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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 29.07.2023

Ausführliche Charaktergestaltung mit punktuellen Spannungsmomenten

Refugium
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Refugium ist ein sicherer Ort, an dem jemand seine Zuflucht findet, an den er sich zurückziehen kann, um ungestört zu sein. Wenn man sich diese Erläuterung beim Lesen bewusst macht, lässt sich der Verlauf ...

Refugium ist ein sicherer Ort, an dem jemand seine Zuflucht findet, an den er sich zurückziehen kann, um ungestört zu sein. Wenn man sich diese Erläuterung beim Lesen bewusst macht, lässt sich der Verlauf der Story durchaus nachvollziehen.
Sie startet mit einem Prolog, der schonungslos ein Verbrechen beschreibt, dass seinesgleichen sucht. Die Gäste einer Mittsommer-Party werden mittels Schnellfeuerwaffen mitsamt der ganzen Festtafel niedergemäht. Nur die Tochter des Gastgebers, Astrid Helander, überlebt. Schockiert von den Erlebnissen spricht sie kein Wort mehr.

Julia Malmros und Kim Ribbing befanden sich während des Massakers auf der Nachbarinsel. Beide starten umgehend mit Ermittlungen, obwohl ihnen das gar nicht zusteht. Julia Malmros ist zwar ehemalige Polizistin, aktuell allerdings als Krimiautorin tätig. Kim Ribbing ist ein Cracker. Er soll Julia bei ihrem neuen Buch mit seinem Fachwissen unterstützen. Die eigentliche, also die polizeiliche Ermittlung obliegt Jonny Munther, ausgerechnet Julias Ex-Mann.

In dieser Konstellation gelingt der schwedischen Polizei wenig. Die Ermittlungen gehen dermaßen schleppend voran, dass die Polizei insgesamt in einem schlechten Licht erscheint. Das mochte ich eher nicht so. Natürlich ist durch die Ex-Beziehungs-Gemengelage ein gewisses Durcheinander vorprogrammiert, aber ich hätte mir mehr Gleichgewicht zwischen den Ergebnissen der Hobbyermittler und der richtigen Polizei gewünscht. Bei so einem Fall wäre zudem ein Machtwort seitens der Polizei gegenüber Julia und Kim irgendwann angebracht gewesen.

Insgesamt wird mir in diesem sogenannten Thriller auch zu wenig ermittelt. Brenzlige Situationen sind selten und werden aus meiner Sicht nicht richtig ausgekostet. Dabei sind die Ideen an sich vielversprechend. Dadurch bleibt die Spannung im ganzen Roman lediglich auf Sparflamme. Richtig atemlos war ich nur während des Prologs. Ich finde, hier wurde viel verschenkt.

Lindqvist konzentriert sich mehr auf die Schaffung seiner Figuren, hauptsächlich Julia und Kim. Die Hintergrundinformationen zu den Beiden sind zwar attraktiv, hätten meines Erachtens aber zurückhaltender eingestreut werden können. Auf manches Detail hätte ich zu diesem Zeitpunkt auch ganz verzichtet. Es stehen schließlich noch weitere Bände zur Verfügung. Das Kennenlernen der Beiden ist jetzt so turbomäßig erfolgt, dass ich mir vorkomme, als hätte ich direkt nach der ersten Begegnung alles über Julia und Kim auf Social Media recherchiert.

Ich bin mir nicht sicher, ob mir das gefällt. Denn eigentlich wollte ich einen spannenden Thriller lesen. Dieses Genre war in Refugium leider nur in Ansätzen zu finden. Deshalb weiß ich auch noch nicht, ob ich Signum und Elysium lesen werde.

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Veröffentlicht am 19.07.2023

Positive Lebenseinstellung kann man erlernen

Hotel Silence
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Jonas fühlt sich einsam wie noch nie. Seine Ehefrau hat ihn verlassen und ihm mitgeteilt, dass die mit viel Liebe großgezogene Tochter nicht von ihm ist. Sein ganzer Lebensinhalt fällt wie ein Kartenhaus ...

Jonas fühlt sich einsam wie noch nie. Seine Ehefrau hat ihn verlassen und ihm mitgeteilt, dass die mit viel Liebe großgezogene Tochter nicht von ihm ist. Sein ganzer Lebensinhalt fällt wie ein Kartenhaus zusammen. Jonas weiß zunächst nicht, wohin mit sich. Er denkt an den Freitod, doch auch gleichzeitig, was sein Suizid in seinen Liebsten auslösen würde. Ihm bleibt nur die Flucht.

Seine Reise führt ihn in ein kriegsgebeuteltes Land. Dort lernt er Mai, Fifi und Adam kennen. Seine Wahrnehmung verändert sich. Ich mochte die Konstellation aus westlichen Wohlstandsproblemen und der Challenge ums Überleben. Die eigene Sichtweise wird geerdet.

Besonders war hier die Herangehensweise an die Geschichte. Obwohl die Geschehnisse nur lückenhaft beschrieben sind, hat sich für mich ein ganzheitliches Bild ergeben. Viele offene Enden regen zum Nachdenken an. Dafür ist es allerdings erforderlich, dass man ab und zu innehält und das Gelesene auf sich wirken lässt. Da der Roman gleichzeitig sprachlich sehr angenehm weitergeleitet, ist das gar nicht so einfach. Man wird zum suchthaften Lesen in einem Stück verleitet. Die Nebenfiguren, wie der Gastwirt oder die Schauspielerin, sowie das Setting an sich blieben anonym, so dass der Fokus auf einer Hand voll Personen lag. Für mich ist dadurch ein literarisch ansprechender Roman entstanden. Darüberhinaus bringt er eine gewisse, teilweise makabre Komik mit, die immer wieder Licht in die ansonsten trübe Grundstimmung bringt.

Ansonsten hat mir der menschliche Zusammenhalt im Roman gut gefallen. Die Leute im Ort sind füreinander da, sorgen wechselseitig dafür, dass letztlich alle Gewerbetreibende von den wenigen Gästen profitieren. Empfehlungen und Anrufe bringen Gäste und Gewerbetreibende zusammen. Obwohl es nach dem Krieg bzw. während der Waffenruhe noch keine sichere gesellschaftliche Organisation gibt, gibt es einen Ausgleich und Ordnung im Ort.

Insgesamt hat mir „Hotel Silence“ gefallen, gern empfehle ich den Roman weiter.

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Veröffentlicht am 10.07.2023

Schöne, zwischendurch traurige Liebesgeschichte

Vom Ende der Nacht
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Will und Rosie sind die typischen Underdogs, vielleicht auch Nerds. Beide sind ein bisschen verschroben, tun teils seltsame Dinge und haben eine Einstellung zum Leben, die in unserer Leistungsgesellschaft ...

Will und Rosie sind die typischen Underdogs, vielleicht auch Nerds. Beide sind ein bisschen verschroben, tun teils seltsame Dinge und haben eine Einstellung zum Leben, die in unserer Leistungsgesellschaft nicht unbedingt als normal gilt.
Will ist kein schlechter Schüler, könnte an die Uni gehen, doch seine Zukunft sieht er in der Werkstatt. Er schraubt lieber an Motorrädern rum, egal, ob er dann als ungelernte Kraft schlecht bezahlt wird. Will folgt hier seiner Leidenschaft.
Rosie scheint mit dem hinterletzten Probenraum verwachsen zu sein. Hier schreibt sie Songs und gibt sich ihren Träumen hin. Von Hause aus sollte sie allerdings lernen für beste Noten, um an einer Eliteuniversität studieren zu können. Um ihre Figur sollte Rosie sich ebenfalls kümmern. All zu gern drückt sie sich vor ihrem Fitnessprogramm.

Als Will und Rosie sich zum ersten Mal begegnen, ist es vielleicht nicht Liebe auf den ersten Blick, aber es gibt eine gewisse Anziehungskraft. Doch obwohl die beiden für einander bestimmt zu sein scheinen, kommt ihnen das Leben dazwischen. Sie folgen den Zwängen ihres Umfelds, können aber auch irgendwie nicht voneinander lassen.

Claire Daverley schafft eine Atmosphäre von Zuneigung und Schmerz. Die Autorin erzeugt bei den handelnden Personen wie auch bei ihrer Leserschaft intensive Emotionen. Einerseits schmerzt es, der Entwicklung dieser On-Off-Beziehung beizuwohnen, andererseits möchte man den beiden zurufen, doch endlich ihrer Leidenschaft zu folgen. Ich schwankte stark zwischen Mitgefühl und Wut über die Unfähigkeit von Will und Rosie auch nur eine Grenze zu überschreiten.

An einigen Stellen war die Story mir etwas zu vorhersehbar. Auch waren es mir zu viele Schicksalsschläge, die beide ertragen mussten. Hier hätte ich mir entweder mehr Abwechslung oder einfach weniger gewünscht. Nichts desto trotz war der Roman angenehm zu lesen. Wer Lovestories liebt, wird sich damit ganz und gar wohlfühlen. Ich hatte mir etwas mehr drumherum vorgestellt, vielleicht auch einen größeren Kreis an tatsächlich handelnden Personen. Schließlich wird ein recht langer Lebensabschnitt behandelt, da wären mehr Begegnungen und etwas mehr Komplexität durchaus angebracht gewesen.

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Veröffentlicht am 03.07.2023

Von kleinen Helden, die über sich hinauswachsen

Meck und Schneck. Ein Löwe ist kein Kuscheltier
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„Ein Löwe ist kein Kuscheltier“ ist eine kurze Geschichte, die vorgelesen werden kann, sobald Kinder in der Lage sind einen Augenblick zuzuhören. Sie ist aber auch gut geeignet für Erstleser, die gerade ...

„Ein Löwe ist kein Kuscheltier“ ist eine kurze Geschichte, die vorgelesen werden kann, sobald Kinder in der Lage sind einen Augenblick zuzuhören. Sie ist aber auch gut geeignet für Erstleser, die gerade die erste Klasse beenden. Das Vokabular ist einfach gestaltet, trotzdem liebevoll arrangiert. Der Umfang der Geschichte ist so übersichtlich, dass beide Zielgruppen das (Vor)gelesene erfassen können.

Schneck ist eine Schnecke mit viel Angst und großen Augen. Da es nicht so bleiben kann, dass er sich vor Allem fürchtet, beschließt er einen Löwen zu fangen, um seine Ängste zu überwinden. Denn wer einen Löwen fängt, braucht vor nichts mehr Angst zu haben. Auf seiner Suche trifft er Meck, der ihn fortan auf seiner Reise begleitet und jede Menge Tipps auf Lager hat.

Meiner Tochter, einer Erstleserin, hat das Buch gut gefallen. Sie hat sich gefreut, dass sie es ohne jegliche Hilfe lesen kann. Ich finde diese Erfolgserlebnisse motivierend und freue mich, wenn sie das nächste Buch in die Hand nimmt. Zudem gefallen uns die Illustrationen sehr, denn neben dem Text gibt es jede Menge zu entdecken.

Sehr gern empfehle ich dieses textlich und bildlich sehr ansprechende Buch. Ich kann regelrecht mitfühlen, wie viel Liebe in der Entstehung steckt.

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Veröffentlicht am 05.06.2023

Was für ein Buch?

Die geheimste Erinnerung der Menschen
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Mit dem Lesen des vorliegenden Romans habe ich an einem vielschichtigen Erlebnis teilgenommen. Multiple Emotionen wurden ausgelöst und gleichzeitig kann ich das Gelesene nicht vollständig greifen. Wenn ...

Mit dem Lesen des vorliegenden Romans habe ich an einem vielschichtigen Erlebnis teilgenommen. Multiple Emotionen wurden ausgelöst und gleichzeitig kann ich das Gelesene nicht vollständig greifen. Wenn ich darüber nachdenke, finde ich viele interessante, angesprochene Themen wieder. Trotzdem habe ich das Gefühl, der Inhalt des Romans würde mir entgleiten, so als ob Sand unaufhaltsam durch die Finger rinnt. Das war auch schon während des anspruchsvollen Leseprozesses der Fall.

Inhaltlich lässt sich der Roman somit kaum rekapitulieren. Übergreifend kann ich sagen, dass die Protagonisten dem französischen Literaturbetrieb angehören und überwiegend afrikanische Wurzeln haben. Ihr Schaffen findet in zeitlicher Hinsicht auf Distanz statt. Die beiden Hauptfiguren, der Doktorand Diégane Faye und der Autor des legendären Buches „Das Labyrinth des Unmenschlichen“, T. C. Elimane, treten dabei lediglich über Dritte in Kontakt. Streng genommen, stößt Diégane Faye auf der Suche nach der eigenen Identität als Schriftsteller mehr oder weniger zufällig auf Elimanes Roman, der dann in der Folge scheinbar Besitz von Diégane ergreift. Fast nebenbei finden Themen wie die Weltkriege aus Sicht der kolonialisierten Welt, maßlose Gewalt, Rassismus im Literaturbetrieb, Glaube und Spiritualität sowie freie Sexualität ihren Platz in Mohamed Mbougar Sarrs Roman.

Das war in meiner Wahrnehmung eigentlich ein Overload, ein bisschen zu viel von Allem. Manchmal gingen mir die vielen Erzählperspektiven auch ein Stück weit auf die Nerven. Nur mit höchster Konzentration war es überhaupt möglich, den Gedanken des Autors zu folgen. Dennoch habe ich mich von Diéganes Wahn, Elimane zu finden, anstecken lassen. Dabei bin ich interessanten Zwischengeschichten begegnet, habe auf historische Ereignisse einen anderen Blickwinkel eröffnet bekommen. Eine beeindruckende Erfahrung.

Rückblickend empfinde ich den Roman als literarisches Kunstwerk und ein bisschen auch als Geniestreich. Wir lesen einen literarisch sehr hochwertigen Text, in dem Elimane mit seinem Roman als „schwarzer Rimbaud“ zunächst gefeiert, später fast ausschließlich verrissen wird. Dabei ist Elimanes Werk eine Ode an die Weltliteratur. Passend zu diesem Geniestreich greifen auch die Titel der Romane gekonnt ineinander. Wir lesen „Die geheimste Erinnerung der Menschen“, der Roman im Roman ist mit „Das Labyrinth des Unmenschlichen“ überschrieben. Ausgehend von ihren Titeln gehen die beiden Geschichten ineinander über, verschwimmen ein wenig und das Lesen fühlt sich ein bisschen an wie in Trance. Das hatte schon was.

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