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Veröffentlicht am 01.06.2025

Die Unehrliche

Das Pestmädchen
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Lina wird als Tochter einer Hure geboren, landet im Waisenhaus und ist somit eine Unehrliche. Bereits im Kindesalter wird sie im Heilig-Geist-Spital als Helferin und Pflegerin aufgenommen, aber die junge ...

Lina wird als Tochter einer Hure geboren, landet im Waisenhaus und ist somit eine Unehrliche. Bereits im Kindesalter wird sie im Heilig-Geist-Spital als Helferin und Pflegerin aufgenommen, aber die junge gottesfürchtige Magd hat Neider, die sie in eine lebensbedrohliche Situation bringen.

Bildreich und lebendig gestaltet Silvia Stolzenburg das Leben in Augsburg um das Jahr 1462. Die einzelnen Berufsgruppen, die Standesunterschiede, die Ehrlichen und die Unehrlichen, werden bestens dargestellt, der Gestank im Siechenhaus, der Trubel in den schmutzigen Gassen und das einfältige Gehabe in Ratsherrenkreisen sind großartig getroffen. Auch wenn die Ereignisse aus dem Klappentext erst spät eintreffen, so ist die Handlung durchwegs aufregend und fesselnd, sind die Szenen bestens recherchiert und stets authentisch. Die Autorin schafft es wie immer, historisch Belegtes mit einer romanhaften Geschichte zu verweben, sodass ein gelungenes Ganzes für bestes Lesevergnügen sorgt. Nicht nur Lina, auch alle anderen Figuren können den Leser berühren und unterschiedliche Emotionen auslösen, was ich besonders wichtig finde bei solch einem Buch.

Detailgetreu und bildhaft wird die Zeit der Pest, der Beutelschneider, der Bader und Wundärzte zum Leben erweckt, auch der Scharfrichter darf natürlich nicht fehlen. Gottesfürchtigkeit und Aberglaube liegen nahe beieinander, die medizinischen Kenntnisse sind atemberaubend in vielerlei Hinsicht. Spannende 500 Seiten lassen die Zeit mit Lina viel zu rasch vergehen und zu einem passenden Ende finden. Mir würde das so durchaus gefallen, aber die Fortsetzung reizt mich natürlich noch viel mehr.

Veröffentlicht am 01.06.2025

Vermisst

Küstenmord: Spur ins Dunkel
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Nach ihrer Rückkehr aus einem Auslandsjahr möchte sich Luisa mit ihrer besten Freundin Vanessa treffen, allerdings taucht diese nie am vereinbarten Treffpunkt auf. Besorgt wendet sie sich an die Polizei, ...

Nach ihrer Rückkehr aus einem Auslandsjahr möchte sich Luisa mit ihrer besten Freundin Vanessa treffen, allerdings taucht diese nie am vereinbarten Treffpunkt auf. Besorgt wendet sie sich an die Polizei, wo sich das Team rund um Katja Greve und Daniel Kowalski auch nur deshalb näher mit der Meldung beschäftigt, weil gerade sonst nichts zu tun ist. Was anfangs fast als Hysterie einer jungen Frau abgetan wird, zieht jedoch bald weite Kreise.

Sympathische Ermittler, welche man vielleicht schon von früheren Einsätzen kennt, arbeiten im Kriminalkommissariat der Polizeiinspektion Schleswig bestens zusammen unter der Leitung von Ayumi Ichigawa-Herbst. Wenige Spuren sind im Fall der vermissten Vanessa Meier zu finden, vielleicht wollte sie sich ja auch nur eine Auszeit nehmen? Aber hätte sie in diesem Fall nicht ihre Nachbarin informiert, um die Blumen zu gießen und die Post aufzubewahren? Das Bauchgefühl mancher Kriminalisten überzeugt die zuständige Staatsanwältin nicht, wie soll man also vorgehen? Eine schwierige Ausgangslage stellt die Kripo Schleswig vor große Hürden, welche Eva Jensen brillant schildert und die Spannung sehr bald auf ein hohes Niveau bringt und auch hält. Ein wenig Privates kommt auch mit ins Geschehen, aber nur so wenig, dass die Krimihandlung in keiner Weise ins Hintertreffen gerät. Die abwechslungsreichen Szenen und unterschiedlichen Blickwinkel bringen Kurzweil ins Spiel, das Buch unterhält von der ersten bis zur letzten Seite prächtig.

Küstenkrimi Numero Fünf – ein flott zu lesender, dynamischer Roman, der den Leser an der Seite von Katja Greve und Daniel Kowalski miträtseln lässt, was mit der zuverlässigen Sechsundzwanzigjährigen geschehen sein könnte. Ich habe mich im hohen Norden wieder einmal sehr wohl gefühlt, denn mit diesem Duo braucht man (fast) keine Angst vor dem Verbrechen haben.

Veröffentlicht am 31.05.2025

Kinderkurheim

Am Meer ist es schön
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Susi ist zu schmächtig, sagt der Amtsarzt, und empfiehlt für die Achtjährige einen Aufenthalt an der Nordsee. Die Familie hat Glück, denn die Krankenkasse bewilligt eine mehrwöchige Kur im Kinderheim „Haus ...

Susi ist zu schmächtig, sagt der Amtsarzt, und empfiehlt für die Achtjährige einen Aufenthalt an der Nordsee. Die Familie hat Glück, denn die Krankenkasse bewilligt eine mehrwöchige Kur im Kinderheim „Haus Morgentau“. Gleichaltrige Spielgefährten, kräftigende Mahlzeiten und gesunde Luft am Meer locken zu einem unvergesslichen Sommer. Unvergessen wird er bleiben, aber anders als erwartet.

Im Jahre 2018 wird Susanne ins Pflegeheim Abendrot gerufen, die Mutter liegt im Sterben. Zufällig oder schicksalhaft, wer weiß das schon, entspinnt sich ein Gespräch über den Sommer 1969, jenen Sommer, in dem die erste Mondlandung stattgefunden hat, jenen Sommer, den Susanne in St. Peter-Ording im Haus Morgentau verbracht hat. Während ihr damals niemand geglaubt hat, der Arzt alles als rege Phantasie eines einfallsreichen Kindes abgetan hat, hören ihr ihre Mutter und ihre Tochter nun gebannt zu, denn was sich an der Nordsee zugetragen hat, lässt die beiden, ebenso wie den Leser, sprachlos zurück. Extrem reduziert und trotzdem unglaublich, schildert Barbara Leciejeweski die unfassbaren Zustände, wie sie sich leider tatsächlich von der Nachkriegszeit bis in die 1990er-Jahre zugetragen haben. Pädagogik, von der Nazizeit geprägt, mit lieblosen „Tanten“, die nichts außer blindem Gehorsam und der Einhaltung strenger Regeln erwarten, gibt hier den schroffen Ton an. Damit die Geschichte nicht nur trostlos daherkommt, erzählt Leciejewski auf einer zweiten Zeitebene, 2018, von der erwachsenen Susanne, die allerdings immer noch unter dieser Zeit leidet und gegen Alpträume kämpft. Jetzt aber ist der rechte Moment gekommen, um sich diesem Trauma zu stellen, der Familie die bleibenden Eindrücke von der schrecklichen Zeit im Kinderhaus zu berichten. Nach und nach kommen auch noch Susannes Geschwister dazu und ein herzlicher Austausch findet statt. Dass ein Verdrängen oft nicht weiterhilft, sondern ein Aufarbeiten notwendig ist, wird immer deutlicher. Den hoffnungsvollen Ausblick untermalt dann schlussendlich Udo Jürgens mit „Denn immer, immer wieder geht die Sonne auf“, ein überaus passendes Lied, dessen Melodie noch in mir nachhallt zum schönen Ende, das die Autorin für Susanne gefunden hat.

Auch wenn Barbara Leciejewski den Alltag im Kinderkurheim nicht so drastisch und grausam beschreibt wie manch andere Autoren vor ihr und die Realität wohl noch viel schlimmer war, so trägt auch dieses Buch wesentlich dazu bei, dass das Thema „Kinderverschickung“ nicht in Vergessenheit gerät und die „schwarze Pädagogik“ hoffentlich nie wieder zur Anwendung kommt, um die grundsätzlich „bösen Kinder“ richtig zu „erziehen“. Gehört werden und ernst genommen werden – diesem Ziel für die Betroffenen rückt der bewegende Roman „Am Meer ist es schön“ ein Stückchen näher. Auch wenn ich mir am Anfang des Buches noch ein bisschen mehr an Emotionen gewünscht hätte, so ist es dennoch eine gelungene Geschichte, die ich gerne weiterempfehle.

Veröffentlicht am 29.05.2025

Der perfekte Moment

Das Versprechen eines Sommertags
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Isabelle wird von ihren Eltern zur Feier deren Goldenen Hochzeit eingeladen. Trotz Ehekrise spielen Isabelle und Stefan noch das vermeintliche Traumpaar, um niemanden das Fest zu verderben oder ihre Kinder ...

Isabelle wird von ihren Eltern zur Feier deren Goldenen Hochzeit eingeladen. Trotz Ehekrise spielen Isabelle und Stefan noch das vermeintliche Traumpaar, um niemanden das Fest zu verderben oder ihre Kinder zu verstören. Als aber Isabelles Bruder mit seinem besten Freund Ben auf Mallorca auftaucht, geraten die Gefühle der unglücklichen Ehefrau durcheinander, denn fünfzehn Jahre zuvor hat sie mit Ben einen unvergesslichen Roadtrip erlebt.

Mit witzigen und humorvollen Momenten aus einem ganz normalen Familienalltag beginnt dieser schöne Sommerroman in Hamburg, bevor es auf die bekannte Urlaubsinsel geht, wo Isabelles Eltern ihren Lebensabend verbringen. Mit malerischen Landschaftseindrücken des ruhigen Ortes Portocolom im Osten oder des Bergdorfes Fortnalutx im Nordwesten fühlt man sich sofort fern der Heimat und doch daheim bei den sympathischen Figuren des Romans. Ohne große Aufregung erzählt Elena Sonnberg aus dem Alltag einer Familie, beleuchtet das Hamsterrad, in dem wir uns nur allzu leicht verlieren und weist hin auf den rechten Moment, den wir nicht verpassen sollten, um unsere Wünsche und Träume in die Tat umzusetzen. Keineswegs handelt es sich aber hier um einen besserwisserischen Ratgeber, vielmehr fließen diese Gedanken ganz selbstverständlich ins Geschehen mit ein und lassen wunderbare Stunden für den Leser entstehen.

Der bildhafte, stets flüssige Schreibstil unterhält bestens, die Atmosphäre ist perfekt eingefangen, die Handlung kommt ohne einen speziellen Bösewicht aus, kurzum, ein gelungener Sommerroman, der für beste Stimmung sorgt.

Veröffentlicht am 26.05.2025

Edler

Winterling
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Zwanzig Jahre nach dem Dreißigjährigen Krieg herrschen im oberhessischen Dauernheim immer noch Not und Elend. Nach Brandschatzungen, Pest und Typhus gelingt es den Leibeigenen kaum, über den nächsten Winter ...

Zwanzig Jahre nach dem Dreißigjährigen Krieg herrschen im oberhessischen Dauernheim immer noch Not und Elend. Nach Brandschatzungen, Pest und Typhus gelingt es den Leibeigenen kaum, über den nächsten Winter zu kommen, wer alt und schwach ist oder noch ein kleines Kind, wird zuerst vom Tod geholt. Als der Landgraf die Steuern abermals erhöht, zürnt Bauer Edler dem Ortsvorsteher Dieffenbach und will sich endlich zur Wehr setzen.

In wunderbarer Weise, versehen mit längst vergessenen Wörtern, wie sie um 1670 jedoch üblich waren, erzählt André Hülsbömer die Geschichte des Johann Henrich Edler. Ruhig und besonnen, wie es auch zur Hauptfigur passt, schreitet das Geschehen gemächlich voran. Mit bildhaften Beschreibungen und lebensechten Szenen versetzt der Autor seine Leser in eine völlig andere Zeit, lässt den beschwerlichen Alltag von damals spürbar werden. Mit sorgfältig recherchierten Details und wahren Begebenheiten wird dieser fiktive Roman bestens verquickt, sodass ein authentisches Ganzes entstehen kann. Inhaltlich geht es um einen umsichtigen und vorausschauend agierenden Bauern, Jannis Edler, und den Ortsvorsteher Dieffenbach, der sich gerne einmal einen Vorteil verschafft. Wie lange soll man sich vom Schultheiß und vom Landgrafen knechten lassen? Während der Schwiegervater zur Ruhe gemahnt, ersinnt Jannis einen Plan, dem aber noch sein ältester Sohn zuvorkommt. Mit durchaus anschaulichen Einzelheiten, aber keineswegs langweilig, begleiten wir das Leben im Dorf, die Landwirtschaft, das Handwerk, die Hausarbeit, erleben hartes Tun und karge Mahlzeiten, junge Mädchen, die mit fünfzehn schon verheiratet werden und Burschen, die auf Wanderschaft geschickt werden, weil am elterlichen Hof kein weiteres Maul gestopft werden kann. Düster, wie der Tag, an dem diese Geschichte beginnt, aber auch hoffnungsvoll, wie sie endet, erstreckt sich so ein Lebensweg im 17. Jahrhundert über die Jahre.

Ein überaus interessanter Roman, welcher durch seine eindringliche Erzählweise und die vielen Informationen vorab und hinterher punktet. Leseempfehlung für all jene, die auf historische Genauigkeit Wert legen.