Profilbild von Wordworld_Sophia

Wordworld_Sophia

Lesejury Star
offline

Wordworld_Sophia ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Wordworld_Sophia über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 10.05.2025

"Wer Wind sät, wird Sturm ernten."

Das Gedächtnis von Babel
0

Seitdem ich mit der "Spiegelreisende"-Reihe begonnen habe, bereue ich wirklich, sie so lange auf meinem SuB habe schmoren lassen. Denn Christelle Dabos entführt hier in vier Bänden in eine faszinierende, ...

Seitdem ich mit der "Spiegelreisende"-Reihe begonnen habe, bereue ich wirklich, sie so lange auf meinem SuB habe schmoren lassen. Denn Christelle Dabos entführt hier in vier Bänden in eine faszinierende, fremdartige Welt voller Geheimnisse, Intrigen und Magie, die mit undurchsichtiger Handlung, interessanten Figuren und originellen Ideen überzeugt. Auch "Das Gedächtnis von Babel" ist eine wendungs- und aufschlussreiche Ergänzung der Reihe, die einige Fragen beantwortet und weitere 515 Seiten voller Fantasie, Abenteuer und Rätsel zum Entdecken bereithält!

"Es wird einmal in nicht allzu ferner Zeit die Welt endlich in Frieden leben. In jenen tagen wird es neue Männer geben und es wird neue Frauen geben. Dies wird das Zeitalter der Wunder sein."


Optisch ist "Das Gedächtnis von Babel" nahe an der Gestaltung von Band 1 und 2 gehalten. Während wir zuvor jeweils die Handlungsorte am Pol in blau und gelb gesehen haben, ist hier nun die Metropole Babels in mintgrün abgebildet. Die wunderschöne Illustration fängt wieder die geheimnisvolle, verträumte Stimmung des Romans ein und macht das Buch zu einem echten Hingucker im Regal. Auch innen überzeugt die Gestaltung abermals mit einer stilvollen Kapitelgestaltung und einer Weltkarte der Archen, die für einen Überblick über alle bereits vorgestellten Welten sehr hilfreich ist.

Erster Satz: "Die Uhr näherte sich in beachtlichem Tempo."

Spätestens seit dem turbulenten Ende von Band 2 war ich endgültig in Christelle Dabos´ Erzählkosmos angekommen und mehr als gespannt, wie es mit Ophelia, Thorn, Faruk, Gott und der Welt weitergeht. Dementsprechend entsetzt war ich zu sehen, dass "Das Gedächtnis von Babel" nach einem dreijährigen (!!!) Zeitsprung beinahe neu ansetzt und zunächst alle perfekt aufgereihten Anknüpfungspunkte von Band 2 zu vernachlässigen scheint. So beobachten wir, wie Ophelia auf Anima Trübsal bläst und versucht, aus ihrem Exil heraus, Spuren ihres Ehemanns Thorn zu finden. Als sie mithilfe von Archibald, Reineke und Gwenael auf eine Windrose stößt, führt sie eine vielversprechende Spur auf die Arche Babel. An der Akademie der "Guten Familie" im Memorial, das den Anspruch erhebt, "Das Gedächtnis der Welt" zu sein, hofft sie nicht nur Thorn wiederzufinden, sondern auch neues über "Gott" und den rätselhaften "Anderen" zu erfahren, den sie bei ihrer ersten Spiegelreise befreit zu haben scheint.

"Denk selbst nach, kleiner dummer Mensch, anstatt stumpf zu wiederholen, was man dir vorsagt!"

Auch wenn Band 3 anders als seine beiden Vorgänger von Beginn an spannend startet, fiel mir der Einstieg der ersten 100 Seiten eher schwer, da ich einfach etwas ganz anderes von Band 3 erwartet hatte. Über meinen anfänglichen Schock über den großen Zeitsprung kam ich dann aber recht schnell hinweg, da mit einer neuen Arche, neuen Familienkräften, zwei unbekannten Familiengeistern, der besonderen Gesellschaftsstruktur der Metropole, den Intrigen in der Akademie und geheimnisvollen Todesfällen, die es zu ergründen gilt, einiges zu entdecken ist. Bis die Handlung richtig durchstartet, gehen zwar auch wieder einige Seiten ins Land, allerdings besteht kein Vergleich mit den trägen Durststrecken, die es in Band 1 und 2 gegeben hat. Christelle Dabos nimmt sich aber auch hier ohne Frage viel Zeit, ihr neues Setting zu erkunden - nach Anima und dem Pol die dritte der einundzwanzig Archen, in die die Welt nach dem sogenannten "Riss" zerbrochen ist...

"Zu eurer Information, junge Dame, Frieden ist lediglich eine Vision. Es gab und wird stets Konflikte geben, welche Gestalt sie auch immer annehmen. Neutralität ist eine hübsche Art, Feigheit zu sagen."


Hier zeigt sich abermals, wie viel Herzblut die Autorin in die Erstellung ihrer Welten gesteckt hat. So sind das politische Klima sowie die gesellschaftlichen Konventionen Babels genau wie die des Pols oder Animas ein Spiegel der Fähigkeiten der dort lebenden Menschen. Während die Illusionen und das kalte Klima des Pols eine vergnügungssüchtige, ausschweifende High-Society hervorgebracht haben, schlagen sich das reiche, tropische Klima und die gesteigerten Sinne der Nachfahren der Zwillingsgeister Pollux und Helene in einem kosmopolitischen, aufgeklärten Hort des Wissens nieder, das allerdings von strengen Regeln, Konformität und Zensur bestimmt wird. Auch hier gibt es mit den Lords von Lux eine herrschende Elite, die Gott zu dienen scheint. Da in Babel außerdem Menschen aus anderen Archen leben, lernen wir nebenbei auch die Kräfte anderer Familien kennen und können bereits spekulieren, wie das Leben auf den übrigen Archen aussehen könnte. Dabei werden alle neuen Informationen wie gewohnt eher beiläufig gegeben und es bleibt weiterhin vieles offen und angedeutet, sodass es weiterhin noch einiges zu entdecken gibt! So wird das Bild der Welt, das die Autorin in ihren vier Bänden zeichnet, hier nochmal um einiges reicher und abermals wird ganz klar bestätigt: Das Worldbuilding ist zweifellos eine der größten Stärken der gesamten Reihe und eines der kreativsten und originellsten im Fantasy-Genre.

"Ophelia blinzelte geblendet: Sie musste den Kopf in den Nacken legen, um den Turm der Gedenkstätte ganz mit einem Blick zu erfassen. Seine Größe war so kolossal, seine Glaskuppel so strahlend, dass man ihn für einen Leuchtturm halten konnte, der die gesamte Welt erhellen sollte."

Auch wenn auf der neuen Arche ein beinahe neuer Handlungsstrang zu starten scheint, kommt etwa ab der Hälfte einiges in Bewegung und es werden erstmals einige der "großen Fragen" der Reihe beantwortet. Wer ist "Gott", welche Rolle spielen die Hausgeister, wer ist "der andere", wie ist die Welt zerbrochen? Nachdem wir in Band 2 Klarheit zu den Büchern der Hausgeister erhalten haben, deren fehlende Seiten die zwanzig Geister zu schlechtem Gedächtnis und Zerstreutheit verdammt haben, gehen wir nun noch weiter zurück und erfahren, wie sie aufgewachsen sind. Auch wenn sich die Autorin weiterhin durch subtile Andeutungen, undurchsichtige Gegenspieler, überraschende Wendungen und immer wechselnde Fragen bedeckt hält, beginnen sich die ersten Schnipsel des Puzzles langsam zusammenzusetzen. Ganz wird der Schleier des Geheimnisvollen aber natürlich noch nicht gelüftet, sodass ich sehr gespannt bin, welche großen Erkenntnisse in "Im Sturm des Echos" noch auf uns warten.

"Das ist doch mal wieder typisch für dich. Wenn du dich in den Schlamassel reitest, dann richtig. Da gibt es keine halben Sachen."


Neben der Vorstellung der neuen Arche und den Geheimnissen, die im Memorial auf uns warten, steht in diesem dritten Teil aber vor allem Ophelias Entwicklung im Vordergrund. Abermals in einer neuen Umgebung auf sich allein gestellt, muss sie über sich hinauswachsen und sich selbst, ihren Ängsten und auch ihren Wünschen stellen. Auch wenn sie sich im Kern selbst treu bleibt, ist die Ophelia, die wir gegen Ende sehen, sehr weit von dem passiven Mädchen entfernt, die wir zu Beginn in Anima kennengelernt haben. Auch ihre Beziehung zu Thorn entwickelt sich hier wesentlich weiter, auch wenn die beiden weiterhin kaum gemeinsame Szenen, geschweige denn eine offene Kommunikation über ihre Gefühle haben. Ihre seltsamen Interaktionen und das Fehlen jeglicher offensichtlicher Zuneigung, machen sie als Paar aber nur noch charmanter!

"Ophelia hatte schon einige ungewöhnliche Situationen erlebt. Im selben Zimmer mit einem Säbelzahntieger Orchestermusik zu hören war jedoch zweifellos einer der allerungewöhnlichsten."

Christelle Dabos erzählt hier weiterhin aus der personalen Erzählperspektive von Ophelia, wechselt hier aber erstmals auch gelegentlich in eine zweite Erzählperspektive und zwar in die der dreijährigen Viktoria. Ophelias Patentochter, Tochter von Berenilde und Faruk, bildet eine dünne Verbindung zu den restlichen Figuren aus Band 1 und 2 wie Tante Rosaline, Madame Berenilde, Archibald und den restlichen Figuren des Pols, die hier sonst komplett aus dem Fokus rücken, um Platz für Ophelia, Thorn und neue Figuren in Babel wie Elizabeth, Octavius oder Blasius zu machen. In den kurzen Abschnitten aus Viktorias Sicht erfahren wir allerdings nicht nur, wie es den ans Herz gewachsenen Nebenfiguren in der Zwischenzeit ergangen ist, sondern beobachten aus ihrer ganz speziellen Perspektive - sie kann weder gehen noch sprechen, allerdings außerkörperliche Astralreisen unternehmen - Gottes Suche nach einem Zugang zu Erdenbogen... Wie die Autorin nun alle Stränge in Band 4 zusammenführen und die Geschichte zu einem runden Abschluss bringen wird, bin ich nun sehr gespannt!!!

"Wer Wind sät, wird Sturm ernten."


Fazit

"Das Gedächtnis von Babel" ist eine überraschend temporeichere Fortsetzung, die unerwartet an einen neuen Ort entführt, die Figurenentwicklung vorantreibt und einige Fragen beantwortet. Auch wenn ich mir anfangs einen anderen Fortgang der Geschichte erhofft hatte, war Band 3 bisher der stärkste Band für mich!

Veröffentlicht am 10.05.2025

"Wer Wind sät, wird Sturm ernten."

Das Gedächtnis von Babel
0

Seitdem ich mit der "Spiegelreisende"-Reihe begonnen habe, bereue ich wirklich, sie so lange auf meinem SuB habe schmoren lassen. Denn Christelle Dabos entführt hier in vier Bänden in eine faszinierende, ...

Seitdem ich mit der "Spiegelreisende"-Reihe begonnen habe, bereue ich wirklich, sie so lange auf meinem SuB habe schmoren lassen. Denn Christelle Dabos entführt hier in vier Bänden in eine faszinierende, fremdartige Welt voller Geheimnisse, Intrigen und Magie, die mit undurchsichtiger Handlung, interessanten Figuren und originellen Ideen überzeugt. Auch "Das Gedächtnis von Babel" ist eine wendungs- und aufschlussreiche Ergänzung der Reihe, die einige Fragen beantwortet und weitere 515 Seiten voller Fantasie, Abenteuer und Rätsel zum Entdecken bereithält!

"Es wird einmal in nicht allzu ferner Zeit die Welt endlich in Frieden leben. In jenen tagen wird es neue Männer geben und es wird neue Frauen geben. Dies wird das Zeitalter der Wunder sein."


Optisch ist "Das Gedächtnis von Babel" nahe an der Gestaltung von Band 1 und 2 gehalten. Während wir zuvor jeweils die Handlungsorte am Pol in blau und gelb gesehen haben, ist hier nun die Metropole Babels in mintgrün abgebildet. Die wunderschöne Illustration fängt wieder die geheimnisvolle, verträumte Stimmung des Romans ein und macht das Buch zu einem echten Hingucker im Regal. Auch innen überzeugt die Gestaltung abermals mit einer stilvollen Kapitelgestaltung und einer Weltkarte der Archen, die für einen Überblick über alle bereits vorgestellten Welten sehr hilfreich ist.

Erster Satz: "Die Uhr näherte sich in beachtlichem Tempo."

Spätestens seit dem turbulenten Ende von Band 2 war ich endgültig in Christelle Dabos´ Erzählkosmos angekommen und mehr als gespannt, wie es mit Ophelia, Thorn, Faruk, Gott und der Welt weitergeht. Dementsprechend entsetzt war ich zu sehen, dass "Das Gedächtnis von Babel" nach einem dreijährigen (!!!) Zeitsprung beinahe neu ansetzt und zunächst alle perfekt aufgereihten Anknüpfungspunkte von Band 2 zu vernachlässigen scheint. So beobachten wir, wie Ophelia auf Anima Trübsal bläst und versucht, aus ihrem Exil heraus, Spuren ihres Ehemanns Thorn zu finden. Als sie mithilfe von Archibald, Reineke und Gwenael auf eine Windrose stößt, führt sie eine vielversprechende Spur auf die Arche Babel. An der Akademie der "Guten Familie" im Memorial, das den Anspruch erhebt, "Das Gedächtnis der Welt" zu sein, hofft sie nicht nur Thorn wiederzufinden, sondern auch neues über "Gott" und den rätselhaften "Anderen" zu erfahren, den sie bei ihrer ersten Spiegelreise befreit zu haben scheint.

"Denk selbst nach, kleiner dummer Mensch, anstatt stumpf zu wiederholen, was man dir vorsagt!"

Auch wenn Band 3 anders als seine beiden Vorgänger von Beginn an spannend startet, fiel mir der Einstieg der ersten 100 Seiten eher schwer, da ich einfach etwas ganz anderes von Band 3 erwartet hatte. Über meinen anfänglichen Schock über den großen Zeitsprung kam ich dann aber recht schnell hinweg, da mit einer neuen Arche, neuen Familienkräften, zwei unbekannten Familiengeistern, der besonderen Gesellschaftsstruktur der Metropole, den Intrigen in der Akademie und geheimnisvollen Todesfällen, die es zu ergründen gilt, einiges zu entdecken ist. Bis die Handlung richtig durchstartet, gehen zwar auch wieder einige Seiten ins Land, allerdings besteht kein Vergleich mit den trägen Durststrecken, die es in Band 1 und 2 gegeben hat. Christelle Dabos nimmt sich aber auch hier ohne Frage viel Zeit, ihr neues Setting zu erkunden - nach Anima und dem Pol die dritte der einundzwanzig Archen, in die die Welt nach dem sogenannten "Riss" zerbrochen ist...

"Zu eurer Information, junge Dame, Frieden ist lediglich eine Vision. Es gab und wird stets Konflikte geben, welche Gestalt sie auch immer annehmen. Neutralität ist eine hübsche Art, Feigheit zu sagen."


Hier zeigt sich abermals, wie viel Herzblut die Autorin in die Erstellung ihrer Welten gesteckt hat. So sind das politische Klima sowie die gesellschaftlichen Konventionen Babels genau wie die des Pols oder Animas ein Spiegel der Fähigkeiten der dort lebenden Menschen. Während die Illusionen und das kalte Klima des Pols eine vergnügungssüchtige, ausschweifende High-Society hervorgebracht haben, schlagen sich das reiche, tropische Klima und die gesteigerten Sinne der Nachfahren der Zwillingsgeister Pollux und Helene in einem kosmopolitischen, aufgeklärten Hort des Wissens nieder, das allerdings von strengen Regeln, Konformität und Zensur bestimmt wird. Auch hier gibt es mit den Lords von Lux eine herrschende Elite, die Gott zu dienen scheint. Da in Babel außerdem Menschen aus anderen Archen leben, lernen wir nebenbei auch die Kräfte anderer Familien kennen und können bereits spekulieren, wie das Leben auf den übrigen Archen aussehen könnte. Dabei werden alle neuen Informationen wie gewohnt eher beiläufig gegeben und es bleibt weiterhin vieles offen und angedeutet, sodass es weiterhin noch einiges zu entdecken gibt! So wird das Bild der Welt, das die Autorin in ihren vier Bänden zeichnet, hier nochmal um einiges reicher und abermals wird ganz klar bestätigt: Das Worldbuilding ist zweifellos eine der größten Stärken der gesamten Reihe und eines der kreativsten und originellsten im Fantasy-Genre.

"Ophelia blinzelte geblendet: Sie musste den Kopf in den Nacken legen, um den Turm der Gedenkstätte ganz mit einem Blick zu erfassen. Seine Größe war so kolossal, seine Glaskuppel so strahlend, dass man ihn für einen Leuchtturm halten konnte, der die gesamte Welt erhellen sollte."

Auch wenn auf der neuen Arche ein beinahe neuer Handlungsstrang zu starten scheint, kommt etwa ab der Hälfte einiges in Bewegung und es werden erstmals einige der "großen Fragen" der Reihe beantwortet. Wer ist "Gott", welche Rolle spielen die Hausgeister, wer ist "der andere", wie ist die Welt zerbrochen? Nachdem wir in Band 2 Klarheit zu den Büchern der Hausgeister erhalten haben, deren fehlende Seiten die zwanzig Geister zu schlechtem Gedächtnis und Zerstreutheit verdammt haben, gehen wir nun noch weiter zurück und erfahren, wie sie aufgewachsen sind. Auch wenn sich die Autorin weiterhin durch subtile Andeutungen, undurchsichtige Gegenspieler, überraschende Wendungen und immer wechselnde Fragen bedeckt hält, beginnen sich die ersten Schnipsel des Puzzles langsam zusammenzusetzen. Ganz wird der Schleier des Geheimnisvollen aber natürlich noch nicht gelüftet, sodass ich sehr gespannt bin, welche großen Erkenntnisse in "Im Sturm des Echos" noch auf uns warten.

"Das ist doch mal wieder typisch für dich. Wenn du dich in den Schlamassel reitest, dann richtig. Da gibt es keine halben Sachen."


Neben der Vorstellung der neuen Arche und den Geheimnissen, die im Memorial auf uns warten, steht in diesem dritten Teil aber vor allem Ophelias Entwicklung im Vordergrund. Abermals in einer neuen Umgebung auf sich allein gestellt, muss sie über sich hinauswachsen und sich selbst, ihren Ängsten und auch ihren Wünschen stellen. Auch wenn sie sich im Kern selbst treu bleibt, ist die Ophelia, die wir gegen Ende sehen, sehr weit von dem passiven Mädchen entfernt, die wir zu Beginn in Anima kennengelernt haben. Auch ihre Beziehung zu Thorn entwickelt sich hier wesentlich weiter, auch wenn die beiden weiterhin kaum gemeinsame Szenen, geschweige denn eine offene Kommunikation über ihre Gefühle haben. Ihre seltsamen Interaktionen und das Fehlen jeglicher offensichtlicher Zuneigung, machen sie als Paar aber nur noch charmanter!

"Ophelia hatte schon einige ungewöhnliche Situationen erlebt. Im selben Zimmer mit einem Säbelzahntieger Orchestermusik zu hören war jedoch zweifellos einer der allerungewöhnlichsten."

Christelle Dabos erzählt hier weiterhin aus der personalen Erzählperspektive von Ophelia, wechselt hier aber erstmals auch gelegentlich in eine zweite Erzählperspektive und zwar in die der dreijährigen Viktoria. Ophelias Patentochter, Tochter von Berenilde und Faruk, bildet eine dünne Verbindung zu den restlichen Figuren aus Band 1 und 2 wie Tante Rosaline, Madame Berenilde, Archibald und den restlichen Figuren des Pols, die hier sonst komplett aus dem Fokus rücken, um Platz für Ophelia, Thorn und neue Figuren in Babel wie Elizabeth, Octavius oder Blasius zu machen. In den kurzen Abschnitten aus Viktorias Sicht erfahren wir allerdings nicht nur, wie es den ans Herz gewachsenen Nebenfiguren in der Zwischenzeit ergangen ist, sondern beobachten aus ihrer ganz speziellen Perspektive - sie kann weder gehen noch sprechen, allerdings außerkörperliche Astralreisen unternehmen - Gottes Suche nach einem Zugang zu Erdenbogen... Wie die Autorin nun alle Stränge in Band 4 zusammenführen und die Geschichte zu einem runden Abschluss bringen wird, bin ich nun sehr gespannt!!!

"Wer Wind sät, wird Sturm ernten."


Fazit

"Das Gedächtnis von Babel" ist eine überraschend temporeichere Fortsetzung, die unerwartet an einen neuen Ort entführt, die Figurenentwicklung vorantreibt und einige Fragen beantwortet. Auch wenn ich mir anfangs einen anderen Fortgang der Geschichte erhofft hatte, war Band 3 bisher der stärkste Band für mich!

Veröffentlicht am 10.05.2025

Überzeugt erneut mit einem atmosphärisch dichten Setting, originellem Worldbuilding und eigenwilligem Humor

Emily Wildes Atlas der Anderswelten
0

"Emily Wildes Enzyklopädie der Feen" hatte ich mir als eines meiner 12 für 2025 Bücher vorgenommen, da der Klapptext mit einer exzentrischen Forscherin, magischen Wesen und einer verschneiten Kulisse im ...

"Emily Wildes Enzyklopädie der Feen" hatte ich mir als eines meiner 12 für 2025 Bücher vorgenommen, da der Klapptext mit einer exzentrischen Forscherin, magischen Wesen und einer verschneiten Kulisse im frühen 20. Jahrhundert irgendwo am Rand der Welt sehr vielversprechend klang. Auch wenn das Buch nicht ganz die locker-leichte Geschichte mit märchenhaftem Flair und einem Hauch Romantik bieten konnte, die ich mir erhofft hatte, hat mich Band 1 nach einem schwierigen Einstieg mit einem ganz besonderen Charme bezaubert, sodass ich im Anschluss direkt Band 2 lesen musste!

Erster Satz: "Der Fuß passte nicht in meine Aktentasche, deshalb wickelte ich ihn in ein Tuch und stopfte ihn in den alten Rucksack, den ich manchmal bei meinen Expeditionen bei mir trage.”

Heather Fawcett setzt mit ihrer Handlung im September 1910 an, nachdem Emily und Wendell ihre Arbeit auf Ljösland abgeschlossen, auf einer Konferenz vorgestellt haben und nach Cambridge zurückgekehrt sind. Schon der erste Satz bereitet wieder auf eine exzentrische, aber ganz besondere Geschichte vor. Nachdem ich bei Band 1 zunächst Anfangsschwierigkeiten mit der Erzählweise und dem Erzählton überwinden musste, wusste ich bei Band 2 ja schon, was auf mich zukam. Hier wird ebenfalls wieder in der Form von Tagebucheinträgen in Emilys Forschungstagebuch erzählt, die teils größere Zeitsprünge enthalten und eher nacherzählen, als szenisch zu schildern. Auch wenn ich mich darauf dieses Mal gut einlassen konnte, bringt die ungewöhnliche Erzählweise genau wie in Band 1 einige Herausforderungen für das Pacing der Handlung mit sich. Genau wie ich es schon beim ersten Band kritisiert hatte, benötigt auch diese Fortsetzung eine Weile, um wirklich in Schwung zu kommen. Zwar ist mit dem Anschlag in Cambridge und einigen neuen Figuren von Beginn an mehr Zug hinter der Handlung, bis Emily und Wendell in den österreichischen Alpen ankommen und ihre Suche nach dem Nexus starten, gehen aber trotzdem wieder einige Seiten ins Land. Außerdem überschlagen sich später im Buch wiederum die Ereignisse, sodass zentrale Wendepunkte und Schlüsselszenen nur knapp in einem Eintrag abgespeist, statt sie wirklich auszukosten. Für dieses Ungleichgewicht im Handlungsaufbau, muss ich leider wieder etwas abziehen.

Was allerdings nach wie vor großartig ist, ist Heather Fawcetts Schreibstil, der von der ersten Seite an die Atmosphäre des ersten Bandes anknüpfen kann. Ihre Sprache ist durchzogen von trockenem, eigenwilligem Humor, der durch Emilys nüchterne, wissenschaftlich geprägte Tagebuchstimme getragen wird. Durch den eher distanzierte Erzählton muss man zwar viele Gefühlsbeschreibungen und Beziehungsdynamiken zwischen den Zeilen lesen, dabei hilft aber sehr, dass wir die Figuren alle schon besser kennen. Denn wenn man sich erstmal in Emilys Gedankenwelt eingefunden hat, funktioniert das ganz wunderbar und man bekommt kaum genug von der Geschichte. Auch die zeitlichen Rahmenbedingungen der Geschichte rund um die 1910er Jahre sowie die akademische Welt rund um die Dryadologie konnte ich in diesem Band deutlich besser greifen - alles, was sich in Band 1 noch seltsam und nach Arbeit angefühlt hatte, war nun auf charmante Art und Weise schrullig - und hatte großen Spaß mit dem Setting.

"Nachdem meine Enzyklopädie vollendet war, habe ich meine Aufmerksamkeit, wie Wendell weiß, einem anderen großen Projekt zugewandt – einem Atlas aller bekannten Feenreiche und ihrer Türen. Eine solche Kartensammlung kann nur Stückwerk bleiben – Feenreiche sind oft an bestimmte Orte in der Welt der Sterblichen gebunden, aber nur wenige von ihnen wurden ausreichend erforscht.”

Wunderbar weiterentwickelt hat die Autorin auch die Beschreibung der Feenwelt. Mit dem neuen Setting in den österreichischen Alpen, eröffnen sich ganz neue Erzählmöglichkeiten, die sie mit geheimnisvollen Feentüren, in der Zwischenwelt verirrten Wissenschaftlern, düsteren Baumfaunen, Fuchszwergen und der einem kurzen Ausflug in die faszinierenden Welt von Wendells Königreich voll auskostet. Zwar ist die Darstellung des Dorfes St. Liesl minimal klischeehaft, ich habe mich mit Emilys Team aber trotzdem gerne in die Alpen begeben. Nach wie vor sehr gelungen sind dabei die atmosphärischen Landschaftsbeschreibungen, die sich mit den fremdartigen, magisch-düsteren Feenreichen auf kunstvolle Art und Weise vermischen. Genau wie in Band 1 zeigt die Autorin dabei sehr viel Kreativität und Gespür für das Unheimliche, womit das Worldbuilding ein wenig an die Geschichten von Holly Black oder S. Jae-Jones erinnern.

Denn - und das muss ich hier nochmal ausdrücklich wiederholen - die Einordnung der Reihe als "Cozy Fantasy" ist maximal irreführend. Auch wenn die Geschichte großteils eher gemütlich vor sich hinplätschert und durchaus ihre herzerwärmenden Momente hat, ist die Feenwelt weit davon entfernt, süß zu sein. Wer bei Titel und Genrebezeichnung an glitzernde Elfen denkt, die schillernd über bunte Wiesen taumeln, könnte nicht weiter von Heather Fawcetts Version der Feenwelt entfernt sein. Sie zeichnet hier ein exzentrisches Bild der Feenwelt mit komplizierten Regeln, beiläufiger Grausamkeit, verdrehter Schönheit, eiskalter Skrupellosigkeit und gefährlichen Abgründen. Eine faszinierende, wenn auch gewöhnungsbedürftige Mischung, über die man aber gerne noch mehr erfahren möchte. Besonders auf Wendells Königreich bin ich sehr gespannt und hoffe, dass wir in Band 3, "Emily Wildes Kompendium der verlorenen Geschichten" (erscheint im Juni 2025) mehr darüber erfahren.

"Ich drehte mich um. Mehrere kleine fuchsähnliche Feen standen auf einem Baumstamm am Seeufer. Man hätte sie fast für kleine verkleidete Kinder halten können, wären da nicht das erschreckende Glitzern ihrer winzigen, nadelspitzen Zähne und ihre feuchten, vollkommen schwarzen Augen gewesen."


Apropos faszinierend, wenn auch gewöhnungsbedürftig: Sprechen wir über die Hauptfigur Emily. Es hat in Band 1 zwar eine ganze Weile gebraucht, bis ich mit ihr warm geworden bin, aber ihre distanzierte, sachliche Art, ihr scharfer Verstand und ihr Hang dazu, sich aus wissenschaftlichem Eifer in Schwierigkeiten zu bringen machen sie zu einer interessanten Protagonistin, der ich nur zu gerne auf ein zweites Abenteuer gefolgt bin. Mit ihrer maximalen sozialen Inkompetenz und ihren Inselbegabungen könnte sie auf dem Autismus Spektrum liegen und ist damit der diametrale Gegenpart zum charismatischen Love Interest Bambleby Wendell. Die Dynamik zwischen den beiden ist schrullig, aber herzerwärmend, genau wie die Nebenfiguren wie beispielsweise der Brownie Poe, Emilys Begleiter Shadow, ihre Nichte Ariadne oder Dekan Rose. Am Ende fand ich es dann sehr schade, alle so schnell wieder zurücklassen zu müssen und warte nun gespannt auf den dritten Teil, der ja zum Glück bald erscheinen wird.

"Vor mir lag eine Welt der Gefahren, der scharfen Kanten und tiefen Schatten, und ich mochte über umfangreiches Wissen verfügen, aber ich war eine Sterbliche ohne einen Hauch von Magie, die mir den Weg weisen konnte.“



Fazit


„Emily Wildes Atlas der Anderswelten“ überzeugt erneut mit einem atmosphärisch dichten Setting, originellem Worldbuilding und eigenwilligem Humor. Auch wenn die Erzählform und das Pacing weiterhin kleinere Schwächen mit sich bringen, begibt man sich gerne mit Heather Fawcett auf eine weitere faszinierende Reise in die unheimlich-schöne Welt der Feen.

Veröffentlicht am 10.05.2025

Überzeugt erneut mit einem atmosphärisch dichten Setting, originellem Worldbuilding und eigenwilligem Humor

Emily Wildes Atlas der Anderswelten
0

"Emily Wildes Enzyklopädie der Feen" hatte ich mir als eines meiner 12 für 2025 Bücher vorgenommen, da der Klapptext mit einer exzentrischen Forscherin, magischen Wesen und einer verschneiten Kulisse im ...

"Emily Wildes Enzyklopädie der Feen" hatte ich mir als eines meiner 12 für 2025 Bücher vorgenommen, da der Klapptext mit einer exzentrischen Forscherin, magischen Wesen und einer verschneiten Kulisse im frühen 20. Jahrhundert irgendwo am Rand der Welt sehr vielversprechend klang. Auch wenn das Buch nicht ganz die locker-leichte Geschichte mit märchenhaftem Flair und einem Hauch Romantik bieten konnte, die ich mir erhofft hatte, hat mich Band 1 nach einem schwierigen Einstieg mit einem ganz besonderen Charme bezaubert, sodass ich im Anschluss direkt Band 2 lesen musste!

Erster Satz: "Der Fuß passte nicht in meine Aktentasche, deshalb wickelte ich ihn in ein Tuch und stopfte ihn in den alten Rucksack, den ich manchmal bei meinen Expeditionen bei mir trage.”

Heather Fawcett setzt mit ihrer Handlung im September 1910 an, nachdem Emily und Wendell ihre Arbeit auf Ljösland abgeschlossen, auf einer Konferenz vorgestellt haben und nach Cambridge zurückgekehrt sind. Schon der erste Satz bereitet wieder auf eine exzentrische, aber ganz besondere Geschichte vor. Nachdem ich bei Band 1 zunächst Anfangsschwierigkeiten mit der Erzählweise und dem Erzählton überwinden musste, wusste ich bei Band 2 ja schon, was auf mich zukam. Hier wird ebenfalls wieder in der Form von Tagebucheinträgen in Emilys Forschungstagebuch erzählt, die teils größere Zeitsprünge enthalten und eher nacherzählen, als szenisch zu schildern. Auch wenn ich mich darauf dieses Mal gut einlassen konnte, bringt die ungewöhnliche Erzählweise genau wie in Band 1 einige Herausforderungen für das Pacing der Handlung mit sich. Genau wie ich es schon beim ersten Band kritisiert hatte, benötigt auch diese Fortsetzung eine Weile, um wirklich in Schwung zu kommen. Zwar ist mit dem Anschlag in Cambridge und einigen neuen Figuren von Beginn an mehr Zug hinter der Handlung, bis Emily und Wendell in den österreichischen Alpen ankommen und ihre Suche nach dem Nexus starten, gehen aber trotzdem wieder einige Seiten ins Land. Außerdem überschlagen sich später im Buch wiederum die Ereignisse, sodass zentrale Wendepunkte und Schlüsselszenen nur knapp in einem Eintrag abgespeist, statt sie wirklich auszukosten. Für dieses Ungleichgewicht im Handlungsaufbau, muss ich leider wieder etwas abziehen.

Was allerdings nach wie vor großartig ist, ist Heather Fawcetts Schreibstil, der von der ersten Seite an die Atmosphäre des ersten Bandes anknüpfen kann. Ihre Sprache ist durchzogen von trockenem, eigenwilligem Humor, der durch Emilys nüchterne, wissenschaftlich geprägte Tagebuchstimme getragen wird. Durch den eher distanzierte Erzählton muss man zwar viele Gefühlsbeschreibungen und Beziehungsdynamiken zwischen den Zeilen lesen, dabei hilft aber sehr, dass wir die Figuren alle schon besser kennen. Denn wenn man sich erstmal in Emilys Gedankenwelt eingefunden hat, funktioniert das ganz wunderbar und man bekommt kaum genug von der Geschichte. Auch die zeitlichen Rahmenbedingungen der Geschichte rund um die 1910er Jahre sowie die akademische Welt rund um die Dryadologie konnte ich in diesem Band deutlich besser greifen - alles, was sich in Band 1 noch seltsam und nach Arbeit angefühlt hatte, war nun auf charmante Art und Weise schrullig - und hatte großen Spaß mit dem Setting.

"Nachdem meine Enzyklopädie vollendet war, habe ich meine Aufmerksamkeit, wie Wendell weiß, einem anderen großen Projekt zugewandt – einem Atlas aller bekannten Feenreiche und ihrer Türen. Eine solche Kartensammlung kann nur Stückwerk bleiben – Feenreiche sind oft an bestimmte Orte in der Welt der Sterblichen gebunden, aber nur wenige von ihnen wurden ausreichend erforscht.”

Wunderbar weiterentwickelt hat die Autorin auch die Beschreibung der Feenwelt. Mit dem neuen Setting in den österreichischen Alpen, eröffnen sich ganz neue Erzählmöglichkeiten, die sie mit geheimnisvollen Feentüren, in der Zwischenwelt verirrten Wissenschaftlern, düsteren Baumfaunen, Fuchszwergen und der einem kurzen Ausflug in die faszinierenden Welt von Wendells Königreich voll auskostet. Zwar ist die Darstellung des Dorfes St. Liesl minimal klischeehaft, ich habe mich mit Emilys Team aber trotzdem gerne in die Alpen begeben. Nach wie vor sehr gelungen sind dabei die atmosphärischen Landschaftsbeschreibungen, die sich mit den fremdartigen, magisch-düsteren Feenreichen auf kunstvolle Art und Weise vermischen. Genau wie in Band 1 zeigt die Autorin dabei sehr viel Kreativität und Gespür für das Unheimliche, womit das Worldbuilding ein wenig an die Geschichten von Holly Black oder S. Jae-Jones erinnern.

Denn - und das muss ich hier nochmal ausdrücklich wiederholen - die Einordnung der Reihe als "Cozy Fantasy" ist maximal irreführend. Auch wenn die Geschichte großteils eher gemütlich vor sich hinplätschert und durchaus ihre herzerwärmenden Momente hat, ist die Feenwelt weit davon entfernt, süß zu sein. Wer bei Titel und Genrebezeichnung an glitzernde Elfen denkt, die schillernd über bunte Wiesen taumeln, könnte nicht weiter von Heather Fawcetts Version der Feenwelt entfernt sein. Sie zeichnet hier ein exzentrisches Bild der Feenwelt mit komplizierten Regeln, beiläufiger Grausamkeit, verdrehter Schönheit, eiskalter Skrupellosigkeit und gefährlichen Abgründen. Eine faszinierende, wenn auch gewöhnungsbedürftige Mischung, über die man aber gerne noch mehr erfahren möchte. Besonders auf Wendells Königreich bin ich sehr gespannt und hoffe, dass wir in Band 3, "Emily Wildes Kompendium der verlorenen Geschichten" (erscheint im Juni 2025) mehr darüber erfahren.

"Ich drehte mich um. Mehrere kleine fuchsähnliche Feen standen auf einem Baumstamm am Seeufer. Man hätte sie fast für kleine verkleidete Kinder halten können, wären da nicht das erschreckende Glitzern ihrer winzigen, nadelspitzen Zähne und ihre feuchten, vollkommen schwarzen Augen gewesen."


Apropos faszinierend, wenn auch gewöhnungsbedürftig: Sprechen wir über die Hauptfigur Emily. Es hat in Band 1 zwar eine ganze Weile gebraucht, bis ich mit ihr warm geworden bin, aber ihre distanzierte, sachliche Art, ihr scharfer Verstand und ihr Hang dazu, sich aus wissenschaftlichem Eifer in Schwierigkeiten zu bringen machen sie zu einer interessanten Protagonistin, der ich nur zu gerne auf ein zweites Abenteuer gefolgt bin. Mit ihrer maximalen sozialen Inkompetenz und ihren Inselbegabungen könnte sie auf dem Autismus Spektrum liegen und ist damit der diametrale Gegenpart zum charismatischen Love Interest Bambleby Wendell. Die Dynamik zwischen den beiden ist schrullig, aber herzerwärmend, genau wie die Nebenfiguren wie beispielsweise der Brownie Poe, Emilys Begleiter Shadow, ihre Nichte Ariadne oder Dekan Rose. Am Ende fand ich es dann sehr schade, alle so schnell wieder zurücklassen zu müssen und warte nun gespannt auf den dritten Teil, der ja zum Glück bald erscheinen wird.

"Vor mir lag eine Welt der Gefahren, der scharfen Kanten und tiefen Schatten, und ich mochte über umfangreiches Wissen verfügen, aber ich war eine Sterbliche ohne einen Hauch von Magie, die mir den Weg weisen konnte.“



Fazit


„Emily Wildes Atlas der Anderswelten“ überzeugt erneut mit einem atmosphärisch dichten Setting, originellem Worldbuilding und eigenwilligem Humor. Auch wenn die Erzählform und das Pacing weiterhin kleinere Schwächen mit sich bringen, begibt man sich gerne mit Heather Fawcett auf eine weitere faszinierende Reise in die unheimlich-schöne Welt der Feen.

Veröffentlicht am 04.05.2025

Band 2 ist ebenso interessant und atmosphärisch wie Band 1, startet aber mit vergleichbar angezogener Handbremse...

Die Spiegelreisende 2 - Die Verschwundenen vom Mondscheinpalast
0

Die "Spiegelreisende"-Reihe lag lange Zeit auf meinem SuB und nach über sechs Jahren habe ich mich letzte Woche endlich mal dem ersten Band gewidmet. In "Die Verlobten des Winters" führt Christelle Dabos ...

Die "Spiegelreisende"-Reihe lag lange Zeit auf meinem SuB und nach über sechs Jahren habe ich mich letzte Woche endlich mal dem ersten Band gewidmet. In "Die Verlobten des Winters" führt Christelle Dabos bereits in eine faszinierende, fremdartige Welt voller Illusionen, Intrigen und Magie, die mit undurchsichtiger Handlung, interessanten Figuren und originellen Ideen überzeugt. "Die verschwundene vom Mondscheinpalast" knüpft da direkt an und führt die Handlung weiter - ebenso interessant und atmosphärisch, aber mit vergleichbar angezogener Handbremse auf den ersten 300 Seiten...

Optisch ist "Die Verschwundenen vom Mondscheinpalast" nahe an der Gestaltung von Band 1 gehalten. Während wir zuvor eine schwebende Arche in kühlem Blau gesehen haben, ist hier nun der Kurort auf dem Pol mit seiner Außenmauer in mattem Gelb zu sehen, an dem ein Großteil der Handlung spielt. Die wunderschöne Illustration fängt allerdings wieder die geheimnisvolle, verträumte Stimmung des Romans ein und macht das Buch zu einem echten Hingucker im Regal. Auch innen überzeugt die Gestaltung wieder – mit einer stilvollen Kapitelgestaltung und einer Karte der Archen, die beim Eintauchen in diese neue Welt sehr hilfreich ist.

Erster Satz: "Am Anfang waren wir eins."

Nachdem Band 1 sehr schleppend gestartet ist und sich gegen Ende immer explosiver steigerte, hatte ich gehofft, dass "Die Verschwundenen vom Mondscheinpalast" von Beginn an etwas temporeicher erzählt sein würde. Das stellte sich aber leider als Irrtum heraus. Obwohl die Handlung auf die Sekunde genau an das Ende von Band 1 anknüpft, verliert sich die Autorin wieder über 300 Seiten in zwar für die Figuren und das Worldbuilding relevanten Details, die die Handlung allerdings überhaupt nicht voranbringen. Auch wenn es hier einen kleinen zusätzlichen Krimi-Plot gibt, um für einen roten Faden zu sorgen, plätschert die Geschichte also zwischenzeitlich schon stark dahin. Theoretisch hätten die gesamten Ereignisse von Band 1 und 2 - Ophelias Start in Anima, ihr Ankommen am Pol auf dem Anwesen von Berenilde, ihre Zeit als Page im Mondscheinpalast, ihre Zeit als Vize-Erzählerin Faruks, ihre Flucht an die Küste und schließlich der Showdown in der Himmelsburg in einem einzigen Band erzählt werden können.

"Kein Grün zu weiden", wiederholte der Lifboy. "Ich meine, kein Grund zu weinen. Was geschehen ist, ist geschehen, und was geschehen muss, wird geschehen."


Was dem Spannungsbogen vermutlich sehr zuträglich gewesen wäre, hätte aber wahrscheinlich der kleinschrittig aufgebauten Atmosphäre sehr geschadet. Denn abermals versteht es die Autorin sehr gut, durch subtile Andeutungen, undurchsichtige Gegenspieler, überraschende Wendungen und immer wechselnde Fragen eine Grundspannung aufzubauen, die trotz der trägen Handlung dafür sorgen, dass man das Buch nicht aus der Hand legen möchte. Dazu trägt auch wieder der flüssige, schlichte Schreibstil der Autorin bei. Christelle Dabos erzählt hier weiterhin aus der personalen Erzählperspektive von Ophelia, die gelegentlich durch rätselhafte Einschübe unterbrochen wird. Diese "Fragmente" werfen viele Fragen über den Ursprung des "Risses", die Bücher der Hausgeister, die Identität von "Gott" und Ophelias Rolle in der Welt auf und sorgen für zusätzliche Spannung, da man mit den spärlichen Informationen, die einem bisher zur Verfügung stehen, kaum auf eine zufriedenstellende Lösung des Puzzles kommen kann. Interessanterweise merkt man dem Text an einigen Stellen außerdem wieder an, dass es sich hier um eine Übersetzung aus dem Französischen handelt - es wirkt auf der einen Seite sprachlich sperrig, auf der anderen aber auch voll von französischem Charme.

"Ich messe der Kunst des stilvollen Lebens große Bedeutung bei, mein Fräulein, aber ebenso wichtig erscheint mir die Kunst zu sterben. Man kann einander anständig töten, wie zivilisierte Leute."


Apropos Charme... Das Worldbuilding ist zweifellos eine der größten Stärken der gesamten Reihe und eines der kreativsten und originellsten im Fantasy-Genre. Christelle Dabos nimmt uns in ihrer vierbändigen Reihe mit in eine Welt, in der die Menschen nach dem "Riss" auf einzelnen fliegenden Archen leben, die über der brodelnden Erdoberfläche dahinziehen. Jede dieser Archen ist von Familien bewohnt, die jeweils einem mächtigen Hausgeist entstammen und dessen magische Fähigkeiten geerbt haben. Unsere Hauptfigur Ophelia stammt von der Arche Anima, auf der die sogenannten Animisten leben, die Einfluss auf Gegenstände haben. Bisher haben wir außerdem den Pol kennengelernt, eine kalte, von Misstrauen geprägte Winterlandschaft, in der feindlich gesinnte Clans mit telepathischen und illusionistischen Kräften um Macht kämpfen. In diesem zweiten Band dürfen wir noch etwas länger auf dieser Arche verweilen und einiges über die Herrschaftsstrukturen, den Hausgeist Faruk, die vertriebenen Clans, die Architektin Mutter Hildegard und eine größere, geheime Verschwörung hinter den Kulissen lernen. Auch über das Magiesystem, Ophelias Fähigkeiten zum Spiegelreisen und dem charmanten Animieren von Gegenständen, erfahren wir hier mehr. Dabei werden alle neuen Informationen aber eher beiläufig gegeben und es bleibt weiterhin vieles offen und angedeutet, sodass es für die kommenden zwei Bände noch einiges zu entdecken gibt! Die anderen Archen zum Beispiel....

"Gegenwärtig war sie eine Vize-Erzählerin, die mit Drohbriefen überschüttet wurde, und eine Verlobte, die sich in einem Netz aus Intrigen und Geheimnissen verfangen hatte."


Ophelia als Hauptfigur steht erst am Beginn ihrer Entwicklung, das wird in Band 2 deutlicher denn je. Die extrem zurückhaltende, tollpatschige junge Frau, die stoisch vieles über sich ergehen lässt, aber einen erstaunlich treffsicheren Instinkt sowie die Fähigkeit, direkt ins Wespennest zu stechen besitzt ist alles andere als eine gewöhnliche Heldin einer Fantasy-Reihe. An manchen Stellen war sie mir etwas zu passiv, insgesamt wächst sie einem aber gerade durch ihre stille Art und ihre zögerliche Entwicklung schnell ans Herz. Mit ihrer Fähigkeit, durch Spiegel zu reisen und durch das Berühren von Gegenständen deren Vergangenheit zu "lesen" sowie ihren magischen Begleitern wie ihrem lebendigen Schal und ihrer Brille, die nach Gemütslage die Farbe wechselt, hat sie einfach einen Charme, dem man sich nicht entziehen kann. Nerdig, schüchtern, unbeholfen, aber herzensgut - sie erinnert ein wenig an eine weibliche Version von Newt Scamander...

"Bei unserer ersten Begegnung hatte ich einen furchtbaren Eindruck von Euch. Ich dachte, Ihr hättet weder Verstand noch Charakter und wärt niemals in der Lage, die Monate bis zur Hochzeit zu überstehen. Das wird für immer der größte Irrtum meines Lebens bleiben."


Die Nebenfiguren sind hingegen alles, was sie nicht ist: Wo sie eine stille Beobachterin ist, die vieles über sich ergehen lässt, sind sie laut und aufmerksamkeitsheischend aktiv, wo sie ehrlich und offen ist, sind sie verschlagen, während man sie sofort versteht, sind die Nebenfiguren allesamt komplex und schwer greifbar. Egal ob Ophelias Verlobter Thorn, dessen Tante Berenilde, der kindliche Kavalier, der Botschafter Archibald, oder der Familiengeist Faruk, alle haben unterschiedliche Motive, die sie erst nach und nach enthüllen, sodass man keinem trauen kann und nie weiß, ob hinter einer fragwürdigen Handlung reine Boshaftigkeit oder ein verborgener Grund steckt. Obwohl es nicht einfach ist, sie alle ins Herz zu schließen, konnte ich mich hier langsam auf einige von ihnen einlassen und habe auch das Gefühl, dass noch riesiges Potenzial für die Folgebände existiert. Besonders auf die weitere Entwicklung der Romanze zwischen Ophelia und Thorn bin ich sehr gespannt, da diese - trotz dass sie genau wie die beiden sehr ungewöhnlich und zurückhaltend erzählt ist - auf einem spannenden Fundament steht...

Nachdem die ersten 300 Seiten so träge angelaufen sind, sind die letzten 300 dafür umso spannender und turbulenter. Besonders das Ende hat es wirklich in sich, sodass ich wahnsinnig froh bin, dass ich nun gleich zu Band 3 greifen kann!


Fazit


Mit "Die Verschwundenen vom Mondscheinpalast" knüpft Christelle Dabos direkt an den Zauber des Auftakts an, der weniger durch rasante Action als durch seine Atmosphäre, sein vielschichtiges Weltenkonzept und die leise Stärke seiner Hauptfigur überzeugte. Auch hier muss man angesichts des trägen Starts Geduld mitbringen, man wird allerdings mit einem wendungsreichen Showdown und großartiger Erzählkraft belohnt!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere