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Veröffentlicht am 10.02.2019

Fulminant

Als das Leben vor uns lag
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"Über den Erinnerungen an die Vergangenheit liegt ein schrecklicher Schatten."

Es gibt Bücher, bei denen man während des Lesens fast ängstlich auf die Seitenzahlen schaut, weil man nicht möchte, daß sie ...

"Über den Erinnerungen an die Vergangenheit liegt ein schrecklicher Schatten."

Es gibt Bücher, bei denen man während des Lesens fast ängstlich auf die Seitenzahlen schaut, weil man nicht möchte, daß sie irgendwann enden. Solch ein Buch ist "Als das Leben vor uns lag". Was für eine unglaubliche Mischung aus Charakteren, Schicksalen, Geschichte!

Von Anfang an ist man ganz in der Geschichte drin. Wir befinden uns in einer spanischen Klosterschule des Jahres 1950. Fünf vierzehnjährige Schulkameradinnen, Freundinnen, spielen ein Pfänderspiel, das zu einer gravierenden Wendung in ihrer Leben führen wird. Die fünf Mädchen sind beeindruckend charakterisiert und die Autorin versteht es meisterhaft, nach und nach Informationen ins Geschehen einzuflechten, durch die wir die fünf besser kennenlernen. Genau dies behält sie auch während des Buches bei, so entblättern sich auf über 300 Seiten allmählich immer neue Aspekte, runden das Bild ständig neu ab. Unvorhergesehene Wendungen gibt es reichlich, alle gekonnt eingebracht. In den ersten Informationen über die Mädchen deutet sich auch schon der geschichtliche Einfluß an - wir befinden uns in Francos Spanien. Ich muß gestehen, daß ich über diese Zeit recht wenig weiß und so gab es viele geschichtliche Informationen, die mich überrascht und entsetzt haben. Ich wußte nicht, wie brutal die Diktatur auch noch nach dem Krieg war, wie groß die Macht des Klerus (sogar ein Frauengefängnis wird von Nonnen geführt). Die Andeutungen und ersten Blicke in das Leben der fünf Mädchen machen also sofort neugierig, der Abschnitt über 1950 endet zudem mit unerklärten Geschehnissen.

Die Geschichte springt vorwärts ins Jahr 1981 und nun ist jeder der fünf, die mittlerweile 45jährige Frauen sind, ein Kapitel gewidmet, welches einerseits die (Rahmen)Handlung weiter fortführt, andererseits aber auch ausführlichere Rückblicke auf das Leben jeder Frau in den Jahren seit 1950 bietet. Die fünf sind sehr verschieden, ihre Erfahrungen entfalten sich zu einem schillernden Panorama Spaniens. Manche sind ausgesprochen interessant, wie Olga, deren Leben absolut leer ist und die nur aus Schein und Selbstbetrug besteht. Obwohl bei ihr am wenigsten passiert, fand ich ihre Geschichte am spannendsten, was an ihrem von der Autorin so wunderbar gezeichneten Charakter liegt. Olga ist kein Sympathieträger, aber sie gehört zu den Unsympathen, über die man gerne liest. Ihre Schwester Marta ist der ruhige See, unter dessen Oberfläche sich viel abspielt. Während Olga uns zeigt, wie das Leben der höheren Tochter verläuft, erfahren wir durch Marta einen interessanten Überblick über die Situation einer berufstätigen Frau jener Jahre. Lola/Lolita dagegen bleibt über das ganze Buch hinweg etwas blaß und ihre Geschichte hat mich nicht so sehr überzeugt. Nina ist hauptsächlich schrille, laute, ordinäre Hülle und die Einzige, bei der sich bis zum Ende hin keine Substanz zeigte. Die fünfte im Bunde ist Julia, damals aufgrund ihrer einfachen Herkunft Außenseiterin und auch jetzt - wenn auch aus anderen Gründen - etwas außen vor. Ihr Schicksal ist am stärksten mit der Geschichte der Franco-Diktatur verwebt und mir stockte beim Lesen oft der Atem.

Es ist kein Buch der dramatischen Geschehnisse - die Handlung selbst findet an zwei Abenden in den Jahren 1950 und 1981 statt und abgesehen von Julias Geschichte sind auch die Lebensrückblicke nicht per se ungewöhnlich. Es sind Dinge, die Frauen dieser Generation - und auch anderer Generationen - häufig erlebten. Ungeplante Schwangerschaft, Vernunftehe, Entfremdung, Bestehen in der Arbeitswelt, Bilanzziehung in der Mitte des Lebens. Und doch kommt bei jeder dieser Frauen noch eine ungewöhnliche, unerwartete Note hinzu, spielt die Geschichte des Landes immer wieder mit hinein. Care Santos berichtet all dies unaufgeregt, manchmal mit einer Prise Humor, die Rückblicke größtenteils ohne Dialoge. Der Stil liest sich angenehm, kurzweilig (abgesehen von einer für meinen Geschmack zu langatmigen Szene im psychiatrischen Krankenhaus). Es gibt ein paar Dialoge, die ich nicht wirklich gelungen fand, ein paar Wiederholungen, aber letztlich habe ich das Buch gebannt gelesen, war gespannt darauf, was als nächstes ans Licht kommen würde, war fasziniert davon, was ich über Francos Spanien lernte. Zu gerne hätte ich diese fünf Frauen noch weiter begleitet, denn auch das Ende bleibt dem Stil des Buches treu und macht neugierig auf weitere angedeute Entwicklungen.

Gerade die Welt von Olga, Marta und Julia hat mir ausnehmend gut gefallen, mich in ihren Bann gezogen. Selten habe ich so viel inneren Anteil an Buchcharakteren genommen und ich kann die so lebensechte, fein gestaltete Charakterbescheibung der Autorin nur noch einmal hervorheben. Ein wahres Leseerlebnis!

Veröffentlicht am 03.02.2019

Unterhaltsamer und informativer Einblick in eine einzigartige Freundschaft

Goethe und Schiller: Geschichte einer Freundschaft
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Hier werden die beiden literarischen Genies ganz menschlich dargestellt. Informativ, fundiert und dabei unterhaltsam - so muss Sachbuch sein.

Auch beim zweiten Lesen war dieses Buch wieder ein reines ...

Hier werden die beiden literarischen Genies ganz menschlich dargestellt. Informativ, fundiert und dabei unterhaltsam - so muss Sachbuch sein.

Auch beim zweiten Lesen war dieses Buch wieder ein reines Vergnügen. Safranski beschreibt die Freundschaft zwischen Goethe und Schiller so lebendig und unterhaltsam, daß es sich wie ein Roman liest. Der Stil ist flüssig, untermalt mit zahlreichen Zitaten, die sich angenehm in den Text einfinden und diesen nicht unterbrechen (wie es bei anderen Sachbüchern leider manchmal vorkommt). Der Autor hält sich selbst angenehm zurück (dies fiel mir gerade im Gegensatz zu den kürzlich gelesenen Büchern "Schillers Doppelliebe" und "Unser armer Schiller" sehr erfreulich auf), läßt Goethe und Schiller aber durch ihre eigenen Aussagen und jene ihrer Zeitgenossen sehr lebendig werden.

Es wird gut beschrieben, aus welchen Motiven und Gedanken die beiden großen Dichter anfangs nicht angetan voneinander waren, wie sie sich annäherten, welche Wirkung dies auf ihr jeweiliges Werk hatte. Auf die zur Zeit der Freundschaft entstandenen Werke geht Safranski jeweils ein und liefert dadurch auch für das Verständnis dieser wertvolle Informationen und Einsichten. Es ist beeindruckend zu lesen, wie sehr sich Goethe und Schiller austauschten, welchen Gewinn - und welches Vergnügen - beide dadurch zogen, wie aber auch Mißerfolge erlebt wurden. Ihre sehr gegensätzlichen Charaktere und Weltsichten werden hervorragend ausgearbeitet und ermöglichen dadurch ebenfalls einen neuen Blick darauf, warum und wie sie vieles taten, sahen, schrieben. Diese Gegensätze führten zur anfänglichen Abneigung, wurden dann aber vorzüglich zum beiderseitigen Vorteil genutzt, was beide auch erkannt haben. Die philosophischen Erläuterungen waren mir manchmal, wie auch in Safranskis Goethebiographie, zu ausführlich, aber das liegt in meinem mangelnden Interesse an diesem Thema begründet.

Nun war diese Freundschaft aber kein reines Zweckbündnis, und auch das wird in diesem Buch sehr angenehm dargestellt - die kleinen gegenseitigen Gesten der Freundschaft, der Sympathie werden anschaulich geschildert und so erfährt man viel nicht nur über die Dichter Goethe und Schiller, sondern auch die Menschen Goethe und Schiller. Es ist eine anschauliche detaillierte Rundumbetrachtung der Freundschaft und der beiden Männer. Wenn Information und Unterhaltung so angenehm verbunden werden, ist es eine Freude, ein Buch zu lesen.

Veröffentlicht am 03.02.2019

Einfühlsamer und interessanter Blick auf ein vielseitiges Genie

Goethe - Kunstwerk des Lebens
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Wieder einmal hat Safranski es geschafft, mich mit einer Biographie in Bann zu ziehen. "Goethe - Kunstwerk des Lebens" ist eine umfangreiche Goethebiographie, betrachtet Goethe von vielen Seiten. Der ...

Wieder einmal hat Safranski es geschafft, mich mit einer Biographie in Bann zu ziehen. "Goethe - Kunstwerk des Lebens" ist eine umfangreiche Goethebiographie, betrachtet Goethe von vielen Seiten. Der Schreibstil von Safranski ist wie immer angenehm zu lesen, an vielen Stellen fast so unterhaltsam wie ein Roman. Manche Sätze sind so herrlich formuliert, daß ich sie mehrfach gelesen habe. Er hält eine gute Balance aus eigenem Text und Zitaten, so daß diese die Stimmen von Goethe und seinen Zeitgenossen hervorragend in de Text integrieren und dadurch für ein noch runderes Bild sorgen, ohne daß zu lange Zitate den Text zu sehr unterbrechen (wie ich es in anderen Büchern schon erlebt habe).

Safranski berichtet über die Geschehnisse in Goethes Leben, aber auch, wie sie ihn beeinflußt haben, wie er dachte und empfand. Wir erleben Goethes Verwandlungen im Laufe seines langen Lebens mit, sehen die Lebenskrisen und auch die Selbstzweifel, die sogar einen Goethe nicht verschonen. Die Beziehungen zu Schwester, Mutter, dem Herzog, Anna Amalia, natürlich Schiller und anderen wichtigen Freunden sind gut dargestellt. Die Beziehung zu seinem Sohn kommt leider viel zu kurz, hier hätte es viel mehr zu berichten gegeben.

Ganz ohne Philosophiererei geht es bei Safranski nicht, aber die manchmal recht trockenen und theoretischen Ausflüge hielten sich hier - anders als bei seiner Schiller-Biographie - zum Glück in Grenzen. Die wichtigsten Werke Goethes werden vorgestellt, hier erfolgte wie auch in der Schiller-Biographie immer auch ein informativer Blick auf Lebensumstände und Gedanken Goethes zur Zeit des jeweiligen Werkes, was das Bild gut abrundet. Das Kapitel zu Faust bietet eine hervorragende Einführung auch gerade in die Komplexität von Faust II - für den Leser, der das Werk nicht kennt ist es informativ und nicht überfordernd; für den Leser, der mit Faust II vertraut ist, ist es immer noch eine gute Zusammenfassung mit interessanten Punkten.

Zum Ende hin kann Safranski sehr gut vermitteln, wie der alternde und immer wieder kränkelnde Goethe mit dem Verrinnen seiner Lebenszeit hadert, wie einsam es manchmal gewesen sein muß, nachdem die Weggefährten starben und Goethe merkte, daß seine große Zeit, die Freundschaft und das Arbeiten mit Schiller, für viele nur noch nicht besonders relevante Vergangenheit waren. Auch die Tatkraft dieses Goethe der letzten Lebensjahre kommt hervorragend rüber. Das letzte Kapitel, in dem Goethe sein Lebenswerk ordnet und zusammenstellt, die Plätze seiner Jugend besucht, ist unglaublich berührend.

Ein tiefgehendes, menschliches und anrührendes Werk ist Safranski hier gelungen.

Veröffentlicht am 03.02.2019

Facettenreiches und berührendes Panorama

Suite française
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Suite Francaise umfaßt die ersten zwei von fünf Teilen, die Irène Némirovsky als auf 1000 Seiten angelegtes Werk über Frankreich im Zweiten Weltkrieg schreiben wollte. Sie wußte während des Schreibens, ...

Suite Francaise umfaßt die ersten zwei von fünf Teilen, die Irène Némirovsky als auf 1000 Seiten angelegtes Werk über Frankreich im Zweiten Weltkrieg schreiben wollte. Sie wußte während des Schreibens, daß sie als konvertierte Jüdin im besetzten Frankreich in großer Lebensgefahr war und so erlitt sie 1942 auch das grausame Schicksal von Deportation und Tod. Ihr Manuskript überstand die Kriegswirren und so blieb ihr wundervolles Panorama für heutige Leser zum Glück erhalten. Diese ersten zwei Teile sind in sich abgeschlossen genug, um nicht wie ein Fragment, sondern wie ein vollendetes Werk zu wirken.

Im ersten Teil wird die Panik beim Einmarsch der Wehrmacht in Frankreich im Sommer 1940 beschrieben. In kurzen lebhaften Kapiteln wird berichtet, wie verschiedene Einwohner von Paris auf die Gefahr reagieren, wie sie flüchten und was ihnen widerfährt. Die Charaktere sind unterschiedlich und bieten somit einen interessanten Überblick über verschiedene Menschen und Situationen - die wohlhabende elitäre Familie, der alternde hedonistische Schriftsteller, der weltfremde Porzellansammler, der opportunistische Bankdirektor und seine Geliebte, das anständige und oft übervorteilte Paar der Mittelschicht. All diese Menschen werden hervorragend dargestellt und es ist faszinierend, wie sie im Rahmen ihrer jeweiligen Möglichkeiten das gleiche Ziel - die Flucht aus Paris - völlig verschieden angehen. Irène Némirovsky berichtet über diese Menschen in einem wunderschön zu lesenden Stil, mit herrlichen Details, die so viel über die Charaktere aussagen. Sie mischt leisen Humor mit tiefer Melancholie, stellt deutlich dar, wie der Überlebensinstinkt oft die Menschlichkeit vertreibt. Ich habe es genossen, von einem Charakter zum nächsten zu reisen, die Wechsel zwischen den Schicksalen waren gut gestaltet, hielten die Geschichte abwechslungsreich und lebendig.

Ein Charakter schlägt die Brücke zu Teil 2, der währen der deutschen Besetzung in einem kleinen französischen Dorf spielt. Die Charaktere des ersten Teils kommen hier nur noch in vereinzelten Randbemerkungen vor - geplant war, sie im dritten Teil wieder zusammenzuführen. So lernt man also hier ganz neue Charaktere kennen und wieder schafft es Irène Némirovsky, die Atmosphäre wundervoll zu gestalten. Man sieht die einfachen Bauernhöfe genau so deutlich vor sich, wie das elegantere Haus einer der reichsten Familien des Dorfes, spürt die Natur, die Stimmung in den kleinen Läden. Es ist ganz meisterhaft geschrieben (um so beeindruckender, da dies ein erster Entwurf war, den Irène Némirovsky noch überarbeiten wollte). Auch hier sind die Charaktere echt und lebendig. Mit wenigen Worten werden ihre Gedanken, Sorgen, Wünsche bemerkenswert dargestellt. Ausgesprochen interessant ist auch die Entwicklung zwischen Dorfbewohnern und den deutschen Besatzungssoldaten über drei Monate hinweg. Die anfängliche Feindseligkeit gegenüber den "Boches" läßt bei vielen Dorfbewohnern recht schnell nach, als sie sehen, daß diese deutschen Soldaten sich angemessen, durchaus höflich verhalten, daß sie ebenso Individuen mit eigenen Wünschen und Sorgen sind. Häufig wird erwähnt, wie jung diese Männer sind, gerade mal um die Anfang 20, daß sie Heimat, Eltern, Ehefrau, Kinder vermissen. Dieser seltsame Zwiespalt zwischen dem Menschen, der einem gar nicht unsympathisch ist und dem Feind, der Teil der Besatzungstruppen und einer grausamen Macht ist, wird hier feinfühlig und vielfältig aufgezeigt. Es ist fazinierend zu sehen, daß die Deutschen manchmal gar nicht verstehen, warum ihnen keine echte Freundschaft entgegengebracht wird, also ob sie selbst vergessen, in welcher Rolle sie in diesem Dorf, diesem Land sind. Manchen ist es wohl bewußt und so wird von einem Deutschen darauf hingewiesen, daß es nach dem ersten Weltkrieg genau umgekehrt war und die Franzosen da nicht verstehen konnten, daß das besiegte Deutschland Groll gegen die Sieger hegte. So wird gut gezeigt, daß es meistens nicht die Menschen sind, die Feindschaft hegen, sondern es ihnen von ihren jeweiligen Ländern aufdiktiert wird. Berührend hier auch der Abzug der Besatzungssoldaten, die nach Russland abkommandiert werden - man weiß, was ihnen dort widerfahren wird, und sie ahnen es auch schon. Die einzelnen Schicksale zeigen auch gut, wie der Krieg Leute zusammenbringen kann, sie in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen aber dennoch oft an Krieg und Politik scheitern müssen.

Es hat Spaß gemacht, die verschiedenen Schicksale zu verfolgen, mit einigen Leuten mitzufiebern, die Situationen auf beiden Seiten zu sehen, dies in einer wundervollen, leichten Sprache, die gerade dadurch oft sehr eindringlich wirkt. Ein bemerkenswertes Buch, daß mich tief berührt hat.

Veröffentlicht am 03.02.2019

Informativ und gut geschrieben

Ostpreussen
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Es gelingt Andreas Kossert auch in dieser abgespeckten Version seines Buches, das Wesentliche über die ostpreussische Geschichte sehr gut zu vermitteln. Er hat einen angenehmen Schreibstil, zurückhaltend ...

Es gelingt Andreas Kossert auch in dieser abgespeckten Version seines Buches, das Wesentliche über die ostpreussische Geschichte sehr gut zu vermitteln. Er hat einen angenehmen Schreibstil, zurückhaltend und doch packend. Das Buch läßt sich leicht lesen und vermittelt Geschichte auf lebendige Weise.

Die Ursprünge und frühe Geschichte Ostpreussens sind hier sehr knapp gehalten, da hätte ich tatsächlich gerne etwas mehr gelesen, aber die Beck-Reihe ist ja bewußt als kurze Einführung in Themen gedacht. Mehr als die Hälfte des Buches widmet sich der Zeit des Dritten Reiches und der Nachkriegszeit. Im ganzen Buch gelingt Andreas Kossert eine gute Verbindung von großer Politik und dem alltäglichen Leben. Die geistigen Strömungen innerhalb des Landes, das von der bemerkenswerten geistigen Offenheit des 18. und 19. Jahrhunderts im 20. Jahrhundert in dumpfen Nationalismus verfiel und den Nazis begeistert den Weg freiräumte, sind gut geschildert, auch die Gründe hinter diesen Strömungen werden erläutert.

Die letzten Kriegsjahre und die Nachkriegszeit haben Ostpreussen und seiner Einwohner auf unglaubliche Weise gebeutelt. Nüchtern berichtet Kossert über ein grauenvolles Massaker an jüdischen Gefangenen noch im Januar 1945, den Grausamkeiten der sowjetischen Armee gegen die Zivilbevölkerung, den Ausgrenzugen, Vertreibungen, und "rassischen" Einstufungen im polnischen und russischen Teil Ostpreussens. Er nennt Zahlen und Vergleiche, die das Ausmaß des Grauens sehr verdeutlichen.

Im letzten Kapitel des Buches geht es um die Ostpreussen, denen ihre Heimat genommen wurden und die oft gar nicht einmal um sie trauern durften. Er läßt hier auch ehemalige Ostpreussen zu Wort kommen, zitiert Dönhoff, Lenz und andere. Dadurch wird auch die menschliche Seite beleuchtet, was mE zu einem umfassenden Geschichtswerk immer dazugehört.

All dies, die guten Informationen über Jahrhunderte ostpreussischer Geschichte, wichtige Hintergrundinformationen zum Verständnis, die Stimmen der Menschen, die dort lebten und vertrieben wurden, einen Überblick über Kultur, Kunst, Philosophie, immer neuer Kriegswirren, Krankheiten, Vertreibungen und noch mehr findet sich auf 121 Seiten. Es ist beeindruckend, wie gut so viele Informationen hier auf kleinem Raum verpackt wurden. Ein rundum informatives und angenehm zu lesendes Buch.