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Veröffentlicht am 15.06.2024

Schreiben für Kochschüler

Mademoiselle Marthe und die Küche der Freiheit
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Marthe wächst nach dem Tod ihres Vaters gemeinsam mit ihrer Mutter Julie am Gut der Großmutter Joséphine in den Vogesen auf. Schon früh interessiert sie sich für die Arbeit am Bauernhof, besonders aber ...

Marthe wächst nach dem Tod ihres Vaters gemeinsam mit ihrer Mutter Julie am Gut der Großmutter Joséphine in den Vogesen auf. Schon früh interessiert sie sich für die Arbeit am Bauernhof, besonders aber für das Kochen und Backen. Voller Eifer verfolgt sie, wie die beiden Frauen frisches Brot backen, würzige Suppen kochen und auch aus den letzten Resten noch schmackhafte, wenn auch einfache Gerichte zaubern. Um Marthe eine ordentliche Schulbildung bieten zu können, zieht Julie mit ihrer Tochter nach Paris und nimmt dort die Stellung einer Hauswirtschafterin bei einer betuchten Familie an. Der Weg in Richtung Kochschule ergibt sich aus Mut zur Veränderung, Tatkraft und nicht zuletzt durch glückliche Fügungen.

Der Roman beschreibt die Zustände im ausklingenden 19. Jahrhundert, die Standesunterschiede sind groß, die Rolle der Frau eine untergeordnete, der technische Fortschritt mit Elektrizität und Weltausstellung in Paris (Stichwort Marsfeld, Eiffelturm) wird mit Argwohn betrachtet. In dieser Welt jedoch werden sich Julie, und insbesondere Marthe, behaupten. Aufgrund weniger historisch belegter Daten zu Marthe Marie Joséphine Distel (1871 – 1934) erschafft Ulrike Renk eine wunderbare und vor allem sehr glaubwürdige Erzählung über die französische Küche und Marthes Talent, interessante Texte zu verfassen. So ist es zwar für die damalige Zeit, nicht aber für Marthe, recht ungewöhnlich, dass sie die Universität besucht und schlussendlich gemeinsam mit ihrer Mutter die Kochschule Cordon Bleu eröffnet und die gleichnamige Kochzeitschrift verlegt. Obwohl das Kochen raffinierter Gerichte und abwechslungsreicher Menüs eine Männerdomäne ist, können sich die beiden Distels erfolgreich durchsetzen und Geschichte schreiben.

Ulrike Renk bedient sich, wie gewohnt, einer sehr ruhigen Schreibweise, konzentriert sich auf ihre Charaktere, denen sie liebevoll und sorgfältig Leben einhaucht. Die authentische Atmosphäre im Buch lässt den Leser auch bei knapp 600 Seiten nicht müde, sondern immer wieder neugierig werden, wie es denn weitergeht und welche Hürden als nächstes zu meistern sind. Zwischendurch gibt es recht viel Wissenswertes zu den damaligen Bedingungen rund ums Zubereiten von Speisen, Kühlschrank und Elektroherd haben ja erst später Einzug gehalten in den Haushalten. Die bildreichen Beschreibungen schon einfachster Küchentätigkeiten wie Gemüseputzen und Zwiebelschneiden sind so klar und detailliert, dass man Appetit bekommt auf Julies Gerichte, egal, ob sie aus schlichten Erdäpfeln bestehen oder exquisiter Hummer gereicht wird. Ebenso sind der Zusammenhalt der Distel-Frauen aus drei Generationen, sowie ihr Durchsetzungsvermögen in einer für Frauen schwierigen Zeit bemerkenswert. Dies kommt durch Renks Darstellungen wunderbar zur Geltung.

Mich hat auch dieses empfehlenswerte Buch aus Ulrike Renks Schaffen sehr gut unterhalten, es wird nicht mein letztes gewesen sein!

Veröffentlicht am 13.06.2024

Unfreiwillig

Dunkles Lavandou (Ein-Leon-Ritter-Krimi 6)
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Der Lenker eines Schweinetransporters ist erschüttert, als ihm eine vermeintliche Selbstmörderin von einer Brücke vor die Räder springt. Allerdings kommt dem Rechtsmediziner Leon Ritter die Sache spanisch ...

Der Lenker eines Schweinetransporters ist erschüttert, als ihm eine vermeintliche Selbstmörderin von einer Brücke vor die Räder springt. Allerdings kommt dem Rechtsmediziner Leon Ritter die Sache spanisch vor. Nicht alle Verletzungen können dem Unfall zugeordnet werden, vieles deutet auf Folter an den Tagen zuvor hin, der Sprung war womöglich gar nicht freiwillig.

Ein neuer, spannender Fall erreicht den Leser, zuweilen grausame Behandlungen junger, gefangener Mädchen, verquickt mit dem prachtvollen Lavandou mit seinen duftenden Pinien und alten Korkeichen, dem Rosé und dem weiten Meer. So nimmt der Autor dem Geschehen die ärgsten Spitzen der Brutalität und lenkt die Aufmerksamkeit auch immer wieder auf die schönen Dinge des Lebens und die Einzigartigkeit dieses wunderbaren Fleckens von Frankreich. Egal, ob man schon etwas aus der Reihe Leon Ritter gelesen hat oder nicht, rasch ist man gefangen von Remy Eyssens Zeilen, seine Art zu schreiben gefällt mir jedes Mal aufs Neue und lässt mich den Alltag rundum vergessen. Mit äußerst lebhaften Figuren, insbesondere dem charakterstarken, gelassenen Médecin Légiste (Rechtsmediziner), schafft der Autor eine glaubwürdige Atmosphäre. Der aufwühlende Fall bringt alle Ermittler an ihre Grenzen, besonders, weil bald auch die Tochter des Kultusministers verschwunden ist. Aber es wäre nicht Ritter, wenn er nicht auch diesmal die Polizei – und seine Lebensgefährtin Isabelle Morell, Capitaine der Gendarmerie nationale – tatkräftig unterstützen und auf die rechte Fährte lenken würde.

Wer gut durchdachte Krimis sucht und dazu eine tolle (Urlaubs)Stimmung, der liegt mit der Leon-Ritter-Reihe stets richtig. Alle Teile sind unabhängig voneinander lesbar, in sich abgeschlossen und gut verständlich. Mir liefern sie immer wieder beste Unterhaltung!

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Veröffentlicht am 09.06.2024

Doña Dorothea

Das Land zwischen den Meeren
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Köln, 1848: Dorothea, 22, Tochter aus angesehenem Arzthause, verlobt sich heimlich mit dem nicht standesgemäßen Journalisten Alexander. Gemeinsam wollen sie nach Costa Rica reisen, aber das Schicksal hat ...

Köln, 1848: Dorothea, 22, Tochter aus angesehenem Arzthause, verlobt sich heimlich mit dem nicht standesgemäßen Journalisten Alexander. Gemeinsam wollen sie nach Costa Rica reisen, aber das Schicksal hat anderes vor, so begibt sich Dorothea schließlich allein in die Fremde. Was wird sie dort erwarten, in einem Land mit aufregender Flora und Fauna, in einem Land mit anderen Sitten und Bräuchen?

Chronologisch aufgebaut, mit genauen Zeitangaben versehen, so darf der Leser der jungen Hauslehrerin Dorothea in ihrer Geschichte folgen. Erst lernt man das sympathische Fräulein kennen und ihren Bekannten, den Charmeur Alexander; nach einem tragischen Vorfall ändert sich alles für Dorothea. Wir verlassen Köln und begeben uns auf eine kräfteraubende Reise nach Mittelamerika, wo unterschiedlichste Herausforderungen auf die Deutsche warten. Spannende und emotionale Szenen beherrschen das Feld, manches ist vorhersehbar, aber das Ende dieses imposanten Einstiegs in die Costa-Rica-Saga kommt völlig überraschend und schürt entsprechend die Neugierde auf den folgenden Band.

Paredes‘ schön dahinfließender Schreibstil, die schillernden Vögel, die farbenprächtigen Blüten fesseln den Leser und steigern die Wissbegierde zu diesem fernen und exotischen Land Costa Rica. Dorothea, inzwischen Doña Dorothea, hat es nicht immer leicht als Fremde, meistert die ihr begegnenden Schwierigkeiten aber immer wieder souverän.

Ein wunderschönes Buch mit exotischem Flair und einer starken, mutigen Frau, die ich sehr gerne auch auf ihren weiteren Wegen begleiten möchte. Eine Leseempfehlung für den Start dieser Saga!

Veröffentlicht am 07.06.2024

Gefangen

Im Tal
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Ein einsames Tal, ein einsamer Mensch, gefangen in sich selbst. 1897 geboren, dem Leben ausgesetzt, hängt er einundsiebzig Jahre später vornübergesunken an seinem Küchentisch und wird so von einem Wanderer ...

Ein einsames Tal, ein einsamer Mensch, gefangen in sich selbst. 1897 geboren, dem Leben ausgesetzt, hängt er einundsiebzig Jahre später vornübergesunken an seinem Küchentisch und wird so von einem Wanderer gefunden. Herzstillstand, sagt der Arzt, der war immer schon ein unnahbarer, verschrobener Kauz, sagen die Leut‘. Wie es wirklich in ihm ausgesehen hat, weiß – vielleicht – der liebe Gott, oder nicht einmal der.

Mit dem Tod von Toni Rossner beginnt diese Geschichte, mit seinem Tod endet sie, dazwischen liegt ein langer Weg voll Einsamkeit und Sehnsucht. „Im Tal“ heißt seine abgeschiedene Heimat, Prügel seine Kindheit, Krieg, Arbeit und wieder Krieg sein Dasein, Leben kann man es kaum nennen. Treffende Worte findet Tommie Goerz, um all das Leid, all die Suche zu beschreiben, welche den Toni stets begleitet, bisweilen auch übermannt. Was muss vorgegangen sein in diesem Kind, in diesem Mann, dessen Schicksal man sich kaum vorstellen kann? Kurze Kapitel, Blicke auf das Wesentliche, Nebel über den Rest. Knappe Sätze, die dennoch so viel aussagen, so viele Bilder zeichnen, so viele Emotionen schüren. Und dann noch Überraschungen am Ende, wo die Betroffenheit ohnehin schon höher ist als man zu ertragen vermag.

Tommie Goerz‘ hervorragender Schreibstil lässt Toni Rossners Geschichte trotz aller Tristesse lebendig werden, den Leser mitfühlen, trauern, wütend werden – und noch lange daran denken an dieses schmale, unscheinbare Büchlein, das über die Maßen hinaus zu bewegen vermag. Ganz klare Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 04.06.2024

Zwillinge

Unter Schwestern
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Die Zwillingsschwestern Amelie (Lilly) und Franziska (Zissy) sehen einander so ähnlich, dass niemand außer ihrer Mutter sie auseinanderhalten kann. So nutzen die beiden diese Tatsache, um Lehrer bei Tests ...

Die Zwillingsschwestern Amelie (Lilly) und Franziska (Zissy) sehen einander so ähnlich, dass niemand außer ihrer Mutter sie auseinanderhalten kann. So nutzen die beiden diese Tatsache, um Lehrer bei Tests oder Freunde auf Partys hinters Licht zu führen, indem sie sich als die jeweils andere Schwester ausgeben. Als die erwachsene Amelie Probleme hat und einige Tage Auszeit aus ihrem Familienleben braucht, bittet sie Franziska abermals um einen spontanen Rollentausch. Der jedoch entpuppt sich zu einem Alptraum ohne Ende.

Franziska, Amelie und alle weiteren Figuren, die in dieser phantastischen Geschichte zu Wort kommen, erzählen in der Ich-Form, was besonders bei den Zwillingsschwestern immer wieder zu (erwünschter) Verwirrung beim Leser führt. Man wird im Laufe der Kapitel natürlich erkennen, was sich Sophie Edenberg dabei gedacht hat. Raffiniert führt die Autorin durch die Handlung, welche anfangs schwer greifbar ist, sich aber immer weiter zu einem hervorragenden Spiel von Überraschungen und Intrigen entwickelt. Ein fesselnder Schreibstil, vage Andeutungen und verstrickte Beziehungen unter den Figuren sorgen für Abwechslung und Kurzweil. Die knappen Kapitel und die raschen Änderungen des Blickwinkels präsentieren immer wieder neue Informationen und Erkenntnisse, kaum glaubt man, eine gute Idee zu haben, darf man diese auch schon wieder verwerfen. Auch wenn ich früh einen richtigen Verdacht gehegt habe, so haben mich der weitere Verlauf der Handlung und insbesondere das Ende dieses klug aufgebauten Thrillers doch noch mehrfach überraschen können. Bravo!

Ein absolut faszinierendes Szenario, das perfekt durchdacht ist und den Leser von Anfang bis zum Ende in Atem hält. Ich spreche aus Überzeugung eine Leseempfehlung aus.