: man selbst benötigte eine Genehmigung und musste diese ständig mit sich führen.

Eine Familiengeschichte, die im Dunkeln liegt, bis Milla, eine Anwaltsgehilfin Anfang Dreißig, im Rahmen der Suche nach "Lost Places" auf einen Keller stößt. Einen Keller mit nix drüber. Was hat es damit auf sich? Sie findet dort neben Marmeladen und Säfte, auch hausgemachten Wein aus den 1970er Jahren auch das Tagebuch eines jungen Mädchens, einer Christine. Und in ihr erwacht der Jagdtrieb. Was wohl aus ihr geworden ist? So alt ist sie doch noch gar nicht, so Mitte fünfzig müsste sie sein!

Milla findet nicht nur Christine, sondern so viel mehr und stößt auf ein trauriges Geheimnis. Eines, das keins sein sollte und das viel Leid gebracht hat. Dennoch ist dies längst nicht nur ein trüber und melancholischer Roman, es ist die Chronik einer Familie, möglicher Schicksale von DDR-Bürgern, die stellenweise traurig, andererseits aber auch sehr atmosphärisch und teilweise sogar idyllisch.

Ein ausgesprochen besonderer Roman über ein ebenso unbekanntes wie leidvolles Thema. Die Autorin Kati Naumann schreibt ebenso eindringlich wie bewegend, ich habe als Leserin auf jeder Seite gespürt, dass ihr dieses Thema am Herzen liegt. Und das hat sie nicht nur auf emotionaler, sondern auch auf professioneller Ebene ausgesprochen gekonnt umgesetzt! Manchmal waren mir einige Hinweise zu vage, sie blieben quasi in der Luft hängen. Aber das Thema ist so komplex, dass man als Autor gezwungen ist, Grenzen zu setzen - bei einem Thema, in dem es ständig um Grenzen geht! Ich bin beim Lesen einfach neugierig geworden und hätte ewig so weiterlesen können!

Eine ganz dicke Empfehlung für jeden, dem die jüngste deutsche Geschichte am Herzen liegt, der das Gefühl hat, längst nicht alles zu wissen. Ein dicker schwarzer Fleck kann durch die Lektüre dieses Buches definitiv mit Farbe gefüllt werden!

Veröffentlicht am 10.02.2019

Ein Handwerker der besonderen Art

Venuswalzer
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ist Kevin, der sich für ein Geschenk Gottes an die Frauen hält, es aber nicht für nötig erachtet, diese auch gut zu behandelt. Nein, lieber hält er ihnen von seinem Arbeitsplatz auf dem Gerüst vor ihrem ...

ist Kevin, der sich für ein Geschenk Gottes an die Frauen hält, es aber nicht für nötig erachtet, diese auch gut zu behandelt. Nein, lieber hält er ihnen von seinem Arbeitsplatz auf dem Gerüst vor ihrem Fenster - Kevin ist Anstreicher - seine Kronjuwelen vor die Nase. Was das ist, was er selbst so euphemistisch tituliert, können Sie sich denken, ich allerdings will kein weiteres Wort mehr darüber verlieren, es ist schon so eklig genug.

Diesmal trifft es die stille Ruby, eine Einzelgängerin im Punk-Outfit, die die Stille liebt und gerne für sich ist - ihren Beruf hat sie als IT-Expertin entsprechend so gewählt, dass sie ihn von zu Hause aus ausüben kann. Konnte sie zumindest wunderbar, bevor Kevin sich ihr in voller Pracht zeigte und sie den Fehler machte, ihn auszulachen - danach nämlich ließ er sie nicht in Ruhe, bis er justament vor ihrem Fenster vom Gerüst stürzte - geradewegs ins Wachkoma. Schnell wird klar, dass dies kein Unglück, sondern etwas Vorsätzliches war und prompt gerät Ruby unter Verdacht.

Diese ist - es ist gut nachzuvollziehen - vollkommen außer sich und holt sich Beistand- von ihrem guten Kumpel, dem Journalisten Ben, der seinerseits der beste Freund der Astrologin Stella ist. Und wo ein armes Wesen Hilfe braucht, ist sie nicht weit. Ebenso wie ihre Großmutter Maria und bald schon haben sie eine Idee, wie sie den Verdacht von Ruby lenken könnten. Denn Kevin, der nun im Krankenhaus liegt bzw. vor sich hinvegetiert, hat eine Reihe Kollegen. Die sich durchaus merkwürdig benehmen. Und bald schon stecken Stella und Maria mitten in den Ermittlungen Marke Eigenbau, was Kommissar Arno Tillikowski gar nicht gefällt...

Wie auch in den Krimödien um Loretta Luchs, Mitarbeiterin eines Call-Centers der besonderen Art und ebenfalls Bochumerin, findet sich hier also ein munteres Trüppchen zum gemeinsamen Ermitteln zusammen. Wobei das manchmal auch eher nebenher läuft. Aber immer wieder sind sie Arno einen Schritt voraus - mindestens.

Dies ist nach "Planetenpolka" bereits der zweite Band um Astrologin Stella freue mich schon sehr auf den dritten, weil ich gespannt bin, wie sich die Dynamik unter diesen ganzen Figuren so weiter entwickelt. Und weil ich Stella und Maria, ebenso das weitere Stammpersonal schon richtiggehend in mein Herz geschlossen habe. Eine toll(kühn)e und witzige Ruhrpottstory mit dem gewissen Pfiff!

Veröffentlicht am 07.02.2019

Woher komme ich wirklich?

Die verlorene Schwester
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Das fragt sich die Züricherin Anna 2008, nachdem sie durch einen Zufall erfährt, dass sie adoptiert ist. Im Nachhinein wird ihr so einiges klar, vor allem im Hinblick auf ihre so kühle, lieblos wirkende ...

Das fragt sich die Züricherin Anna 2008, nachdem sie durch einen Zufall erfährt, dass sie adoptiert ist. Im Nachhinein wird ihr so einiges klar, vor allem im Hinblick auf ihre so kühle, lieblos wirkende Mutter.

Eines weiß sie sofort - obwohl ihre Adoptivmutter nichts über ihre wirkliche Mutter weiß bzw. dies zumindest behauptet, will sie alles daran setzen, diese zu finden.

In ihren Recherchen stößt sie auf die sogenannten Verdingkinder: eines der dunkelsten Kapitel der Schweizer Geschichte. Dort nämlich wurden Kinder, die zu Waisen geworden waren oder aus anderen Gründen aus ihren Familien genommen wurden, als Arbeitskräfte "verschachert", oft als Magd oder Knecht auf einem Bauernhof. War dies auch das Schicksal von Annas Mutter?

Etwas fürs Herz ist dieser Roman, denn es geht viel um Leidenschaften und Sehnsüchte, wobei aber die historischen Ereignisse an keiner Stelle außer Acht gelassen werden. Keine Frage, bei der Recherche hat Linda Winterberg - wie eigentlich immer - ganze Arbeit geleistet und die Geschehnisse gelungen in ihre Geschichte eingearbeitet, wenn es auch an manchen Stellen einfach zu viele sind.

Doch das ist Kritik auf hohem Niveau, denn dies ist ein überaus lesens- und empfehlenswerter Roman, einer der besten der Autorin. Ich konnte ihn nicht aus der Hand legen und empfehle ihn jedem, der Interesse hat an einem eher unbekannten schwarzen Fleck in der Geschichte Europas!

Veröffentlicht am 06.02.2019

Wir wollten mal auf Großfahrt gehn'

Wallace
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bis an das End' der Welt.

Und auch, wenn dieses - was auch immer für jeden Einzelnen dahinter steckte - im 19. Jahrhundert für die meisten Menschen unerreichbar schien und auch war, gab es einige Wenige, ...

bis an das End' der Welt.

Und auch, wenn dieses - was auch immer für jeden Einzelnen dahinter steckte - im 19. Jahrhundert für die meisten Menschen unerreichbar schien und auch war, gab es einige Wenige, die sich ganz weit fort wagten. Viele von ihnen waren Händler. Und manche waren Forscher: Geographen, Geologen, Archäologen. Und zunehmend auch Artenforscher, im weitesten Sinne (heute durchaus gängigen) Sinne also Biologen. So wie der Bärtige, zunächst als der junge Bärtige tituliert.

Der Bärtige, der im gesamten Erzählverlauf nicht ein einziges Mal beim Namen genannt wird, dafür aber umso prominenter ganz vorn auf dem Buch, nämlich als Titel: das ist der Artensammler Alfred Russel Wallace, der Darwin in Bezug auf die Entwicklung der Evolutionstheorie um eine Nasenlänge voraus war. Was aber keiner weiß, weil er damit nämlich nicht an die Öffentlichkeit ging.

Im vorliegenden Roman jedoch verläuft die Entwicklung ein wenig anders, weil es nämlich einen zweiten Erzählstrang gibt um einen gewissen Bromberg, seines Zeichens Nachtwächter im Naturkundemuseum und streckenweise meine absolute Lieblingsfigur im Roman. Er nämlich entdeckt rein zufällig Wallace und dessen Werk und hat etwas vor - was, das erfahren Sie durch die Lektüre dieses Buches.

Ja, Bromberg und die Charaktere um ihn herum - ich habe sie wirklich geliebt und genossen, bis just dieser Erzählstrang streckenweise zu einer Räuberpistole verkam, die sich dergestalt entwickelte, dass es mir einfach zu viel wurde. Auch, wenn ich das Buch gern gelesen habe. Wirklich.

Da die Biologie eine exakte Wissenschaft ist, möchte ich meine persönliche Evaluation, nämlich die dieses Buches auch möglichst exakt, vielmehr akribisch genau, vollenden und es im Hinblick auf meine Abschlussbewertung nicht bei einer groben Schätzung belassen: ich vergebe exakt (!) 3,5 Punkte, Sterne, Käfer, Inseln oder was auch immer für dieses Buch - wo nicht anders möglich, runde ich großzügig auf.

Ich empfehle dieses Buch toleranten und geduldigen Freunden der Naturwissenschaften, weiter Reisen und verschrobener Menschen. Jenen, die sich für eigenartige Männerbünde, fremde Völker und seltsame Orte (nah und fern) interessieren, Bärtige (bzw. deren Erwähnung auf Schritt und Tritt) mögen und denen nicht bange wird, wenn der Protagonist auch mal selbst an sich herumdoktert. Lesern, die gewillt sind, hier und da mal ein Auge zuzudrücken. Vor allem, wenn es um den geradezu inflationären Gebrauch von Adjektiven, gerne auch solchen aus eigener "Werkstatt" geht und um extreme, nicht immer passende (aus meiner Sicht) Wendungen im Handlungsverlauf.