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Veröffentlicht am 17.03.2024

Bitterböse Geschichte über moralische Verwirrungen

Die Rassistin
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Dieser Roman ist so viel: Eine Collage. Eine hochaktuelle Geschichte. Ein Denkanstoß. Und zwar ohne den berühmt-berüchtigten moralischen Zeigefinger sondern durch ein intelligentes, glaubhaftes Erzählen. ...

Dieser Roman ist so viel: Eine Collage. Eine hochaktuelle Geschichte. Ein Denkanstoß. Und zwar ohne den berühmt-berüchtigten moralischen Zeigefinger sondern durch ein intelligentes, glaubhaftes Erzählen. Und viel Komik und Humor.
Nora Rischer sieht sich plötzlich in eine Situation verwickelt, die auf den ersten Blick amüsant erscheint. Und auf den zweiten eine Katastrophe für sie und ihre wissenschaftliche Karriere darstellen könnte. Eher zufällig erreicht sie im Behandlungszimmer ihrer Ärztin die Nachricht, dass es am germanistischen Institut zu einem rassistischen Vorfall gekommen ist. Neugierig und innerlich bereits auf der Seite der Geschädigten muss sie mit Schrecken feststellen, dass es scheinbar ihr eigenes Seminar ist, über das berichtet wird. Und sie als Dozentin folglich diejenige ist, welche sich vor ihren Studierenden rassistisch geäußert und eine diskriminierende Situation geschaffen haben soll.
Was dann folgt, ist für Nora ein Wechselbad der Gefühle, eine Suche nach der eigenen Positionierung und ein Ringen um ein Verstehen des Geschehenen. Das alles verpackt in einem ebenso geschickt arrangierten wie äußerst unterhaltsamen Gedankenstrom, der Situationen aus ihrer eigenen Vergangenheit unter einem sich neu ausgerichteten und moralisch geschärften Kompass beleuchtet und so in Verbindung zu dem Verdachtsfall setzt.
Und wie die Kompassnadel schwankt auch Nora darin, welches Vorgehen als von der Gesellschaft angemessen und von ihrem Umfeld akzeptiert von ihr erwartet wird. Und ob sie sich hierzu bereit fühlt. Ist es eine Entschuldigung, offiziell und öffentlich? Ist es ein Leugnen und Abstreiten? Eine Erklärung und Rechtfertigung? Nora weiß es nicht. Und zahlreichen Lesern wird es ähnlich gehen.
„Die Rassistin“ ist ein durchaus mutiger Roman. Eine Geschichte, die einen lächeln lässt und zugleich nachdenklich und betroffen macht – und zwar gerade deshalb, weil wir dies selbst alle sein könnten. Betroffene einer derartigen Situation oder Skandals. Und dies möglicherweise zu Recht? Eine klare Antwort hierauf ist kaum zu finden, doch der Roman ist eine wichtige, intelligent konstruierte und reflektierte Annäherung an diese.

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Veröffentlicht am 09.03.2024

Eindringlicher Roman mit starker Aussage

Der ehrliche Finder
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Beste Freunde? Oder eine Abhängigkeit, die ins Verderben zieht?
Jimmy und Tristan kommen aus zwei verschiedenen Welten und doch verbindet sie viel: Tristan, der mit seinen Eltern und Geschwistern aus dem ...

Beste Freunde? Oder eine Abhängigkeit, die ins Verderben zieht?
Jimmy und Tristan kommen aus zwei verschiedenen Welten und doch verbindet sie viel: Tristan, der mit seinen Eltern und Geschwistern aus dem Kosovo geflohen ist, und sich nun im belgischen Bovenmeer ein neues Leben aufbauen muss. Und Jimmy, der Klassenbeste, Außenseiter und nach der Scheidung seiner Eltern einsam und verstört, der sich Anschluss und einen Freund wünscht.
Dem neuen Mitschüler den Start zu erleichtern und ihm beim Lernstoff zu unterstützen, ist eine Aufgabe, die für Jimmy da gerade wieder gerufen ist. Akribisch und mit Feuereifer bringt er Tristan und dessen Familie die niederländische Sprache bei, arbeitet mit ihm die Schulaufgaben und die verpassten Lektionen durch und hilft ihm, sich im täglichen Leben in Bovenmeer zurechtzufinden. Jimmy selbst bezeichnet Tristan dabei als seinen besten Freund, auf den er eifersüchtig einen Besitzanspruch erhebt.
Tristan, mit 12 Jahren älter als Jimmy, nimmt diese Unterstützung gerne an. Dessen tiefe Gefühle der Freundschaft und Verbundenheit scheint er jedoch nicht im gleichen Maße zu erwidern, ist er selbst doch viel zu sehr mit den Auswirkungen und Traumatisierungen seiner Flucht beschäftigt. Und in seinen Ängsten und Schreckensbildern ist es vor allem seine Großfamilie, die ihm Halt und Unterstützung gibt. Es ist ein gegenseitiges Klammern an- und miteinander, in welchem Jimmy lediglich einen Platz unter mehreren einnimmt.
Und wie die Geschichte sich dann entwickelt, zeigt für mich eine wunderbare Parallelen zu „Und es schmilzt“, obwohl Inhalt und Plot ganz verschieden sind. Doch kommt es überraschend, schonungslos und ungefiltert. Und verstärkt damit die starke Aussage dieser Erzählung: dass Flucht keine Entscheidung ist und alle Menschen ein Anrecht darauf haben, in Sicherheit und Schutz aufzuwachsen. Und dass Verzweiflung dramatische Folgen nach sich ziehen kann.
Bei all diesem starken Appell ist „Der ehrliche Finder“ zugleich ein literarischer Hochgenuss mit einer klaren, präzisen und eindringlichen Sprache. Und ein Roman, der bleiben wird. In der Besprechung und im Herzen seiner Leser*innen.

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Veröffentlicht am 03.03.2024

Lil the Kill - Brillante Unternehmerin und der Schrecken ihrer Zeit

Lil
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Intelligent, selbstbewusst, unabhängig – Lillian Cutting ist eine erfolgreiche Unternehmerin, ein kluger Kopf und damit der Schrecken der New Yorker-Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Denn ...

Intelligent, selbstbewusst, unabhängig – Lillian Cutting ist eine erfolgreiche Unternehmerin, ein kluger Kopf und damit der Schrecken der New Yorker-Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Denn eine Frau, die sich über Rollenzuschreibungen hinwegsetzt und weibliche Attribute als nachrangig betrachtet, stellt das patriarchale Denken ihrer Zeit auf den Kopf – und bringt die gesellschaftliche Oberschicht damit gegen sich auf.
Wie sehr sich gerade die männlichen Vertreter von ihrem visionärem Denken und Handeln bedroht fühlen, muss Lillian am eigenen Leib und Geist erfahren: Ihr eigener Sohn regt eine Verschwörung gegen sie an und lässt sie in die fragwürdige psychiatrische Anstalt des angesehenen Doktors Fairwell einweisen, der nach einer Karriere als Prediger und Showman sich nun der mentalen Gesundheit seiner zahlungskräftigen Klientel verschrieben hat.
Der Vorwurf und das angebliche Krankheitsbild Lillians sind dabei ebenso suspekt wie aus heutiger Sicht hinfällig: ihre Weigerung, den damaligen Konventionen zu entsprechen und Weiblichkeit in Wesen und Erscheinung zu verkörpern. Die angewandten Methoden gleichen dabei einer Tortur und Folter, für die ihr Sohn Robert nur zu gerne und gut bezahlt.
Doch Lillians Kampfgeist ist unerschütterlich und ihr Rachefeldzug wohl überlegt und grausam. Dabei immer an ihrer Seite ihre Enkelin Libby, bereits in jungen Jahren ein Abbild ihrer Großmutter, und der chinesische Einwanderer Cheng – selbst aufgrund seiner Herkunft an den Rand der Gesellschaft gedrängt und doch mit seiner Intelligenz sowie als Lillians Verbündeter an der Spitze eben dieser stehend.
Markus Gasser hat mit seiner Geschichte einen großen Gesellschaftsroman geschaffen – und das auf gerade einmal 240 Seiten! Seine Erzählung ist voller Leidenschaft für seine überragende Hauptfigur, voller Inbrunst für die gesellschaftliche Gleichstellung von Mann und Frau, Menschen jeglicher Herkunft und Orientierung. Doch vor allem zeichnet „Lil“ ein sehr feinsinniger und intelligenter Humor aus, mit Wortwitz und einem sarkastisch-ironischen Unterton. Das alles macht den Roman zu einem fesselnden Lesevergnügen, zu einer Geschichte, die lange in Kopf und Herz bleibt.

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Veröffentlicht am 18.02.2024

Eine großartige Wiederentdeckung

Die Alleinseglerin
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Eine Geschichte so ruhig wie das Meer bei Sonnenschein, so aufwühlend wie ein Sturm auf hoher See und so tief wie der Marianengraben – als Almut von ihrem Vater das Segeln auf seinem Drachen erlernt, ahnt ...

Eine Geschichte so ruhig wie das Meer bei Sonnenschein, so aufwühlend wie ein Sturm auf hoher See und so tief wie der Marianengraben – als Almut von ihrem Vater das Segeln auf seinem Drachen erlernt, ahnt sie nicht, dass das Boot für sie lebensentscheidend wird. Und das in vielerlei Hinsicht: Denn der Drachen bringt nach Jahren der Trennung Vater und Tochter wieder zusammen, schafft Verständnis für die Entscheidungen und das Leben des jeweils anderen und stellt zugleich einen Grund und Ort ihres regelmäßigen Zusammenkommens dar.
Als Almut das Boot schließlich von ihrem Vater übernimmt, wird der Drachen jedoch zu etwas ganz Neuem für sie: eine Bürde, Herausforderung und auch Belastung. Zumindest in den Anfängen. Denn als Alleinerziehende reicht ihr mühsam verdientes Geld nicht aus, um die anfallenden Reparatur- und Erneuerungsarbeiten zu beauftragen. Der Drachen scheint unersättlich. Almut übernimmt zusätzliche Aufgaben und verbringt im eisigen Winter doch jedes Wochenende am See, um das Boot für die anstehende Saison fit zu machen. Und hier ist sie die einzige Frau in einer männerdominierten Welt. Almut muss gegen Vorurteile angehen, sich ihren Platz unter den Bootsbesitzerin erkämpfen und ihren Kampgeist beweisen – und wird dabei selbst immer stärker.
Von ihrem ursprünglichen Plan, den Drachen in einen derart guten Zustand zu bringen, dass ein Verkauf einen ihr angemessen erscheinenden Erlös einbringt, weicht sie dabei nach und nach ab. Und das nicht nur, weil sie begreift, dass ihre eigenen finanziellen Vorstellungen auf dem Markt nicht zu verwirklichen sind. Auch ist es das Erkennen, dass der Wert, den Almut selbst dem Drachen beimisst, nicht mit Geld aufzuwiegen ist. Er ist Erinnerung an ihren Vater und die gemeinsame Zeit. Doch vor allem ist er zu ihrem Heimathafen geworden, zu dem es sie immer wieder zurückzieht, und der ihr Stunden der Freiheit, des Einklangs mit sich selbst und eines Siegs über die Kräfte der Natur ermöglicht.
Diese Geschichte ist so viel: ein Entwicklungs- und Wachstumsroman, eine Erzählung über den Emanzipationsweg der Protagonistin und ein Gleichnis über den Besitz eines Bootes in einem Land, das seine Grenzen und Mauern für die Menschen geschlossen hielt. Doch vor allem ist „Die Alleinseglerin“ eine großartige Wiederentdeckung, stark und überzeugend in ihren Aussagen – heute wie zur Zeit ihrer Entstehung.

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Veröffentlicht am 09.02.2024

Mörderjagd mit eingeschränkter Sicht

Schneesturm
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Eine kleine irische Insel, durch einen Schneesturm abgeschnitten von der Außenwelt – wenn das nicht schon ein hervorragendes Setting für einen spannenden Thriller ist! Und wenn dann noch eine Leiche in ...

Eine kleine irische Insel, durch einen Schneesturm abgeschnitten von der Außenwelt – wenn das nicht schon ein hervorragendes Setting für einen spannenden Thriller ist! Und wenn dann noch eine Leiche in der rauen irische See auftaucht, geschändet und damit offensichtlich Opfer eines Verbrechens, kann die Mörderjagd beginnen.
Und die Suche nach Motiv und Schuldigen erweist sich als überaus rätselhaft und führt die Leser dabei immer wieder in die Irre und im wahrsten Sinne des Wortes auf Glatteis. Denn mitten in dem Blizzard ist es an der einzigen Inselpolizistin, den Fall aufzuklären und zu ermitteln, wer ihre beste Freundin auf dem Gewissen hat. Eine besondere Herausforderung für Cara, denn ihre ehemaligen Freund*innnen gehören zum Kreis der Verdächtigen. Und nachdem sich die Clique zehn Jahre nicht mehr gesehen hat, scheint jeder von ihnen dunkle Geheimnisse und Abgründe in dem eigenen Leben zu haben. Und ein doppeltes Spiel zu spielen – mit Clara und miteinander.
Clara schlägt sich unter diesen schwierigen Bedingungen tapfer, ist in ihrem Handeln und mit ihren kombinatorischen Fähigkeiten jedoch nicht mit einer ausgebildeten Kriminalkommissarin vergleichbar. Immer wieder unterlaufen ihr grobe Fehler im Vorgehen: mal vergisst sie, die Spuren zu sichern, mal zieht sie ihre Freunde ins Vertrauen und den Mörder in diesem Zuge möglicherweise gleich mit.
Auch der Autorin scheint der eine oder andere Handlungsfaden zu entgleiten. Oder lässt sie ihn möglicherweise bewusst in einer Sackgasse enden? Und nicht immer sind die Figuren in ihrem Verhalten logisch und nachvollziehbar, aber Schock und Isolation sind in ihren Auswirkungen auch nicht zu unterschätzen.
Was für mich bleibt, ist ein durchaus spannendes Lesevergnügen mit einigen Leerstellen und Fragezeichen in meinem Kopf. Und eine Geschichte, die es trotz dieser Mängel geschafft hat, dass ich Weiberfastnacht in Köln lieber mit dem Buch in der Hand abends zu Hause geblieben bin als in den Kneipen zu schunkeln und zu bützen.

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