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Veröffentlicht am 25.10.2019

Drei Frauen - Drei Perspektiven

Die Zeuginnen
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In Margaret Atwoods Fortsetzung um den fiktiven Staat Gilead an der Grenze zu Kanada ist nicht mehr die Magd Desfred die alleinige Protagonistin.

Vielmehr kommt sie überhaupt nicht vor, nicht einmal ihr ...

In Margaret Atwoods Fortsetzung um den fiktiven Staat Gilead an der Grenze zu Kanada ist nicht mehr die Magd Desfred die alleinige Protagonistin.

Vielmehr kommt sie überhaupt nicht vor, nicht einmal ihr Name fällt in diesem neuen Szenario, das etliche Jahre später stattfindet. Es wird aus der Perspektive dreier Frauen berichtet, aus der einer älteren, nämlich von Tante Lydia, die in Gilead eine einflussreiche Position einnimmt und von zwei jüngeren, Agnes und Daisy, von denen die erstere ein düsteres, vorbestimmtes Leben in Gilead führt, die zweite privilegiert bei ihren Eltern in Kanada aufwuchs und erst nach deren Tod von ihrer Verbindung zu Gilead erfährt.

Beide Frauen geraten in den Fokus von Tante Lydia - ob in ihre Klauen oder unter ihren Schutz, das kann man unterschiedlich sehen.

Denn Margaret Atwood lässt ihren Leser nie in Ruhe in Bezug auf dessen Meinung zu den Protagonisten, er muss immer wachsam bleiben, denn - schwupps - kann sich durch einen winzigen Dreh in der Handlung die Wahrnehmung einer Figur komplett ändern.

Dadurch, dass hier die Perspektive wechselt, entsteht eine breitere Sicht aufs Szenario, die Betrachtung ist nicht einseitig und der Leser erhält einen breiten Blick. Und gleichzeitig profitiert er von den Gaben der großartigen Schriftstellerin, denn die Darstellung wechselt je nachdem, ob nun Agnes, Daisy oder Tante Lydia berichtet und ändert sich auch bei jedem Charakter im Erzählverlauf - denn bei Frau Atwood sind alle Figuren dynamisch, ebenso wie das Szenario.

Somit muss man sich nicht ängstigen, dass es düster bleibt - tatsächlich haben alle drei Protagonistinnen ebenso wie die weiteren Figuren ganz schön etwas durchzustehen, doch immer wieder - und besonders zum Ende hin - blinkt ein Fünkchen Hoffnung auf.

Das mir auch im Blick auf die Realität Stärke und Zuversicht gegeben hat. Denn Gilead kommt mir vor wie ein USA unter der Regierung von Michael Richard Pence, dem aktuellen Vizepräsidenten der Vereinigten Staaten - eine von religiösen Eiferern angeführte Regierung, wie sie nach einem erfolgreichen Impeachment-Verfahren gegen Trump zur Realität werden könnte. Dass nicht immer das Schlimmste eintreffen muss, das war eine der Botschaften, die ich aus diesem großartigen Roman mitgenommen habe!

Veröffentlicht am 25.10.2019

Atmosphärische (Vor)Weihnachtslektüre

Die Kinder des Nordlichts
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Marie und Elin haben eine furchtbare Zeit hinter sich. Beide haben sie ihre Großmütter verloren, mit denen sie in einem kleinen norwegischen Küstenort jeweils zusammengelebt haben. Diese hatten beide ein ...

Marie und Elin haben eine furchtbare Zeit hinter sich. Beide haben sie ihre Großmütter verloren, mit denen sie in einem kleinen norwegischen Küstenort jeweils zusammengelebt haben. Diese hatten beide ein schweres Schicksal hinter sich, sie waren von deutschen Soldaten schwanger geworden und wurden daraufhin von ihren Familien verstoßen. Zudem hatten sie und ihre beiden Töchter unter der Mißachtung ihrer Mitmenschen zu leiden.

Marie war in Deutschland aufgewachsen und kehrt, von Elin begleitet, dorthin zurück. Und zwar nach Wiesbaden, dem Ort, an dem auch ihre Großmutter lebte.
Die beiden jungen Frauen stehen vollkommen ohne berufliche Perspektive dar, doch bietet sich unversehens die Möglichkeit, ein Café mit norwegischen Backwaren zu eröffnen.


Und das kurz vor Weihnachten - da stimmt wirklich alles! Auch wenn natürlich jede Menge Unwägbarkeiten auf Marie und Elin warten.
Ein schöner Roman, in dem mich neben dem warmherzigen Schreibstil vor allem das harmonische Miteinander von Jung und Alt, aber auch die Schilderung der spannenden historischen Begebenheiten aus dem Zweiten Weltkrieg faszinierte. Davon hätte es ruhig ein paar mehr geben können, bzw. hätten die außerordentlich interessanten Umstände gerne ausführlicher geschildert werden dürfen. Denn so habe ich das Buch mit tausend Fragen zugeklappt.


Dennoch war es eine lohnende Lektüre und ist auch ein wundervolles Geschenk für die Vorweihnachtszeit bspw. zum Nikolaus. Denn es ist quasi zwei in einem - eine ganze Reihe köstlicher norwegischer Rezepte sind enthalten, die ich teilweise sicher nachbacken werde!


Veröffentlicht am 25.10.2019

Familie ohne Wärme

Die Altruisten
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Familie Alter war nie besonders emotional. Auch wenn Mutter Francine durchaus ein interessanter und vielschichtiger Charakter war, der ihre Kinder wohlwollend begleitete, war sie eher der kühle Typ. Erstaunlich ...

Familie Alter war nie besonders emotional. Auch wenn Mutter Francine durchaus ein interessanter und vielschichtiger Charakter war, der ihre Kinder wohlwollend begleitete, war sie eher der kühle Typ. Erstaunlich für eine Psychotherapeutin, doch wenn man sich ihre Familiengeschichte vor Augen führte, kann man es nachvollziehen.

Dennoch erstaunlich, dass sie Arthur Alter geheiratet hat, der ist nämlich ein ganz anderes Kaliber. Auch er hatte es nicht leicht, aber egal, wieviel Verständnis man ihm entgegenbringt: er ist einfach ein mieser Charakter. Dass in der Familie keine Warmherzigkeit herrschte, lag zu einem großen Teil an ihm.

Auch in Francines letzten Monaten, während ihrer furchtbaren Krebserkrankung, war er ihr alles andere als eine Stütze. Ganz im Gegenteil: er hatte schon jemand Neues am Start.

Kein Wunder, dass seine Kinder nach der Beerdigung den Kontakt zu ihm abbrachen. Nun, nach zwei Jahren lädt er sie zu einem Wochenende ein und sie kommen - was wird wohl passieren?

Ehrlich gesagt hat sich herausgestellt, dass ich das überhaupt nicht wissen wollte. Und ich glaube auch nicht, dass sie sich durch diesen Roman die Laune verderben lassen müssen. Denn zumindest ich konnte in diesem Roman keine Botschaft erkennen, die mich nach der Lektüre auch nur einen Schritt weitergebracht hätte. Auch wenn das Ende - wenn man so will - ein positives ist.

Nein, eine derartige Lektüre tut mir nicht gut. Denn hier agiert jeder gegen jeden: Ein Familienroman in durchgehend negativ aufgeladener Atmosphäre und auch stilistisch ist der Roman kein Genuss. Im Gegenteil, er ist voller Sprünge und Lücken. Von mir daher: Daumen runter! Sie verpassen nichts, wenn Sie diesen Roman überspringen - egal, wie ansprechend das Cover auch ist!

Veröffentlicht am 16.10.2019

Die Satteltaschenbibliothek von Baileyville

Wie ein Leuchten in tiefer Nacht
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1937: Die Engländerin Alice lernt den gutaussehenden Amerikaner Bennett und heiratet ihn quasi ad hoc. Sie erfährt erst auf der Überfahrt mit dem Schiff, dass sie in einer Kleinstadt in Kentucky und nicht, ...

1937: Die Engländerin Alice lernt den gutaussehenden Amerikaner Bennett und heiratet ihn quasi ad hoc. Sie erfährt erst auf der Überfahrt mit dem Schiff, dass sie in einer Kleinstadt in Kentucky und nicht, wie vermutet, in einer Großstadt leben werden - gemeinsam mit dem Schwiegervater, der schon von Anfang an ständig mit dabei ist - sie teilen sogar eine Schiffskabine mit ihm.

Aber es kommt noch schlimmer: er hat ganz bestimmte Vorstellungen davon, wie sie sich verhalten soll und ist gar nicht erbaut davon, dass sie sich meldet, als Bibliothekarinnen für die lokale Satteltaschenbücherei gesucht werden.

Damit ist ein sehr unkonventioneller Vorläufer der Büchereibusse im Kleinstformat gemeint: die Bibliothekarinnen reiten zu den verstreut lebenden Bewohnern der nahen Bergregion und bringen ihnen wöchentlich neue Literatur. Ein ebenso mühseliger wie erfüllender Job, stellt sie bald fest. Denn abgesehen vom Eigentümer des Büchereigebäudes Fred, der sich gelegentlich einbringt und aushilft, sind nur Frauen am Start - unkonventionelle, starke Frauen wie Marge O'Hare, die Leiterin der Bibliothek, die aus freiem Willem in wilder Ehe mit ihrem langjährigen Liebsten Sven lebt - ungeachtet seiner regelmäßigen Heiratsanträge.

Leider gerät Alice in Schwierigkeiten und da zeigt sich die Kraft der Freundschaft der anderen Bibliothekarinnen, in der sie Halt und Unterstützung findet.

Eine sehr erbauliche und eindringliche Unterhaltungslektüre, in der trotz vieler ernster Themen wie der Unterdrückung der Frauen, aber auch der Minenarbeiter, Rassismus und anderen Ungerechtigkeiten der Humor nicht zu kurz kommt. Und so viel mehr als das: ein starker Roman über die Kraft der Frauen, ihre Freundschaft - und Liebe. Denn die Autorin Jojo Moyes zeigt auch, dass es die richtigen Männer gibt, solche, die für Frauen sind und nicht gegen sie. Auch schon in den 1930er Jahren. Ich liebe historische Romane aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und dies ist ein ganz besonders gelungener, der mein Herz erfüllt. Auch wenn ich die Romane der Autorin Moyes schon vorher schätzte - dies ist mit ganz großem Abstand mein bisheriges Lieblingsbuch von ihr, das ich hegen und pflegen werde!

Veröffentlicht am 13.10.2019

Motti zieht hinaus in die weite Welt

Wolkenbruchs waghalsiges Stelldichein mit der Spionin
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Nachdem Motti im ersten Teil seiner Geschichte von seiner Familie verstoßen wurde, zieht er nun hinaus in die weite Welt. Und zwar haben ihn die "Verlorenen Söhne Israels" entdeckt und nehmen ihn in ihre ...

Nachdem Motti im ersten Teil seiner Geschichte von seiner Familie verstoßen wurde, zieht er nun hinaus in die weite Welt. Und zwar haben ihn die "Verlorenen Söhne Israels" entdeckt und nehmen ihn in ihre Gemeinschaft auf. Was allerdings nichts mit Familienersatz, sondern vielmehr mit einem Kampf der Welten zu tun hat!

Überraschenderweise gibt es nämlich einen parallelen Handlungsstrang, der der im April 1945 einsetzt und von einem nahtlosen Fortbestehen der Nazis berichtet - natürlich im Geheimen, doch durchaus mit Anspruch auf eine Weltmacht. Doch diesen haben nicht nur die Nazis...

Zunächst hatte ich Angst - nämlich dahingehend, ohne mame Wolkenbruch, Mottis mehr als eigenwillige Mutter auskommen zu müssen. Doch braucht man lediglich ein wenig Geduld, bis man reich belohnt wird - Mutter Wolkenbruch stellt sich, von Sehnsucht nach dem verlorenen Sohn übermannt, sogar dem Clinch mit der Cyberwelt!

Ein ausgesprochen schräger und im Gegensatz zum ersten Teil eher surrealer Roman.

Im Gegensatz zu Band 1 ist der Roman in "normalem" Deutsch verfasst, wenngleich es durchaus auch wieder mit Begriffen aus dem Jiddischen gespickt ist. Da ich gerade erst den ersten Teil beendet hatte, war ich noch drin im Modus, ansonsten hätte ich ein Glossar sicher vermisst.

Sehr unterhaltsam und auf gewisse Weise ungewöhnlich ist dieser Roman von Thomas Meyer - ich fühlte mich in eine völlig andere Welt entführt, eine Parallelwelt sozusagen. Beziehungsweise zwei davon - eine jüdische und eine Nazi-Welt. Es hat etwas Märchenhaftes, andererseits aber in Zeiten von AfD und anderen Bünden am rechten Rand der Gesellschaft oder gar jenseits davon durchaus auch realistisch-bedrohliche Züge - die ich jedoch tapfer weggelacht habe. Aber Thomas Meyer hat mich aufgerüttelt - ich bleibe wachsam und zwar in jeder Hinsicht!