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Venatrix

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 30.09.2020

Jede Geduld hat ihre Grenzen

Repression und Rebellion
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Autor Karim El-Gawhary gilt als profunder Kenner der arabischen Politik. Wann immer es in Nordafrika bzw. dem Nahen Osten zu berichten gilt, ist er vor Ort.

In diesem Buch analysiert er die Ereignisse ...

Autor Karim El-Gawhary gilt als profunder Kenner der arabischen Politik. Wann immer es in Nordafrika bzw. dem Nahen Osten zu berichten gilt, ist er vor Ort.

In diesem Buch analysiert er die Ereignisse des „Arabischen Frühlings“ von 2011, den er „Arabellion“ nennt und die aktuellen Auswirkungen.

„Die Realität des Nahen Ostens ist kompliziert. Aber nicht so kompliziert, dass man sie nicht verstehen kann.“

In sachlichen Worten, die mit gut gewählten Beispielen untermauert sind, erklärt er die komplexen Zusammenhänge zwischen den einzelnen Staaten, den Religionen und deren Splittergruppen sowie die unselige Rolle(n), die Europa und die beiden anderen Großmächte USA und Russland spielen.
Daneben lässt der Autor immer wieder Betroffene zu Wort kommen. Wenn ein syrischer Student sagt: „Ich lebe in einem Land, das mir nichts gibt und mir alles genommen hat“ zeigt, dass die nächste Generation der veränderungswilligen Bevölkerung nichts mehr zu verlieren hat und dem Militär trotzt.

Während in Tunesien langsam so etwas wie Demokratieverständnis aufkeimt, ist Ägypten das Musterbeispiel dafür, dass es mit dem Sturz der Regierung allein nicht getan ist. Es fehlten neue Strukturen, die die alten zu ersetzen vermöchten. Das politische Neuland, das die Revolutionäre betreten haben, hat ein Vakuum hinterlassen, das das (alte) Militär recht schnell wieder gefüllt hat.

Noch gelingt es den Autokraten, sich mit Repression an der Macht zu halten, doch über kurz oder lang wird eine weitere Rebellion sie hinwegfegen. Das wird allerdings wieder Blutvergießen nach sich ziehen.

Solange das Dreieck „Armut-Ungleichheit-Machtlosigkeit“ nicht aufgelöst wird, wird es für die meist jungen Menschen keine Perspektive geben.

Karim El-Gawharys zusammenfassende Analyse “... der Prozess des Wandels in der arabischen Welt ist ein langer ...“. Dem ist kaum etwas hinzuzufügen.

Fazit:

Eine tiefgründige, empathische und teilweise aus eigenem Erleben geschriebene Analyse des Pulverfasses Naher Osten. Gerne gebe ich 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 30.09.2020

Fesselnd bis zur letzten Seite

Zwei fremde Leben
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Frank Goldammer, Autor aus Dresden, greift mit diesem Roman ein Thema auf, das nach wie vor durch die Gazetten geistert: staatlich sanktionierter Kindesraub durch die Behörden der DDR. Diese, den leiblichen ...

Frank Goldammer, Autor aus Dresden, greift mit diesem Roman ein Thema auf, das nach wie vor durch die Gazetten geistert: staatlich sanktionierter Kindesraub durch die Behörden der DDR. Diese, den leiblichen Eltern entzogenen Kinder, werden in Heimen oder regimetreuen Familien zu „ordentlichen“ Bürgern erzogen. Solche und ähnliche Geschichten sind aus Nazi-Deutschland belegt.

Doch zurück zum vorliegenden Buch, das die Leser durch mehrere Handlungsstränge und Zeitebenen führt:

Ricarda Raspe unverheiratete Tochter eines angesehen Gynäkologen, bringt 1973 in der Dresdner Universitätsklinik ihr Kind zur Welt. Der Vater ist zwar bei der Entbindung dabei, kann aber das Neugeborene nicht retten. Den damaligen Gepflogenheiten entsprechend wird das tote Baby sofort entfernt. Die ohnehin geschwächten Mütter dürfen sich von ihren toten Kindern nicht verabschieden. Das sorgt natürlich für Verunsicherung, ob hier alles mit rechten Dingen zugegangen sein mag.

Thomas Rust junger Volkspolizist, dessen Frau Heike wegen vorzeitiger Wehen, in derselben Klinik liegt, beobachtet just an diesem Tag ein Auto mit Berliner Kennzeichen. Nach einem Gespräch mit Ricardas Freund, hat es seine eigenen Gedanken. Er kennt die Gerüchte, die unter der Hand, von politisch motivierten Kindesentzug, von Zwangsadoptionen und von Babyhandel, wispern. Rust lassen seine Beobachtungen keine Ruhe und beginnt heimlich zu ermitteln. Dabei stößt er auf eine Menge Ungereimtheiten und gerät selbst in den Fokus des Ministeriums für Staatssicherheit.

Jahre ziehen ins Land, Ricarda hat den Verlust ihres erstgeborenen Kindes nach wie vor nicht verarbeitet. Die Suche nach der Wahrheit ist zu einer Obsession geworden, die nicht nur ihre Ehe und Freundschaften zerstört hat. Der Fall der Berliner Mauer und die anschließende Wende lassen Ricarda neuen Mut fassen und ihre Akte der Stasi einsehen.

Gleichzeitig wird in einem anderen Handlungsstrang das Schicksal von Claudia Behling erzählt, die knapp vor dem Mauerfall 1989 beim illegalen Grenzübertritt zwischen Österreich und Ungarn erwischt wird. Aus Wut über möglich Repressalien schleudert ihr die Mutter „Du bist nicht unser Kind, du bist adoptiert!“ entgegen.

Claudia macht sich auf die Suche nach ihrer leiblichen Mutter, die erst 2018 mit einer Überraschung enden wird.

Meine Meinung:

Frank Goldammer gelingt es hervorragend die beklemmende Stimmung in der DDR heraufzubeschwören. Niemand kann sich sicher sein, von einem Nachbarn, einem Freund oder Arbeitskollegen nicht dich bespitzelt zu werden. Die IMs, also die Informanten der Stasi sind allgegenwärtig. Die Gründe, warum hinter einem hergeschnüffelt wird, sind vielfältig. Sei es um eine Vergünstigung wie eine neue Wohnung oder ein Auto oder ein paar Lebensmittel mehr zu bekommen oder, weil man selbst durch irgendetwas erpressbar ist.

Doch auch nach 1989 ist nicht alles Liebe-Wonne-Waschtrog. Investoren aus dem Westen kaufen die maroden Staatsbetriebe auf, die ehemaligen DDR-Bürger werden zu Hilfsarbeitern und Menschen zweiter Klasse degradiert. Natürlich schaffen es einige Wendehälse wieder zu Vermögen und Ansehen zu kommen.
Frank Goldammer beschreibt diese Zeit so:

„Die DDR war verschwunden und mit ihr auch alles Vertraute und Bekannte. Sie waren jetzt frei. Doch das Wort Freiheit hatte schnell einen faden Beigeschmack bekommen. Unter all den neuen Düften lag ein fauliger Geruch.“

Als Österreicherin kann ich natürlich nicht aus eignem Erleben berichten, aber diese Sätze klingen plausibel.

Sehr gut kommt der Spießrutenlauf, dem Ricarda ausgesetzt ist, heraus. Niemand hat Geduld mit ihr. Im Gegenteil, sie muss auf der Hut sein, nicht als psychische Kranke in eine Klinik gesteckt zu werden. Sie gilt als Querulantin, verliert Arbeit und Freunde. Sie hat aber keine handfesten Beweise und wird von einem windigen Reporter ausgenützt.

Die Lebensgeschichte von Claudia ist leider nicht ganz so ausführlich erzählt. Sie steht einfach 2018 vor Ricardas Tür. Gemeinsam gelingt es den beiden, auch unter Mithilfe des damaligen Vopos Rust, ihre Vergangenheit aufzurollen.

Der Roman ist ein beredtes Zeugnis einer Ära, der man im Nachhinein alles mögliche Schlechte andichtet. Ob es diesen staatlichen Kindesentzug und damit einhergehende Zwangsadoptionen in der DDR wirklich gegeben hat, ist nach wie vor nicht beweisen oder widerlegt. Während der Nazi-Zeit gab es tausende solcher Fälle. (siehe u.a. „Raubkind“ oder „L364“ von Dorothee Schmitz-Köster).

Allein die Möglichkeit, dass der allumfassende DDR-Staat hier so in Familien eingegriffen haben könnte, macht betroffen.

Fazit:

Ein sehr emotionales Thema, fesselnd erzählt. Gerne gebe ich hierfür 5 Sterne.

Veröffentlicht am 30.09.2020

Unterhaltsame Lesestunden

Schuhhimmel mit Turbulenzen
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Ich bin ja für gewöhnlich nicht so empfänglich für Frauen- und/oder Liebesromane. Doch Titel und Cover haben mir Appetit auf diesen Roman gemacht.

Der „Schuhhimmel“ ist Petras (40) ganzer Stolz. Liebevoll ...

Ich bin ja für gewöhnlich nicht so empfänglich für Frauen- und/oder Liebesromane. Doch Titel und Cover haben mir Appetit auf diesen Roman gemacht.

Der „Schuhhimmel“ ist Petras (40) ganzer Stolz. Liebevoll eingerichtet verkauft sie hier exklusives Schuhwerk. Leider machen ihr die diversen Online-Shops mächtig Konkurrenz.

Ihre Freundin Elke (60) ist Lehrerin mit Leib und Seele und verbringt mehr Zeit damit, die Probleme ihrer Schüler zu lösen als mit ihrem inzwischen pensionierten Ehemann Georg zusammen zu sein. Nebenbei hilft sie noch im „Schuhhimmel“ aus.

Die dritte, unmittelbar mit dem Schuhgeschäft verbundene Person ist Max (20). Ein Student, der als Ferienjob die Post austrägt und sich nicht zwischen zwei Frauen entscheiden kann, bis die Richtige daherkommt.

Und Tilo darf nicht vergessen werden - der „Teilzeithund“, der Petra und Elke mag, aber mit den Briefträgern auf Kriegsfuß steht.

Meine Meinung:

Autorin Heidemarie Brosche ist hier ein witziger Roman gelungen, der mir angenehme Lesestunden beschert hat.

Der „Schuhhimmel“ steht im Mittelpunkt der Erzählung. Immer wieder kehren die Charaktere dorthin zurück.

Apropos Charaktere: Mit Elke bin ich nicht ganz zurechtgekommen. Vor lauter Engagement für andere, lässt sie ihren Mann links liegen, der letztlich die Notbremse zieht und mit unbekanntem Ziel verschwindet.

Petra hat viel um die Ohren, denn nicht nur der schwankende Umsatz im „Schuhhimmel“ macht ihr Sorgen, sondern auch ihr dementer Vater. Der ist in einer Seniorenresidenz gut untergebracht und wird von Vesna, einer jungen Frau, die dort ihr soziales Jahr absolviert, gut betreut.

Max ist ein tief verletzter junger Mann, der sich Frauen gegenüber nicht gut behaupten kann, bis ihm Vesna über den Weg läuft.

Vesna ist die behütete Tochter eines aus Serbien stammenden Ehepaares, die andere Vorstellungen vom Leben hat als ihre Eltern.

Die Figuren sind bis auf Georg, der mir ziemlich farblos erscheint, recht gut ausgearbeitet.

Das Buch hat sich leicht und flüssig lesen lassen. Bei manchen Szenen musste ich auch schmunzeln.

Ein klein wenig hat mir die Beschreibung der Schuhe gefehlt. Aber, das ist natürlich eine sehr persönliche Ansicht.

Fazit:

Ein unterhaltsames Buch, das sich auch mit ernsten Themen wie Demenz und Verdrängung kleiner Geschäfte durch den Online-Handel beschäftigt. Gerne gebe ich hier 3 Sterne.

Veröffentlicht am 30.09.2020

Leider eine herbe Enttäuschung

Mein Zimmer im Haus des Krieges
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Die Journalistin und Ethnologin Janina Findeisen reist 2015 nach Syrien, um ihre Jugendfreundin Laura, die zum Islam konvertiert und mit ihrem Mann in den Dschihad gezogen ist, zu treffen und ein Interview ...

Die Journalistin und Ethnologin Janina Findeisen reist 2015 nach Syrien, um ihre Jugendfreundin Laura, die zum Islam konvertiert und mit ihrem Mann in den Dschihad gezogen ist, zu treffen und ein Interview zu führen. Sie vertraut Laura, obwohl sich diese bereits in Deutschland zum radikalen Islam bekennt. Es kommt, wie es kommen muss: Janina Findeisen wird von Islamisten entführt und muss nahezu ein Jahr in syrischer Gefangenschaft verbringen.

Meine Meinung:

Ich habe schon einige Bücher von Journalistinnen, die in Kriegsgebiete gereist sind, um von dort zu berichten, und habe mit Interesse auf dieses Buch gewartet. Leider bin ich menschlich von Janina Findeisen sehr enttäuscht worden.

Sich selbst in eine solche Lebensgefahr zu begeben, kann man als schon leichtsinnig und naiv nennen. Aber, die Journalistin ist im 7. Monat schwanger, als sie zu dieser gefährlichen Reise aufbricht. Das erfahren die Leser aber erst recht spät und auch nur nebenbei. Ich finde das äußerst unverantwortlich ihrem Kind gegenüber, das sie dann in Gefangenschaft zur Welt bringt. Wir erfahren, dass es ein Sohn ist, den Namen verschweigt uns die Autorin. Wie wird das Kind mit diesen Traumata in seinem späteren Leben umgehen?

Was mich auch irritiert: Sie wird während ihrer Gefangenschaft recht höflich behandelt, erhält einen Fernseher und muss weder hart arbeiten noch wird sie indoktriniert. Das ist für mich nicht stimmig, in einem Land, in dem Frauen nichts zählen, ist keiner übergriffig? Nicht einmal mit Worten? Kaum zu glauben.
Sie kann zwar das Interview mit Laura, die inzwischen zweifache Witwe ist, führen. Doch verpflichtet sich die Journalistin, nur wenig daraus zu veröffentlichen. Ähem, wozu dann die höchst gefährliche Reise?

Frau Findeisen wird vermutlich ihre Gründe haben, nachvollziehen kann ich sie nicht. Kann es sein, dass sie dem „Stockholm-Syndrom“ erlegen ist? Sie scheint Sympathien für diese Dschihadisten zu haben, die zahlreiche Journalisten ermordet haben.
Der Schreibstil ist ein wenig seltsam. Sie wiederholt sich häufig und gebiert eigenartige Wortschöpfungen wie „zuckerhigh“. Von einer Journalistin hätte ich mir schon etwas Besseres erwartet.

Fazit:

Das Buch und die Autorin sind eine rechte Enttäuschung. Leider kann ich hierfür nur 2 Sterne vergeben.

Veröffentlicht am 30.09.2020

Auch Frauen morden ...

Die wilde Wanda und andere gefährliche Frauen
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Das Autorinnenduo Gabriele Hasmann und Sabine Wolfgang stellt in seinem neuesten Buch knapp zwei Dutzend Frauen, die zu Verbrecherinnen geworden sind, vor. Die Autorinnen betrachten den Zeitraum vom 18. ...

Das Autorinnenduo Gabriele Hasmann und Sabine Wolfgang stellt in seinem neuesten Buch knapp zwei Dutzend Frauen, die zu Verbrecherinnen geworden sind, vor. Die Autorinnen betrachten den Zeitraum vom 18. bis ins 20. Jahrhundert. Die Ausnahme ist die „Blutgräfin“ Elisabeth Báthory, die im 16. Jahrhundert lebte und als Serienmörderin verurteilt wurde.

Die Kurzbiografien, von denen einige mit Fotos der beschriebenen Frauen versehen ist, beleuchten die Herkunft und Beweggründe, warum sie zu Verbrecherinnen wurden. Der Bogen spannt sich vom einfachen Dienstmädchen bis zur Hofdame von Kaiserin Elisabeth.

Von Hass, Geltungsbedürfnis, Geldgier bis hin zur puren Not ist jeder Grunde vertreten. Manche wirken gefühlskalt und zeugen keine Reue.

Das Vorwort macht neugierig. Ich kannte die meisten Kriminalfälle bereits aus anderen Büchern.

Der Doyen der österreichischen Gerichtspsychiatrie, Reinhard Haller, sagt:
„Im Prinzip sind Bücher über Verbrecher nichts anderes als der Spiegel unserer eigenen verdrängten Kriminalität“.

Dem ist wenig hinzuzufügen.


Fazit:

Ein Buch für zwischendurch, das zeigt, dass auch Frauen Kapitalverbrechen verüben. Gerne gebe ich hier 3 Sterne.