Profilbild von Zauberberggast

Zauberberggast

Lesejury Star
offline

Zauberberggast ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Zauberberggast über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 25.10.2020

Meisterin der feinen Ironie

Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht
0

Dieses Buch war für mich in jeglicher Hinsicht eine Überraschung, denn eigentlich mag ich Erzählungen nicht besonders. Auch Sport im Allgemeinen und Tennis im Besonderen kann ich nur wenig abgewinnen. ...

Dieses Buch war für mich in jeglicher Hinsicht eine Überraschung, denn eigentlich mag ich Erzählungen nicht besonders. Auch Sport im Allgemeinen und Tennis im Besonderen kann ich nur wenig abgewinnen. Dennoch habe ich mich auf die autobiografischen Erzählungen von Andrea Petković eingelassen - zum Glück, denn sonst wären mir ein paar schöne Stücke kleiner Prosa entgangen, die eine ordentliche Portion Lebensweisheit und viele weise Betrachtungen einer noch jungen Frau und Sportlerin enthalten.

Petković nimmt uns mit auf eine literarische Reise durch ihr Leben und ihre Psyche. Sie erzählt von ihrer beständigen Furcht vor der Niederlage, die nicht nur auf dem Tennisplatz, sondern auch hinter jeder Ecke, in der Straßenbahn, im Klassenzimmer und vor allem aber in ihrem Kopf lauert. Humor, Literatur und Freundschaft sind ihre ständigen Begleiter im Kampf gegen die Angst vor dem Scheitern auf dem Tennisplatz, vor Verletzungen und auch gegen die vor dem Auffallen. Als Einwandererkind aus dem ehemaligen Jugoslawien (geboren wurde sie 1987 im bosnischen Tuzla) lernt sie schnell, sich anzupassen. Der Tennissport, so schwierig und fordernd er auch ist, wird zum Glückstreffer ihres Lebens, zur Möglichkeit sich aus dem eigenen Milieu herauszubewegen, die Welt kennenzulernen. Und dennoch, das zeigt uns die Autorin mit ihren Erzählungen, ist auch nicht jede glänzende Tennistrophäe aus dem Gold, das einem ein sorgloses Leben ohne Chaos, Zweifel und Enttäuschungen beschert, denn "zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht" und die kann mitunter lang, düster und einsam sein.

Ja, es geht naturgemäß viel um Tennis in diesen Erzählungen. Die Autorin nimmt uns mit auf die Grand-Slam-Turniere, wo wir braungebrannten und gut gelaunten Australiern begegnen (Australian Open), rauchenden und modisch gekleideten Franzosen (French Open), hochnäsigen, Erdbeeren-mit-Sahne essenden Engländern mit Hut (Wimbledon) und schließlich schlecht gelaunten Großstadtneurotikern in Petkovićs Lieblingsstadt New York (US Open). Aber auch ihre Erlebnisse bei den weniger weltbekannten Turnieren, das intensive Training in Bulgarien beispielsweise, beeindrucken. Man sieht die Anstrengung, den vergossenen Schweiß auf der sonnenverbrannten Haut förmlich vor sich und gleichzeitig spürt man die Lebensfreude, die die Autorin bei allen Strapazen ausstrahlt, ihren Humor, ihre feine Ironie, mit der sie den Unwägbarkeiten des Daseins trotzt.

Philosophisch sind viele ihrer Aussagen - man merkt, es ist eine intellektuelle Sportlerin die hier schreibt und vor allem eine, die liest. Am besten hat mir dann auch das Kapitel "Best day ever" gefallen, in dem Petković uns von ihren Lieblingsbüchern und -autoren berichtet.

Mit ganz viel Selbstironie, Selbstreflexion und Selbstkritik erzählt Andrea Petković häppchenweise die Geschichte ihres Lebens. Mir hat das sehr gut gefallen - Chapeau!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 25.10.2020

Wie "Hamnet" zu "Hamlet" wurde

Judith und Hamnet
0

Shakespeare als Vaterfigur und Familienmensch - das ist der radikal neue erzählerische Ansatz von Maggie O'Farrells Roman "Hamnet" (Dt. "Judith und Hamnet"). Das größte literarische Genie aller Zeiten ...

Shakespeare als Vaterfigur und Familienmensch - das ist der radikal neue erzählerische Ansatz von Maggie O'Farrells Roman "Hamnet" (Dt. "Judith und Hamnet"). Das größte literarische Genie aller Zeiten - umgeben und reflektiert von seiner Familie. Das Dramatis Personae dieses Romans im Kern: Der ehrgeizige Vater John (Shakespeare), Handschuhmacher aus Stratford-upon-Avon; seine Frau Mary (Arden), die Mutter des Genies und seiner Geschwister, von denen einige auch vorkommen (Gilbert, Eliza); die Ehefrau Agnes (eigentliche Lesart: Anne), Tochter eines Schäfers, Freigeist und Seherin, Heilerin, Kräuterfrau; ihr leiblicher Bruder Bartholomew; ihre Stiefmutter Joan und deren Kinder; schließlich die Kinder von Agnes und William Shakespeare: Susanna & die Zwillinge Judith und Hamnet. Und natürlich: Der Barde selbst, zunächst Lateinlehrer, dann "Handschuhvertrer" in London, dann voll und ganz Theatermensch: Schauspieler, Regisseur, Intendant und schließlich und vor allem: Dramatiker, Poet, literarisches Genie ohne Gleichen - “not of an age but for all time”.
Das Kuriosum: Shakespeare bleibt die einzig namenlose Figur des Romans. Die Erzählstimme bezeichnet ihn lediglich als "der Ehemann" oder "der Vater", Nachnamen werden auch nicht verwendet. Das ist ebenfalls sehr radikal und spannend: Das größte Individuum der Literaturgeschichte, über das wir de facto so wenig wissen, wird in diesem Roman seiner Identität und seiner Individualität auf gewisse Weise beraubt und das ist so großartig, mutig und radikal, dass es mir den Atem raubt.
Auf zwei Zeitebenen wird die Handlung erzählt: Die Geschichte von Hamnets Tod im Alter von 11 Jahren im Jahr 1596 ist die Haupthandlung. Alternierend wird in Rückblicken die Beziehung von Agnes und Shakespeare chronologisch erzählt. Im Mittelpunkt steht dabei Agnes, die Ehefrau und Mutter von Shakespeareas drei Kindern. Sie ist das Zentrum dieser Familie, die einen schweren Verlust erleidet, fast daran zerbricht und am Ende durch diesen Verlust, der in Kunst transformiert wird, wieder zueinander findet.
Die Handlung, die im Roman beschrieben wird, ist manchmal statisch wie auf einem Gemälde und gleichzeitig lebendig, virulent und flirrend. In Stratford geschieht alles ganz ruhig, gemächlich und besonnen, während die Szenen in London einem überfüllten Wimmelbild gleichen. Die Sprache ist einfach, natürlich, greifbar und passt so wunderbar zum Beschriebenen, dass es schon fast schmerzt, wie akkurat und auf den Punkt sie ist. Auch in der Übersetzung kommt das rüber, die Übertragung ins Deutsche ist zu 100% gelungen, meiner Meinung nach.
O'Farrell verwendet viele Sprachbilder sowie Onomatopoesie, also lautmalerische Wendungen, die eine sinnliche Kulisse erschaffen und das Geschehen im Kopf des Lesers lebendig werden lassen: Das wiederholte Klopfen an einer Tür, das Geräusch des Waschens auf dem Waschbrett, die Äpfel auf ihrem Winterlager, die durch menschliche Bewegung vibrieren. Das macht die Erzählung ungeheuer sinnlich und plastisch - einfach lebendig.
Die Autorin hat Elemente des magischen Realismus in die Handlung verwoben: Es gibt unerklärliche Vorkommnisse, also “Dinge zwischen Himmel und Erde, die sich der Schulweisheit entziehen”, um "Hamlet" sinngemäß zu zitieren. Gänsehaut erzeugen nicht nur die Vorahnungen von Agnes sondern auch die allwissende Erzählstimme, die über alle Entwicklungen - vergangene, zukünftige und gegenwärtige - im Leben der Familie Shakespeare Bescheid weiß. Magisch ist aber auch die Tatsache, dass Hamnet in “Hamlet” weiterleben wird und die Möglichkeit, dass endliches Leben in unsterbliche Kunst transformiert werden kann.
"(Judith und) Hamnet" ist aber auch der Roman einer Fernbeziehung. Eines liebenden Mannes und Vaters, der als Pendler lebt und der nur in der Großstadt die Arbeit machen kann, die er möchte. Eines Menschen aus einfachen bürgerlichen Verhältnissen, der es zum reichsten Mann von Stratford bringt, ohne dort wieder richtig zu leben - er bevorzugt seine Klause, die Junggesellenwohnung in der Stadt. Die Familie Shakespeare lebt ohne einander. Diese Komponente und das Thematisieren der Infektionskrankheit Pest, verleihen dem Roman einen modernen Anstrich.
Muss man “Stratfordianer” sein, um den Roman genießen zu können? Man muss sich schon - “willing suspension of disbelief” falls man dieser Theorie nicht Folge leistet - ganz einlassen auf die klassische Lesart, dass ein Handschuhmacherssohn aus Stratford-upon-Avon, der fernab höfischer Zirkel und ohne universitäre Bildung aufwuchs, diese weltberühmten Dramen und Gedichte schrieb und nicht etwa nur der “Strohmann” eines adeligen Verfassers war.
Ich könnte noch so viel über dieses Buch schreiben, es hat so viele Aspekte und wird mich sicher noch lange begleiten.
"Hamlet" ist ein Meisterwerk und “(Judith & )Hamnet" ist ein Meisterwerk unserer Zeit. Ob es zeitlos wie “Hamlet” ist, wird die Zeit zeigen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 20.10.2020

“Kabale und Liebe” mit den “Räubern”

Die Gabe der Sattlerin
0

Historische Romane funktionieren in der Regel dann, wenn sie uns glaubhaft vermitteln können, dass sich die erzählte Geschichte in der dargestellten Zeit genau so hätte abgespielt haben können. Dieses ...

Historische Romane funktionieren in der Regel dann, wenn sie uns glaubhaft vermitteln können, dass sich die erzählte Geschichte in der dargestellten Zeit genau so hätte abgespielt haben können. Dieses Gefühl der historischen Authentizität beim Leser zu erzeugen, gelingt Ralf H. Dorweiler mit "Die Gabe der Sattlerin" in jedem Fall. Für die Zeit der Lektüre sind wir einfach davon überzeugt, dass eine junge Sattlerin namens Charlotte, eine Räuberbande rund um den im 18. Jahrhundert berüchtigten Räuber Hannikel, der Arzt und Dichter Friedrich Schiller sowie der verschwendungssüchtige Herzog Carl Eugen von Württemberg auf einem Marbacher Gestüt im Sommer 1781 aufeinandergetroffen sind (in der historischen Wirklichkeit war das nicht der Fall). Zahlreiche interessante Nebenfiguren sowie Schauplätze in Württemberg, Baden und dem Schwarzwald (damals Hoheitsgebiet der Habsburger) komplettieren den Eindruck eines lebendigen historischen Romans. Das Setting also stimmt schon mal.

Alle Hauptfiguren in diesem Roman haben eine Mission, sie sind getrieben von der Jagd nach ihrem ganz persönlichen Glück. Die (fiktive) Protagonistin Charlotte, Tochter eines Sattlers, möchte der Ehe mit einem 20 Jahre älteren Amtmann entgehen und flieht mit unbekanntem Ziel auf ihrem Pferd Wälderwind einen Tag vor der anberaumten Hochzeit aus ihrem Heimatort Märgen. Der junge Regimentsarzt Friedrich Schiller möchte endlich seinen ihm zustehenden Sold erhalten und alle Leute behandeln dürfen, die bei ihm vorsprechen, nicht nur die Soldaten aus Carl Eugens Regiment. Außerdem muss er sein Theaterstück "Die Räuber" für die Mannheimer Bühne adaptieren. Zu seinem Verdruss wird er als Aushilfs-Rossarzt ans herzogliche Marbacher Gestüt geschickt, dabei sind ihm Pferde eigentlich suspekt…
Seine Durchlaucht, der Herzog von Württemberg, möchte seine langjährige Mätresse, die Gräfin von Hohenheim, heiraten, aber die Kirche macht ihm einen Strich durch die Rechnung. Einstweilen lenkt er sich mit der Jagd nach extravaganten Geschenken für sie ab und auch sich selbst möchte er um ein exklusives Reitpferd aus Venedig bereichern, für das außerdem ein prunkvoller Sattel benötigt wird (hier kommt Charlotte ins Spiel). Carl Eugens Hoffaktorin Karoline Kaulla (eine großartige Persönlichkeit des 18. Jahrhunderts) sieht die schwindelerregenden Ausgaben des Herzogs mit Skepsis. Und dann sind da ja auch noch die Räuber um Hannikel, die, wie sollte es auch anders sein, räubern wollen bzw. müssen.

Ralf Dorweiler hat sich mit diesem Buch sehr viel vorgenommen, wie er auch im Nachwort betont. Die Handlung wird vor allem von der lebendigen Darstellung der historischen Figuren getragen. Die Dialogszenen sind eine große Stärke des Buches, sie haben mich sehr gut unterhalten und warfen mitunter auch ein neues Licht auf Schiller und Carl Eugen, den Herzog von Württemberg, die beide sehr komplexe Persönlichkeiten waren. Madame Kaulla hat mich begeistert, toll dass sie mir hier vorgestellt wurde. Für den subtilen Humor und die Situationskomik gibt es nochmal einen großen Pluspunkt. Die Handlung um Charlotte ist mir leider mitunter etwas zu melodramatisch ausgefallen. Ein Verehrer weniger hätte meines Erachtens auch gereicht. Das ist aber auch schon der einzige Kritikpunkt, den ich habe.

Im Großen und Ganzen ein wundervoller historischer Roman, der uns das Württemberg des
18. Jahrhunderts und seine facettenreichen Persönlichkeiten authentisch näher bringt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Handlung
  • Charaktere
  • Erzählstil
  • Thema
Veröffentlicht am 13.10.2020

Wenig romantisch, kaum witzig, dafür sehr politisch

Just Like You
0

Wenn man einen Roman von Nick Hornby lesen möchte, weiß man in der Regel vorher, was einen in etwa erwartet: Beziehungen/Liebe, Fußball, Musik. Irgendeines dieser Themen - wenn nicht sogar alle drei - ...

Wenn man einen Roman von Nick Hornby lesen möchte, weiß man in der Regel vorher, was einen in etwa erwartet: Beziehungen/Liebe, Fußball, Musik. Irgendeines dieser Themen - wenn nicht sogar alle drei - verarbeitet der britische Erfolgsautor mit Sicherheit, darauf kann man ein Pint in seinem Londoner Lieblingspub trinken, denn dort spielt auch die Handlung des neuesten Hornby-Romans.

Die männliche Hauptfigur von “Just like you”, der 22-jährige Joseph aus dem sozialen Brennpunkt-Bezirk Tottenham, ist Amateur-DJ, der auf die große Karriere als Musikproduzent hofft. Außerdem spielt und konsumiert er gerne den ur-englischen Sport Fußball. Damit hätten wir schon einmal zwei von Hornbys Lieblingsthemen abgedeckt. Joseph, der als Aushilfe in einer Metzgerei bedient, verliebt sich in die 42-jährige Lehrerin Lucy, die dort als Kundin einkauft. Sie ist alleinerziehende Mutter von zwei Söhnen in der Vorpubertät, von ihrem Exmann, einem Alkoholiker und Dorgenkonsumenten, lebt sie frisch getrennt im Stadtteil Islington, einem familiären Mekka der Gutsituierten. Wer jetzt denkt, die Welten der beiden Protagonisten könnten unterschiedlicher nicht sein, der irrt, denn neben dem divergierenden soziokulturellen Background und dem eklatanten Altersunterschied, haben die beiden auch noch verschiedene Hautfarben: Joseph ist schwarz, Lucy weiß. Hornby erzählt uns hier also die Liebesgeschichte zweier sehr unterschiedlicher Menschen, wobei das Alter natürlich die allergrößte Rolle spielt. Die Konstellation junger Mann und ältere Frau gibt es zwar gelegentlich in der Literatur, dennoch ist sie selten und gesellschaftlich noch stärker tabuisiert, als die umgekehrte Variante. Dieses Thema hat mich auch verleitet, mich für den Roman zu interessieren sowie natürlich der immer bei Hornby zu erwartende Humor.

Die Handlung spielt sich hauptsächlich vom Frühling bis zum Herbst 2016 ab und damit rund um das “Brexit-Referendum”, bei dem am 23.06.2016 der Austritt Großbritanniens aus der EU vom britischen Volk beschlossen wurde. Hornbys Figuren nehmen auch unterschiedliche Positionen zum Brexit ein, wobei die liberal denkende Lucy natürlich für die EU und damit dagegen ist. Der Twen Joseph kann sich nicht so richtig für eine Seite entscheiden.

Hat mich das Buch mitgerissen, hat es meine Erwartungen erfüllt? Ich muss dazu leider “nein” sagen. Die Liebesgeschichte hat mich nicht wirklich überzeugt, es kommt viel zu wenig “Gefühl” auf. Das Bedingungslose einer Liebe, die gegen jede gesellschaftliche Konvention gelebt wird, ist hier leider nicht zu finden. Stattdessen bleibt vieles vage und in der Schwebe, einiges wird nur erzählt statt erzählerisch dargestellt. Auch Humor und Ironie sind mir in diesem Roman leider zu kurz gekommen, obwohl das Buch im Original als "brutally funny" angepriesen wird. Der Grundton ist doch recht ernst und “mainstreamig”. Zum Teil liegt das meiner Meinung nach auch an der etwas holprigen Übersetzung. Für mich leider kein Highlight, aber durchaus lesbar.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 06.10.2020

Logbuch einer Ehe & Lyrik als Lebenshilfe

Unter uns das Meer
0

"Unter uns das Meer" (Im Original: "Sea Wife") ist die Geschichte der ungewöhnlichen Reise einer jungen amerikanischen Familie auf See, die tragisch endet. Es ist auch die Bestandsaufnahme einer ...

"Unter uns das Meer" (Im Original: "Sea Wife") ist die Geschichte der ungewöhnlichen Reise einer jungen amerikanischen Familie auf See, die tragisch endet. Es ist auch die Bestandsaufnahme einer Ehe aus der Sicht der beiden Eheleute - Juliet und Michael, beide um die vierzig, Eltern von Sybil (7) und George (2 ½).

Die Geschichte, die sich streckenweise spannend wie ein Krimi liest, wird aus der Ich-Perspektive von Juliet erzählt, durchbrochen von den Eintragungen ihres Mannes in sein "Logbuch", eine Art Schiffsreise-Tagebuch. Nach ihrer Rückkehr liest Juliet dieses so persönliche Buch, um ihren Mann und seine Beweggründe im Nachhinein besser zu verstehen.

Der Roman ist für mich am ehesten mit einem intimen Kammerspiel zu vergleichen. Wie das Meer und die Gezeiten verändert sich im Lauf der Reise die Dynamik unter den Familienmitgliedern wie in einem natürlichen Zyklus. Glückliche und traurige Erinnerungen, Träume und Versäumnisse suchen die beiden erwachsenen Reisenden heim, aber auch die siebenjährige Tochter des Ehepaars spürt schon die Herausforderungen des Lebens, die in ihren Eltern gespiegelt werden. Diese Eltern, die so verschieden sind und doch ein Ehepaar. Er Republikaner, Versicherungsmensch, spontan, sie Demokratin, Literaturwissenschaftlerin, vorsichtig. Es ist das Drama zweier Menschen, die eigentlich nicht zusammenpassen und sich doch fast symbiotisch ergänzen.

Michael, der anfangs sehr sympathisch auf mich wirkte, wurde mir im Lauf der Handlung mit seinem Fatalismus immer unheimlicher, ging mir mit seiner Selbstgerechtigkeit und seinem falschen Ehrgefühl auf die Nerven. Ich konnte Juliet zunehmend sehr gut verstehen, dass sie sich emotional von ihm abwendet. Auch die Autorin ergreift indirekt die Partei der Frau, so kam es mir zumindest vor.

Juliet ist die Hauptfigur des Romans, der auch zu großen Teilen davon handelt, wie eine Frau in der Mitte des Lebens die Tragödie ihres so “normalen” Daseins verarbeitet. Sie hat Literaturwissenschaft mit Fachrichtung Lyrik studiert und infolgedessen helfen ihr Gedichte bei der Aufarbeitung ihrer Trauer. Juliet leidet seit der Geburt ihrer Kinder an Depressionen und hat im Zuge dessen die Arbeit an ihrer Dissertation über die Lyrik von Anne Sexton, die ebenfalls an dieser Krankheit litt, abgebrochen. Dennoch kehrt sie immer wieder zur Poesie zurück. Es ist somit also auch ein Roman darüber, was Literatur zu leisten vermag - Gedichte als Weg aus der Depression, Lyrik als Lebenshilfe gewissermaßen.

Im Roman und vor allem im Logbuch findet sich allerlei Segel-Jargon ("Luv", "Fock", "Beidrehen", "Krängung", "Winsch", "Verklicker", etc.), mit dem ich als Nicht-Seglerin nicht viel anfangen konnte. Es hat mich zwar manchmal irritiert, wenn ich ein Wort nicht kannte, andererseits gehören diese Fachbegriffe aber auch dazu, um die Geschichte einer Seglerfamilie authentisch zu erzählen. Vielleicht wäre ein Glossar am Ende hilfreich gewesen.

Amity Gaige, die mir als Autorin vor der Lektüre unbekannt war, hat einen sehr ansprechenden Roman darüber geschrieben, wie schwierig es in dieser modernen und differenzierten Welt voller Möglichkeiten ist, seinen eigenen Weg zu finden. Das ist gnadenlos ehrlich, oftmals traurig, aber irgendwie auch kathartisch und heilsam.



  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere