Leider wurde Potenzial verschenkt
An der GrasnarbeDer Debütroman von Mirjam Wittig erzählt uns von Noa, einer Städterin, die es zur Bewältigung ihrer Ängste auf einen abgeschiedenen Hof in Südfrankreich zieht. Dort unterstützt sie die Familie bei der ...
Der Debütroman von Mirjam Wittig erzählt uns von Noa, einer Städterin, die es zur Bewältigung ihrer Ängste auf einen abgeschiedenen Hof in Südfrankreich zieht. Dort unterstützt sie die Familie bei der Feldarbeit, beim Hüten der Schafe sowie auf dem Markt beim Vertreiben der selbst hergestellten Produkte.
Obwohl der Roman nicht allzu viele Seiten hat, behandelt er doch jede Menge Themen, die als Anriß die Gedanken der Lesenden anschieben. Neben den Herausforderungen des Klimawandels, die im Klappentext angesprochen werden, habe ich Alltagsrassismus und Überforderung vom modernen Leben mit fortwährendem Stress und Dauererreichbarkeit wahrgenommen. Weitere Themen werden geschickt eingewebt, nichts wirkt aufgezwungen, es ist wie im wahren Leben einfach da.
Mit den Charakteren habe ich mich schwerer getan. Niemand ist mir wirklich nahe gekommen, weshalb ein Mitfiebern bei mir ausgeblieben ist. Die Angst der Hauptfigur Noa ist zwar nachvollziehbar, wenn man davon ausgeht, dass sie sich durch ihre SocialMedia-Blase hinein gesteigert hat, aber diese Angst ist mir derart unsympathisch, dass ich Noa nicht wirklich mögen kann. Ella und Gregor, die Betreiber des Hofes, wirken mehr wie Partner auf mich und eher nicht wie ein Paar. Sie hängen in der körperlichen Arbeit des Hofes fest, haben keine Zeit und Energie mehr für Gemeinsamzeit. Einziger Lichtblick ist die Tochter Jade. Sie hat ein gutes Gespür für Stimmungen, fühlt mit ihren Mitmenschen. Ich hätte gern mehr zu diesen vier Figuren erfahren, um sie besser zu verstehen bzw. sie besser einordnen zu können. Dafür hätte ich auf die recht große Anzahl für mich wenig Sinn stiftender Nebenfiguren verzichtet. Einzig der Handlungsstrang um Karim war sensationell. Das Szenario war optimal herausgearbeitet.
Sprachlich hat mir der Roman gut gefallen. Es gibt ganz wunderbare Passagen, besondere Beschreibungen der Umwelt und eine spezielle Schwingung, die aufkommt, wenn die Auswirkungen der Angst thematisiert werden. Leider verliert sich die Autorin ab und zu im Alltäglichen, Belanglosen, wodurch das hohe Niveau nicht durchgehend gehalten werden kann.
Aus meiner Sicht ist „An der Grasnarbe“ ein gut lesbarer Roman, der zu weiterführenden Gedanken anregt. Leider wird das Potenzial der Geschichte nicht vollständig ausgeschöpft, weshalb ich keine Top-Bewertung vornehmen kann.