Ein Buch wie kein anderes – ein Muss für jeden Leser - schwer es "einfach" zu Rezensieren
BabelEs fällt schwer, diesem Buch mit einer einfachen Rezension gerecht zu werden – es gehört zu jenen Werken, bei denen das schlichtweg nicht möglich ist. Deswegen wird es für mich ein anderes Rezensionsformat ...
Es fällt schwer, diesem Buch mit einer einfachen Rezension gerecht zu werden – es gehört zu jenen Werken, bei denen das schlichtweg nicht möglich ist. Deswegen wird es für mich ein anderes Rezensionsformat für dieses Buch geben. Wer ein klassisches Fantasybuch mit einem stringenten, spannungsgeladenen Plot erwartet, könnte enttäuscht werden. Es gibt viele Passagen, die wie Füllmaterial wirken mögen, die jedoch entscheidend für das Gesamtbild der Geschichte sind. Denn dieses Buch lebt weniger von der Handlung als vielmehr von seinem tiefgründigen Inhalt. Während Fantasy-Elemente vereinzelt vorkommen, entführt die Geschichte ihre Leser:innen ins Oxford im 19. Jhd und begleitet Robin auf seinem Weg. Was einem klar sein muss, bei diesem Buch ist, dass der Roman historische Fantasy mit einem kritischen Blick auf Kolonialismus, Sprache und Macht verbindet.
Handlung und Setting: Die Geschichte spielt im 19. Jhd in einem alternativen Oxford, wo Magie durch die Manipulation von Sprache und Silber ermöglicht wird. Im Zentrum steht das Institut „Babel“, eine prestigeträchtige Übersetzerakademie, die von Großbritannien genutzt wird, um seine koloniale Macht zu sichern.
Protagonist und seine „Beziehung“ zum Professor Lovell: Robin Swift, ein Waisenkind aus China, wird nach dem Tod seiner Familie von einem mysteriösen britischen Professor nach England gebracht. Dort wird er in die Welt der Sprachwissenschaft und Magie eingeführt. Was mich traurig überrascht hat war, dass angedeutet wurde, dass Robin bewusst „gezüchtet“ wurde, um als Werkzeug für das britische Empire zu dienen. Sein Vater, Professor Richard Lovell, brachte ihn nicht aus väterlicher Fürsorge nach England, sondern aus eigennützigen Gründen. Sein Wert für Lovell und Babel liegt in seiner zweisprachigen Kompetenz und seinem Verständnis der chinesischen Sprache und Kultur, die für die Silbermagie entscheidend sind. Diese kalte, utilitaristische Sichtweise macht deutlich, wie tiefgreifend das Empire Menschen auf ihre Nützlichkeit reduziert. Die Enthüllung dieser Manipulation ist ein zentraler Punkt in Robins Entwicklung und führt letztlich zu seinem Widerstand gegen das System, das ihn ausgebeutet hat.
Themen: Der Roman erforscht die Macht der Sprache, die Ausbeutung von Kolonien und die moralischen Dilemmata, denen sich Übersetzer und Wissenschaftler in einem imperialistischen System gegenübersehen. Robin und seine Freunde erkennen, dass ihre Arbeit die kolonialen Bestrebungen des Empires unterstützt, und sie schließen sich einer radikalen Widerstandsbewegung an.
Silber und Magie: Silberbarren, die durch sprachliche Übersetzungen aktiviert werden, sind der Kern der magischen Technologie. Diese Silbermagie wird genutzt, um das Empire zu stärken, oft auf Kosten der kolonialisierten Völker. Das ist auch der einzige Fantasyanteil des Buches – deswegen: es ist kein Fantasybuch sondern es hat Fantasyanteile.
Finale: Robin und die anderen Widerstandsmitglieder erheben sich gegen das Empire und Babel selbst, was in einem dramatischen und tragischen Finale gipfelt. Dabei wird der innere moralische Zwiespalt der Figuren eindringlich hervorgehoben. Der Verrat innerhalb der Freundesgruppe kommt nicht überraschend, da er durch die sorgfältige Charakterzeichnung und die aufbauenden Spannungen der Handlung geschickt angedeutet wird, beispielsweise durch Bemerkungen wie: „Wer hätte gedacht, dass im Nachhinein ...“. Dennoch trifft die Enthüllung mit emotionaler Wucht, da man als Leser bis zuletzt darauf hofft, dass die Gruppe zusammenhält.
Bereits durch die Parallelen zur biblischen Geschichte des „Turms von Babel“ war für mich klar, dass jemand symbolisch „vom Turm fällt“ – eine Erwartung, die sich im Verlauf der Geschichte bestätigt. Während die biblische Erzählung eine göttliche Warnung vor menschlicher Überheblichkeit ist, greift Kuang diese Metapher auf und überträgt sie auf koloniale Machtstrukturen. Sie verdeutlicht, wie Sprache sowohl als Werkzeug der Trennung als auch der Befreiung dienen kann, je nachdem, wer sie beherrscht. Der Roman liefert so eine tiefgründige und aktuelle Reflexion über die Rolle der Sprache in sozialen und politischen Kontexten.
Kontroversen um Babel. die ich einfach so im Raum stehen lasse:
Kuangs Darstellung des Kolonialismus wird von vielen Lesern gelobt, da sie schonungslos die Brutalität und Heuchelei des Empires beleuchtet. Einige Kritiker empfinden die Darstellung jedoch als übermäßig didaktisch oder vereinfachend.
Einige Leser kritisierten, dass Kuangs Ton oft moralisch belehrend sei und die Figuren weniger als Charaktere und mehr als Vehikel für politische Botschaften fungierten.
Kuangs Kritik an Institutionen wie Oxford als Zentren imperialistischer Macht hat zu Diskussionen geführt, insbesondere unter Historikern und Akademikern, die sich mit der Geschichte dieser Institutionen befassen.
Am Ende inspiriert das Buch zu tiefgehenden Diskussionen über die Bedeutung von Sprache, Kultur und Macht in der Geschichte. Dabei gab es zahlreiche Passagen und Zitate, die zum Nachdenken anregen und eine beeindruckende Aussagekraft besitzen. Ich muss auch zugeben, dass, obwohl die Handlung in einem fiktiven Oxford vor 200 Jahren spielt, viele der behandelten Themen erstaunlich relevant für die heutige Zeit sind.
#„Sprache war nie neutral. Worte waren Waffen, geformt, um Macht auszuüben und zu dominieren.“ (Original: “Language was never neutral. Words were weapons, forged to wield power and subjugate.”)
„Das Empire hat immer nur genommen, nie gegeben. Es nimmt, weil es kann. Es nimmt, weil wir nichts dagegen tun können.“ (Original: “The Empire has only ever taken, never given. It takes because it can. It takes because we are powerless to stop it.”)
„Wissen ist niemals rein. Es existiert nicht im Vakuum. Es dient immer einem Zweck.“ (Original: “Knowledge is never pure. It does not exist in a vacuum. It always serves a purpose.”)
„Manchmal ist Gewalt der einzige Weg zur Gerechtigkeit, wenn das System sich weigert, sich zu ändern.“ (Original: “Sometimes, violence is the only way to justice when the system refuses to change.”)
„Wie konnte man zu einer Welt gehören, die einen ständig daran erinnerte, dass man fremd war?“ (Original: “How could one belong to a world that constantly reminded you that you were foreign?”)