Profilbild von Viv29

Viv29

Lesejury Star
offline

Viv29 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Viv29 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 06.02.2025

Ein im wundervollen Stil verfasster Blick in die späte Kaiserzeit

Frau Hempels Tochter. Roman
0

Es ist schon eine ganze Weile her, daß ich ein Buch so genossen habe. Alice Berend, vor der Nazizeit gefeierte Autorin, dann verfemt und vergessen, nun zum Glück wiederentdeckt, schildert in ihrem ursprünglich ...

Es ist schon eine ganze Weile her, daß ich ein Buch so genossen habe. Alice Berend, vor der Nazizeit gefeierte Autorin, dann verfemt und vergessen, nun zum Glück wiederentdeckt, schildert in ihrem ursprünglich 1913 erschienenen Roman das Berlin der späten Kaiserzeit herrlich lebendig. (Mit dem Berlin der 1920er Jahre hat das Buch nämlich entgegen des Untertitels gar nichts zu tun). Vom ersten Satz an ist man in der Geschichte drin, erlebt die Charaktere und Schauplätze so köstlich geschildert, als ob man sich mitten unter ihnen befände.
Das Buch ist mit einem haptisch angenehmen Einband versehen, dessen angenehme Farbgebung sich im Lesebändchen fortsetzt. Das Titelbild der androgynen jungen Frau aus den späten 1920ern fand ich dagegen nicht gut gewählt – es paßt nicht zur im Buch geschilderten Zeit und auch nicht zu der titelgebenden Tochter Frau Hempels.
Alice Berend schreibt in klarer, gut lesbarer Sprache einen ganz eigenen Stil, eine interessante Mischung aus teils ulkigen Wortwendungen, etwas kalenderblattartigen aber treffenden Aphorismen, geradezu poetischen Ausdrücken und vor allem einem herrlich trockenen Humor. Ich dachte hier manchmal an Walter Kempowski, dem es ebenfalls gelang, mit der Sprache so zu spielen, daß er einen sofort erkennbaren, unverwechselbaren Stil schrieb. Es war ein Vergnügen, Berends Sätze zu lesen.
Auch inhaltlich erfreut das Buch. In dem Nachwort, das gut über Berends Leben und Werk informiert, wird sie mit Fontane verglichen und dem Vergleich stimme ich zu. Bei beiden finden sich köstlich geschilderte, lebensechte Charaktere, Lebensweisheit und pointierte Schilderungen. Berend schildert das kleinbürgerliche Milieu ebenso gekonnt wie die gelegentlichen Blicke in das Leben der Großbürger und verarmten Adeligen. Man hat das Gefühl, neben Frau Hempel in der Kellerwohnung zu sitzen, die Straßenbahnen zu hören, man ist dabei, wenn die verarmte Gräfin sich mit tieftrauriger Miene in ihren von einer besseren Vergangenheit kündenden Räumen bewegt. Obwohl nicht viel mehr passiert als der normale Alltag, wird es keine Sekunde langweilig, ich hätte sogar gerne noch viel mehr gelesen. Das liegt zum einen an dem bereits erwähnten prächtigen Humor. Ich habe oft geschmunzelt und einige Male laut gelacht – ganz lakonisch wirft Alice Berend treffende Sätze ein. Zum anderen liegt es daran, daß selbst die alltäglichen Vorgänge kurzweilig und farbig geschildert werden, ebenso wie die Charaktere. Zuvörderst natürlich Frau Hempel, die so patent und liebenswert ihren Weg macht und für deren Schaffenskraft man nur Bewunderung haben kann. Aber auch das ganze Umfeld ist so treffend und unterhaltsam beschrieben, daß man von dieser Charaktervielfalt gar nicht genug bekommen kann. Inmitten dieser farbigen, leicht anmutenden Schilderungen gibt es auch sehr zärtliche Momente, die ohne Sentimentalität geschildert werden, und anrühren.
Das Ende war mir dagegen zu zuckerwattig, alles geht zu glatt, wie es auch im ganzen Buch nie wirkliche Probleme gibt und sich alles immer schnell zum Besten fügt. Während der Alltag realistisch beschrieben ist, hätte der Handlung gerade im letzten Teil eine Prise mehr Realismus gut getan, so ist es mir zu idealistisch. Aber auch das ist ausgezeichnet geschildert. Und so war „Frau Hempels Tochter“ für mich ein besonderes Lesevergnügen, mit stilistisch höchst erfreulichem Zeitkolorit und köstlichen Charakteren. Die weiteren Bücher der Autorin stehen schon auf meiner Wunschliste.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 01.02.2025

Tolle Idee, die leider zäh und konstruiert umgesetzt wurde

Das Dinner – Alle am Tisch sind gute Freunde. Oder?
0

Der Klappentext in Verbindung mit dem ausgesprochen gelungenen Titelbild hat mich gleich angesprochen. Ein Krimi-Dinner, das zum Aufbrechen alter Situationen und Einreißen freundschaftlicher Fassaden führt, ...

Der Klappentext in Verbindung mit dem ausgesprochen gelungenen Titelbild hat mich gleich angesprochen. Ein Krimi-Dinner, das zum Aufbrechen alter Situationen und Einreißen freundschaftlicher Fassaden führt, das klang originell und versprach psychologische Raffinesse.
An Originalität mangelt es dem Buch dann auch nicht, selbst wenn der Anfang nicht darauf hindeutet. Dort findet sich nämlich der ewiggleiche öde Prolog, der Bücher dieses Genres mittlerweile mit solcher Vorhersehbarkeit einleitet, als ob sein Vorhandensein und Inhalt gesetzlich vorgeschrieben wären. Nach diesem absoluten 08/15-Einstieg wird es dann aber um einiges besser. Wir lernen die fünf Protagonisten kennen, im momentan so beliebten multiperspektivischen Erzählen. Leider klingen alle Erzählstimmen komplett gleich. Das stört anfänglich noch nicht, weil die Geschichten und Situationen unterschiedlich sind. Später im Buch führte das bei mir aber gelegentlich zu Verwechslungen. Es ist schade, daß so viele Autoren gerne multiperspektivisch schreiben, ohne ihre Erzählstimmen hinreichend unterschiedlich zu gestalten.
Insgesamt ist der Schreibstil aber flüssig. Er ist eher einfach gehalten, aber für das Genre ausreichend. Erfreut haben mich einige treffende Vergleiche und gelungene Schilderungen der Umgebung. Weniger erfreut hat mich die teilweise Verwendung des Kunstbegriffs „Mitarbeitende“. Dieser wird dann auch in einem Dialog verwendet und das ist sehr unrealistisch, denn die Anzahl der Leute, die diesen Begriff in einer Unterhaltung mit Freunden verwenden, ist – zum Glück – verschwindend gering und bei dem Charakter, um den es hier geht, ist es äußerst unglaubwürdig, daß er den Begriff benutzen würde. Hier wurde also leider die Plausibilität zugunsten der Sprachbevormundung aufgegeben.
Ebenfalls störten mich mehrere unbeholfen wirkende Satzstellungen (die mich bei diesem renommierten Verlag auch erstaunten) und der falsch verwendete Begriff „echote“. Wenn man etwas echot, wiederholt man es. Hier wird aber nichts wiederholt, sondern auf eine Frage geantwortet – ein ziemlich plumper Fehler.
Trotz dieser kleineren stilistischen Mankos gefiel mir das erste Drittel des Buches sehr gut. Während man die Charaktere kennenlernte, gab es schon mehrere Andeutungen, wie viel zwischen den vermeintlichen Freunden im Argen liegt. Das Spannungsniveau war hier hervorragend, ich las gebannt und sah den so ausgezeichnet geschilderten Handlungsort regelrecht vor mir. Man spürte das in der Luft liegende Unheil geradezu und ich war äußerst gespannt und freute mich auf das, was kommen würde. Der Beginn des Krimidinners und der immer stärker werdenden unterschwelligen Spannung war ausgezeichnet. Vorne im Einband finden sich ein Sitzplan und eine Namensübersicht, so daß man nicht durcheinander kommt, wenn alle Protagonisten ihre Krimi-Dinner-Persönlichkeit annehmen – ausgezeichnete Idee.
Dann aber fiel das Buch rapide ab. Mit Beginn des Krimidinners wurde auf zwei Zeitebenen geschildert (ebenfalls ein sattsam benutztes Stilmittel, das aber durch die Krimidinner-Perspektive trotzdem etwas Frisches hat). Die Geschehnisse um das damalige Verschwinden der sechsten im Bunde, Maria, spielen sich auf einem Musikfestival ab und werden in quälender Zähigkeit und ad nauseam aus mehreren Perspektiven geschildert. Jede Einzelheit wird ausführlich dargelegt, jede Information mehrmals erwähnt, dazwischen führen die Charaktere ausführliche Dialoge voller Mutmaßungen. Letzteres mag realistisch sein, aber als Lektüre ist es unendlich langweilig, vor allem, wenn es unablässig vorkommt. Ich versank beim Lesen in Einzelheiten und Wiederholungen. Viele Geschehnisse ähnelten sich, vorwiegend wird getrunken und rumgemacht, werden Drogen genommen und Handys hochgehoben und wieder weggelegt. Irgendwann wurde es zu einem zähen Einheitsbrei, der mich mit jeder Seite weniger interessierte.
Hinzu kommt, daß die Geschichte immer konstruierter wird. Auch das fast krampfhafte Bemühen der Autorin, jedem Protagonisten ein Motiv gegen Maria zu geben und alle gewissermaßen fast im selben Moment mit Rachegedanken losziehen zu lassen, führt zu zunehmend seltsamen, übertriebenen Konstruktionen. Was da in einem Tag alles zufällig ans Licht kommt, ist schon abstrus. Auch die Gegenwartshandlung kippte genau in dem Moment, in dem ich mich auf ein psychologisch ausgefeiltes Kammerspiel freute, ins Übertriebene und Platte. Anstatt von Raffinesse bekam ich dann so etwas zu lesen: „Ich höre Knochen brechen, dann spritzt das Blut in alle Richtungen wie bei einer kaputten Sprinkleranlage.“
Diese Mischung aus viel zu langgezogen, viel zu übertrieben und viel zu plump traf meinen Geschmack überhaupt nicht und wirkte für mich wie eine verschenkte Möglichkeit.
Trotzdem gelang es der Autorin, mich mit zwei Wendungen zu überraschen, die ich gelungen fand. Besonders das Ende konnte vieles wieder wettmachen. Dieses war unerwartet, originell und größtenteils plausibel. Man könnte also sagen: eine ausgezeichnete Vorspeise, köstlich mundend und Appetit machend. Dann leider gefolgt von einem völlig überwürzten, zähen und schwer im Magen liegenden Hauptgang, dem aber immerhin ein kreatives Dessert folgt. Man hätte aus dieser originellen Idee wesentlich mehr machen können. So bleibt sie halbgar.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 17.01.2025

Zäh und gleichförmig

Verlassen
0

Eigentlich liebe ich Geschichten, in denen sich nach und nach Vergangenes offenbart und so manche heile Fassade eingerissen wird. Leider mache ich aber oft die Erfahrung, daß nur wenige der vielen Autoren, ...

Eigentlich liebe ich Geschichten, in denen sich nach und nach Vergangenes offenbart und so manche heile Fassade eingerissen wird. Leider mache ich aber oft die Erfahrung, daß nur wenige der vielen Autoren, die sich diesem Thema widmen, dieses gekonnt umsetzen können. Dieses Buch reiht sich in diese Erfahrung ein, denn währen der Klappentext vielversprechend klang, hat die Umsetzung mich enorm enttäuscht.
Es beginnt ansprechend – Island als Schauplatz gefiel mir und der Handlungsort ist ausgezeichnet gewählt: ein ungewöhnliches Hotel in einem Lavagebiet. Das Hotel wird anschaulich geschildert und verbreitet eine gelungen unangenehme Atmosphäre. Auch der erste Blick auf die Charaktere macht neugierig. Wir erfahren die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven; ein gutes Werkzeug, um Eindrücke zu komplettieren und manchmal auch umzuwerfen. Ein großes, sich immer mehr bemerkbar machendes Manko war allerdings, daß diese verschiedenen Personen alle dieselbe Erzählstimme haben. Ob Teenager Lea, ihre Mutter Petra, die Hotelangestellte Irma oder der ältere Schreiner – alle haben sie denselben Duktus, unabhängig von Alter, Hintergrund, Erfahrungen. Das ging mir zunehmend auf die Nerven und war alles andere als gekonnt.
Ebenso enervierend waren überflüssige Erklärungen des Offensichtlichen und häufige Wiederholungen. Insbesondere die Tatsache, daß die Familie Snæberg steinreich ist, wird quasi in Dauerschleife erklärt. Bei manchen Einleitungen dachte ich schon: „Ah, jetzt kommt der nächste Hinweis auf den immensen Reichtum. Ist ja auch schon mindestens fünf Seiten her, daß es erwähnt wurde.“
Trotz dieser stilistischen Schwächen ließen sich die ersten etwa hundert Seiten gut an. Man lernte die zahlreichen Familienmitglieder kennen und erhielt mehrere Andeutungen, die neugierig machten. Ein Stammbaum am Anfang des Buches war hier sehr hilfreich, denn es sind eine Menge Charaktere vor Ort – und die meisten von ihnen bleiben blass und eindimensional, wie sich zunehmend herausstellte. Der Blick hinter die zuerst so perfekt scheinenden Fassaden offenbarte zunehmend Dunkles und das ist anfangs überwiegend gut gemacht und spannend. Nur die Ermittlungskapitel, die nach der Tat spielen, sind von Anfang an blass und ziemlich inhaltslos.
Irgendwann aber begann sich die Geschichte im Kreis zu drehen. Nach dem ersten Drittel hatte ich angefangen zu hoffen, daß es nun endlich mal etwas abwechslungsreicher wird, denn die Handlung zog sich entsetzlich. Ich hatte vermehrt das Gefühl, daß die Autorin versucht hat, die Spannung künstlich in die Länge zu ziehen. Lange introspektive Passagen, Erinnerungen, belanglose Ereignisse und zähe Unterhaltungen bestimmen die Buchseiten. Hinzu kommt, daß nicht nur die Erzählstimmen gleich sind, auch die Erlebnisse ähneln sich ziemlich. Natürlich gibt es Variationen, aber letztlich ähneln die „Charaktere trinken zu viel, führen allerlei Unterhaltung ähnlicher Art, haben Erinnerungen voller Andeutungen, werden bedrängt oder erinnern sich, bedrängt zu werden“-Passagen so sehr, daß ich sie manchmal verwechselte. Dazu kam, daß diese Häufung an dunklen Geheimnissen ausgesprochen übertrieben wirkte.
Etwa ab Seite 200 war ich nur noch gelangweilt und enerviert. War ich anfänglich noch ungemein gespannt auf die weiteren Entwicklungen und Auflösungen gewesen, hatte ich das Interesse an der Geschichte zu diesem Zeitpunkt komplett verloren. Den Rest habe ich mehr oder weniger überflogen, weil ich mich nicht mehr durch diesen zähen Brei durchkämpfen wollte. Das Ende, das in Großteilen ebenfalls sehr konstruiert war, lohnte sich dann leider auch nicht mehr. Schade, die Ansätze waren hervorragend, aber die Umsetzung sehr schwach.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 01.01.2025

Interessanter Blick auf Klaus Mann und seine Zeit

Berlin war meine Stadt
0

„Berlin war meine Stadt“ beeindruckt schon auf den ersten Blick durch den herrlichen Einband. Wieder einmal hat der BeBra Verlag hier liebevoll und originell gestaltet! Ein absoluter Hingucker, toll gemacht. ...

„Berlin war meine Stadt“ beeindruckt schon auf den ersten Blick durch den herrlichen Einband. Wieder einmal hat der BeBra Verlag hier liebevoll und originell gestaltet! Ein absoluter Hingucker, toll gemacht. Die Schlichtheit der Buchdeckel – die an ein Buch aus den 1920ern erinnern – wird durch den satinartigen Buchrücken und die interessante „tiefergelegte“ Schrift und Gestalt auf den Buchdeckeln hervorragend komplimentiert. Dieser Einband ruft bereits das Gefühl Berlins in den wilden 20ern hervor – klasse gemacht, ein großes Kompliment an den Verlag!
Inhaltlich finden sich Auszüge aus Klaus Manns Texten, jeweils mit einer kleinen Einleitung, welche nützliche Hintergrundinformationen liefert. Auch das Vorwort überzeugt, es ist knapp gehalten, enthält aber alle relevanten Informationen und ist als Einführung zur Person, Zeit und zum Werk Klaus Manns hilfreich und gelungen. Als Bewunderin von Klaus Manns elegant-prägnantem Schreibstil habe ich die ausgewählten Passagen natürlich sehr genossen. Gerade bei seinen Beschreibungen des eigenen Lebens und der Atmosphäre, die damals in Berlin herrschte, brilliert er und zeigt in jedem Satz, daß er den Vergleich mit seinem Vater in keiner Weise scheuen muß.
Die autobiographischen Texte verraten viel über diese Vater-Hypothek, die ein Leben lang schwer über ihm hing. Sie sind gut ausgewählt, bieten Einblicke, die auch für jene interessant sind, die Mann schon kennen, und für jene informativ, die ihn noch nicht gut kennen. Die erste Hälfte des Buches hat mich schlichtweg begeistert, eine tolle Mischung aus persönlichen Informationen und Berliner Atmosphäre. Einige seiner Artikel als Kunstkritiker aufzunehmen ist eine hervorragende Idee – diese Texte kannte ich auch als mit seiner Arbeit Vertraute noch nicht, und sie sind die Lektüre absolut wert. Ein wenig enttäuscht war ich allerdings darüber, daß in der zweiten Hälfte kaum noch die Rede von Berlin ist. Eine recht lange Reisebeschreibung widmet sich detailliert Frankreich und anderen Ländern, was mir angesichts des Fokus des Buches viel zu viel Raum einnahm. Auch die politischen Essays und eher philosophischen Betrachtungen waren mir zu trocken und hatten mit Berlin höchstens am Rande zu tun. Der Einblick in das Emigrantenleben war teilweise interessant, brachte aber auch vieles, das jedem, der sich schon mit der Familie Mann beschäftigt hat, mehr als vertraut ist. Hier spielt natürlich die Erwartungshaltung und der individuelle Wissensstand über die Familie eine Rolle – an sich ist es eine gute Idee, das Buch mit diesen biographischen Informationen über die Familie in der Emigration abzuschließen.
Für ein Buch, das sich Klaus Manns Blick auf Berlin widmen möchte, war mir wesentlich zu wenig Berlin enthalten und die zweite Hälfte hat mir weniger gefallen als die wundervolle erste Hälfte. Insgesamt aber ist es eine ausgezeichnete Idee, Klaus Mann durch eine Auswahl seiner eigenen Texte und die prägnanten Einführungen vorzustellen, und man bekommt einen umfassenden Eindruck von seiner Persönlichkeit und seinem Leben bis zur Emigration.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
Veröffentlicht am 11.12.2024

"So lasst mir doch mein junges Leben!"

Frauen gegen Hitler
0

Dieses Buch erweckt schon auf den ersten Blick einen ausgezeichneten Eindruck, denn es ist wunderschön gebunden. Das Buchrückenmaterial, das satinartig glänzt, ist ein echter Hingucker und seine kräftige ...

Dieses Buch erweckt schon auf den ersten Blick einen ausgezeichneten Eindruck, denn es ist wunderschön gebunden. Das Buchrückenmaterial, das satinartig glänzt, ist ein echter Hingucker und seine kräftige Farbe setzt sich im Titel und der Namensliste auf der Rückseite fort. Sehr gelungen – die Einbandgestaltung ist schnörkellos, klar und doch auffallend.
Innen ist das Buch wesentlich schlichter. Abbildungen fehlen leider komplett – ein kleines Foto jeder der Frauen hätte ich sehr ansprechend gefunden, damit man zum Namen auch ein Gesicht hat.
Auf den ersten knapp vierzig Seiten findet sich eine Einführung, welche die verschiedenen Widerstandsgruppen, aber auch die unterschiedlichen Arten, auf denen Menschen während der Nazi-Diktatur Widerstand geleistet haben, darstellt. Das ist übersichtlich und informativ, wenn auch – wie später einige der Kapitel über die jeweiligen Frauen – gelegentlich etwas aufzählend, auch wird manches aus den einzelnen Kapiteln hier schon erwähnt, auch in den Kapiteln doppelt sich mehreres. Somit eignet sich das Buch aber eben auch dafür, nur einzelne Kapitel zu lesen. Jede der Frauenbiographien steht hier für sich und was sich beim kontinuierlichen Lesen als Wiederholung darstellt, hilft beim Lesen ausgewählter Kapitel natürlich, wesentliche Zusammenhänge zu erklären.
Mir hat sowohl im Vorwort wie auch bei der Berücksichtigung der einzelnen Frauen gefallen, daß Wert darauf gelegt wurde, jene zu würdigen, die schon fast vergessen wurden oder deren Namen uns gar nicht bekannt sind, weil sie ihre Aktivitäten auch nach dem Krieg nie erwähnten. So findet sich unter den 52 (nicht wie im Klappentext erwähnt 50) kapitelweise vorgestellten Frauen eine enorme Bandbreite, sowohl was Herkunft und Bekanntheitsgrad wie auch Tätigkeiten im Widerstand angeht. Sehr schön, daß hier auch einige der wenig Bekannten oder gar Vergessenen gewürdigt werden, und daß auch gezeigt wird, auf welch vielfältige Weise Widerstand ausgeübt wurde. Allerdings erschien mir u.a. Marlene Dietrich hier etwas fehl am Platz, insbesondere wenn man den Klappentext bedenkt („… die sich unter Lebensgefahr in Untergrundorganisationen engagierten, Verfolgte versteckten oder ihnen zur Flucht verhalfen, Flugblätter verteilten oder Treffpunkte organisierten.“).
Die einzelnen Kapitel sind sehr kurz, meistens nur zwei oder drei (kleinformatige) Seiten lang. Diese Seiten enthalten viele Informationen, aber oft war mir das zu knapp. Die drei Schwestern Hammerstein werden in einem Kapitel behandelt und bekommen insgesamt nur vier Seiten, dabei merkt man beim Lesen, wie viel hier noch zu erzählen gewesen wäre. Dem Buch hätten zwanzig, dreißig Seiten mehr gut getan, denn während sehr gut berichtet wird, was die jeweilige Person getan hat (und wie grausam viele von ihnen dafür verfolgt und gequält wurden), fehlt meistens Weitergehendes. Wir lernen die Handlungen kennen, aber nur selten die Menschen dahinter. Das liegt in manchen Fällen daran, daß nicht viele Informationen zur Verfügung stehen, oft aber auch an dem sehr knappen Format. Auch gab es immer wieder Informationen, die Fragen aufwerfen oder zusätzlicher Informationen bedürfen, welche in zwei, drei erklärenden Sätzen hätten eingefügt werden können. So mußte ich online danach suchen. Das fand ich etwas enttäuschend. Sehr schön fand ich dagegen die vielen Zitate der Frauen oder ihres Umfelds, welche mehr Leben und eine persönliche Note in die Texte brachten.
Insgesamt ist das Buch als Nachschlagewerk und zur ersten Information gut gelungen. Obwohl ich mich mit der Thematik schon vorher eingehend beschäftigt habe, habe ich hier noch viele neue Informationen erfahren und fand mir Bekanntes gut geschildert. Auch die abscheuliche Grausamkeit, mit der das verbrecherische Naziregime Menschen verfolgte, kommt hier schmerzhaft deutlich hervor. Oft genug war ich beim Lesen beklommen. Gut fand ich auch, daß z.B. bei Hilde Benjamin oder Elfriede Paul erwähnt wird, daß diese sich zwar mutig gegen die Nazi-Diktatur auflehnten, sich nach dem Krieg aber einer anderen Diktatur andienten.
Gerade in heutigen Zeiten, in denen rechte Parteien und Strömungen verharmlost werden, ist ein solches Buch wichtig, das daran erinnert, wohin es führen kann, wenn man die Warnzeichen übersieht, und das jene würdigt, die solch unglaublichen Mut aufbrachten, sich gegen eine mörderische, menschenverachtende Diktatur zu stellen. „Frauen gegen Hitler“ ist eine zwar oft etwas zu knapp gehaltene, aber doch bemerkenswerte Zusammenstellung von ebenso bemerkenswerten Frauen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil