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Veröffentlicht am 05.05.2024

Trophäenjagd in Afrika

Trophäe
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Ein Amerikaner mit dem sprechenden Namen Hunter White ist durch Börsen- und Immobilienspekulationen steinreich geworden. Er wurde schon als Junge von seinem Vater und Großvater zum Jagen mitgenommen und ...

Ein Amerikaner mit dem sprechenden Namen Hunter White ist durch Börsen- und Immobilienspekulationen steinreich geworden. Er wurde schon als Junge von seinem Vater und Großvater zum Jagen mitgenommen und hat schon damals seine ersten Tiere erschossen. Jetzt fliegt er wieder einmal nach Afrika, wo er seinen Freund Van Heeren trifft. Van Heeren hat ihm für eine gewaltige Summe die Lizenz für die Jagd auf ein Spitzmaulnashorn verkauft. Wenn er dieses geschützte Tier tötet, macht er die Big Five voll. Die anderen vier - Löwe, Leopard, Elefant und Wasserbüffel - hat er bereits erlegt und seiner Frau als Trophäen mitgebracht. Zusammen mit Van Heeren und den Fährtenlesern verfolgen sie das ausgewählte Tier. Doch dann kommt alles anders. Wilderer töten das Nashorn, bevor Hunter vor Ort ist. Sein Freund bietet dem enttäuschten und wütenden Hunter die Big Six an. Für 500.000 Dollar kann er einen jungen Afrikaner jagen und töten. Hunter kann diesem Angebot nach kurzem Zögern nicht widerstehen. Er lernt die ausgewählte Beute kennen und nimmt an den vorbereitenden Stammesritualen in der Siedlung der Afrikaner teil. Dann nimmt die Handlung eine dramatische Entwicklung?
Auch wenn man alles andere als ein Fan von Jagen und Töten ist, liest sich der ungewöhnliche Roman sehr spannend. Man stellt sich den mit der Jagd auf Tiere und Menschen verbundenen ethischen Fragen, liest die packenden Beschreibungen von Flora, Fauna und Klima und begreift, dass die Ausbeutung des Kontinents auch in der postkolonialen Zeit nie aufgehört hat. Für Dollars ist alles zu haben: „Die Menschenjagd ist ein Nebenprodukt der Trophäenjagd.“ (S. 93). Mit den Riesensummen, die Van Heeren einnimmt, finanziert er paradoxerweise Artenschutz und bietet der indigenen Bevölkerung Lebensraum sowie medizinische Versorgung und eine Chance auf Bildung.
„Trophäe“ fasziniert und schockiert gleichermaßen und hat zu Recht große Beachtung gefunden.

Veröffentlicht am 28.04.2024

Leben im Vielvölkerstaat Singapur

Zuckerbrot
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Im Mittelpunkt des Romans steht die 10jährige Parween genannt Pin, die aus ihrer Perspektive über ihr Leben in Singapur zu Beginn der 90er Jahre berichtet. Sie besucht eine christliche Eliteschule als ...


Im Mittelpunkt des Romans steht die 10jährige Parween genannt Pin, die aus ihrer Perspektive über ihr Leben in Singapur zu Beginn der 90er Jahre berichtet. Sie besucht eine christliche Eliteschule als Stipendiatin, denn die Familie ist arm. Dennoch ist das Mädchen glücklich, bis sich ihr Leben vollständig ändert. Eines Tages zieht Nani-ji, die Großmutter mütterlicherseits bei ihnen ein, eine herrische, sehr unsympathische Frau. Von da an gelten ihre Regeln in Bezug auf korrektes Benehmen und die Beachtung religiöser und kultureller Traditionen. Pins wunderschöne Mutter mit dem lebenslangen Hautproblem hat am meisten zu leiden. Es gibt offensichtlich ein Geheimnis, über das nie gesprochen wurde und das nun irgendwann ans Licht kommen muss. Nani-ji verachtet ihre Tochter, die angeblich als junges Mädchen eine Tragödie verschuldet und den Ruf der Familie für immer ruiniert hat.
Erzählt wird die Geschichte mehrerer Generationen auf zwei Zeitebenen: 1967 und 1990-1991. Sie zeigt, wie das Leben im Vielvölkerstaat Singapur war, wie sich malaiische, indische und chinesische Sprachen begegneten. Diese Vielfalt zeigte sich auch in den Ernährungsgewohnheiten. Pins Mutter ist eine hervorragende Köchin, deren Stimmung sich in den zubereiteten Gerichten spiegelt. Neben den Essgewohnheiten geht es aber auch immer wieder um Rassismus und Kastendenken, um Sexismus, Patriarchat und den Kontrast zwischen arm und reich. Pin wird vom Bus-Onkel als „mungalee“ beschimpft – ein herabsetzender Ausdruck für Inder mit dunklerer Hautfarbe - und in der Schule öfter ausgegrenzt. Von ihren Eltern ermutigt, versucht sie dennoch ihren Weg zu gehen und ein selbstbewusstes Individuum zu werden. Mir hat der Roman sehr gut gefallen, entführt er den Leser doch in eine exotische Welt. Unbedingt empfehlenswert.

Veröffentlicht am 28.04.2024

Alles kommt ans Licht

Treibgut
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Ken und Abby Gardner standen einander als Kinder sehr nahe. Doch ihre Mutter war nach Abbys Geburt gestorben, als Ken drei Jahre alt war, und er hat der Schwester immer die Schuld gegeben. Der Vater Adam, ...


Ken und Abby Gardner standen einander als Kinder sehr nahe. Doch ihre Mutter war nach Abbys Geburt gestorben, als Ken drei Jahre alt war, und er hat der Schwester immer die Schuld gegeben. Der Vater Adam, ein bekannter Meeresbiologe, der sich auf Buckelwale spezialisiert hat, zieht seine Kinder allein auf, interessiert sich im Zweifelsfall aber mehr für seine Forschungen als für seine Kinder und hat nicht mitbekommen, dass sich Abby und Ken – inzwischen etwa 38 und 41 Jahre alt – voneinander entfernt haben. Ein Geheimnis aus der Kindheit hat Abby ihr Leben lang gequält. Ken ist ein erfolgreicher Immobilienhändler mit politischen Ambitionen geworden, Abby eine bisher noch nicht besonders erfolgreiche Künstlerin. Sie waren immer schon Rivalen um die Liebe und Aufmerksamkeit des Vaters und später um sichtbaren Erfolg. In Kens Ehe mit Abbys ehemals bester Freundin Jenny kriselt es. Die zwölfjährigen Zwillinge Tessa und Frannie kommen in ein schwieriges Alter und sehen den Vater inzwischen kritisch. Dann hat sich eine bisher unbekannte junge Frau namens Steph mit ihrem kleinen Sohn und ihrer Partnerin Toni in das Leben der Familie gedrängt. Auch hier gibt es etwas Verschwiegenes in der Vergangenheit. Adam Gardner will noch vor seinem bevorstehenden 70. Geburtstag und dem Ausscheiden aus dem Berufsleben zur Krönung seines Lebenswerks das eine große Forschungsergebnis erzielen: die Entschlüsselung der Sprache der Buckelwale. Dabei geht der lebenslang an einer bipolaren Störung leidende Wissenschaftler ein großes Risiko ein. Die Gardners wollen zum 70. Geburtstag des Vaters ein großes Fest geben. Hier kommt es erwartungsgemäß zum großen Showdown, bei dem alle Geheimnisse enthüllt werden.
Adrienne Brodeur erzählt die Geschichte einer nur nach außen mehr oder weniger intakten Familie aus fünf verschiedenen Perspektiven, so dass der Leser schon lange vor den Betroffenen weiß, was an schmerzlichen Erfahrungen und Geheimnissen so lange verschwiegen wurde. Die Autorin entwickelt das inzwischen gängige Thema der dysfunktionalen Familie geschickt und facettenreich. Die Flora und artenreiche Fauna der Küste bei Cape Cod spielen eine besondere Rolle, vor allem Buckelwale, Gardners mit dem Jahr 2016 auch die entscheidende Phase vor der Präsidentschaftswahl, die Amerika grundlegend veränderte. Ein gut lesbarer Roman, der mich dazu veranlasst, jetzt auch “Wild Game“, Brodeurs autofiktionalen Vorgänger aus dem Jahr 2019 zu lesen.

Veröffentlicht am 10.03.2024

Sklavenleben

James
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In seinem Roman “James“ schreibt Percival Everett Mark Twains berühmten Roman “Die Abenteuer des Huckleberry Finn“ um, indem er zwar die Charaktere Huck und Jim und zahlreiche Episoden übernimmt, jedoch ...


In seinem Roman “James“ schreibt Percival Everett Mark Twains berühmten Roman “Die Abenteuer des Huckleberry Finn“ um, indem er zwar die Charaktere Huck und Jim und zahlreiche Episoden übernimmt, jedoch den Sklaven James - genannt Jim - zur zentralen Figur macht. Jim kann lesen und schreiben, verbirgt seine Kenntnisse und Intelligenz aber hinter dem primitiven Südstaatendialekt, den Sklaven sprechen, um nicht die Aufmerksamkeit der Weißen zu erregen, die Farbige für minderwertig, nicht besser als Tiere halten. Eines Tages erfährt er, dass er verkauft werden soll und flieht, weil ein Verkauf bedeuten würden, dass er seine Frau Sadie und seine kleine Tochter Lizzie nie wiedersehen würde. Huck schließt sich ihm an, indem er seinen Tod vortäuscht, weil sein Vater, ein Alkoholiker, zurückgekehrt ist und ihn brutal misshandelt. Sie nehmen ein fremdes Ruderboot, bauen sich später ein Floß und fahren den Mississippi entlang. Zeitweise verstecken sie sich auf einer Insel im Fluss. Während ihrer Flucht erleben sie Abenteuer und gefährliche Begegnungen und werden zeitweise getrennt. Jim wird von seinem Aufseher und anderen Weißen gesucht, und sein Leben ist ständig in Gefahr.
Everetts Roman ist sehr gelungen, beschreibt er doch in teilweise sehr brutalen Szenen, wie es den rechtlosen Schwarzen in der Zeit der Sklaverei erging. Sie wurden ständig ausgepeitscht, für Kleinigkeiten aufgehängt, und wenn ein Mob einen Lynchmord verübte, wurde niemand strafrechtlich verfolgt, weil es nicht möglich war, einen Einzeltäter anzuklagen. Hinzukamen Farmen, wo Farbige für den Weiterverkauf gezüchtet wurden. Wenn ich Donald Trumps lächerliche Parole “Make America great again“ höre, denke ich automatisch an das menschenverachtende System des Sklavenhandels, nicht nur an die Vernichtung und Vertreibung der indigenen Völker.
Ich habe dieses Buch gern gelesen, enthält es doch neben den brutalen auch humorvolle, recht witzige Passagen, nicht zuletzt auch, weil der Übersetzer einen Dialekt erfindet, der geschickt die Sprache der Sklaven des Originals imitiert.
“James“ ist eine gelungene Adaptation von Twains Meisterwerk, zeitlos mit seiner Thematik, weil es Rassismus auch im 21. Jahrhundert noch gibt, nicht nur in den USA. Ich empfehle dieses Buch ohne Einschränkung.

Veröffentlicht am 21.01.2024

Alles ist verbunden, nichts geht je verloren

Leuchtfeuer
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In Dani Shapiros Roman „Leuchtfeuer“ geht es um zwei Familien in der Division Street im fiktiven New Yorker Vorort Avalon: die Familie des Arztes Ben Wilf mit Ehefrau Mimi und den Kindern Sarah und Theo ...


In Dani Shapiros Roman „Leuchtfeuer“ geht es um zwei Familien in der Division Street im fiktiven New Yorker Vorort Avalon: die Familie des Arztes Ben Wilf mit Ehefrau Mimi und den Kindern Sarah und Theo und später die Nachbarn Shenkman mit dem hochbegabten Sohn Waldo. Eines Tages passiert eine Tragödie, die das Leben der Wilfs für immer verändert. Die Geschwister Sarah, 17 und Theo, 15 sind in einer Sommernacht mit einer Freundin angetrunken im Auto unterwegs, als ein tödlicher Unfall passiert. Ben Wilf versucht noch vergeblich zu helfen. Von nun an bestimmt ein furchtbares Geheimnis ihr Leben und sie müssen mit einer schweren Schuld zurechtkommen.
Die Autorin zeichnet das Leben der zwei Familien über einen Zeitraum von 50 Jahren – 1970-2020 – nach und gewährt dem Leser durch einen allwissenden Erzähler tiefen Einblick in die Gedanken und Gefühle ihrer sorgfältig gezeichneten psychologisch komplexen Charaktere. Ihre Lebenswege kreuzen sich mehrfach, und vor allem Ben Wilf hat eine besondere Verbindung zu Waldo Shenkman, der sich schon als kleiner Junge mit Astrologie beschäftigt und später ein berühmter Astrophysiker wird. Durch Waldo sieht Ben, dass alles miteinander verbunden ist, dass die Kreisläufe von Geburt und Tod eine Entsprechung in den Konstellationen von 100.000 Billionen Sternen haben, die Millionen von Jahren benötigen, um zu entstehen und wieder zu verschwinden. Mit seinem ungewöhnlichen Wissen über das Universum und die letzten Stunden im Leben seiner dementen Frau Mimi hilft Waldo dem alten Mann, seinen großen Verlust zu bewältigen.
Mir hat der Roman gut gefallen, obwohl er durch den Verzicht auf eine chronologische Erzählweise aufmerksames Lesen erfordert. Ungewöhnlich, aber sehr gut und absolut empfehlenswert.