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Veröffentlicht am 11.12.2021

Die unbezwingbare Julieta

Ungeborene Hoffnung
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Wer weiß schon, wie es in einer Frau aussieht die feststellen muss, dass ihr größter Wunsch - ein Kind zu bekommen - nicht in Erfüllung gehen wir? Elodie Lopez gibt in diesem Buch "Ungeborene Hoffnung" ...

Wer weiß schon, wie es in einer Frau aussieht die feststellen muss, dass ihr größter Wunsch - ein Kind zu bekommen - nicht in Erfüllung gehen wir? Elodie Lopez gibt in diesem Buch "Ungeborene Hoffnung" Wie Unfruchtbarkeit das Leben verändert, tiefe Einblicke in dieses ganz persönliche Thema.

Es ist ein recht junges Buch, geschrieben für junge Paare, die das gleiche Schicksal teilen. Doch das sollte ältere Leser und auch Leserinnen nicht daran hindern, sich mit dieser Thematik zu beschäftigen. Wer weiß, vielleicht ist in der eigenen Familie oder im Freundeskreis jemand der ebenfalls dieses Schicksal teilt und einen Menschen braucht der zuhört, versteht und die passenden Worte findet.

Elodie und Egar kennen sich schon viele Jahre, wissen, dass sie zusammen durchs Leben gehen wollen, als sich der Wunsch nach einem Kind einstellt. Anfangs gehen sie es noch locker an, denn sie sind ja jung und haben noch viel Zeit. Doch das Leben besteht nicht nur aus Glitzer und Zuckerwatte. Das müssen sie lernen, als sich ihr Kinderwunsch nicht erfüllt.

Als Julieta betreibt die Autorin einen Blog und schreibt darüber, dass ihr Körper nicht funktioniert wie erwartet und von ihrem Kummer der Kinderlosigkeit. Viele Follower schreiben ihr, teilen ihr die eigenen verlorenen Hoffnungen mit und die Trauer darüber. Erst da wird ihr bewusst, dass sie nicht alleine mit diesem Kummer ist. Ein sehr berührender Teil dieses Buches.

Auf Seite 26 beschreibt sie ihre Empfindungen folgendermaßen: " Ich hatte diese gebrochene Liebe lange Zeit gespürt. Es war wie eine Liebe, die ziellos in der Luft flog, etwas, das ich in mir hatte. Eine Energie, die ich verschenken musste und von der ich nicht wirklich wusste, was ich damit machen sollte. Ich fühlte die Mutterliebe in mir, diese bedingungslose Liebe, doch sie fand kein Ziel."

Allerdings, in der modernen Zeit mit der modernen Medizin kann man so viel ausbügeln, was einem die Natur verwehrt. Elodie beschreibt akribisch ihre Odyssee von Gynäkologe zu Gynäkologe bis hin zur passenden Kinderwunschkliniken.

Alle Freundinnen wurden nach und nach schwanger, bekamen ihr erstes und dann auch ihr zweites Kind. Nur Elodie und Egar bliebt dies versagt. Der seelische Druck ging soweit, dass Elodie den Kontakt zu diesen glücklichen Müttern zeitweise abbrechen musste, da es für sie alles zu viel wurde und sie dieses Glück ihrer Freundinnen vor Augen, das Zusammensein mit deren Kindern, nicht mehr ertragen konnte. Doch es sind echte Freundinnen, die Elodie verstehen und ihren Rückzug akzeptieren.

Elodie und Egar taten alles, was ihnen die Ärzte sagten. Doch jede erneute Monatsblutung wurde belastender. Mit der Liebe genau nach dem Kalender, der ganzen Anspannung und den Enttäuschungen fühlten sie sich überfordert. Seite 85: "Das Bemühen um eine Schwangerschaft hatte unsere Beziehung morsch werden lassen." Das Paar trennte sich für einige Monate, als dies alles zu viel und ihre Beziehung brüchig wurde. Elodie war soweit, Egar frei zu geben und ihm so zu ermöglichen, mit einer anderen Frau glücklich zu werden und ein Kind zu bekommen. Wie heißt es in der Bibel, "die Liebe übersteht alles". So auch bei diesem Paar. Ihre Liebe war stärker und überwand auch diese Krise, ließ sie in langsamen Schritten wieder zusammenfinden. Sie versuchten es erneut.

"Die unbezwingbare Julieta", schrieb jemand in ihren Blog.

Was ich da über die Möglichkeiten schwanger zu werden las, raubte mir den Atem. Wer damit nicht vertraut ist, der hat sicherlich genau wie ich nur eine ungenaue Vorstellung, was eine künstliche Befruchtung alles mit sich bringt. Die ganzen Spritzen, Eingriffe und Medikamente forderten bei Elodie ihren Tribut. Diese Kapitel 15 und 16 sollte man wirklich ganz genau lesen. Bei der Autorin ging es soweit, dass man um ihr Leben bangen musste, da diese Eingriffe doch nicht immer so harmlos sind, wie man die Paare glauben macht. Die Protagonistin lässt den Leser an ihrem Schmerz, ihrem Leid und Niedergeschlagenheit teilhaben, schreibt sehr offen, was sie alles durchmachen und erdulden musste, ihr Wunschkind zu bekommen. Alles umsonst. Monatelang dauerte danach ihre Genesung.

Es ist wirklich heftig zu lesen.

Am Ende blieb ihnen nur, sich mit der Kinderlosigkeit zu arrangieren. Das Leben ist nun mal kein Wunschkonzert. Auch dieser Weg zur Akzeptanz des Unabänderlichen beschreibt die Autorin mit emotionalen Worten.

Elodie und Egar sind nun glücklich miteinander, treffen sich auch wieder mit ihren Freunden und deren Kindern. Elodie sitzt mit den Kindern auf dem Boden und spielt mit ihnen deren Lieblingsspiele. Anschließend gehen sie und Egar zufrieden nach Hause. Sie haben sich mit ihrem Schicksal arrangiert und ausgesöhnt.

Dieses Buch ist kein Ratgeber. Trotzdem kann es anderen Paaren in gleicher Situation helfen, ihr Schicksal zu akzeptieren und ihren ganz eigenen Weg finden, damit umzugehen.

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Veröffentlicht am 13.11.2021

"Ich war wie eine Stadt, die zweiundzwanzig Jahre lang besetzt gewesen war. (S.229)

Der Panzer des Hummers
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Von den Büchern des Diogenes Verlages bin ich allein schon vom Format begeistert. Diese Größe eines Buches passt so gut wie in jede Handtasche und lässt sich bequem überall hin mitnehmen.

Bei dem Buch ...


Von den Büchern des Diogenes Verlages bin ich allein schon vom Format begeistert. Diese Größe eines Buches passt so gut wie in jede Handtasche und lässt sich bequem überall hin mitnehmen.

Bei dem Buch "Der Panzer des Hummers" mache ich jedoch eine Einschränkung.

Vorausschicken muss ich, dass mich dieser Roman auf dem völlig falschen Fuß erwischte. Normalerweise lese ich die Seiten nur so weg. Doch diesmal konnte ich nur in kurzen Etappen schmökern, weshalb ich mich nicht richtig in dieses Buch einfand und immer wieder den roten Faden verlor. Es gibt so viele handelnde Personen, die zwar alle in einem Personenverzeichnis aufgeführt sind, aber trotzdem für viel Verwirrung meinerseits beim Lesen führte.

Deshalb mein Fazit: Dieses Buch erfordert viel Konzentration und sollte nicht in kurzen Abschnitten gelesen werden, da man dabei leicht den Überblick verliert. So erging es jedenfalls mir. Der rote Faden, der mich normalerweise in einer Geschichte begleitet, konnte ich immer nur kurzzeitig entdecken um später wieder von vorn zu beginnen die Verbindung der Personen miteinander zu suchen.

Lt. Klappentext stehen die Geschwister Sidsel, Niels und Ea im Mittelpunkt, die sich auseinander gelebt haben und durch den Tod ihrer Eltern wieder neu zu einander Stellung beziehen müssen. Durch die vielen kurzen Abhandlungen wurde dieser rote Faden immer wieder durchschnitten und als Leser sah ich mich gezwungen, die losen Enden aus den etlichen Nebenschauplätzen immer wieder zu suchen und erneut zusammen zu fügen.

Was mich jedoch bei der Stange hielt, war diese Sprache. Caroline Albertine Minor drückt das, was sie dem Leser vermitteln will, derart präzise und treffend aus, wie es nur wenige Autoren der Unterhaltungsliteratur vermögen.

Beispiel: Es geht um die Beziehung von Bee und Pauline, die zerbrochen ist und Bee nun aus dem Haus ausziehen muss und nicht weiß wohin. Sie hatten gemeinsame Freunde, aber Bee keine eigenen.

(Seite 124/125) Über die Freunde: "Bee weiß, wo sie tanzen gehen und wo ihre Familien ein Sommerhaus sich ausleihen kann. Sie weiß ungefähr, welchen Wein sie bevorzugen und wer was nicht isst, aber sie käme nicht - niemals im Leben - auf die Idee, sie anzurufen und um Hilfe zu bitten.

Dieses Recht hat sie verloren, als sie Pauline verlor. So ist es.

Eine einzelne Birne brennt durch, und die ganze Lichterkette ist dahin."

Plastischer kann man es nicht ausdrücken wie es kommt, wenn eine Beziehung zerbricht und ein Partner erkennt, dass sein eigenes Leben immer vom Dasein des Partners abhängig war und durch ihn/sie gestützt wurde. Man hat niemanden mehr, auf den man bauen kann. Alle Freunde sind die Freunde des verlorengegangenen Partners.

Oder auf Seite 229. Loretta beschreibt sich und ihre Situation nach der Scheidung von ihrem 2 Ehemann. Drei Söhne hatte sie großgezogen und stand am Ende mit leeren Händen da.

(Seite 229): "... Genau wie mein Mann war er nie richtig in die Erziehung involviert, als die Jungen klein waren. Ich gebe niemandem die Schuld, es kam einfach so. Einer von uns musste das Geld verdienen, was zur Folge hatte, dass mein erster Mann nach der Scheidung mehr oder weniger da weitermachn konnte, wo er fünfzehn Jahre vorher aufgehört hatte, wohingegen ich kaum noch wusste, wer ich selbst war, nachdem mein Jüngster von zu Hause ausgezogen war. Die Kinder hatten mich förmlich invadiert. Ich war wie eine Stadt, die zweiundzwanzig Jahre lang besetzt gewesen war, vollkommen entfremdet von meinen alten Sitten und Gebräuchen..."

Genau so fühlt es sich wohl an, wenn eine Ehepartner nach der Scheidung die Scherben zusammenkehrt und sich wieder neu finden muss. All die Jahre war sie fremdbestimmt, "besetzt" wie sie es ausdrückt - und ihr stellt sich die Frage: Wer bin ich heute?

Ich könnte noch zig ander Passagen des Buches aufführen, in denen die Autoren mit solch plastischen Worten die Empfindungen der handelnden Personen beschreibt. Das finde ich phantastisch.

Trotzdem gebe ich nur 3 Sternchen: Die unterschiedlichen Handlungsstränge sind in viel zu kurze Teile zerstückelt, dass ich immer wieder den Faden verlor. Sobald ich wieder im Lesefluss war, wechselte das Thema sowie die Handelnden und ich musste mich erneut auf andere Personen einstellen. Bis zum Schluss war mir nicht ganz klar, wo außer der Tatsache, dass es sich bei Sidsel, Niels und Ea um Geschwister handelte, deren Gemeinsamkeiten zu finden waren, die lt. KLappentext den Sinn dieses Buches ausmachen sollte.

Wie schon eingangs erwähnt, ich konnte nur in kleinen Etappen lesen und dies sollte man bei diesem Roman tunlichst vermeiden.

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Veröffentlicht am 13.11.2021

Es gibt nicht nur die Prostituierte sondern auch die Frau Manuela

Herbertstraße
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Wer glaubet, in dem Buch "Herbertstraße" von Manuela Freitag irgendwelche ausgefallenen Anleitungen zu Sexpraktiken zu finden, der wird enttäuscht sein - es sei denn, Mann träumt davon nackt und mit einem ...

Wer glaubet, in dem Buch "Herbertstraße" von Manuela Freitag irgendwelche ausgefallenen Anleitungen zu Sexpraktiken zu finden, der wird enttäuscht sein - es sei denn, Mann träumt davon nackt und mit einem Hundehalsband um den Hals, an einer Leine auf allen Vieren gehend, im Park ausgeführt zu werden.

Auch Voyaristen kommen nicht auf ihre Kosten, denn dieses Buch ist eher eine nüchterne Milieustudie, bzw. Biographie.

Manuela erzählt von ihrer Kindheit in Pflegefamilien oder auch im Kinderheim. Sie war 13 Jahre alt, als sie erstmal von einem Erzieher sexuell missbraucht wurde. Lag da der Anfang ihres Werdegangs? Schon sehr früh lernt sie, wie schnell man Geld verdienen kann wenn man seinen Körper verkauft. Sie erliegt der Verlockung des Geldes. Für Manuela, die in ihrer Kindheit und späteren Jugend immer hin und her geschubst wurde, war dies auch ein Weg in die eigene, vermeintliche Unabhängigkeit und wie sie glaubt auch in die Freiheit.

Dass sie nun von Zuhältern abhängig ist, die sie nicht immer gut behandeln, wird ihr erst später bewusst. Das Leben auf der Straße ist sehr hart, aber sie beißt sich durch und lässt sich nicht unterkriegen.

Irgendwann macht sie sich auf die Suche nach ihrer Familie. Wer war meine Mutter? Habe ich noch Verwandte, Großeltern? Doch als sie endlich die Familie ihrer Mutter kennenlernte, war die Ernüchterung groß. Man wollte nichts von dem Kind der "gefallenen Tocher" wissen.

Ihre Mutter, so erfuhr Manuela nach und nach von anderen Prostituierten, ging auch schon auf die Reeperbahn anschaffen. Als diese ungewollt schwanger wurde, ließ sie nach der Entbindung ihr Kind in der Klinik zurück und machte sich aus dem Staub. Für Manuela ein schwieriger Anfang in ein eigenes Leben.

Durch Detektivarbeit fand sie nach Jahren das Grab ihrer Mutter. Heute lebt sie in der Nähe des Friedhofs. Seite 100: "Früher warst du so unerreichbar für mich, Mama, und jetzt liegst du hier nebenan, denke ich manchmal, wenn ich an dem Friedhof vorbeifahre. Aber nur manchmal, ich bin ja nicht gefühlsduselig".

Sie steht zu ihrem Leben und allem was darin gut oder auch schlecht verlief. So schnell sie das Geld verdiente, so schnell gab sie es auch wieder im Spielkasino aus. Als sie bemerkt, dass es so nicht weiter gehen konnte, ließ sie sich selbst im Kasino sperren. Dem Leser gibt sie viel Einblick in ihr Leben.

Heute ist sie die dienstälteste Domina auf der Reeperbahn.

Doch hinter all dem Schillernden offenbart sie dem Leser auch den Menschen Manuela Freitag. Sie ist eine Mutter, wie viele andere Mütter auch, die für ihren Sohn immer das Beste wollte und dafür sorgte, dass er Abitur machte und studieren konnte. Ihr ganz großer Wunsch ist, dass er ein gutes Leben hat.

In der bürgerlichen Welt schaut man gerne auf Prostituierte herab. Doch Prostituierte gibt es nur deshalb, weil es Freier gibt, Männer die in der bürgerlichen Welt, ausbrechen und für die Dienste dieser Damen bezahlen. Wie Manuela schreibt, hat sie etliche feste Kunden, die in ihrem privaten Leben - viele sind verheiratet - dies nie zugeben würden. Anwälte, Fabrikbesitzer, Unternehmer usw. Die Bandbreite ist groß. Zu einigen hat sie fast schon ein persönliches Verhältnis, kennt deren geheimsten Wünsche, ihre persönlichen Sorgen und aus Erzählungen auch deren Familie.

In der Mitte des Buches gibt es einen Bildteil, in dem Manuela in ihrem Studio und dort in ihrer Berufsbekleidung mit Zubehör gezeigt wird. Direkt dahinter kommen private Bilder von dem einstigen Schulmädchen, einer unauffälligen jungen Frau und auch einer Mutter mit ihrem Sohn, die sich ein schönes Wochenende machten.

In der Herbertstraße darf nicht jede Prostituierte arbeiten. Es gibt klare Regeln, an die sich jeder hält. Der Leser bekommt in diesem Buch einen informativen Einblick in das Milieu auf der Reeperbahn, speziell in dieser Straße.

Störend empfand ich beim Lesen die vielen Zeitsprünge, die oftmals ohne Übergang mitten in einem Leseabschnitt erfolgen.


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Veröffentlicht am 02.10.2021

Vieles kann brennen

Der Brand
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Von Büchern aus dem Diogenes Verlag wurde ich bisher noch nie enttäuscht. Sie hielten noch immer, was sie versprachen. So auch dieser Roman "Der Brand" von Daniela Krien.

Bücher dieses Verlages erkennt ...

Von Büchern aus dem Diogenes Verlag wurde ich bisher noch nie enttäuscht. Sie hielten noch immer, was sie versprachen. So auch dieser Roman "Der Brand" von Daniela Krien.

Bücher dieses Verlages erkennt man sofort am Format und auch am Cover. Dieses Taschenformat passt in so gut wie jede Handtasche und kann somit bequem überall hin mitgenommen werden - auf Reisen mit Bahn oder Flugzeug, zum Arzt oder in die Mittagspause usw.

"Der Brand" würde ich als ein Buch für lebenserfahrene Leser bezeichnen, denn von Romantik ist es weit entfernt. Meist kommt der Roman eher nüchtern daher - vielleicht auch ernüchternd. "Ehen werden im Himmel geschlossen, aber auf Erden gelebt", besagt ein altes deutsches Sprichwort. Genau diese Lebensweisheit vermittelt die Autorin mit ihrem Buch. Trotzdem ist es anrührend zu lesen.

Vordergründig handelt dieser Roman von einem Ehepaar (Rahel und Peter) das gemeinsam älter geworden ist. Noch nicht richtig alt, aber auch nicht mehr jung. War es am Anfang die junge Liebe die alles schaffte - im Laufe der Jahre haben sie sich dann doch auseinander gelebt. Nicht so sehr, dass eine sofortige Trennung angesagt wäre, doch jeder geht seiner eigenen Wege. Das Verständnis für einander ist ihnen abhanden gekommen. Sie sind nicht unglücklich, doch richtig glücklich sind sie auch nicht mehr. Erzählt wird aus der Sicht von Rahel und sie spricht es auch laut aus - so weiter machen wie bisher geht nicht. Doch der Roman ist viel mehr als nur eine Paarbeziehung, die in die Jahre gekommen ist.

Tatsächlich packt einen dieser Roman erst dann, wenn man sich voll und ganz darauf einlässt. Erst dann entdeckt man die vielen Nebenthemen und unterschiedlichsten Lebens-Schauplätze. Wie war es, in der ehemaligen DDR aufzuwachsen, sich das Leben einzurichten und plötzlich damit konfrontiert zu werden, dass alles woran man glaubte nicht mehr wahr sein konnte? Mit der Wiedervereinigung änderte sich nicht nur was man verändert haben wollte, sondern der komplette Alltag. Niemand kann neu bei Null anfangen. Jeder nimmt sein altes Leben mit, egal wohin man geht oder wie sich die Welt gerade verändert. Auch für Rahel und Peter.

Da ist die neuere Erfahrung von Peter mit einer Studentin die ihn verbal attackiert, da er sie nach alt hergebrachter Manier mit "Frau" anspricht, obwohl sie sich geschlechtsneutral sieht und ihren Literaturprofessor für seine Anrede verhöhnt und der Lächerlichkeit an der Uni preisgibt. Die Studentin empfindet ihr Aufbegehren als ihr Recht, für Peter ist diese Reaktion Arroganz und Überheblichkeit. Dabei ist "jung sein" lediglich ein Privileg das sich automatisch mit der Zeit verflüchtigt - keine Leistung wie ein Professor dies von einer Studentin erwartet. Ein Generationenkonflikt.

Doch Rahel und Peter sind nicht nur ein älter werdendes Ehepaar, nein sie sind auch Eltern einer Tochter und eines Sohnes.

Einer der Abschnitte der mir besonders gefiel ist die Aussprache mit ihrer Tochter Selma, die aus ihrer Beziehung aussteigen will (Seite 117): "Ihr seid solche.... solche....". "Spießer?", fragt Peter schmunzelnd und fügt hinzu: "Wir sind deine Eltern , Selma, nicht deine Freunde. Unsere Aufgabe ist es nicht, dir nach dem Mund zu reden, sondern auch mal Dinge anzusprechen, die dir missfallen." Wie wahr! Mütter stellen sich gerne vor, die Freundin ihrer Tochter zu sein. Doch der Status einer Freundin ist ein ganz anderer, als der einer Mutter. Das bringt die Autorin in dieser kurzen Passage klar zum Ausdruck.

Ein weiterer Satz den ich mir notierte steht auf S. 182: ..." Die Art der Erziehung war Gegenstand heftiger Diskussionen, und manche Verbindung mit allzu lässigen Eltern und ihren schuldlos unsympathisch gewordenen Kindern ließ sich nicht aufrechterhalten". Wer kennt sie nicht, die Kinder denen vergessen wurde Grenzen zu setzen und die kein Gespür dafür haben, dass ihre eigenen Bedürfnisse nicht der Mittelpunkt der Welt sind und denen man als Außenstehender Abneigung entgegen bringt.

Wahrscheinlich stimmt es nicht in allen Fällen, aber eine gewisse Wahrheit enthält es doch ( S. 224): " Satte Zeiten bringen schwache Kinder hervor". Das Leben zu leben will auch gelernt werden.

Ein anderer Aspekt dieses Romans ist, wie es sich anfühlt nicht zu wissen, wer der eigene Vater ist, weil die Mutter sich bis zu ihrem Tod darüber ausschweigt. So ergeht es Rahel.

Dies ist ein vielschichtiger Roman, geschrieben in kurzen prägnanten Sätzen. Keine weitschweifigen Ausführungen. Und trotzdem schafft es die Autorin, ganz viel gelebtes Leben als auch Gedanken darüber in diesem Buch unter zu bringen.

Mir gefiel dieser Roman, in dem es keinerlei Längen gibt, sehr gut,

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Veröffentlicht am 12.09.2021

In diesem Buch gehen Tragik und Hoffnung Hand in Hand

Ein erhabenes Königreich
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"Ein erhabenes Königreich" von Yaa Gyasi aus dem Dumont Verlag ist ein außergewöhnliches Buch. Das fängt schon mit dem Cover an. Bereits bei meinem ersten Blick darauf sprang der Funke über. Ich weiß nicht ...

"Ein erhabenes Königreich" von Yaa Gyasi aus dem Dumont Verlag ist ein außergewöhnliches Buch. Das fängt schon mit dem Cover an. Bereits bei meinem ersten Blick darauf sprang der Funke über. Ich weiß nicht mehr wie oft ich dieses Buch in Händen hielt und mir immer wieder das Äußere anschaute. Das Cover schlägt einen Bogen zum Inhalt des Romans und wenn ich mit den Händen darüber strich, war es für mich Begreifen im wahrsten Sinne des Wortes.

Im Mittelpunkt des Romans steht Gifty, eine Neurowissenschaftlerin und Doktorantin an einem Institut in San Francisco. Während sie ihre Labor-Mäusen trainiert, süchtig macht, später deren Schädel öffnet, das Gehirn verkabelt und erforscht wie die Hirnströme fließen, erfahren wir als Leser die Geschichte ihrer Familie.

Ihre Familie stammt aus Ghana. Die Mutter (Nana) war das dortige arme Leben leid und träumte vom finanziellen Glück und war die treibende Kraft bei der Auswanderung in die USA. Sie landeten in einem überwiegend von Weißen bewohnten Staat. Doch es war nicht zu übersehen, die Familienmitglieder sahen anders aus als die meisten in der neuen Heimat - sie hatten eine schwarze Hautfarbe. Und dieser soziale Aspekt gibt dem Buch das Besondere. Wir lesen nicht nur wie es ist in einer weißen Welt schwarz zu sein, nein, als Leser schlüpfte ich oftmals in die Person Gifty, fühlte wie sie sich anpasste, klein machte und manchmal nicht gesehen werden wollte.

An dieser Stelle muss ich vielleicht ausführen, dass mich Romane von dunkelhäutigen, afrikanischen Frauen schon seit längerer Zeit begeistern. Graue Haare kann man färben wenn man damit nicht auffallen will. Aber eine schwarze Hautfarbe kann man nicht verstecken. Sie bleibt gleichermaßen schwarz. Dunkelhäutige Frauen haben nicht nur die normalen Alltagsprobleme aller Frauen, nein, sie gehen durch ihr Leben und werden auch noch angestarrt, weil sie in einer weißen Welt auffallen, obwohl sie das nicht wollen. Dieses Gefühlt lese ich auch aus diesem Roman.

Die Mutter von Gifty bekam die schlecht bezahlten Jobs. Oftmals mehrere gleichzeitig, damit das Geld reichte. Giftys Vater, ein großer stattlicher Mann, musste sich als Hausmeister oder mit sonstigen unterbezahlten Jobs rumschlagen und irgendwann hatte er dieses Leben in der westlichen Welt satt, ließ seine Frau, seine Kinder im Stich und floh zurück nach Hause, nach Ghana. Diese Passage hat mich besonders berührt. Das Leben, weshalb seine Frau ihr Geburtsland verließ, war für den Chin-Chin Mann, wie er genannt wird, nicht erstrebenswert. Irgendwie passt das nicht so richtig in unser Weltbild.

Zurück blieb die Mutter mit Gifty und deren Bruder, einem sehr talentierten Sportler. Und hier verläuft der rote Faden, der später das Leben aller trübt. Am Anfang stand die Sportverletzung und das Medikament Oxycodon. (S.157) Doch was anfangs nicht bekannt war, dieses Medikament macht nach kürzester Zeit süchtig. Heute ist dies ein ganz großes Thema in den USA, denn die Zahl derer, die durch dieses Schmerzmittel abhängig wurden ist immens groß. Viele Menschen kämpfen derzeit gegen diese, durch ein Schmerzmittel verursachte Sucht.

Ein anderes großes Thema dieses Romans ist auch Religion, die Zuflucht für Gifty und ihre Familie. Doch Gifty hinterfragte die Predigten, wurde kritisch bis ablehnend, bis sie die Pastorin hörte. (S.142) ".... Mein ganzes Leben wäre anders verlaufen, wenn ich in der Kirche dieser Frau aufgewachsen wäre statt in einer Kirche, die Intellektualität als eine Falle der säkularen Welt mied, weil sie angeblich den Glauben unterminierte. ...." Es ist die persönliche Entwicklung von Gifty, die hier im Mittelpunkt steht. Fortschritt als Entwicklung. "Ich meine fortschrittlich auf die natürliche Weise, auf die das Erlernen von etwas Neuem erfordert, etwas Altes loszuwerden...." (S. 143) " Wir lesen die Bibel, wie wir sie lesen wollen. Sie verändert sich nicht, aber wir verändern uns". (S. 144)

Das ganze Buch durchzieht sowohl Hoffnung als auch Tragik. Dieser wunderbare Bruder, den sie so liebte starb nach einer Überdosis.

"Die einzige sichere Möglichkeit Sucht zu vermeiden, ist, nie eine Droge zu probieren". (S. 253) Doch dies war Giftys Erkenntnis, mit der sie ihren Bruder nicht mehr erreichen konnte. Für ihren Bruder kam dies zu spät. Im Grund starb in allen Familienmitgliedern etwas mit dem Bruder.

Nana versank in einer nicht enden wollenden Depression. Für Gifty wurde es zu einem Ziel, mit ihrer Arbeit und Forschung anderen Menschen helfen zu können. An Mäusen erprobte sie, wie das Hirn auf Sucht reagiert.

Zitate: "Meiner Mum wird es besser gehen" sage ich zu...."
"Ich werde meine Arbeit zu Ende schreiben und promovieren, und in Jahren wird diese Arbeit etwas wert gewesen sein, wird für irgendjemanden wichtig sein, und meine Mutter wird es erleben, ja?"

Was für ein tiefgründiges und umwerfendes Buch!

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