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Veröffentlicht am 20.12.2017

Eine Frau an jedem Finger

Das Jahr der Frauen
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und zwei noch dazu - dieses "Konzept" schlägt Frank Stremmer seinem Therapeuten Niederegger am 4. Januar 2013 für eine Wette vor: Wenn er es schafft, in jedem Monat des Jahres eine Frau rumzukriegen, dann ...

und zwei noch dazu - dieses "Konzept" schlägt Frank Stremmer seinem Therapeuten Niederegger am 4. Januar 2013 für eine Wette vor: Wenn er es schafft, in jedem Monat des Jahres eine Frau rumzukriegen, dann "darf" er sich an dessen Ende umbringen.

Ein eigenartiger Vorschlag, auf den Niederegger nicht eingeht, den Stremmer jedoch als Projekt sieht, auf das er sich gleich stürzt. Mit mehr oder weniger Erfolg: eine Frau gibt es durchaus in jedem Monat, aber wie nahe ihr Frank tatsächlich kommt, das unterscheidet sich von Mal zu Mal.

Wir begleiten im Laufe der Lektüre also Frank Stremmer durch das gesamte Jahr 2013 und lernen ihn und seine Umgebung dabei kennen. Er outet sich als vielschichtige Persönlichkeit mit Depression, hat seinen Hang zum schwarzen Humor nicht verloren und macht sich auch in dieser seinen persönlich problematischen Situation gern Gedanken um seine Mitmenschen, die er gelegentlich mit fiktiven Biographien versieht.

Stremmer arbeitet in einer global tätigen NGO, einer nichtstaatlichen Organisation also mit karitativem Charakter, die sein Autor Christoph Höhtker immer wieder aufs Korn nimmt. Da ich diesen Roman jedoch unmittelbar nach "Die Hauptstadt" von Robert Menasse gelesen habe, wo Ähnliches mit der EU geschieht, waren meine Erwartungen wohl ein bisschen zu hoch, ich finde die Darstellung in dieser Hinsicht ein bisschen wirr.

Wenig stringent sind allerdings auch die anderen Erzählstränge, in denen immer wieder Einschübe vorkommen - E-mails, die Stremmer erhält, Reflexionen vergangener Zeiten, die ihm durch den Kopf gehen.

Übrigens sind viele der Mails in Englisch, wenige sogar auf Französisch verfaßt und werden nicht im Anhang oder so übersetzt. Ich konnte sie zwar verstehen, aber ich fand das trotzdem störend und empfand sie als Hemmschwelle für Leser, die nicht so global unterwegs sind wie der Autor und sein (Anti)Held. Ein eloquent geschriebener, sprachlich spannender Roman, der mich leider auf anderer Ebene nicht packen konnte.

Veröffentlicht am 20.12.2017

Eine Zeitkapsel, in der Verbrechen angekündigt werden

SOG
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Das klingt wie aus einem SF-Roman, aber ist dennoch bittere Realität in den Ermittlungen der Kripo in Reykavik: dort wurden vor über 10 Jahren Schüler aufgefordert, ihre Visionen für die Zukunft aufzuschreiben ...

Das klingt wie aus einem SF-Roman, aber ist dennoch bittere Realität in den Ermittlungen der Kripo in Reykavik: dort wurden vor über 10 Jahren Schüler aufgefordert, ihre Visionen für die Zukunft aufzuschreiben und einer von ihnen hat auf die kaltblütigste Weise den Entwicklungen vorgegriffen: dort werden Morde vorausgesagt, die zum Teil inzwischen tatsächlich geschehen sind.

Hat das alles etwas mit der Leiche eines Mädchens aus derselben Zeit zu tun - auch darauf gibt es Hinweise? Aber bald schon finden sich Verbindungen zur Gegenwart - und zwar welche der gruseligsten Art. Ich will nicht viel verraten, aber wer was gegen abgetrennte Körperteile hat, sollte sich von diesem Buch verhalten.

Nur so viel: der ganze Kriminalbereich Islands im weitesten Sinne outet sich als korrupter Sumpf sondergleichen, in den auch Familien - bis hin zu Kindern im Kindergartenalter - mit hineingezogen werden.

Wie im Vorgängerfall "DNA" setzt die isländische Autorin Yrsa Sigurdardottir das mehr oder weniger unfreiwillig zueinander findende Ermittlergespann bestehend aus Psychologin Freya und Kommissar Huldar ein - beide hatten schon mal eine Begegnung, eine der ganz anderen Art.

Aber lesen Sie selbst, denn es ist wie immer unterhaltsam und originell, was die isländische Autorin hier verzapft hat. Allerdings sollten Sie nicht zu zart besaitet sein, denn es ist ganz schön starker Tobak, der hier aufgetischt wird und auch Kinder spielen eine Rolle und auch sie bzw. der Umgang mit ihnen sind Themen, die von der Autorin nicht gerade sanft dargestellt werden.

Also definitiv eher was für Thrillerfans als für Freunde des klassischen Whodunnit. Und für solche, die auf überraschende Wendungen stehen, wobei es für meinen Geschmack manchmal fast zu absurd zugeht. Ein bisschen weit hergeholt sind die Konstruktionen auf jeden Fall und das ist noch eine Untertreibung meinerseits.

Dennoch wieder ein spannender Fall mit schrägen, gut und eindringlich dargestellten Protagonisten, den ich gern gelesen habe. Ich hoffe sehr, dass Freya und Huldar, deren Nicht-Beziehung mal wieder auf die Probe gestellt wird, erneut zuschlagen und dass ihre Hassliebe sich endgültig in die ein oder andere Richtung verlagert. Wie auch immer, ich würde gern mehr von ihnen lesen!

Veröffentlicht am 20.12.2017

Ein modernes isländisches Märchen

Nordlichtherzen
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Jarvis hat ihren Mann verloren. Zumindest seinen Geist, sein Körper ist noch da, die Hülle sozusagen und vegetiert vor sich hin, schon seit sechs langen Jahren. Er liegt nämlich im Koma, nach einem ziemlich ...

Jarvis hat ihren Mann verloren. Zumindest seinen Geist, sein Körper ist noch da, die Hülle sozusagen und vegetiert vor sich hin, schon seit sechs langen Jahren. Er liegt nämlich im Koma, nach einem ziemlich dämlichen Sturz im eigenen Atelier. Martin Miller ist nämlich Maler, ein ziemlich erfolgreicher sogar, doch zum wahren Star stieg er erst nach seinem tragischen Unfall auf.

Jarvis ist quasi sein Anhängsel, da sie völlig von ihm abhängig ist, er hat sie zu dem geformt, was sie ist. Seit sie mit ihm zusammen ist, geht es ihr gut, sie nimmt keine Drogen mehr und ist Teil der besseren Gesellschaft geworden. Naja, das ist seit sechs Jahren Vergangenheit, denn nun ist sie wieder allein, verkauft ab und an mal ein Bild, um Martins Aufenthalt in einem teuren Heim zu finanzieren und fühlt sich unendlich einsam.

Obwohl ihre Freunde Alice und Davis ständig um sie herum sind. Aber es sind eigentlich Martins Freunde, oder auch nicht, denn mit ihrer Freundschaft sind geschäftliche Interessen verbunden. Und nun setzen sie Jarvis zu, vor allem Alice, die Besitzerin einer erfolgreichen Galerie ist. Dennoch entzieht sich Jarvis nicht ganz - aus Höflichkeit oder aus Einsamkeit?

Bis sie aus Zufall in einen Waschsalon gerät und dort drei Männer - alles Ehemänner, Männer anderer Frauen also - kennenlernt, die sich jeden Dienstag dort treffen und sie einladen, Teil dieser Runde zu werden. Nicht nur, aber auch dadurch verändert sie sich nachhaltig. Sie beginnt, um ihre Interessen zu kämpfen. An verschiedenen Fronten.

Autorin Jamie Attenberg ist eine wirkliche Entdeckung. Sie schreibt wirklich gut, differenziert, eloquent, bringt den Leser zum Nachdenken und zeichnet mit leichter Feder ein gelungenes Bild von der Kunstszene New Yorks. Eine Autorin, die leichtfüßig durch ihre Erzählung wandelt, in wenigen Sätzen eindringliche Charaktere schafft, den Leser in Situationen bringt, in denen er nicht weiß, wie er sich entscheiden würde, für die bzw. für deren Komplexität er dennoch Verständnis hat.

Ein spannender, gut geschriebener Roman, der an manchen Stellen doch nicht ganz überzeugend für mich rüberkam. Aber das ist Kritik auf hohem Niveau. Ich habe eine Autorin kennengelernt, von der ich mehr lesen möchte!

Veröffentlicht am 20.12.2017

Die Eigenen und die Anderen

Ehemänner
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Jarvis hat ihren Mann verloren. Zumindest seinen Geist, sein Körper ist noch da, die Hülle sozusagen und vegetiert vor sich hin, schon seit sechs langen Jahren. Er liegt nämlich im Koma, nach einem ziemlich ...

Jarvis hat ihren Mann verloren. Zumindest seinen Geist, sein Körper ist noch da, die Hülle sozusagen und vegetiert vor sich hin, schon seit sechs langen Jahren. Er liegt nämlich im Koma, nach einem ziemlich dämlichen Sturz im eigenen Atelier. Martin Miller ist nämlich Maler, ein ziemlich erfolgreicher sogar, doch zum wahren Star stieg er erst nach seinem tragischen Unfall auf.

Jarvis ist quasi sein Anhängsel, da sie völlig von ihm abhängig ist, er hat sie zu dem geformt, was sie ist. Seit sie mit ihm zusammen ist, geht es ihr gut, sie nimmt keine Drogen mehr und ist Teil der besseren Gesellschaft geworden. Naja, das ist seit sechs Jahren Vergangenheit, denn nun ist sie wieder allein, verkauft ab und an mal ein Bild, um Martins Aufenthalt in einem teuren Heim zu finanzieren und fühlt sich unendlich einsam.

Obwohl ihre Freunde Alice und Davis ständig um sie herum sind. Aber es sind eigentlich Martins Freunde, oder auch nicht, denn mit ihrer Freundschaft sind geschäftliche Interessen verbunden. Und nun setzen sie Jarvis zu, vor allem Alice, die Besitzerin einer erfolgreichen Galerie ist. Dennoch entzieht sich Jarvis nicht ganz - aus Höflichkeit oder aus Einsamkeit?

Bis sie aus Zufall in einen Waschsalon gerät und dort drei Männer - alles Ehemänner, Männer anderer Frauen also - kennenlernt, die sich jeden Dienstag dort treffen und sie einladen, Teil dieser Runde zu werden. Nicht nur, aber auch dadurch verändert sie sich nachhaltig. Sie beginnt, um ihre Interessen zu kämpfen. An verschiedenen Fronten.

Autorin Jamie Attenberg ist eine wirkliche Entdeckung. Sie schreibt wirklich gut, differenziert, eloquent, bringt den Leser zum Nachdenken und zeichnet mit leichter Feder ein gelungenes Bild von der Kunstszene New Yorks. Eine Autorin, die leichtfüßig durch ihre Erzählung wandelt, in wenigen Sätzen eindringliche Charaktere schafft, den Leser in Situationen bringt, in denen er nicht weiß, wie er sich entscheiden würde, für die bzw. für deren Komplexität er dennoch Verständnis hat.

Ein spannender, gut geschriebener Roman, der an manchen Stellen doch nicht ganz überzeugend für mich rüberkam. Aber das ist Kritik auf hohem Niveau. Ich habe eine Autorin kennengelernt, von der ich mehr lesen möchte!

Veröffentlicht am 20.12.2017

Aufeinander zugehen

Der Tanz unseres Lebens
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Das fällt manchen schwerer, anderen leichter. Der Tänzerin Florence
fällt es sehr, sehr schwer - meistens jedenfalls. Und das aus gutem
Grund.

Doch nachdem sie nach einer nächtlichen Tanzeinlage auf
dem ...

Das fällt manchen schwerer, anderen leichter. Der Tänzerin Florence
fällt es sehr, sehr schwer - meistens jedenfalls. Und das aus gutem
Grund.

Doch nachdem sie nach einer nächtlichen Tanzeinlage auf
dem Eis und dem darauf folgenden Einbruch vom Arzt Martin gerettet
wurde, landet sie bei Claire und ihrer Tochter Zoe - einem Kind mit
Down-Syndrom. Und dort kann sie sich öffnen und gar in die Familie
einfügen. Schnell wird sie zur Betreuerin Zoes und nicht nur das - sie
wird sozusagen zu ihrer und Claires Lebens-Gefährtin.

Durch
Zufall ist sie in dem kleinen Ort in der Romandie geblieben und bleibt
dort hängen, was vor allem mit Claire und Zoe und bald auch mit Lysann,
Zoes älterer Schwester, die schwer erkrankt aus ihrem Sportinternat nach
Hause zurückkehrt, zusammenhängt, aber längst nicht nur.

Denn
Florence hat selbst ihr Päckchen zu tragen und dieses wörtlich zu
nehmende Päckchen trägt sie am liebsten unter Freunden, zu denen sich
gern auch Martin zählen würde, doch so leicht macht es Florence ihm
nicht, kann sie es ihm nicht machen.

Wie sie dennoch das Dorf
erobert - umgekehrt ist dies längst geschehen - beschreibt Noa C. Walker
in einer eindringlichen Schilderung, die man aufgrund ihrer teils
wundersamen Fügungen stellenweise als märchenhaft bezeichnen könnte,
würde nicht so viel Pragmatisches und Handfestes drin vorkommen. Um sich
endgültig einleben zu können, muss Florence allerdings jemandem
verzeihen, jemandem, der weit weg ist...

Ein schönes und kluges
Buch, bei dem es wie immer bei Noa C. Walker um Menschlichkeit in ihren
unterschiedlichen Facetten geht, vor allem ums Verzeihen, aber auch um
das Wertschätzen dessen, was man hat. Ein warmherziges, stimmiges Buch
mit kraftvollen Elementen und wunderschönen Zitaten, die die Autorin dem
Mädchen Zoe in den Mund legt.

Wer eine stimmungsvolle Lektüre
für den Advent sucht, der hat sie hiermit gefunden. Ich jedenfalls
empfehle sie aus ganzem Herzen!