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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 09.04.2025

Dear Mascha

Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken
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Sarah Lorenz verwebt in ihrem eindringlichen Debütroman „Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken“ die schmerzhafte Vergangenheit ihrer jungen Ich-Erzählerin Elisa mit der zauberhaften Lyrik der ...

Sarah Lorenz verwebt in ihrem eindringlichen Debütroman „Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken“ die schmerzhafte Vergangenheit ihrer jungen Ich-Erzählerin Elisa mit der zauberhaften Lyrik der Dichterin Mascha Kaléko. Intensiv, poetisch und ergreifend zeichnet sie dabei einen brüchig-traumatischen Lebenslauf auf, der durch die Liebe zu Büchern und Sprache am Ende Heilung sowie Lebensmut erfährt.

Elisa war lange eine Getriebene auf der Flucht vor ihrem lieblosen Elternhaus und kalten Mutter – nach Stationen im Jugendheim obdachlos, gerät sie an die falschen Menschen, an Drogen und Alkohol. Ihre Seele ist verwundet sowie innerlich zerrissen und in assoziativen Rückblicken schildert Sarah Lorenz einfühlsam-emotional den Leidensweg von Elisa, ohne rührselig zu werden. Die Kombination aus Gedichten von Mascha Kaléko mit den packenden Monologen der Protagonistin, die sie gedanklich an Mascha richtet, entfaltet einen bewegenden Sog in die turbulente Gefühlswelt einer Frau, die hart und zugleich sanft auf ihr jüngeres Ich schaut und ausgiebig reflektiert.

Auch wenn viele schwierige Themen wie Missbrauch, Mental Health und Gewalt direkt zum Ausdruck kommen, versprüht der Roman in rhythmischer Sprache viel Tröstliches und macht große Lust, das Werk der verstorbenen Dichterin zu erkunden. Ein empfehlenswerter, gefühlsbetonter Roman, der die Kraft von Freundschaft und Büchern feiert.

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Veröffentlicht am 15.11.2024

Die verletzte Frau

Unversehrt. Frauen und Schmerz
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Die Journalistin Eva Biringer gibt in ihrem essayistischen Sachbuch „Unversehrt“ den Schmerz ihrer Großmutter, ihrem eigenen, aber vor allem den Frauen an sich eine profund recherchierte und bewegende ...

Die Journalistin Eva Biringer gibt in ihrem essayistischen Sachbuch „Unversehrt“ den Schmerz ihrer Großmutter, ihrem eigenen, aber vor allem den Frauen an sich eine profund recherchierte und bewegende Stimme zum Thema Schmerz – dabei wird beim eindringlichen Lesen klar, dass die Geschichte des weiblichen Schmerzes bis heute von vielen Verletzungen und patriarchalischem Übergehen geprägt ist. Unversehrt und ernst genommen bleiben die wenigsten Frauen – eher werden sie in die psychosomatische (früher gar hysterische) Schublade gesteckt, bevor eventuell nach vielen Jahren eine weiterführende, ärztliche Diagnostik erfolgt.

Mit der persönlichen Geschichte der schmerzgeplagten und mit Benzodiazepinen ruhig gestellten Großmutter beginnt das packende Buch und sie dient auch als roter Faden – daneben spannt Eva Biringer einen weiten, lehrreichen Bogen um die Betrachtung des Phänomens Schmerz aus gesellschaftlicher, kultureller, wissenschaftlicher Sicht und sogar im kunsthistorischen Kontext: Von der leidenden Maria Mutter Gottes bis hin zur Performancekünstlerin Marina Abramović.

Strukturiert und klar im sprachlichen Ausdruck arbeitet die Autorin mit vielen Quellen, Studien und Verweisen auf andere Autor*innen, welche am Ende im umfangreichen Anhang aufgelistet werden. So dienen beispielsweise die essayistischen Schriftstellerinnen Elinor Cleghorn und Leslie Jamison als Vorbilder und Verfasser wichtiger Werke in diesen Themengebieten.

Die Vielzahl an Betrachtungsweisen, Themen und Reflexionen packt Biringer in eine flüssig-unterhaltsame Sprache – stellenweise ist diese wütend, humorvoll oder einfach analystisch, aber immer intensiv, feministisch und scharfsinnig.

„Unversehrt“ ist eine kluge, gesellschaftskritische Analyse und macht am Ende nachdenklich bis wütend. Überfällig und sehr lesenswert!

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Veröffentlicht am 13.10.2024

Komplexe Zeitreise

Antichristie
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In Mithu Sanyals neuem vielschichtigen und Buchpreis nominierten Roman „Antichristie“ wird mit zahlreichen Dialogen und Diskursen die Kolonialisierung Indiens durch die Engländer sowie die Auswirkungen ...

In Mithu Sanyals neuem vielschichtigen und Buchpreis nominierten Roman „Antichristie“ wird mit zahlreichen Dialogen und Diskursen die Kolonialisierung Indiens durch die Engländer sowie die Auswirkungen in der Gegenwart auf allen Seiten beleuchtet – dabei geht es humorvoll, diskussionsfreudig sowie zeitübergreifend zu.

Die 50jährige, deutsch-indische Drehbuchautorin Durga will im Jahr 2022 die Asche ihrer Mutter Lila, die zeitlebens ihr Leben dem indischen Befreiungskampf verschrieben hat, verstreuen, als der Wind sie wieder zurückweht und knirschend zwischen ihren Zähnen landet. Noch in diesem Augenblick spricht sie sich mit dem Drehbuchkollektiv in London ab – ein Agatha-Christie-Film soll politisch korrekt umgeschrieben werden. Durga reist nach London und erlebt den Tod der Queen Elizabeth, während die Crew eine geeignete PoC-Person des Detektivs Poirot sucht und heiß über das postkoloniale Drehbuchschreiben diskutiert.

Auf einer zweiten Zeitebene wird Durga magisch als junger Mann in das Jahr 1906 katapultiert und erlebt im India House hautnah den gewaltvollen indischen Widerstands gegen die britische Kolonialmacht: Zwischen den Revolutionären Mahatma Gandhi sowie seinen weniger bekannten Kontrahenten tobt ein bitterer Kampf, der am Ende einen Toten fordert und Sherlock-Holmes-mäßig aufgeklärt werden muss.

Mithu Sanyal packt eine lehrreich-unterhaltsame Mixtur an Diskursen und Spielorten in ihren 500-Seiten starken Roman – ein ausführliches Personenregister schafft den nötigen Überblick und das Nachwort zeugt von einer immensen Recherchearbeit der realhistorischen Personen. Und doch wirkt der Plot mit seinen facettenreichen Erzählsträngen voller Bezüge und Verweisen stellenweise überfrachtet und der Erzählstil leicht belehrend-didaktisch. Sanyals Stärke liegt darin, immer wieder schwarzen Humor und erhellenden Witz aufblitzen zu lassen, damit die unterhaltsam-sprudelnde Lehrstunde über Kolonialismus, Erinnerung und Geschichtsschreibung trotzdem lesenswert bleibt und der zeitgenössische Roman in seiner Gänze sehr außergewöhnlich und einfallsreich geworden ist.

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Veröffentlicht am 01.10.2024

Ein ungleiches Paar

Die vorletzte Frau
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Die Autorin Katja Oskamp schöpft in ihrem neuen lesenswerten Roman „Die vorletzte Frau“ autobiografisch geprägt aus ihrem eigenen Leben – ehrlich, schonungslos und intensiv beschreibt sie in fünf pointierten ...

Die Autorin Katja Oskamp schöpft in ihrem neuen lesenswerten Roman „Die vorletzte Frau“ autobiografisch geprägt aus ihrem eigenen Leben – ehrlich, schonungslos und intensiv beschreibt sie in fünf pointierten Kapiteln ihre 19 Jahre währende Liebe zu ihrem Lebensmenschen Tosch, dem berühmten, vielfach ausgezeichneten Schweizer Schriftsteller Thomas Hürlimann.

Die Ich-Erzählerin und junge Mutter von Tochter Paula steckt in einer kaputten Ehe mit einem selbstverliebten Generalmusikdirektor, putzt sich zwanghaft die Zerrissenheit vom Leib und besucht wöchentlich eine Psychoanalytikerin, als sie im Literaturinstitut auf ihren 19 Jahre älteren Dozenten Tosch und ihre große Liebe trifft – auch er steckt in einer unglücklichen Beziehung und beide erleben ein sexuelles Erwachen, das Oskamp eindringlich schildert. Auch intellektuell inspirieren sich die beiden, tauschen sich tiefgehend über Literatur und das Schreiben aus, beschließen einen Zumutungspakt und verbringen von nun an ihr Leben mit „Sex und Text“ am Wochenende zusammen. Doch Tosch ist nicht nur wichtiger Mentor und Lektor, er ist auch freiheitsliebend, hat dominante Seiten und erkrankt später schwer an Prostatakrebs – ein noch stärkeres Ungleichgewicht entsteht, als Oskamp mehr und mehr zur Pflegerin ihres Mannes wird und sich selbst verliert.

Die Krankheit und ihre Auswirkungen auf den Alltag seziert Oskamp unbeschönigt sowie en détail und mutet ihren Leser*innen dabei viel zu – auf der anderen Seite versteht sie es auch, Humor sowie Lebensweisheit miteinzubinden und den Text flüssig-unterhaltsam zu halten. Bewegend erzählt sie von ihrem persönlichen Wendepunkt, als das pendelnde Dreieck Mutterschaft, Schreiben und Liebe langsam in sich zusammenbricht: Paula geht selbstständig ihren Weg und eine tiefe Schreibblockade taucht auf. Oskamp wird Fußpflegerin in Berlin, schreibt bittersüße Kolumnen über ihre Kundschaft und legt den Startschuss für ihren späteren erfolgreichen Roman „Marzahn, mon amour“.

Das Aufflammen und Abbrennen einer großen Liebe, eine lebensbedrohliche Krankheit mit ihren Zumutungen, der Weg einer unterwürfigen Frau zur selbstbewussten Schriftstellerin – ergreifend, selbstironisch und mit viel mutig-explizitem Klartext, der unter die Haut geht, stülpt Katja Oskamp offenherzig ihr Innerstes nach Außen und erzeugt viele intensive, lebensnahe Momente, die länger in Erinnerung bleiben.

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Veröffentlicht am 29.08.2024

Formen der Zufriedenheit

Glück
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Die Bestseller-Autorin Jackie Thomae erkundet mit ihrem neuen gelungenen Roman „Glück“ auf vielschichtige Weise die Frage, ob eine Frau auch ohne Kind ein zufriedenes, glückliches Leben führen kann. Dabei ...

Die Bestseller-Autorin Jackie Thomae erkundet mit ihrem neuen gelungenen Roman „Glück“ auf vielschichtige Weise die Frage, ob eine Frau auch ohne Kind ein zufriedenes, glückliches Leben führen kann. Dabei taucht sie tief in die Gedanken- und Gefühlswelten ihrer zwei weiblichen Protagonistinnen aus Berlin, die beide selbstbewusst im Leben stehen und dennoch mit dem tiefgreifenden Zweifel hadern, ob sie noch Kinder möchten. Kommt dieser Druck von Außen oder der inneren Stimme und was bedeutet für den Einzelnen Glück?

Marie-Claire (MC) Sturm ist Radiomoderatorin und Podcasterin, Ende Dreißig, Single und eigentlich zufrieden mit ihrem Leben – trotzdem schleicht sich immer wieder ein Schmerz in ihr Leben, der sie in kritisierenden Gedankenspiralen drängt: Möchte ich ein Kind? Anhand ihres Alltags, ihren Reflexionen und Charakteren aus ihrem Bekanntenkreis sowie ihrer Frauenärztin, die eine Pille zur längeren Fruchtbarkeit verspricht, gelingt Jackie Thomae ein eindringliches Porträt einer modernen Frau und ihrer Kinderfrage. Dabei verwebt sie noch die Biografie von Anahita Martini, einer erfolgreichen Politikerin und Familiensenatorin, die an der selben existenziellen Wegegabelung in der Mitte des Lebens steht und auf Marie-Claire trifft. Auch in ihr Leben und ihren Wünschen gibt die Autorin einen feinfühligen Einblick und spickt die beiden Lebensläufe noch mit anderen weiblichen Perspektiven aus dem näheren Umfeld.

Erfrischend, authentisch und humorvoll-scharfsinnig stellt die Autorin Frauen vor, die der biologischen tickenden Uhr gegenüberstehen und eröffnet gleichzeitig klug ein Panorama an Facetten, warum Frauen keine Kinder bekommen möchten oder eben doch – während Männern eine erheblich längere Spanne zur Reproduktionsfähigkeit zusteht. Unterhaltsam, tiefgründig und pointiert erörtert sie anhand ihrer weiblichen Figuren gesellschaftliche Normen, innere Glaubenssätze und vielschichtige Emotionen rund um die Kinderfrage. Ein lesenswerter Roman mit viel zeitgenössischen Themen, die Thomae lässig, präzise und erzählfreudig verbindet.

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