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Veröffentlicht am 08.07.2023

Zeit der Prinzregenten

Fräulein Anna, Gerichtsmedizin (Die Gerichtsärztin 1)
1

Aus kinderreichem Hause, möchte Anna ihre Familie unterstützen und nimmt als gelernte Krankenschwester eine Stelle in der Münchener Gerichtsmedizin an, wo das eifrige und wissbegierige junge Fräulein trotz ...

Aus kinderreichem Hause, möchte Anna ihre Familie unterstützen und nimmt als gelernte Krankenschwester eine Stelle in der Münchener Gerichtsmedizin an, wo das eifrige und wissbegierige junge Fräulein trotz anfänglicher Skepsis bald gerne gesehen ist. Gleich die erste Leiche, vermeintlich eine Selbstmörderin, lässt Anna misstrauisch werden. Sie glaubt nicht, dass die Schauspielerin skandalöser Rollen selbst ins Wasser gegangen ist. Ähnlich denkt Reporter Fritz von Weynand, der seine Geschichten oft phantasievoll ausschmückt, um die Leserzahlen zu steigern. Gewitzt und hinterlistig beginnt er eine Freundschaft mit Anna, um an Hintergrundinformationen zu kommen.

Sofort fühlt man sich im München des Jahres 1912 angekommen, das Bild der Gesellschaft und der Politik ist klar gezeichnet, auch die wesentlichen Charaktere sind fein ausgearbeitet und spiegeln die Standesunterschiede zwischen den einfachen Arbeitern und den Adeligen wider. Hier die scheue graue Maus Anna, dort der Pfiffikus Fritz mit seinen erlauchten Freunden. Interessant ist die Handlung: Annas Leben und ihre Beweggründe, nach München zu gehen, um die Familie zu unterstützen. Schnell lebt sie sich in ihrem beruflichen Umfeld ein und gibt arglos Informationen an den Reporter weiter. Während durch die Selbstmordtheorie die polizeilichen Ermittlungen nicht fortgeführt werden, interessieren sich die beiden ungleichen Freunde Anna und Fritz auch Monate später noch für die tote Schauspielerin. Teils geht es um Nachforschungen, teils einfach um das gesellschaftliche Leben und die Politik vor dem ersten Weltkrieg, sodass Petra Aicher einen gelungenen Mix aus verschiedenen Bereichen liefert und für Abwechslung sorgt.

Vielleicht sind zuweilen die historischen Hintergründe ein bisschen zu ausschweifend erzählt, dennoch ist dieser erste Band rund um Anna und Fritz erfrischend, amüsant und unterhaltsam, das so unterschiedliche Duo sorgt für vergnügliche Lesestunden. Schön, dass alsbald eine Fortsetzung erscheint, die ich jedenfalls gerne lesen möchte.


Titel Fräulein Anna, Gerichtsmedizin, Die Prinzregentenmorde
Autor Petra Aicher
ASIN B09XFGKS4R
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Taschenbuch (432 Seiten) und Hörbuch
Erscheinungsdatum 19. Dezember 2022
Verlag Ullstein
Reihe Die Gerichtsärztin, Band 1

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Veröffentlicht am 06.07.2023

Ein realistisches Ende

Der Makel der Hoffnung
1

1924 und 1925 sind die beiden Jahre, die für den realistischen Abschluss dieser schönen Trilogie zeichnen. Enna lebt nach dem Tod ihres Mannes mit ihren beiden Kindern gut versorgt in der ostfriesischen ...

1924 und 1925 sind die beiden Jahre, die für den realistischen Abschluss dieser schönen Trilogie zeichnen. Enna lebt nach dem Tod ihres Mannes mit ihren beiden Kindern gut versorgt in der ostfriesischen Villa, Janno führt in Berlin seine Geschäfte, die wieder besser gehen und in Duisburg endet die französische Besatzung. So golden die 1920er-Jahre heute auch scheinen mögen, so einfach sind sie für unsere liebgewonnenen Figuren wahrhaftig nicht, denn der Nationalsozialismus erlebt bereits seinen Aufschwung.

Genaue Recherche und detaillierte Beschreibungen lassen auch den dritten und letzten Teil der Reihe „Wege in eine neue Zeit“ sehr lebendig werden. Schnell erinnert sich der Leser an bisherige Episoden, Vergessenes wird durch kurze Erklärungen wieder ins Gedächtnis gerufen. Für Neueinsteiger könnte dies dennoch verwirrend sein, weshalb ich unbedingt die ganze Trilogie in der richtigen Reihenfolge empfehle.
Auch diesmal wieder geht es um Persönliches, Gesellschaftliches und Politisches, wodurch sich die Geschichte sehr abwechslungsreich gestaltet. Kaum jemand stellt sich den Braunhemden entgegen, in großen Firmen geht es um dubiose Geschäfte und die Liebe überwindet verschlungene Pfade. Spannende und bewegende Szenen prägen die Kapitel, die abwechselnd die verschiedenen Schauplätze beleuchten. Obwohl es natürlich auch tragische Schicksale geben muss, ist das Ende stimmig und überaus zufriedenstellend.

Ich freue mich sehr, dass ich Enna, Janno, Edith, Hiska, Karl und alle anderen so liebenswerten Menschen kennenlernen und sie ein Stück auf ihrem mitunter sehr beschwerlichen Weg begleiten durfte. Für diese Trilogie spreche ich eine von Herzen kommende Empfehlung aus!


Titel Der Makel der Hoffnung
Autor Elke Bergsma
ASIN B0BN2LBNV5
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Taschenbuch (319 Seiten)
Erscheinungsdatum 4. Juli 2023
Verlag Tinte und Feder
Reihe Wege in eine neue Zeit, Band 3

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Veröffentlicht am 04.07.2023

Probleme löst die Strandfee

Mehr Meer statt Paartherapie
1

Noch vor dem Schulstart ihrer beiden Kinder möchte Emilie sechs Monate im Ausland verbringen. Auf der Suche nach einer vorübergehenden Bleibe an der Atlantikküste stößt die Hamburgerin auf das malerische ...

Noch vor dem Schulstart ihrer beiden Kinder möchte Emilie sechs Monate im Ausland verbringen. Auf der Suche nach einer vorübergehenden Bleibe an der Atlantikküste stößt die Hamburgerin auf das malerische Dorf Saint-Georges-de-Didonne, das sie bereits aus Erzählungen kennt, schließlich stammt Emilies Großmutter von hier. Nach sorgfältiger Planung bricht die vierköpfige Familie auf, um von Jänner bis Juni eine spannende Zeit in der Fremde zu verbringen.

Freiheit mit online-Arbeiten und französischer Lebensfreude verspricht sich Emilie am Atlantik, und zusätzlich könnte sie vielleicht noch etwas über ihre Wurzeln erfahren, über Großmutter Joscelin, die leider viel zu früh verstorben ist. Aber alles kommt anders als man denkt, die Reise beginnt mit Streitigkeiten, schlussendlich setzt sich Familienvater Daniel recht bald wieder nach Deutschland ab und überlässt Frau und Kinder deren Schicksal in Frankreich. Zwischen Auftragsakquise und Kinderbetreuung hin- und hergerissen, lernt Emilie am Strand eine nette ältere Dame kennen, mit der sie sich schnell anfreundet und deren Unterstützung sie gerne annimmt, insbesondere, da sich auch die beiden Kinder Paul und Elise trotz der Sprachbarriere sofort gut mit ihr verstehen.

Alles in allem klingt das nach einer gelungenen Geschichte, jedoch kann ich mich mit dem Schreibstil nicht recht anfreunden, abgehackte Sätze, eigenwillig gesetzte Beistriche und häufige Wortwiederholungen hemmen ständig meinen Lesefluss. Während der Klappentext Unterhaltsames und vielleicht Lehrreiches verspricht, bringt das Buch Banalitäten wie Familienstreitigkeiten und kotzende Kinder – sehr realitätsnah, aber wenig erfrischend. So dauert es fast ein halbes Buch, bis das Zauberwort „Vergebung“ auftaucht, aber sobald es etwas Tiefgründiger wird, ist dies auch schon wieder passé und alle angerissenen Problemfelder (Familienzwistigkeiten, Lücken im Stammbaum) sind mühelos vom Tisch gewischt.

Mich hat dieses Buch leider nicht überzeugt, andere Rezensenten berichten jedoch von Freude und Spaß am Lesen – am besten, jeder bildet sich selbst ein Urteil. Von mir gibt es zwei Sterne für ein wunderschönes Titelbild und die Idee zur Geschichte, für die man sich unter Umständen zu viel vorgenommen hat (die großen Themen „Selbstfindung“, „Verzeihen“ und „Suche nach den eigenen Wurzeln“).


Titel Mehr Meer statt Paartherapie
Autor Melanie Amélie Opalka
ASIN B0BZQQ9CP2
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Gebundenes Buch (304 Seiten)
Erscheinungsdatum 7. Mai 2023
Verlag NovaMD

Veröffentlicht am 03.07.2023

Sommer auf Lindö

Vielleicht der schönste Sommer
1

Adam, 20, hat keine Freunde mehr, dafür umso mehr Schulden. Verzweifelt, ohne Dach über dem Kopf, überlegt er, in ein Haus auf Lindö einzubrechen, als ihm ein offen stehendes Fenster ins Auge sticht. Nach ...

Adam, 20, hat keine Freunde mehr, dafür umso mehr Schulden. Verzweifelt, ohne Dach über dem Kopf, überlegt er, in ein Haus auf Lindö einzubrechen, als ihm ein offen stehendes Fenster ins Auge sticht. Nach einer Nacht im fremden Bett steht er plötzlich der 86jährigen Besitzerin Britta gegenüber. Diese will entgegen den Vorstellungen ihrer beiden Kinder auf jeden Fall den Sommer auf Lindo verbringen und die gemeinsame Zeit mit ihrer Freundin Iris genießen. Nach kurzem Überlegen bietet die entschlossene Pensionistin einen Handel an: Adam darf bei ihr wohnen bleiben, wenn er verschiedene Arbeiten in Haus und Garten übernimmt. Wenig begeistert von dieser Zwickmühle, nimmt der junge Mann jedoch an.
Eleonore Holmgren erzählt diesen Sommer auf Lindö abwechselnd aus Brittas und Adams Sicht, sodass jeweils die Perspektive von Alt und Jung beleuchtet wird. Der Leser lernt die beiden Hauptfiguren rasch gut kennen, die Autorin beschreibt sie sehr eingängig und detailliert. Dann jedoch plätschert die Handlung geraume Zeit so dahin, etliche ernste Themen werden angerissen, aber nicht vertieft, ein paar witzigere Episoden lockern die Sache ein wenig auf. Erst als sich Britta und Adam in einer gewissen Art und Weise annähern, werden auch für den Leser Gefühle und Emotionen deutlich spürbar. So gesehen spiegeln die Empfindungen die Handlung, das Verständnis von Britta und Adam füreinander, in passender Weise wider. Ausgesprochen gut ist somit die Entwicklung der Figuren im Laufe der Monate gelungen. Was ruhig beginnt, weckt immer mehr die Aufmerksamkeit und Neugierde beim Leser, sodass auch dieser einige schöne Stunden auf Lindö verbringen kann.
Fazit: eine Geschichte, die sich wie guter Wein im Laufe der Zeit immer besser entwickelt und mit einem stimmigen Ende abschließt.

Titel Vielleicht der schönste Sommer
Autor Eleonore Holmgren
ASIN B0BK9Y9MS5
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Gebundenes Buch (336 Seiten) und Hörbuch
Erscheinungsdatum 15. Juni 2023
Verlag dtv

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Veröffentlicht am 03.07.2023

Raffiniert manipuliert

Josses Tal
1

Helen reist in ein abgelegenes norwegisches Tal, um hier Josef (Josse) zu treffen. Er ist es, der zum Kriegsende 1945 eine Postkarte versendet hat, die auch irgendwie mit ihrer Urgroßmutter Else zu tun ...

Helen reist in ein abgelegenes norwegisches Tal, um hier Josef (Josse) zu treffen. Er ist es, der zum Kriegsende 1945 eine Postkarte versendet hat, die auch irgendwie mit ihrer Urgroßmutter Else zu tun hat. Nun will Helen ein Stück Familiengeschichte erfahren.

Nach diesem kurzen Einstieg erzählt Josef von sich, dem aufkommendem Nationalsozialismus und der Judenverfolgung, die eigentliche Geschichte beginnt. Josef erlebt eine schwierige Kindheit, da er in den 1920er-Jahren unehelich geboren ist und offiziell kein Vater bekannt ist. Statt Liebe und Nähe von Mutter und Großeltern gibt es ständig Tadel und insbesondere vom Großvater häufig Schläge. Als die Familie in eine andere Gegend zieht, ist es Nachbar Wilhelm Reckzügel, der den Fünfjährigen unter seine Fittiche nimmt und ihm Aufmerksamkeit und Anerkennung schenkt. Allerdings kann das Kind nicht ahnen, dass der Mann in SA-Uniform recht eigennützige Beweggründe dafür hat: er nutzt schließlich Josef aus, um an Informationen über die Einwohner des Dorfes zu kommen. Voller Stolz erfüllt der mittlerweile fleißige Schüler alle Aufgaben, die Wilhelm stellt.

Angenehm klassisch aus Sicht des Erzählers im Präteritum, schreibt Angelika Rehse Josefs Erinnerungen nieder. Mit einfühlsamen Worten fließt die Schande des unehelichen Knaben aufs Papier und lässt den Leser mitbangen mit dem armen Kind. Das Schicksal scheint es gut zu meinen mit der Freundschaft zu Wilhelm, aber es braucht keine besonderen Fähigkeiten, um zu erkennen, dass der junge Mann in tadelloser Uniform bald geschickt führt und manipuliert. Eine aufwühlende Kindheit zwischen Angst vor dem Großvater, Distanz zu Mutter und Großmutter und dem freundlichen Interesse der Nachbarfamilie Reckzügel, wo er fast schon wie ein weiteres Kind aufgenommen wird, lässt Josef einige Jahre später in einen Zwiespalt geraten, denn er merkt selbst, dass da auch etwas anderes an Wilhelm ist, nicht nur ehrliche Freundschaft. Durch Josefs ganz persönliches Schicksal ist es auch für den Leser einfach, dessen Beweggründe nachzuvollziehen, die perfiden Strategien der überzeugten Nationalsozialisten und deren Macht über den Einzelnen zu verstehen.

Fesselnd und spannend wird eine Kindheit lebendig, wird Josefs Heranwachsen sehr glaubwürdig erzählt. Lediglich die Rahmenhandlung, in der Helen und ihre Urgroßmutter Else vorkommen, ist ein wenig dürftig ausgefallen. Auch in Josefs Erinnerungen an die damalige schreckliche Zeit spielt Else nur eine kleine Rolle, obwohl die Sicht des Widerstandes durchaus interessant wäre, schließlich ist es ja Helen, die das Unrecht an ihrer Urgroßmutter ans Licht bringen möchte.
Fazit: Angelika Rehse präsentiert einen atmosphärischen Roman über die Zeit des aufstrebenden Nationalsozialismus und erzählt sehr authentisch die Geschichte eines jungen Menschen, der auf seiner Suche nach Aufmerksamkeit in die Fänge gerissener und raffinierter Manipulation gerät. Ich gebe gerne eine Leseempfehlung für Josses Tal ab!



Titel Josses Tal
Autor Angelika Rehse
ASIN B0BTDB7WZT
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Gebundenes Buch (408 Seiten) und Hörbuch
Erscheinungsdatum 8. März 2023
Verlag Pendragon

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