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Veröffentlicht am 10.11.2022

Mein bisheriger Lieblingsband der Reihe!

Der Clan der Highlanderin
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Als die Autorin Eva Fellner sich bei mir meldete und "Der Clan der Highlanderin" ankündigte, war ich sofort Feuer und Flamme, dass die Geschichte um die Kämpferin Enja in eine weitere Runde gehen wird. ...

Als die Autorin Eva Fellner sich bei mir meldete und "Der Clan der Highlanderin" ankündigte, war ich sofort Feuer und Flamme, dass die Geschichte um die Kämpferin Enja in eine weitere Runde gehen wird. Schon in "Die Highlanderin" und "Der Weg der Highlanderin" hat Eva Fellner auf eindrucksvolle und unterhaltsame Art und Weise bewiesen, dass es möglich ist, eine Geschichte über Assassinen, Medikusse und Highlander vor der Kulisse des schottischen Unabhängigkeitskrieges am turbulenten Anfang des 14. Jahrhunderts zu erzählen und hat mich total süchtig nach dieser verrückten Mischung werden lassen. Band 3 der Reihe, "Der Clan der Highlanderin" führt nun wieder hochspannend, komplex und gut recherchiert durch die schottische Historie und führt uns dabei zu den Wurzeln unserer besonderen Heldin...

Das Cover des Aufbau Verlags zeigt wieder eine Frau mit wehendem Kleid und roten offenen Haaren, die von einem schroffen Felsen auf eine raue, gewitterumwölkte Landschaft hinabblickt, über der der Titel in großen, goldenen Letter schwebt. Auch wenn diese Aufmachung sehr typisch für das Genre ist, gefällt mir die Gestaltung als Ganzes wieder sehr gut. Schade ist nur, dass die abgebildete Frau nur sehr wenig an unsere Protagonistin Enja erinnert, die zum einen sehr helle, fast schon weiße Haare hat und zum anderen keine Kleider trägt. Innerhalb der Buchdeckel ist die Geschichte in 16 größere Kapitel geteilt, die abwechselnd an unterschiedlichen Schauplätzen spielen. Jene Kapitel sind dann nochmal in kürzere Szenen gegliedert, sodass man auch als Fan von kurzen Kapiteln auf seine Kosten kommt.

Erster Satz: "Die kalte Winternacht war früh über der Burg Caerlaverock hereingebrochen und ließ die Menschen schon weit vor Mitternacht einen warmen Schlafplatz aufsuchen."

Am besten starten wir den inhaltlichen Teil der Rezension mit einer kleinen Rekapitulation, wo wir zu Beginn der Handlung von "Der Clan der Highlanderin" stehen und wo Band 2, von dem ich damals dachte, dass er das Finale der Reihe sein sollte, gestoppt hat. Wir beginnen in Schottland auf Enjas Burg Caerlaverock im Januar 1315. Enja hat sich nach ihrer schweren Rückverletzung und der Geburt ihrer Tochter überraschend von ihrer Lähmung erholt und ist zu ihrer alten Form als Kriegerin und Clanführerin zurückgekehrt. Als sie sich für einen Auftrag und die Suche nach ihrem in Irland verschollenen Freund Cathal abermals in ein fremdes Land aufmacht, weiß sie noch nicht, dass sie nicht nur zwischen die Fronten eines lokalen Machtkampfes gerät und abermals für den schottischen König kämpfen muss, sondern auch einen Mann aus ihrer Heimat die Rätsel ihrer Herkunft neu aufleben lassen wird...

Wie schon bei Band 1 und 2 hat mir wieder sehr gut gefallen, dass man die Geschichte sowohl als historischen Roman, als auch als Abenteuerroman lesen kann, da "Der Clan der Highlanderin" sich zu keinem Zeitpunkt in langen Ausführungen oder Erklärungen des politischen Klimas verliert, sondern sich stark auf die Erlebnisse der Protagonisten konzentriert. Spannend ist auch, dass Eva Fellner hier Wahres mit Fiktion mischt und vergangene Zeiten auf eher moderne Einstellungen treffen lässt. Was genau nach historischen Überlieferungen wirklich passiert ist und welche Ereignisse ihrer eigenen Fantasie entstammen, erklärt die Autorin in einem kurzen Nachwort. Die Frage, ob alles, was hier im Laufe der Handlung passiert, wirklich realistisch ist, fegt die Autorin dabei sehr geschickt vom Tisch, in dem sie die Figuren selbst erkennen lässt, dass Enja erstaunlich viel Glück zu haben scheint. "Der Clan der Highlanderin" landet zwar nicht wirklich in der Mystik-Schiene, die Enjas weitsichtige Instinkte oder ihr Talent, sich wahnsinnig schnell anzupassen, oder zu heilen, mit Magie zu erklären versucht. Durch das Einbinden von Vorsehung, Schicksal und Religion wird das unwahrscheinlich Erscheinende jedoch passend eingebettet, sodass es im Gesamtkontext stimmig wirkt.

Mit Irland bekommen wir hier einen neuen Schauplatz präsentiert, wodurch der Konflikt zwischen Schottland und England deutlich komplexer wird. Dadurch braucht die Handlung eine ganze Weile, um in Schwung zu kommen und die historischen Fakten wirkten im Gegensatz zu den vorherigen Bänden, die durch die unterschiedlichen Zeitebenen abwechslungsreicher waren, manchmal ein wenig träge. Dafür hat Band 3 gegenüber den vorherigen Bänden eine andere große Stärke: Mein Hauptkritikpunkt in meinen Rezensionen zu Band 1 und 2 waren der zeitweise fehlende rote Faden. In "Der Clan der Highlanderin" haben wir nun zum ersten Mal einen von vorn bis hinten runden Handlungsaufbau und einen abgeschlossenen Spannungsbogen, was die Geschichte deutlich leichter zu lesen macht. Mit der komplexen und verschachtelten Erzählweise und den irritierenden Perspektivwechsel kann ich mich allerdings nach wie vor nicht anfreunden. Denn statt durchgängig aus der Sicht der Protagonistin Enja zu erzählen, wechseln sich hier Er-Erzähler aus den Perspektiven von wichtigen Nebenfiguren wie Hal oder James und auktoriale Zwischenepisoden mit dem personalen Ich-Erzähler ab. Dazu kommt, dass die Autorin hier nicht nur mit ihren Erzählperspektiven jongliert, sondern der Roman wie bereits erwähnt auf verschiedenen Zeitebenen und an unterschiedlichen Spielorten rangiert. Durch den nüchternen, aber flüssigen Schreibstil der Autorin gehen die einzelnen Motive der Handlung - Wikinger, Orient, Medicus, Harem, Assassinen, Highlander, Provinzkönige, Krieg, Piraten, Klöster und Pest - überraschend flüssig ineinander über und man gewöhnt sich mit der Zeit an die verschachtelte Erzählweise.

In dieser Fortsetzung rückt nun die Protagonistin und deren Herkunft stärker in den Vordergrund. In meiner Rezension zu Band 1 hatte ich kritisiert, dass sich die Autorin während ihrer komplexen Handlung nicht genügend Zeit für die Gefühle ihrer Figur nimmt und uns die spätere stahlharte Kriegerin emotional ferner bleibt als die junge Enja, die wir in den Rückblicken erleben. Während sie in Band 2 emotional stark gereift ist und auch Verletzlichkeit und Komplexe gezeigt hat, präsentiert sie hier wieder einige kalte Seiten an sich. Schon als sie zu Beginn des Buches ihr neugeborenes Kind und ihren Ehemann ohne viel Federlesen verlässt, um in ein neues Abenteuer aufzubrechen, wird klar, dass für sie ihre Identität als Kriegerin, Clanführerin und Heilerin an erster Stelle steht. Ehefrau und Mutter ist sie nur halbherzig und auch in anderen Situationen wie beispielsweise ihrer Affäre mit Ragnar tritt sie gefühlskalt und skrupellos auf. Das hat für mich aber sehr gut zu ihrem Charakter gepasst, der zwar mit Selbstbewusstsein, Stärke und Cleverness überzeugt, aber auch teilweise arrogant und egozentrisch erscheint. Übelnehmen können wir das dieser starker Frau, die sich im gegebenen historischen Kontext emanzipiert, sich für Heilkunde, Fortschritt und Forschung einsetzt und stark aus dem Klischee der Historien-Protagonistinnen ausbricht, aber nicht. Nicht zuletzt da die Autorin immer wieder einwirft, dass wir über ihr Verhalten anders urteilen würden, wenn es sich bei ihr um einen Mann handeln würde...

"Warum habe ich so eine Frau wie dich noch nie getroffen?", flüsterte er mir jetzt ins Ohr (...) "Weil die Welt nicht mehr als eine Frau wie mich erträgt."

Das Ende der Geschichte findet nach einem Showdown, in dem sich alle Handlungsstränge begegnen ein ausreichend abgeschlossenes Ende, das jedoch Lust auf mehr macht. Ob es einen vierten Band der Highlanderin geben wird, ist noch nicht ganz sicher, mich würde es aber auf jeden Fall freuen!


Fazit:


"Der Clan der Highlanderin" führt wieder hochspannend, komplex und gut recherchiert durch die schottische Historie und führt uns dabei zu den Wurzeln unserer besonderen Heldin... Dieser dritte Band ist zwar etwas weniger abwechslungsreich und abenteuerlich als die Vorgängerbände, kann dafür aber mit einem runden Handlungsaufbau, einem durchgängigen roten Faden und einen abgeschlossenen Spannungsbogen punkten, weshalb es trotz kleiner Schwächen mein bisheriger Lieblingsband der Reihe ist.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 07.11.2022

Gewohnt bildgewaltig und originell!

Wie der Falke fliegt
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Seit ich "Wen der Rabe ruft" 2016 ganz aus Versehen gefunden und sofort ins Herz geschlossen habe, bin ich ein riesiger Fan von Maggie Stiefvater, die es immer wieder schafft, mich durch die eigenartige ...

Seit ich "Wen der Rabe ruft" 2016 ganz aus Versehen gefunden und sofort ins Herz geschlossen habe, bin ich ein riesiger Fan von Maggie Stiefvater, die es immer wieder schafft, mich durch die eigenartige Mischung aus klassischem Urban Fantasy und dem heimeligen Kleinstadtleben mit Geschichtlichem, Märchen, magischen Traumwelten und eine guten Prise Verrücktheit zu überzeugen. Die Reihe rund um ihre Raven Boys habe ich deshalb schon mehrere Male mit großer Begeisterung gelesen und war sehr gespannt auf den ersten Band der brandneuen Sequel-Reihe, die nicht nur nach Henrietta ins Raven-Boys-Universum, sondern auch speziell zu meinem Lieblingscharakter Ronan Lynch zurückkehrt. Wie nicht anders erwartet habe ich mich in diese Geschichte um Kunst, Träume, Individualität, Weltuntergang, Diebe, Mafia, Freundschaft, Hoffnung und Liebe geradezu schockverliebt!

Bevor ich mein erneutes Loblied auf Maggie Stiefvaters Fantasie beginne, wie immer ein paar Worte zum Cover. Anders als die kühlblaue Aquarell-Optik der Hauptreihe hat sich der Verlag dieses Mal für eine rot-orangene Farbgebung entschieden, wodurch das Cover weniger verträumt und deutlich dramatischer wirkt. Zu sehen ist genau wie auf dem Originalcover die Silhouette eines Falken im Sturzflug. Der Falke lässt sich auch im Titel wiederfinden, welcher von Klang und Satz an die Titel der Hauptreihe erinnert. Mit den Flügelspitzen des Falken, welche an einen brennenden Wald erinnern, wird außerdem der drohende Weltuntergang durch einen Weltbrand aufgegriffen, welche wie ein Damoklesschwert über der Geschichte schwebt. Passend dazu sind die 79 Kapitelanfänge jeweils von einem angedeuteten Wald umgeben. Kurzum: auch wenn ich die Gestaltung der Hauptreihe rein optisch ansprechender finde, bin ich sehr zufrieden von dem Gesamtkonzept der Gestaltung!

Erster Satz: "Das hier wird eine Geschichte über die Lynch-Brüder"

"Wie der Falke fliegt" beginnt etwas mehr als ein Jahr nach dem Ende des Raven Cycles. Gansey und Blue sind gemeinsam mit dem Camaro auf Reisen, Adam studiert in Harvard und Ronan wohnt alleine in den Schobern und lernt, das Träumen zu kontrollieren. Neben ihm bekommen wir noch zwei weitere, neue Hauptfiguren vorgestellt, die aus der Perspektive eines personalen Er-Erzählers erzählen dürfen. Wie gewohnt setzt Maggie Stiefvater dabei ein sehr geringes Erzähltempo an und auch ihre Handlungsdichte ist zunächst sehr gering. Die eigentliche Rahmenhandlung wird durch den Klapptext nur in sehr geringem Ausmaß umrissen und viel darüber, was hier eigentlich passiert, möchte ich auch gar nicht sagen, da ich dann viel zu viel vorwegnehmen würde. Die Geschichte lebt von den Perspektivwechseln zwischen den drei im Fokus stehenden Figuren und der Frage, wie alles miteinander verbunden ist. Dadurch, dass wir angesichts geheimnisvoller Träume, düsterer Vorhersagen und neuer Gegenspieler lange Zeit im Dunkeln gelassen werde, entsteht ein surreales Lesegefühl, das sich anfühlt, als sei man in einem Traum einer anderen Person und würde zwar nicht hundertprozentig verstehen, was passiert, könnte angesichts der lyrischen Schönheit und Mystik des Ganzen nicht den Blick abwenden.

"Hast du schonmal ins Feuer gestarrt, bis du den Blick nicht mehr abwenden konntest? Darum geht es? Hast du schonmal die Berge betrachtet, bis es dir den Atem verschlagen hat? Darum geht es. Hast du schonmal zum Mond hochgeguckt, bis dir die Tränen kamen. Darum geht es. Es geht um den Stoff zwischen den Sternen, um den Raum zwischen den Wurzeln, dieses Ding, das morgens die Elektrizität aus dem Bett lockt. Magie."


Die Atmosphäre ist neben diesem surrealen Lesegefühl von einem düstereren Einschlag geprägt als die Hauptreihe es war. Wo der Raven Cycle noch humorvoll, spritzig und abenteuerlustig war, ist "Wie der Falke fliegt" nun melancholisch, blutig, zynisch und apokalyptisch. Trotz all der Unterschiede erkennt man in jeder Zeile der unverwechselbare Schreibstil Maggie Stiefvaters wieder. Mit ruhigen, aber eindringlichen Worten lässt sie die Charaktere und das Setting für einen kurzen Moment wahr werden und schenkt uns einige Stunden voller Fantasie, Magie, Liebe, Freundschaft und düsteren Geheimnissen. Dabei setzt die Autorin Gefühlsbeschreibungen nur ganz dezent und gezielt ein - ganz im Gegensatz zu manch anderen Romanautorinnen wie zum Beispiel Colleen Hoover, deren Gefühlswucht fast erdrückt. Manchen mag das zu spärlich sein, doch ich finde die zarten Andeutungen und leisen Annäherungen sind viel berührender als brodelnde Leidenschaft. Da sich hier sowohl emotional als auch inhaltlich viele auf der Ebene noch An- und Vorausdeutungen abspielt, kann ich allen zukünftigen LeserInnen dieses Buches nur ans Herz legen, es sehr aufmerksam zu lesen und sich dabei viel Zeit zu lassen, denn es gibt im Laufe der komplexen Erzählung so viele Andeutungen, die später nochmal eine tragende Rolle spielen. In ganz eigener Handschrift schreibt sie mal erklärend, mal kurz angebunden, mal emotional, mal kalt, mal melancholisch, mal locker, mal traurig, mal glücklich, mal wütend, mal resigniert - ein kunterbuntes Durcheinander, das vor allem eines ist: magisch. Dann noch ein paar skurrile Wendungen und überraschende Gedanken und fertig ist die unkonventionelle, magische und einzigartige Geschichte.

"Es wird schon klappen, Hennessy." Und letztendlich war wohl das der entscheidende Unterschied zwischen ihnen beiden. Während Hennessy darüber nachdachte, vom nächsten Dach zu springen, dachte Jordan darüber nach, vom nächsten Dach zu springen und davonzufliegen"


Teil dieses Gesamtkunstwerks ist hier natürlich wieder das unglaublich magische Setting, welches die kleine Stadt Henrietta im Herzen des ländlichen Virginias mit all seinen magischen Traumorten durch die Großstadt Washington ergänzt. Der Autorin gelingt es, uns im Laufe der Zeit an verschiedene Handlungsorte innerhalb ihres Settings mitzunehmen, die sich so gegensätzlich gegenüberstehen, dass sie beinahe wie unterschiedliche Dimensionen wirken: Der magische Wald Lindemere, welcher hier als Nachfolger Cabeswaters eingeführt wird, die träumerischen Schobern der Familie Lynch, in denen sich Ronans und Nialls Traumwesen tummeln, Declans ordentliches Stadthaus in New York, die prunkvolle Künstlervilla von Jordan Hennessy und ihren Mitbewohnerinnen sowie nicht zuletzt eine Vielzahl an Fantasie- und Traumwelten. Diese Geschichte erscheint vielseitig und einmal mehr wie eine Ansammlung kunstvoll miteinander verwobener Einzelgeschichten, die mich aufs Neue mit ihrem Ideenreichtum verzaubert hat.

Auch die Grundidee von Träumern, die Dinge aus ihren Träumen mitnehmen können, muss ich hier nochmal positiv hervorheben. In Zeiten von überdimensioniert häufig verwendeten Vampirmythen und Zaubermotiven sind eine Ley-Linie, durch deren Magie erwachende magische Kraftorte, eine Riege von Träumern und eine Gesellschaft, welche diese jagt um den Weltuntergang zu verhindern eine herrlich originelle und unverbrauchte Idee. Im Fokus der Geschichte steht jedoch nicht die Grundidee oder etwa ein Abenteuer, sondern die Dynamiken zwischen den Figuren. Am meisten gefreut hat mich, dass wir hier Einblicke in das Familienleben der drei Lynch-Brüder Ronan, Declan und Matthew erhalten. Ronan, welcher mit seinem kultivierten Walls aus Aggressivität und Wut, der das starke Bedürfnis nach Zuneigung und Bestätigung nur schlecht verbergen kann, auf mich in der Hauptreihe wie ein Kind gewirkt hat, ist hier deutlich reiferund erwachsener geworden und kann mit seinen eigenen Emotionen und Gedanken deutlich besser umgeben. Ich habe den Träumer natürlich schon im Raven Cycle lieben gelernt, hier wird jedoch deutlich, wie vielschichtig seine Charakterisierung wirklich ist.

"Als Ronan noch jünger war und es nicht besser wusste, dachte er, jeder müsste wie er sein. Auf Basis seiner Beobachtungen stellte er Regeln für den Rest der Welt auf, da nur wahr sein konnte, was innerhalb seines Erfahrungshorizonts lag. Jeder musste schlafen und essen. Jeder hatte Hände, Füße. (...) Jedes Haus war von geheimnisvollen Feldern und uralten Scheunen umgeben, jede Weide wurde von blauen Hügeln behütet, jede noch so schmale Straße führte in eine verborgene Welt. Jeder wachte manchmal aus dem Schlaf auf und hielt einen seiner Träume in den Händen."

Auch sein Bruder Declan ist mir hier viel mehr ans Herz gewachsen, da wir zu verstehen lernen, dass er seine Empfindsamkeit genau wie sein Bruder Ronan hinter einer Maske versteckt. Während Ronan auf Krawall gebürstet scheint, hat sich Declan einen Schutzmantel aus Kälte, Professionalität und Langweile angelegt, um sich und seine Brüder zu schützen. Der dritte im Bunde, der Sonnenschein Matthew, bringt ebenfalls einen äußerst spannenden Konflikt mit sich, da er hier erfahren muss, dass er nicht echt, sondern von Ronan geträumt ist... Die drei alleine wären in Kombination mit einem kurzen Wiederauftauchen von Gansey, Adam und Blue in meinen Augen schon interessant genug, um eine ganze Spin-Off-Reihe zu füllen. Neben den Lynch Brüdern erhalten wir aber außerdem einen äußerst spannenden Eindruck von Jordan Hennessys Beziehung zu ihren ganz speziellen Mitbewohnerinnen. Was die Autorin sich hier ausgedacht hat, ist wirklich unfassbar und weit von allem entfernt, was ich schonmal irgendwo gelesen habe. Zu sagen, dass ich wahnsinnig gespannt bin, wie sich der Handlungsstrang hier weiterentwickeln wird, wäre ein große Untertreibung. Vom dritten Handlungsstrang rund um die Träumerjägerin Carmen Farooq-Lane und ihren sozial schwieriger Visionär Parsifal war ich zunächst am wenigsten begeistert, da dieser am düstersten und am rätselhaftesten ist. Interessant dabei ist, dass Carmen immer nur bei ihrem Nachnamen genannt wird, was eine gewisse Distanz zu uns LeserInnen kreiert, man sie aber trotz der Tatsache, dass sie die Träumer jagt und damit auf der gegnerischen Seite zu unseren anderen Lieblingen steht, schlussendlich ans Herz schließt.

Das Ende wirft nach einem spannenden Finale mehr Fragen auf, als es beantwortet und stellt somit sicher, dass wir gespannt auf das Erscheinen von "Wie Träume bluten" warten, welches im Juli nächstes Jahr erscheint. Bis dahin bleibt nur noch zu sagen, "Tamquam, Alter Idem".

"Nach und nach schläft alles ein. Spatzen regnen vom Himmel. Hirsche sinken mitten im Galopp auf die Knie. Bäume hören auf zu wachsen. Kinder fallen in sanften Schlummer. All die Kreaturen, die einst diese Welt bevölkert haben, schlafen, und die Fantasie kommt zum Stillstand. Unter der Erde liegen Drachen, die sich nie wieder regen werden. Die Welt um uns schläft ein, aber niemand bemerkt es. Niemand schaut mehr aus dem Fenster. Träumer sterben."



Fazit:


In ihrem Raven-Cycle-Spinn-Off "Wie der Falke fliegt" erzählt Maggie Stiefvater gewohnt bildgewaltig und originell von Kunst, Träume, Individualität, Weltuntergang, Diebe, Mafia, Freundschaft, Hoffnung und Liebe. In ihre schrägen Figuren, das abwechslungsreiche und magische Setting, den unverwechselbaren Schreibstil und die interessante Grundidee musste ich mich einfach wieder verlieben!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 07.11.2022

Gewohnt bildgewaltig und originell!

Wie der Falke fliegt
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Seit ich "Wen der Rabe ruft" 2016 ganz aus Versehen gefunden und sofort ins Herz geschlossen habe, bin ich ein riesiger Fan von Maggie Stiefvater, die es immer wieder schafft, mich durch die eigenartige ...

Seit ich "Wen der Rabe ruft" 2016 ganz aus Versehen gefunden und sofort ins Herz geschlossen habe, bin ich ein riesiger Fan von Maggie Stiefvater, die es immer wieder schafft, mich durch die eigenartige Mischung aus klassischem Urban Fantasy und dem heimeligen Kleinstadtleben mit Geschichtlichem, Märchen, magischen Traumwelten und eine guten Prise Verrücktheit zu überzeugen. Die Reihe rund um ihre Raven Boys habe ich deshalb schon mehrere Male mit großer Begeisterung gelesen und war sehr gespannt auf den ersten Band der brandneuen Sequel-Reihe, die nicht nur nach Henrietta ins Raven-Boys-Universum, sondern auch speziell zu meinem Lieblingscharakter Ronan Lynch zurückkehrt. Wie nicht anders erwartet habe ich mich in diese Geschichte um Kunst, Träume, Individualität, Weltuntergang, Diebe, Mafia, Freundschaft, Hoffnung und Liebe geradezu schockverliebt!

Bevor ich mein erneutes Loblied auf Maggie Stiefvaters Fantasie beginne, wie immer ein paar Worte zum Cover. Anders als die kühlblaue Aquarell-Optik der Hauptreihe hat sich der Verlag dieses Mal für eine rot-orangene Farbgebung entschieden, wodurch das Cover weniger verträumt und deutlich dramatischer wirkt. Zu sehen ist genau wie auf dem Originalcover die Silhouette eines Falken im Sturzflug. Der Falke lässt sich auch im Titel wiederfinden, welcher von Klang und Satz an die Titel der Hauptreihe erinnert. Mit den Flügelspitzen des Falken, welche an einen brennenden Wald erinnern, wird außerdem der drohende Weltuntergang durch einen Weltbrand aufgegriffen, welche wie ein Damoklesschwert über der Geschichte schwebt. Passend dazu sind die 79 Kapitelanfänge jeweils von einem angedeuteten Wald umgeben. Kurzum: auch wenn ich die Gestaltung der Hauptreihe rein optisch ansprechender finde, bin ich sehr zufrieden von dem Gesamtkonzept der Gestaltung!

Erster Satz: "Das hier wird eine Geschichte über die Lynch-Brüder"

"Wie der Falke fliegt" beginnt etwas mehr als ein Jahr nach dem Ende des Raven Cycles. Gansey und Blue sind gemeinsam mit dem Camaro auf Reisen, Adam studiert in Harvard und Ronan wohnt alleine in den Schobern und lernt, das Träumen zu kontrollieren. Neben ihm bekommen wir noch zwei weitere, neue Hauptfiguren vorgestellt, die aus der Perspektive eines personalen Er-Erzählers erzählen dürfen. Wie gewohnt setzt Maggie Stiefvater dabei ein sehr geringes Erzähltempo an und auch ihre Handlungsdichte ist zunächst sehr gering. Die eigentliche Rahmenhandlung wird durch den Klapptext nur in sehr geringem Ausmaß umrissen und viel darüber, was hier eigentlich passiert, möchte ich auch gar nicht sagen, da ich dann viel zu viel vorwegnehmen würde. Die Geschichte lebt von den Perspektivwechseln zwischen den drei im Fokus stehenden Figuren und der Frage, wie alles miteinander verbunden ist. Dadurch, dass wir angesichts geheimnisvoller Träume, düsterer Vorhersagen und neuer Gegenspieler lange Zeit im Dunkeln gelassen werde, entsteht ein surreales Lesegefühl, das sich anfühlt, als sei man in einem Traum einer anderen Person und würde zwar nicht hundertprozentig verstehen, was passiert, könnte angesichts der lyrischen Schönheit und Mystik des Ganzen nicht den Blick abwenden.

"Hast du schonmal ins Feuer gestarrt, bis du den Blick nicht mehr abwenden konntest? Darum geht es? Hast du schonmal die Berge betrachtet, bis es dir den Atem verschlagen hat? Darum geht es. Hast du schonmal zum Mond hochgeguckt, bis dir die Tränen kamen. Darum geht es. Es geht um den Stoff zwischen den Sternen, um den Raum zwischen den Wurzeln, dieses Ding, das morgens die Elektrizität aus dem Bett lockt. Magie."


Die Atmosphäre ist neben diesem surrealen Lesegefühl von einem düstereren Einschlag geprägt als die Hauptreihe es war. Wo der Raven Cycle noch humorvoll, spritzig und abenteuerlustig war, ist "Wie der Falke fliegt" nun melancholisch, blutig, zynisch und apokalyptisch. Trotz all der Unterschiede erkennt man in jeder Zeile der unverwechselbare Schreibstil Maggie Stiefvaters wieder. Mit ruhigen, aber eindringlichen Worten lässt sie die Charaktere und das Setting für einen kurzen Moment wahr werden und schenkt uns einige Stunden voller Fantasie, Magie, Liebe, Freundschaft und düsteren Geheimnissen. Dabei setzt die Autorin Gefühlsbeschreibungen nur ganz dezent und gezielt ein - ganz im Gegensatz zu manch anderen Romanautorinnen wie zum Beispiel Colleen Hoover, deren Gefühlswucht fast erdrückt. Manchen mag das zu spärlich sein, doch ich finde die zarten Andeutungen und leisen Annäherungen sind viel berührender als brodelnde Leidenschaft. Da sich hier sowohl emotional als auch inhaltlich viele auf der Ebene noch An- und Vorausdeutungen abspielt, kann ich allen zukünftigen LeserInnen dieses Buches nur ans Herz legen, es sehr aufmerksam zu lesen und sich dabei viel Zeit zu lassen, denn es gibt im Laufe der komplexen Erzählung so viele Andeutungen, die später nochmal eine tragende Rolle spielen. In ganz eigener Handschrift schreibt sie mal erklärend, mal kurz angebunden, mal emotional, mal kalt, mal melancholisch, mal locker, mal traurig, mal glücklich, mal wütend, mal resigniert - ein kunterbuntes Durcheinander, das vor allem eines ist: magisch. Dann noch ein paar skurrile Wendungen und überraschende Gedanken und fertig ist die unkonventionelle, magische und einzigartige Geschichte.

"Es wird schon klappen, Hennessy." Und letztendlich war wohl das der entscheidende Unterschied zwischen ihnen beiden. Während Hennessy darüber nachdachte, vom nächsten Dach zu springen, dachte Jordan darüber nach, vom nächsten Dach zu springen und davonzufliegen"


Teil dieses Gesamtkunstwerks ist hier natürlich wieder das unglaublich magische Setting, welches die kleine Stadt Henrietta im Herzen des ländlichen Virginias mit all seinen magischen Traumorten durch die Großstadt Washington ergänzt. Der Autorin gelingt es, uns im Laufe der Zeit an verschiedene Handlungsorte innerhalb ihres Settings mitzunehmen, die sich so gegensätzlich gegenüberstehen, dass sie beinahe wie unterschiedliche Dimensionen wirken: Der magische Wald Lindemere, welcher hier als Nachfolger Cabeswaters eingeführt wird, die träumerischen Schobern der Familie Lynch, in denen sich Ronans und Nialls Traumwesen tummeln, Declans ordentliches Stadthaus in New York, die prunkvolle Künstlervilla von Jordan Hennessy und ihren Mitbewohnerinnen sowie nicht zuletzt eine Vielzahl an Fantasie- und Traumwelten. Diese Geschichte erscheint vielseitig und einmal mehr wie eine Ansammlung kunstvoll miteinander verwobener Einzelgeschichten, die mich aufs Neue mit ihrem Ideenreichtum verzaubert hat.

Auch die Grundidee von Träumern, die Dinge aus ihren Träumen mitnehmen können, muss ich hier nochmal positiv hervorheben. In Zeiten von überdimensioniert häufig verwendeten Vampirmythen und Zaubermotiven sind eine Ley-Linie, durch deren Magie erwachende magische Kraftorte, eine Riege von Träumern und eine Gesellschaft, welche diese jagt um den Weltuntergang zu verhindern eine herrlich originelle und unverbrauchte Idee. Im Fokus der Geschichte steht jedoch nicht die Grundidee oder etwa ein Abenteuer, sondern die Dynamiken zwischen den Figuren. Am meisten gefreut hat mich, dass wir hier Einblicke in das Familienleben der drei Lynch-Brüder Ronan, Declan und Matthew erhalten. Ronan, welcher mit seinem kultivierten Walls aus Aggressivität und Wut, der das starke Bedürfnis nach Zuneigung und Bestätigung nur schlecht verbergen kann, auf mich in der Hauptreihe wie ein Kind gewirkt hat, ist hier deutlich reiferund erwachsener geworden und kann mit seinen eigenen Emotionen und Gedanken deutlich besser umgeben. Ich habe den Träumer natürlich schon im Raven Cycle lieben gelernt, hier wird jedoch deutlich, wie vielschichtig seine Charakterisierung wirklich ist.

"Als Ronan noch jünger war und es nicht besser wusste, dachte er, jeder müsste wie er sein. Auf Basis seiner Beobachtungen stellte er Regeln für den Rest der Welt auf, da nur wahr sein konnte, was innerhalb seines Erfahrungshorizonts lag. Jeder musste schlafen und essen. Jeder hatte Hände, Füße. (...) Jedes Haus war von geheimnisvollen Feldern und uralten Scheunen umgeben, jede Weide wurde von blauen Hügeln behütet, jede noch so schmale Straße führte in eine verborgene Welt. Jeder wachte manchmal aus dem Schlaf auf und hielt einen seiner Träume in den Händen."

Auch sein Bruder Declan ist mir hier viel mehr ans Herz gewachsen, da wir zu verstehen lernen, dass er seine Empfindsamkeit genau wie sein Bruder Ronan hinter einer Maske versteckt. Während Ronan auf Krawall gebürstet scheint, hat sich Declan einen Schutzmantel aus Kälte, Professionalität und Langweile angelegt, um sich und seine Brüder zu schützen. Der dritte im Bunde, der Sonnenschein Matthew, bringt ebenfalls einen äußerst spannenden Konflikt mit sich, da er hier erfahren muss, dass er nicht echt, sondern von Ronan geträumt ist... Die drei alleine wären in Kombination mit einem kurzen Wiederauftauchen von Gansey, Adam und Blue in meinen Augen schon interessant genug, um eine ganze Spin-Off-Reihe zu füllen. Neben den Lynch Brüdern erhalten wir aber außerdem einen äußerst spannenden Eindruck von Jordan Hennessys Beziehung zu ihren ganz speziellen Mitbewohnerinnen. Was die Autorin sich hier ausgedacht hat, ist wirklich unfassbar und weit von allem entfernt, was ich schonmal irgendwo gelesen habe. Zu sagen, dass ich wahnsinnig gespannt bin, wie sich der Handlungsstrang hier weiterentwickeln wird, wäre ein große Untertreibung. Vom dritten Handlungsstrang rund um die Träumerjägerin Carmen Farooq-Lane und ihren sozial schwieriger Visionär Parsifal war ich zunächst am wenigsten begeistert, da dieser am düstersten und am rätselhaftesten ist. Interessant dabei ist, dass Carmen immer nur bei ihrem Nachnamen genannt wird, was eine gewisse Distanz zu uns LeserInnen kreiert, man sie aber trotz der Tatsache, dass sie die Träumer jagt und damit auf der gegnerischen Seite zu unseren anderen Lieblingen steht, schlussendlich ans Herz schließt.

Das Ende wirft nach einem spannenden Finale mehr Fragen auf, als es beantwortet und stellt somit sicher, dass wir gespannt auf das Erscheinen von "Wie Träume bluten" warten, welches im Juli nächstes Jahr erscheint. Bis dahin bleibt nur noch zu sagen, "Tamquam, Alter Idem".

"Nach und nach schläft alles ein. Spatzen regnen vom Himmel. Hirsche sinken mitten im Galopp auf die Knie. Bäume hören auf zu wachsen. Kinder fallen in sanften Schlummer. All die Kreaturen, die einst diese Welt bevölkert haben, schlafen, und die Fantasie kommt zum Stillstand. Unter der Erde liegen Drachen, die sich nie wieder regen werden. Die Welt um uns schläft ein, aber niemand bemerkt es. Niemand schaut mehr aus dem Fenster. Träumer sterben."



Fazit:


In ihrem Raven-Cycle-Spinn-Off "Wie der Falke fliegt" erzählt Maggie Stiefvater gewohnt bildgewaltig und originell von Kunst, Träume, Individualität, Weltuntergang, Diebe, Mafia, Freundschaft, Hoffnung und Liebe. In ihre schrägen Figuren, das abwechslungsreiche und magische Setting, den unverwechselbaren Schreibstil und die interessante Grundidee musste ich mich einfach wieder verlieben!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 07.11.2022

Gewohnt bildgewaltig und originell!

Wie der Falke fliegt
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Seit ich "Wen der Rabe ruft" 2016 ganz aus Versehen gefunden und sofort ins Herz geschlossen habe, bin ich ein riesiger Fan von Maggie Stiefvater, die es immer wieder schafft, mich durch die eigenartige ...

Seit ich "Wen der Rabe ruft" 2016 ganz aus Versehen gefunden und sofort ins Herz geschlossen habe, bin ich ein riesiger Fan von Maggie Stiefvater, die es immer wieder schafft, mich durch die eigenartige Mischung aus klassischem Urban Fantasy und dem heimeligen Kleinstadtleben mit Geschichtlichem, Märchen, magischen Traumwelten und eine guten Prise Verrücktheit zu überzeugen. Die Reihe rund um ihre Raven Boys habe ich deshalb schon mehrere Male mit großer Begeisterung gelesen und war sehr gespannt auf den ersten Band der brandneuen Sequel-Reihe, die nicht nur nach Henrietta ins Raven-Boys-Universum, sondern auch speziell zu meinem Lieblingscharakter Ronan Lynch zurückkehrt. Wie nicht anders erwartet habe ich mich in diese Geschichte um Kunst, Träume, Individualität, Weltuntergang, Diebe, Mafia, Freundschaft, Hoffnung und Liebe geradezu schockverliebt!

Bevor ich mein erneutes Loblied auf Maggie Stiefvaters Fantasie beginne, wie immer ein paar Worte zum Cover. Anders als die kühlblaue Aquarell-Optik der Hauptreihe hat sich der Verlag dieses Mal für eine rot-orangene Farbgebung entschieden, wodurch das Cover weniger verträumt und deutlich dramatischer wirkt. Zu sehen ist genau wie auf dem Originalcover die Silhouette eines Falken im Sturzflug. Der Falke lässt sich auch im Titel wiederfinden, welcher von Klang und Satz an die Titel der Hauptreihe erinnert. Mit den Flügelspitzen des Falken, welche an einen brennenden Wald erinnern, wird außerdem der drohende Weltuntergang durch einen Weltbrand aufgegriffen, welche wie ein Damoklesschwert über der Geschichte schwebt. Passend dazu sind die 79 Kapitelanfänge jeweils von einem angedeuteten Wald umgeben. Kurzum: auch wenn ich die Gestaltung der Hauptreihe rein optisch ansprechender finde, bin ich sehr zufrieden von dem Gesamtkonzept der Gestaltung!

Erster Satz: "Das hier wird eine Geschichte über die Lynch-Brüder"

"Wie der Falke fliegt" beginnt etwas mehr als ein Jahr nach dem Ende des Raven Cycles. Gansey und Blue sind gemeinsam mit dem Camaro auf Reisen, Adam studiert in Harvard und Ronan wohnt alleine in den Schobern und lernt, das Träumen zu kontrollieren. Neben ihm bekommen wir noch zwei weitere, neue Hauptfiguren vorgestellt, die aus der Perspektive eines personalen Er-Erzählers erzählen dürfen. Wie gewohnt setzt Maggie Stiefvater dabei ein sehr geringes Erzähltempo an und auch ihre Handlungsdichte ist zunächst sehr gering. Die eigentliche Rahmenhandlung wird durch den Klapptext nur in sehr geringem Ausmaß umrissen und viel darüber, was hier eigentlich passiert, möchte ich auch gar nicht sagen, da ich dann viel zu viel vorwegnehmen würde. Die Geschichte lebt von den Perspektivwechseln zwischen den drei im Fokus stehenden Figuren und der Frage, wie alles miteinander verbunden ist. Dadurch, dass wir angesichts geheimnisvoller Träume, düsterer Vorhersagen und neuer Gegenspieler lange Zeit im Dunkeln gelassen werde, entsteht ein surreales Lesegefühl, das sich anfühlt, als sei man in einem Traum einer anderen Person und würde zwar nicht hundertprozentig verstehen, was passiert, könnte angesichts der lyrischen Schönheit und Mystik des Ganzen nicht den Blick abwenden.

"Hast du schonmal ins Feuer gestarrt, bis du den Blick nicht mehr abwenden konntest? Darum geht es? Hast du schonmal die Berge betrachtet, bis es dir den Atem verschlagen hat? Darum geht es. Hast du schonmal zum Mond hochgeguckt, bis dir die Tränen kamen. Darum geht es. Es geht um den Stoff zwischen den Sternen, um den Raum zwischen den Wurzeln, dieses Ding, das morgens die Elektrizität aus dem Bett lockt. Magie."


Die Atmosphäre ist neben diesem surrealen Lesegefühl von einem düstereren Einschlag geprägt als die Hauptreihe es war. Wo der Raven Cycle noch humorvoll, spritzig und abenteuerlustig war, ist "Wie der Falke fliegt" nun melancholisch, blutig, zynisch und apokalyptisch. Trotz all der Unterschiede erkennt man in jeder Zeile der unverwechselbare Schreibstil Maggie Stiefvaters wieder. Mit ruhigen, aber eindringlichen Worten lässt sie die Charaktere und das Setting für einen kurzen Moment wahr werden und schenkt uns einige Stunden voller Fantasie, Magie, Liebe, Freundschaft und düsteren Geheimnissen. Dabei setzt die Autorin Gefühlsbeschreibungen nur ganz dezent und gezielt ein - ganz im Gegensatz zu manch anderen Romanautorinnen wie zum Beispiel Colleen Hoover, deren Gefühlswucht fast erdrückt. Manchen mag das zu spärlich sein, doch ich finde die zarten Andeutungen und leisen Annäherungen sind viel berührender als brodelnde Leidenschaft. Da sich hier sowohl emotional als auch inhaltlich viele auf der Ebene noch An- und Vorausdeutungen abspielt, kann ich allen zukünftigen LeserInnen dieses Buches nur ans Herz legen, es sehr aufmerksam zu lesen und sich dabei viel Zeit zu lassen, denn es gibt im Laufe der komplexen Erzählung so viele Andeutungen, die später nochmal eine tragende Rolle spielen. In ganz eigener Handschrift schreibt sie mal erklärend, mal kurz angebunden, mal emotional, mal kalt, mal melancholisch, mal locker, mal traurig, mal glücklich, mal wütend, mal resigniert - ein kunterbuntes Durcheinander, das vor allem eines ist: magisch. Dann noch ein paar skurrile Wendungen und überraschende Gedanken und fertig ist die unkonventionelle, magische und einzigartige Geschichte.

"Es wird schon klappen, Hennessy." Und letztendlich war wohl das der entscheidende Unterschied zwischen ihnen beiden. Während Hennessy darüber nachdachte, vom nächsten Dach zu springen, dachte Jordan darüber nach, vom nächsten Dach zu springen und davonzufliegen"


Teil dieses Gesamtkunstwerks ist hier natürlich wieder das unglaublich magische Setting, welches die kleine Stadt Henrietta im Herzen des ländlichen Virginias mit all seinen magischen Traumorten durch die Großstadt Washington ergänzt. Der Autorin gelingt es, uns im Laufe der Zeit an verschiedene Handlungsorte innerhalb ihres Settings mitzunehmen, die sich so gegensätzlich gegenüberstehen, dass sie beinahe wie unterschiedliche Dimensionen wirken: Der magische Wald Lindemere, welcher hier als Nachfolger Cabeswaters eingeführt wird, die träumerischen Schobern der Familie Lynch, in denen sich Ronans und Nialls Traumwesen tummeln, Declans ordentliches Stadthaus in New York, die prunkvolle Künstlervilla von Jordan Hennessy und ihren Mitbewohnerinnen sowie nicht zuletzt eine Vielzahl an Fantasie- und Traumwelten. Diese Geschichte erscheint vielseitig und einmal mehr wie eine Ansammlung kunstvoll miteinander verwobener Einzelgeschichten, die mich aufs Neue mit ihrem Ideenreichtum verzaubert hat.

Auch die Grundidee von Träumern, die Dinge aus ihren Träumen mitnehmen können, muss ich hier nochmal positiv hervorheben. In Zeiten von überdimensioniert häufig verwendeten Vampirmythen und Zaubermotiven sind eine Ley-Linie, durch deren Magie erwachende magische Kraftorte, eine Riege von Träumern und eine Gesellschaft, welche diese jagt um den Weltuntergang zu verhindern eine herrlich originelle und unverbrauchte Idee. Im Fokus der Geschichte steht jedoch nicht die Grundidee oder etwa ein Abenteuer, sondern die Dynamiken zwischen den Figuren. Am meisten gefreut hat mich, dass wir hier Einblicke in das Familienleben der drei Lynch-Brüder Ronan, Declan und Matthew erhalten. Ronan, welcher mit seinem kultivierten Walls aus Aggressivität und Wut, der das starke Bedürfnis nach Zuneigung und Bestätigung nur schlecht verbergen kann, auf mich in der Hauptreihe wie ein Kind gewirkt hat, ist hier deutlich reiferund erwachsener geworden und kann mit seinen eigenen Emotionen und Gedanken deutlich besser umgeben. Ich habe den Träumer natürlich schon im Raven Cycle lieben gelernt, hier wird jedoch deutlich, wie vielschichtig seine Charakterisierung wirklich ist.

"Als Ronan noch jünger war und es nicht besser wusste, dachte er, jeder müsste wie er sein. Auf Basis seiner Beobachtungen stellte er Regeln für den Rest der Welt auf, da nur wahr sein konnte, was innerhalb seines Erfahrungshorizonts lag. Jeder musste schlafen und essen. Jeder hatte Hände, Füße. (...) Jedes Haus war von geheimnisvollen Feldern und uralten Scheunen umgeben, jede Weide wurde von blauen Hügeln behütet, jede noch so schmale Straße führte in eine verborgene Welt. Jeder wachte manchmal aus dem Schlaf auf und hielt einen seiner Träume in den Händen."

Auch sein Bruder Declan ist mir hier viel mehr ans Herz gewachsen, da wir zu verstehen lernen, dass er seine Empfindsamkeit genau wie sein Bruder Ronan hinter einer Maske versteckt. Während Ronan auf Krawall gebürstet scheint, hat sich Declan einen Schutzmantel aus Kälte, Professionalität und Langweile angelegt, um sich und seine Brüder zu schützen. Der dritte im Bunde, der Sonnenschein Matthew, bringt ebenfalls einen äußerst spannenden Konflikt mit sich, da er hier erfahren muss, dass er nicht echt, sondern von Ronan geträumt ist... Die drei alleine wären in Kombination mit einem kurzen Wiederauftauchen von Gansey, Adam und Blue in meinen Augen schon interessant genug, um eine ganze Spin-Off-Reihe zu füllen. Neben den Lynch Brüdern erhalten wir aber außerdem einen äußerst spannenden Eindruck von Jordan Hennessys Beziehung zu ihren ganz speziellen Mitbewohnerinnen. Was die Autorin sich hier ausgedacht hat, ist wirklich unfassbar und weit von allem entfernt, was ich schonmal irgendwo gelesen habe. Zu sagen, dass ich wahnsinnig gespannt bin, wie sich der Handlungsstrang hier weiterentwickeln wird, wäre ein große Untertreibung. Vom dritten Handlungsstrang rund um die Träumerjägerin Carmen Farooq-Lane und ihren sozial schwieriger Visionär Parsifal war ich zunächst am wenigsten begeistert, da dieser am düstersten und am rätselhaftesten ist. Interessant dabei ist, dass Carmen immer nur bei ihrem Nachnamen genannt wird, was eine gewisse Distanz zu uns LeserInnen kreiert, man sie aber trotz der Tatsache, dass sie die Träumer jagt und damit auf der gegnerischen Seite zu unseren anderen Lieblingen steht, schlussendlich ans Herz schließt.

Das Ende wirft nach einem spannenden Finale mehr Fragen auf, als es beantwortet und stellt somit sicher, dass wir gespannt auf das Erscheinen von "Wie Träume bluten" warten, welches im Juli nächstes Jahr erscheint. Bis dahin bleibt nur noch zu sagen, "Tamquam, Alter Idem".

"Nach und nach schläft alles ein. Spatzen regnen vom Himmel. Hirsche sinken mitten im Galopp auf die Knie. Bäume hören auf zu wachsen. Kinder fallen in sanften Schlummer. All die Kreaturen, die einst diese Welt bevölkert haben, schlafen, und die Fantasie kommt zum Stillstand. Unter der Erde liegen Drachen, die sich nie wieder regen werden. Die Welt um uns schläft ein, aber niemand bemerkt es. Niemand schaut mehr aus dem Fenster. Träumer sterben."



Fazit:


In ihrem Raven-Cycle-Spinn-Off "Wie der Falke fliegt" erzählt Maggie Stiefvater gewohnt bildgewaltig und originell von Kunst, Träume, Individualität, Weltuntergang, Diebe, Mafia, Freundschaft, Hoffnung und Liebe. In ihre schrägen Figuren, das abwechslungsreiche und magische Setting, den unverwechselbaren Schreibstil und die interessante Grundidee musste ich mich einfach wieder verlieben!

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Veröffentlicht am 29.10.2022

Nicht das stärkste Buch der Autorin!

The Girl in the Love Song
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Handlung: "The Girl in the Love Song" ist mein 11. Buch von Emma Scott (die Rezis zu ihren anderen Büchern könnt Ihr übrigens HIER finden). Wie bei bisher jedem ihrer Bücher habe ich mich auch in die Geschichte ...

Handlung: "The Girl in the Love Song" ist mein 11. Buch von Emma Scott (die Rezis zu ihren anderen Büchern könnt Ihr übrigens HIER finden). Wie bei bisher jedem ihrer Bücher habe ich mich auch in die Geschichte von Miller und Violet Hals über Kopf verliebt, ganz zufrieden mit dem Handlungsaufbau bin ich allerdings nicht. Das liegt vor allem an den vielen Zeitsprüngen, die die in vier Teile aufgespaltene Erzählung zerstückeln und in die Länge ziehen. Teil 1 behandelt das zuckersüße wie tragische Kennenlernen von Violet und Miller, bei dem die beiden 13 Jahre alt sind, danach folgt ein Zeitsprung von vier Jahren, welcher uns in eine Zeit voller Highschool-Klischees und Entfremdung mitnimmt, bevor sie sich in Teil 3 endlich näherkommen und in Teil 4 dann in einem Zeitraffer über Jahre alles auf einmal zu passieren scheint. Durch diese Aufsplitterung der Erzählung ging für mich nur die emotionale Nähe und die Entwicklung der Figuren verloren, es entsteht auch leider das Gefühl, dass sich alles in die Länge zieht, da gerade, wenn man sich wieder in die neuen Umstände für die beiden eingefunden und das besondere Prickeln der Erzählung wiedergefunden hat, ein neuer Zeitsprung kommt und dieses wieder verflüchtigen lässt. Ich bin grundsätzlich kein großer Fan von Zeitsprüngen in Erzählungen, da sie häufig genau diesen Effekt mit sich bringen, kann aber verstehen, weshalb sich die Autorin für ihre Friends-to-Lovers-Geschichte, die von jahrelangem Hin und Her lebt, dafür entschieden hat. Glücklich mit der Umsetzung bin ich jedoch trotzdem nicht.

Figuren
: Denn die Zeitsprünge wirken sich leider auch negativ auf die beiden Hauptfiguren aus, die hier abwechselnd aus ihrer Perspektive erzählen dürfen. Der Einstieg in die Geschichte ist mir noch nie so leichtgefallen: durch die Unschuld und pure Freundschaft schließt man die beiden Figuren als Kinder sofort ins Herz und ist gespannt auf ihre weitere Geschichte. Von Violet erhalten wir zusätzlich noch Tagebucheinträge, während Miller und durch seine Songtexte weiteren Einblick in sein Innenleben gewährt. Grundsätzlich sehr gute Voraussetzungen, oder? Leider muss man sich im Laufe Handlung jedoch anstrengen, die Charaktere, in die man sich zu Beginn verliebt hat, in denen wiederzufinden, zu denen sie geworden sind und kann nicht zu jedem Zeitpunkt der Erzählung eine Verbindung zu ihnen wiederaufbauen. Auch andere Nebenfiguren wie Millers Mutter, Violets Eltern, Evelyn oder auch Vis beste Freundin Shiloh haben mich schlussendlich enttäuscht, da sie über lebendige Klischees hinaus kaum Tiefe entwickeln. Highlights sind hingegen Millers beide Freunde Holden und Ronan, welche mit ihm zusammen das Lost-Boy-Trio bilden. Die beiden werden hier stark in die Geschichte eingeführt - nur um dann komplett daraus zu verschwinden, da sich die Autorin deren Geschichte für die beiden Folgebände aufgespart hat. Das ist natürlich etwas schade, macht aber auch umso mehr Lust auf die beiden anderen Teile der Reihe.

Schreibstil:
Dafür gesorgt, dass ich mich trotz der Schwächen im Handlungsaufbau trotzdem Hals über Kopf in die Geschichte gestürzt habe, hat mal wieder Emma Scotts besonderer Schreibstil, den ich dieses Mal sehr vielseitig auskosten konnte, da ich die Geschichte gleichzeitig als englisches Ebook gelesen und als deutsches Hörbuch gehört habe. Diese Autorin schafft es wie keine Zweite, intensiv Schmerz und Liebe gegenüberzustellen und den Leser damit zum Weinen, zum Lachen und zum Mitfiebern zu bringen. Sie spricht hier Themen wie Obdachlosigkeit, Armut, Diabetes, Schulden und Organspende an und lässt uns damit großzügig darüber hinwegsehen, dass die Geschichte ansonsten viele Highschool-Klischees und Tropes rund um Rockstar Romances und Friends-to-Lovers beinhaltet. Die Sensibilität, mit der sie dem Leser einen Blick ins Innere ihrer Protagonisten gewährt, die Grausamkeit, mit der sie uns und ihre Geschöpfe konfrontiert und die viele Liebe, mit der sie ihre und unsere Herzen heilt, sind wirklich erstaunlich und haben dafür gesorgt, dass "The Girl in the Love Song" trotz allem eine besondere Leseerfahrung war.


Die Zitate:


“Change is hard in the beginning, messy in the middle, and beautiful at the end.”

“The urge to protect one’s heart is the strongest urge of all. But it’s also impossible if you want to live a rich, full life.”

"In that instance- the length of a heartbeat- a lifetime passed between us. An understanding that he and I were inevitable. Fated… The girl with the romantic heart and the boy who wrote love songs.”

“Miller and I ebbed and flowed, but we always came back. Inevitable as the tide and beautiful in the end.”


Das Urteil:


"The Girl in the Love Song" ist in meinen Augen aufgrund des eher schwachen Handlungsaufbaus mit vielen Zeitsprüngen, durch die die emotionale Nähe zur Handlung und die Entwicklung der Figuren zeitweise verloren geht, nicht das stärkste Buch der Autorin. Die liebenswerten Figuren, der Umgang mit sensiblen Themen und der magische Schreibstil haben das aber wieder ausgeglichen und dafür gesorgt, dass ich mich trotz allem Hals über Kopf in diese intensive Liebesgeschichte gestürzt habe.

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