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Venatrix

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Veröffentlicht am 30.05.2021

Eine gelungene Fortsetzung

Verlorene Engel
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Wir schreiben das Jahr 1956, im ungarischen „Bruderstaat“ gärt es. Der erhoffte Aufschwung in der DDR ist ausgeblieben. Nach wie vor herrschen Unsicherheit und Mangelwirtschaft. Das MfS bespitzelt seine ...

Wir schreiben das Jahr 1956, im ungarischen „Bruderstaat“ gärt es. Der erhoffte Aufschwung in der DDR ist ausgeblieben. Nach wie vor herrschen Unsicherheit und Mangelwirtschaft. Das MfS bespitzelt seine Bürger.

Max Heller und seine Frau Karin sind mit Ziehtochter Anni in Dresden geblieben, obwohl 1953 schon alles für eine Flucht aus der DDR vorbereitet war. Der Grund? Erika, die schwangere Freundin von Sohn Klaus, die nun in einer unglücklichen Ehe gefangen ist.

Dennoch hat sich für Max Heller einiges verbessert: Seine Vorgesetzten haben seine beharrliche Weigerung der SED beizutreten endlich akzeptiert und können ihn bei Beförderung und Auszeichnung kaum mehr übergehen.
Doch zuvor müssen Max und sein Team noch einen Serienvergewaltiger dingfest machen, der ganz Dresden in Angst und Schrecken versetzt. Die Abstände zwischen den Taten werden kürzer und als eine Frau an ihren Verletzungen stirbt, scheint die letzte Möglichkeit, den Täter mit einem Lockvogel zu fassen. Diese gefährliche Aufgabe übernimmt Birgit Schöneich, eine Sekretärin im Polizeidienst. Nach mehreren erfolglosen Nächten geht den Ermittlern tatsächlich ein Verdächtiger ins Netz. Doch ist das wirklich der Täter? Max Heller hat da so seine Zweifel, zumal es weitere Männer gibt, die sich seltsam verhalten.

Doch das ist nicht das einzige Problem, mit dem Max Heller zu kämpfen hat: Zwei russische Soldaten sind aus einer Kaserne geflüchtet, um nicht in Ungarn den Aufstand niederknüppeln zu müssen.

Daneben hat er private Sorgen, weil jemand Anni gesteckt hat, dass sie von Max und Karin adoptiert worden ist. Dann verschwindet das Mädchen spurlos.

„Ich frage mich, ob nicht da draußen irgendwo jemand herumläuft, der Annie sucht, der sich fragt, was aus ihr geworden ist. Der sich Vorwürfe macht, sie noch nicht gefunden zu haben.“ (S. 15)

Meine Meinung:

Frank Goldammer ist es auch in seinem 6. Krimi rund um Max Heller gelungen, die Stimmung in der DDR gut einzufangen.

Die Bespitzelung der Bevölkerung ist allgegenwärtig und macht auch vor Familienmitgliedern nicht Halt. Man kann (fast) niemandem trauen Doch hier ist Max ein wenig besser dran, denn er weiß, dass Sohn Klaus im MfS arbeitet. Interessanterweise steht er mit seinem Bruder, der in die BRD ausgewandert ist im Briefkontakt. Die Pakete die Max aus der BRD erhält, sind Klaus ein Dorn im Auge und haben auch Auswirkungen auf Anni. Sie erwecken Neid, vor allem beim Nachbarskind Vera, das ohnehin schon durch die Ankunft eines Brüderchens, hintangestellt wird.

Geschickt flicht der Autor auch die Vorurteile den Russen gegenüber ein. Vergewaltigung? Das können nur die geflohenen Russen gewesen! Gute Deutsche machen so etwas nicht - damit wird die Bereitschaft zur Selbstjustiz geschürt und Max hat Mühe, die aufgebrachten Männer zurückzuhalten.
Nachdem weitere Frauen überfallen werden, schalten sich sowohl Hellers russisches Pendant Alexej Saizew und das MfS.

Die in der DDR stationierten russischen Soldaten sind nicht freiwillig hier. Sie sind häufig einfache Bauern aus entlegensten Dörfern der UdSSR und verstehen nicht, warum sie in einem Land, dessen Sprache sie nicht verstehen, gelandet sind. Aber eines verstehen sie: sie sollen nach Ungarn, den Volksaufstand niederschlagen. Menschen töten, mit denen sie nichts am Hut haben. Die Zustände in den Kasernen und in der russischen Armee müssen grauenhaft sein, denn warum sollten die beiden desertieren und ihren eigenen Tod in Kauf nehmen?

„Arme Schweine sind das. Ich war mal in einer Kaserne. Ein Zuchthaus ist ein besserer Ort, sage ich Ihnen.“ (S. 319)

Max Heller ist mit Leib und Seele Ermittler, wenn auch unangepasst und systemkritisch. Häufig geht der Dienst vor die Familie und Karin fühlt sich mit ihren Sorgen alleine gelassen.

Fazit:

Wieder ein gelungener Krimi rund um Max Heller, der das politische Umfeld eindrücklich beschreibt. Gerne gebe ich wieder 5 Sterne.

Veröffentlicht am 30.05.2021

Ganz große Erzähkunst

Dein Schatten tanzt in der Küche
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Die Doyenne der anspruchsvollen, österreichischen Literatur, Barbara Frischmuth hält mit diesem Buch den zahllosen Büchern, die sich mit „Männergeschichten“ beschäftigen, entgegen.

Ich zitiere die Autorin ...

Die Doyenne der anspruchsvollen, österreichischen Literatur, Barbara Frischmuth hält mit diesem Buch den zahllosen Büchern, die sich mit „Männergeschichten“ beschäftigen, entgegen.

Ich zitiere die Autorin aus den Salzburger Nachrichten vom 14.05.2021: "ich schreibe Frauengeschichten, weil ich eine Frau bin. Seit Jahrtausenden werden Männergeschichten erzählt. Mich interessiert es, über Frauen zu schreiben; da gibt es viel zu entdecken"g

In fünf Erzählungen stellt sie Frauen vor, die ihre Leben meistern, aber auch scheitern (dürfen).

Dein Schatten tanzt in der Küche (Darya)
Enkelhaft (Agnes)
Kein Engel vor meiner Tür“ (Amelie)
Die Katze, die im Sprung gefror (Paula)
Die Rötung der Tomaten im Winter (Doris)

Der Tod ist wie das Leben gegenwärtig.

"Es ist unsere Zeit, wann dann, wenn nicht jetzt, wo wir einander haben. Es gibt kein später, auf das man sich verlassen kann."

Fazit:

Barbara Frischmuth hat mit diesen Essays ganz, ganz große Literatur geschrieben. Dafür gebühren natürlich 5 Sterne.

Veröffentlicht am 30.05.2021

Fesselnd bis zur letzten Seite

In der Fremde
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Josef Vierziger hat nach dem brutalen Tod seiner Freundin Conny den Dienst bei der Wiener Polizei quittiert. Nun versucht er, gemeinsam mit Hund Nero, in Apulien zwischen Trulli und Olivenbäumen sein Leben ...

Josef Vierziger hat nach dem brutalen Tod seiner Freundin Conny den Dienst bei der Wiener Polizei quittiert. Nun versucht er, gemeinsam mit Hund Nero, in Apulien zwischen Trulli und Olivenbäumen sein Leben wieder in Gleichklang zu bringen. Doch das ändert sich schlagartig, als ein durch Schüsse schwer verletzter Afrikaner vor seiner Haustür liegt. Vierziger versorgt ihn, ruft einen Arzt und findet wenig später die verstümmelte Leiche der Frau seines Schützlings am Strand.

Während sich Jacopo, der Afrikaner, langsam erholt, gerät Vierziger in einen Strudel von Ereignissen, in denen ein Flüchtlingslager, ein jugendlicher Kindsmörder sowie eine rechtsgerichtete Partei eine Rolle spielen.

Bald weiß Vierziger nicht mehr, wer Feind oder Freund ist. Obwohl er den Polizeidienst quittiert hat, sind seine Intuition und sein Scharfsinn nicht erloschen. Dennoch gerät er ins Fadenkreuz der „Sacra Corona Unita“ nicht, die krakenartig ihre Arme quer durch alle Gesellschaftsschichten ausbreitet.

Meine Meinung:

Wie so häufig, beginne ich eine Krimi-Reihe mit dem letzten Fall. So auch hier, wobei die Vorgänger bereits auf dem Stapel liegen und darauf warten, gelesen zu werden.

Dieser Krimi ist fesselnd und hervorragend geschrieben.

Sehr genau werden die Zustände in unserem Nachbarland beschrieben. Flüchtlinge, die zu Hungerlöhnen in Fabriken schuften, die in Lager gepfercht werden. Das Schicksal Jacopos ist stellvertretend für alle jene, die es schaffen und gleichzeitig für alle jene, die auf dem gefährlichen Weg in ein besseres Leben, genau dieses verlieren.

Die Charaktere, vor allem Josef Vierziger, Loredana und Franca gefallen mir sehr gut. Bei Di Gaetano habe ich ein wenig gezweifelt, auf welcher Seite er steht. Dass der Rechtsanwalt und der Arzt Dreck am Stecken haben, war ein wenig vorauszusehen: ihre Gier ist förmlich zu spüren.

Ich freue mich schon darauf, die Vorgänger zu lesen und hoffe auf einen nächsten, fünften Fall für Josef Vierziger. Bin gespannt, ob er sich der Gruppe rund um Franca anschließen wird, die der Gerechtigkeit ein wenig auf die Sprünge hilft.


Fazit:

So muss ein Krimi sein: spannend, anfangs ein wenig undurchsichtig und mit einer stimmigen Auflösung. Dieser hier verdient 5 Sterne.

Veröffentlicht am 30.05.2021

Eine spannende Reise auf Österreichs höchsten Berg

Eine Reise auf den Glockner
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Heutzutage benötigt der Reisende ca. 5 Stunden von Wien bis nach Heiligenblut, das am Fuße von Österreichs höchstem Berg liegt. In 36 Kehren überwindet man anschließend den majestätisch aufragenden Berg. ...

Heutzutage benötigt der Reisende ca. 5 Stunden von Wien bis nach Heiligenblut, das am Fuße von Österreichs höchstem Berg liegt. In 36 Kehren überwindet man anschließend den majestätisch aufragenden Berg. Auf der 48 km langen Straße, die in nur 5 Jahren in den 1930er Jahren errichtet worden ist, gelangt man von Heiligenblut in Kärnten nach Ferleiten in Salzburg. Was heute selbstverständlich ist, war 1802 ein unüberwindliches Hindernis, oder?

Mit diesem prachtvoll ausgestatteten Buch bewegen wir und zurück in das Jahr 1802. Die Napoleonischen Kriege haben einen kurzen Augenblick Pause und so macht sich ein kleines Grüppchen von nur sieben Personen, darunter Arzt und Wissenschaftler Joseph August Schultes (1773-1831) und die ungarischen Brüder, die Grafen Apponyi, von Wien aus auf, den (Groß)Glockner zu besteigen.

Die Reise startet am 10. August 1802 in Wien und endet am 24. September daselbst. Dazwischen liegen Wochen der Strapazen, des Staunens und der wissenschaftlichen Experimente.

Dr. Christoph Braumann hat die vier Bücher, die Joseph August Schultes bereits 1804 veröffentlicht hat, behutsam redigiert und für uns lesbar gemacht. Wer sie im Original lesen möchte, dem sei Google-books empfohlen, den dort sind sie als Digitalisat kostenfrei erhältlich. Allerdings bringt man sich um den Genuss, die zahlreichen, teils farbigen Bilder, die hier in diesem Buch abgebildet sind, anzusehen. Viele der Bilder sind erst Jahre später entstanden und spiegeln eine romantisierte Welt wieder.

Wie es sich für Gelehrte dieser Zeit gehört, wird kartografiert und dokumentiert. Abbildungen dieser Dokumente sind hier liebevoll in den Text integriert. So erhält der Leser Einblick in die Originallithografien und Zeichnungen. Teilweise handkoloriert vermitteln sie einen prächtigen Eindruck, den die Reisegruppe erleben konnte: zuerst in Kärnten die Klagenfurter Residenz, das Schloss Wernberg bei Villach, die Drau-Stadt Villach, das Mölltal mit der ehemaligen Bergwerksstadt Obervellach und dann anschließend das Salzburgische wie der Gasteiner Wasserfall, Lend, Burg Hohenwerfen.

Diese Reise gilt als erste touristische Reise ins alpine Gelände. Die Erstbesteigung des Glocknermassivs erfolgte bereit 1800.

Fazit:

Dieses aufwendig produzierte Buch aus dem Anton-Pustet-Verlag beleuchtet die Anfänge des alpinen Tourismus und verdient 5 Sterne.

Veröffentlicht am 23.05.2021

Eine Hommage an Venedig

Als ich einmal in den Canal Grande fiel
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Üblicherweise steht die Anzahl der Sterne am Ende einer Rezension. Doch für diese Hommage an die Serenissima breche ich mit dieser Gewohnheit: 5 Sterne für Petra Reskis leidenschaftliches Plädoyer für ...

Üblicherweise steht die Anzahl der Sterne am Ende einer Rezension. Doch für diese Hommage an die Serenissima breche ich mit dieser Gewohnheit: 5 Sterne für Petra Reskis leidenschaftliches Plädoyer für die Erhaltung der Lagunenstadt, dem ich mich gerne anschließe.

Also von Beginn an:

Petra Reski, die deutsche Journalistin und Buchautorin, die durch ihre Sizilien-Krimis rund um Serena Vitale bekannt ist, lebt seit 1991 in Venedig, weil ihr ein Venezianer über den Weg gelaufen ist (dessen Name sie hier niemals nennt, sondern nur vom „Venezianer“ spricht.

Sie schreibt voller Leidenschaft von Ebbe und Flut, von morschen Pfählen, von zerbröselndem Mauerwerk, korrupten Stadtväter, die die Stadt dem Verfall preisgeben, von Venezianern, die, weil sie das große Geld wittern, ihre Wohnungen verkaufen oder an Touristen vermieten.

„Nicht mal die Pestepidemie von 1630 war so effektiv bei der Beseitigung der letzten Venezianer wie die Erfindung der Ferienwohnung: in Venedig vermietet niemand mehr Wohnungen an Venezianer, sondern nur noch an Touristen.“

Sie schreibt von Kreuzfahrtschiffen, die durch ihre Bugwellen das ohnehin schon poröse Mauerwerk weiter zerstören, vom Ausverkauf historischer Palazzi durch die Stadtväter, die gleich eine Baugenehmigung für allerlei gesichtslose Hotels oder Konsumtempel dazulegen und vom Widerstand gegen diese Machenschaften. Zahlreiche Bürgerinitiativen kämpfen gegen diese mafiösen Strukturen.


„Der Tourist will allein sein auf der Welt, das ist sein größtes Problem.“ Ich war vor rund 30 Jahren das letzte Mal in Venedig. Manchmal habe ich Sehnsucht nach der Stadt, die seit Jahrhunderten den Gezeiten trotzt. Doch will ich nicht auch noch (m)einen Beitrag zur Zerstörung der Serenissima leisten. Deshalb verkneife ich mir eine Reise in die Lagunenstadt. Ich möchte sie so in Erinnerung behalten, wie sie damals war: kleine Geschäfte wie Bäcker, Pastaladen, Gemüsehändler, Fleischhauer, Blumenläden und natürlich (ganz wichtig für mich) Schuhgeschäfte, statt der gesichtslosen, uniformen Kaufhausketten, deren Ware man in jeder größeren Stadt der Welt bekommt.

Petra Reski lässt mit ihrer Schilderung ihre Leser das alte Venedig noch einmal (?) Revue passieren. Mit ihrem flüssigen und farbenprächtigen Erzählstil, nimmt sie uns an die Hand, schlendert mit uns über die zahlreichen Brücken (über 450) und durch verwunschene Calli. Sogar einen der seltenen Gärten dürfen wir an ihrer Seite entdecken.

Schmunzeln musste ich über die ungewöhnliche Wahl der Hochzeitslocation: statt Venedig (wie 100.000 andere weit gereiste Paare), eine Feier im Ruhrgebiet.

Fazit:

Wer Venedig wirklich liebt, reist umweltfreundlich mit der Bahn an. Ich stimme Petra Reski zu, dass es an uns allen liegt, die Serenissima zu erhalten. Gerne gebe ich dieser Hommage an die Serenissima 5 Sterne und eine Leseempfehlung.