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Veröffentlicht am 29.04.2020

Serie muss Lücken schließen

Mitten im August
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„Mitten im August“ ist der erste Band einer Krimi-Serie, der uns mit dem schönen Foto der Faraglioni-Felsen nach Capri einlädt. Die davon ausgehende Urlaubsstimmung wird auch im Roman umfangreich erzeugt. ...

„Mitten im August“ ist der erste Band einer Krimi-Serie, der uns mit dem schönen Foto der Faraglioni-Felsen nach Capri einlädt. Die davon ausgehende Urlaubsstimmung wird auch im Roman umfangreich erzeugt. Dabei bedient sich der Autor einer derart bildlichen Sprache, dass man den Eindruck gewinnt, selbst vor Ort zu sein. So ging ich am Stand von Capri spazieren, habe die Faraglioni-Felsen gesehen, konnte einen Blick in die typischen kleinen Läden werfen und unzählige Male im Café bei einem Espresso entspannen. Die Urlaubsstimmung wäre perfekt, hätte es nicht einen Mord gegeben.

Zum Absolvieren eines Praktikums im Rahmen ihres Studiums zur Meeresbiologe kommen Jack und Sofia, ein junges Liebespärchen, nach Capri. Doch die Freude währt nicht lange, das Praktikum wird holprig, bald kommt es zum Äußersten. Dabei wollten sie doch „nur“ den Anstieg des CO2-Gehaltes im Meer, dessen Auswirkungen und Maßnahmen zur Abhilfe erforschen. Die Rettung der Weltmeere, mit welcher der Roman thematisch angekündigt wurde, war für mich sehr interessant, hätte jedoch für meinen Geschmack noch intensiver mit der Krimihandlung verflochten sein können. Die beiden Charaktere, Jack und Sofia, kamen mir nicht wirklich nahe. Jack war mir zu verwöhnt und sprunghaft, Sofia erschien mir leichtgläubig und irgendwie naiv. Vielleicht bin ich aber auch einfach nur zu weit weg von der studierenden Generation.

Am Ende gibt es einen Toten, der Familienmensch Enrico Rizzi und die strafversetzte, degradierte Kommissarin Antonia Cirillo müssen die Tat aufklären. Das zuständige Kommissariat in Neapel traut den beiden dabei nicht allzu viel zu. Dementsprechend gehemmt verlaufen die Ermittlungen.

Enrico Rizzi mochte ich sehr gern im Umfeld seiner Familie. Die Hilfe, die er seinem Vater in Hof und Garten zu Teil werden lässt, ist in dem Umfang heute nicht mehr selbstverständlich. Mit Einfühlungsvermögen erklärt Rizzi seinem Vater auch die Vorteile umweltschonenden Anbaus, probiert es für seinen Vater einfach aus. Gefallen hat mir auch sein Umgang mit der Tochter seiner Freundin Gina sowie seine Haltung gegenüber alten Erinnerungsstücken. Im Dienst war mir Rizzi nicht ganz so sympathisch. Er bevormundet seine Kollegin, ist insgesamt etwas zu sehr von sich selbst überzeugt.

Antonia Cirillo war mir letztlich lieber, weil sie mehr Feuer ins Geschehen bringt. Sie riskiert auch mal was, dehnt Regeln auch über Gebühr, hat halt Ecken und Kanten. Über ihre Vergangenheit haben wir zwar noch nicht so viel erfahren, in Anbetracht der Serie hoffe ich an dieser Stelle auf die Fortsetzung.

Insgesamt ist „Mitten im August“ ein solider Krimi, für dessen Fortsetzung ich mir eine optimale Ausschöpfung des generierten Potentials wünsche. Die guten Ideen für den Roman wurden oft nur angeschnitten und danach nicht konsequent zu Ende geführt. Teilweise habe ich auch ein bisschen den roten Faden verloren, für mich war nicht zu jeder Zeit nachvollziehbar, wie die beiden Ermittler zu ihren Ergebnissen gekommen sind. Deutlicher hätte zudem die weitere Verarbeitung von Beweismitteln und von Zeugenaussagen herausgearbeitet sein können. Dabei möchte bestimmt nicht, dass mir ein Roman jeden Gedanken vorgibt, trotzdem ist es mir hier zu wenig Information. In gewissem Maß wird diese Schwäche durch liebevolle kleine Details ausgeglichen, wie z. B. die Entdeckung des alten, längst verrosteten Autos der Eltern oder der Schädlingsbekämpfung mit Marienkäferlarven.

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Veröffentlicht am 14.04.2020

nicht verschieben - machen

Wir holen alles nach
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„Wir holen alles nach“, „Das können wir auch noch später machen“, das sind Sätze, die jeder von uns gern benutzt, um Dinge, Anschaffungen und Unternehmungen, auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Doch die ...

„Wir holen alles nach“, „Das können wir auch noch später machen“, das sind Sätze, die jeder von uns gern benutzt, um Dinge, Anschaffungen und Unternehmungen, auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Doch die Zeit vergeht, sie rinnt dahin bis im letzten Lebensdrittel deutlich wird, dass noch mehr offene Dinge für später vorhanden sind als die übrig gebliebene Lebenszeit und die Möglichkeiten darin zulassen.

Dieses Grundthema beschreibt uns Martina Borger anhand von zwei Frauen, der alleinerziehenden Mutter Sina und der von Altersarmut bedrohten Witwe Ellen. Sina ist ständig hin- und hergerissen zwischen Karriere und ihrem 9-jährigen, sehr schüchternen Sohn Elvis, hat noch kein gesundes Maß, um beides im Einklang zu haben, gefunden. Dies wird durch ihr stetes gestresst Sein zum ganz deutlich Ausdruck gebracht. Ellen nimmt ihr armes Witwendasein an, hält sich mit diversen Nebenjobs über Wasser. Sie macht dabei einen recht zufriedenen Eindruck. Als Elvis’ Empfehlung zum Übergang zum Gymnasium gefährdet ist, treffen beide Frauen aufeinander. Ellen übernimmt Elvis‘ Nachhilfe.

Elvis und Ellen lernen sich kennen. Nach relativ kurzer Zeit blickt Ellen hinter die Kulissen des sehr folgsamen und ruhigen Jungen. Plötzlich stehen böse Themen und Verdächtigungen im Raum. Diese stellen die beiden Frauen ganz gewaltig auf die Probe. Jede hat mit ihrem Gewissen zu kämpfen. Auch ihre gerade entstehende Freundschaft ist vom Aus bedroht.

Jetzt nimmt die Geschichte richtig Fahrt auf. Martina Borger legt verschiedene Fährten aus, die der Leser aufnehmen kann. Es baut sich eine Ahnung zu Geschehnissen auf, die man eigentlich gar nicht bewahrheitet haben möchte. Die Emotionen schlagen ihre Wellen, man ist mittendrin und kann das Buch nicht mehr weglegen.

Genauso muss ein schöner Roman sein, aktuelle Themen, die die Menschen ansprechen und berühren, die mit geschmeidig lesbarer Sprache aufbereitet sind. So stört es auch nur ganz wenig, dass Ellen ihr ökologisches Bewusstsein etwas oberlehrerhaft erklärt. Insgesamt bleibt mir nichts anderes übrig, als den Roman wärmstens zu empfehlen.

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Veröffentlicht am 14.04.2020

Im Basti zwischen Müllkippe und Hi-Fi-Häusern

Die Detektive vom Bhoot-Basar
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Ein überdurchschnittlich farbenfrohes Cover rahmt die Geschichte von Jai und seinen Freunden Faiz und Pari ein, die in einem Basti zwischen Müllkippe und Hi-Fi-Häusern in einer Stadt in Indien wohnen. ...

Ein überdurchschnittlich farbenfrohes Cover rahmt die Geschichte von Jai und seinen Freunden Faiz und Pari ein, die in einem Basti zwischen Müllkippe und Hi-Fi-Häusern in einer Stadt in Indien wohnen. Das Bunte passt ziemlich gut zu dem, was wir klischeehaft dank Bollywood mit Indien verbinden. Erst auf den zweiten Blick lässt sich erkennen, dass das abgebildete Jungengesicht nicht unbedingt Glückseligkeit ausstrahlt.

Die anfängliche positive Stimmung des Covers geht auch beim Lesen schnell verloren, weil der Roman uns eben nicht mit singenden und tanzenden Darstellern ablenkt, sondern ehrlich von den Missständen im Land berichtet. Es geht um verschwundene Kinder sowie um scheinbar willkürlich plattgemachte Bastis, um Armut und Korruption, um Verschleierung der Machenschaften der Mächtigen und damit letztlich auch um verspieltes Vertrauen in Staat, Medien und Polizeigewalt.

Das Besondere an der Geschichte sind die drei Erzählperspektiven, die uns erlauben, die Lebensumstände vor Ort durch Kinderaugen zu betrachten. Die meiste Zeit begleiten wir den neunjährigen Jai als Ich-Erzähler bei seinen Ermittlungen, die er beginnend mit der Entführung des ersten Kindes nach dem Vorbild des TV-Serien-Detektivs Byomkesh Bakshi startet. In einer zweiten von außen betrachtenden Erzählweise wird den verschwindenden Kindern vorher noch ein Kapitel gewidmet. Als dritte Perspektive kommen Geschichten, die „EUCH DAS LEBEN RETTEN“ werden, zum Einsatz. Das sind märchenhafte Erzählungen um Figuren wie Mental und Straßen-ki-Rani, die den Kindern Hoffnung schenken sollen.

Zu Beginn der Ermittlungen durch die Detektive vom Bhoot-Basar, die Freunde Jai, Pari und Faiz, wirkt alles noch sehr spielerisch, ein Straßenhund wird als Spürhund engagiert, Leute auf den Basar werden befragt. Obwohl für den Leser dieses „Spiel“ mit gewisser Leichtigkeit rüberkommt, ist das Verschwinden der Kinder doch bitterer Ernst und die kleinen Detektive merken gar nicht, welcher Gefahr sie sich aussetzen.

Meine Lieblingsfigur war übrigens nicht Jai, sondern Pari. Pari ist ein aufgewecktes, intelligentes Mädchen, das immer einen Tucken schneller reagieren kann als Jai und spontan die richtigen Entscheidungen trifft. Sie weiß sehr genau, welche Rolle sie als Erwachsene in der Gesellschaft spielen wird, lässt sich aber im hier und jetzt nicht von Jai herumkommandieren. Jai bleibt in meinen Sympathiewerten hinter Pari zurück, weil er unbedingt der Chef des Teams sein will, seine Freunde eigentlich zu Assistenten degradieren möchte. Jai ist es auch, der unzählige Male die Serie seines Vorbilds Byomkesh Bakshi konsumiert hat und gleichzeitig am wenigsten die Ermittlungs-Methoden im richtigen Moment parat hat. Die Kombination aus dieser Tolpatschigkeit und des Chef-sein-Wollens führt bei mir zu Abzügen in der B-Note, auch wenn ich Jai insgesamt eigentlich ganz gern mag.

Bis auf einen kleinen Hänger im Mittelteil erzählt uns Deepa Anappara einen spannenden Krimi, der uns ganz nebenbei die gern ausgeblendeten Abgründe der armen Bevölkerungsschichten Indiens an die Oberfläche holt. Ich habe „Die Detektive vom Bhoot-Basar“ gern bei ihren Ermittlungen begleitet und empfehle die Lektüre. Man sollte allerdings einiges aushalten können und sich nicht von den leuchtend bunten Farben des Covers in die Irre führen lassen.

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Veröffentlicht am 06.04.2020

Überraschend, fesselnd, zeitweise erdrückend

Die Tanzenden
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Schon das hübsche Cover zu Victoria Mas‘ „Die Tanzenden“ deutet auf das Ereignis hin, dem die gesamte Pariser Hautevolee entgegenfiebert, den Ball zu Mittfasten. Es ist mit einer Leichtigkeit gezeichnet, ...

Schon das hübsche Cover zu Victoria Mas‘ „Die Tanzenden“ deutet auf das Ereignis hin, dem die gesamte Pariser Hautevolee entgegenfiebert, den Ball zu Mittfasten. Es ist mit einer Leichtigkeit gezeichnet, die sich genauso auch im Roman wiederfindet. Doch die fühlbaren Federn des schwingenden Kleides verkörpern für mich nicht nur Amüsement, sondern auch einen gewissen Schwebezustand und ein Stück weit Vogelfreiheit.

Louise und Eugénie sind Patientinnen im Hôpital de la Salpêtrière in Paris, das im ausklingenden 19. Jahrhundert als Zentrum für gynäkologisch definierte Hysterie bekannt war. Jean-Martin Charcot und Joseph Babinski haben seinerzeit dort praktiziert. Neben den Vorbereitungen für den anstehenden Ball, erzählt der Roman vor Allem von den Lebensumständen der Frauen, die in der Salpêtrière untergebracht sind, um dort behandelt zu werden. Die Behandlungsmethoden sind abstoßend, die Wehrlosigkeit der als geisteskrank abgestempelten Frauen ist wahnsinnig erdrückend. Die Nerven zart besaiteter Leser werden ganz schön strapaziert. Besonders erschüttert hat mich der Vorgang einer Einweisung in die Salpêtrière. Die Einfachheit, mit der man sich über diesem Weg seiner unliebsamen oder unbequemen Frauen entledigen konnte, hat mich maximal schockiert. In diesem Sinne waren doch die Frauen insgesamt einfach nur vogelfreie Wesen.

Trotzdem sollte man sich die Lektüre gönnen. Victoria Mas transportiert das Grauen aus dem Behandlungszimmer derart galant mitten in den lesenden Kopf, dass man den Roman eigentlich nicht mehr aus der Hand legen möchte. Nicht nur die bildliche Vorstellung der Szenerie hat eine starke Präsenz, sondern auch die Empfindungen und Ängste der zum Behandlungsobjekt degradierten Frauen. Sprachlich ist das Geschehen leicht und sanft wie eine Feder aufgesetzt, was durch den extremen Kontrast zur Handlung eine angenehme Wirkung auf mich hatte.

Zudem gibt es wunderbare Charaktere. In diesem Roman sind es allesamt Frauen. Am besten haben mir die Protagonistinnen Genevière und Eugénie gefallen, aber auch die Nebenfigur Thérèse als Ruhepol unter den Patientinnen hatte meine Sympathie. Bei Genevière hat mir ihre Entwicklung gefallen. Nach jahrelanger Routine und Erfahrung dehnt sie die gelebten Regeln, erfährt durch die Änderung des Blickwinkels Erkenntnisgewinne, die sie niemals für möglich gehalten hätte. So entwächst sie der strengen im Hintergrund agierenden grauen Maus und wird zur Organisatorin eines richtig großen Coups. Eugénie ist intelligent und weltoffen, blickt über ihren Tellerrand hinaus. Leider ist sie zu impulsiv, um ihr Wissen clever einzusetzen. Beiden gemein ist der Mut, den es braucht, der Männerwelt aller Unterdrückung zum Trotz gegenüber zu treten.

Victoria Mas hat der Lesegemeinde mit ihrem Debütroman „Die Tanzenden“ ein über alle Maßen tolles Buch geschenkt. Sie behandelt ein schweres Thema mit einer Leichtigkeit, die ihresgleichen sucht. Sehr gern lege ich euch die Lektüre ans Herz.

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Veröffentlicht am 04.04.2020

An meinen Erwartungen vorbei

Die Bagage
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Bei der Bagage handelt es sich um die Familie Moosbrugger, die in sehr ärmlichen Verhältnissen hinten am Berg am Ende eines Dorfes in Vorarlberg wohnt. Trotz der Armut läuft es gut zwischen der wunderschönen ...

Bei der Bagage handelt es sich um die Familie Moosbrugger, die in sehr ärmlichen Verhältnissen hinten am Berg am Ende eines Dorfes in Vorarlberg wohnt. Trotz der Armut läuft es gut zwischen der wunderschönen Maria und dem Josef, bis dieser in den Krieg ziehen muss. Während des Krieges kommt Grete, Monika Helfers Mutter, zur Welt. Über die Vaterschaft wird sich im Dorf das Maul zerrissen, die ganze Familie noch mehr als vorher schon ausgegrenzt.

Das Gezeter rund um die Zeugung der Grete ist der Hauptinhalt der Geschichte. Schlimm, was sich ein ganzes Dorf zurechtlegt, nur um Maria in ein schlechtes Licht zu rücken aus Neid auf ihre unvergleichliche Schönheit. Die Frauen im Dorf haben Angst ihre Männer an Maria zu verlieren, die Männer sind sauer, weil sie nicht bei Maria landen können. Grundsätzlich sympathischer war mir die Nebenhandlung, die sich mit den Verhältnissen im Ersten Weltkrieg auseinandersetzt. Auch wenn Maria ihren Kindern nichts Materielles bieten kann und die Familie zeitweise nicht einmal satt wird, hält sie mit ihrer Liebe und Zuneigung alles zusammen.

Die Sprache im Roman wirkt recht schnodderig, vermutlich durch den hohen Anteil an kurzen Sätzen. Das entspricht möglicherweise der Sprache im Ersten Weltkrieg, war mir persönlich aber zu holprig. Zusätzlich erschwert wurde das Lesen durch das Hin- und Herspringen zwischen verschiedenen Zeitebenen auf der einen und zwischen Erlebnissen der Großmutter und eigenen Erlebnissen auf der anderen Seite. Das Ganze ist zwar gut erkennbar durch den Wechsel der Erzählperspektive, dennoch hat es meinen Lesefluss ungünstig unterbrochen. Jedesmal, wenn ich gerade dabei war mich mit Maria anzufreunden, wurde ich wieder von ihr weggerissen.

Letztlich zog somit die Geschichte einfach an mir vorbei, wirklich fesseln konnte sie mich nicht. Das ist sehr schade, da ich mich auf einen sehr gefühlvollen Roman gefreut hatte.

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