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Veröffentlicht am 23.05.2025

Anwältin ermittelt in eigener Sache

Winter's Game
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Ihr Beruf als Rechtsanwältin und Strafverteidigerin scheint der Frankfurter Juristin Carla Winter irgendwie vernachlässigenswert zu sein. In "Winter´s Game" von Lukas Erler ist Aktenstudium weniger gefragt ...

Ihr Beruf als Rechtsanwältin und Strafverteidigerin scheint der Frankfurter Juristin Carla Winter irgendwie vernachlässigenswert zu sein. In "Winter´s Game" von Lukas Erler ist Aktenstudium weniger gefragt als Action und eine gewisse Haudrauf-Mentalität mehr als juristische Analyse. Dass sie an einem Tag gleich zwei Angriffen entgeht - gut, das löst vermutlich bei jedem ein paar fight or flight-Reflexe aus.

In Erlers Buch ist Winter aber jederzeit gerne dabei, Mandantentermine verschieben zu lassen, auch die Arbeit an einem Plädoyer scheint sie eher zu langweilen - beim Lesen fragte ich mich wiederholt, warum der Autor seine Protagonistin zur Anwältin machte. Denn ihren Verstand schaltet sie bei manchen Konfrontationen auch mal aus, beziehungsweise geht Risiken ein, über die sie nicht gerade rational nachgedacht hat. Kennt man von Berufsjuristen normalerweise anders, auch und gerade, wenn Strafprozesse ihr Alltag sind.

Jedenfalls empfinde ich die Protagonistin eher als leichtsinnig und unüberlegt als tough, während sie sich mal mit tschetschenischen Gangs anlegt, mal mit einem Kinderhändlerring. Vieles in "Winter´s Game" ist einfach zu plakativ, zu unglaubwürdig. Klar, ein Kriminalroman ist Fiktion und ein Autor hat dichterische Freiheit. Aber wenn die Figuren eines Buches eher an Actionfilm erinnern als an Menschen aus dem richtigen Leben, trübt das zumindest für mich das Lesevergnügen. Schade, denn das Buch spricht durchaus einige Themen an, die eine etwas subtilere Herangehensweise vertragen hätten.

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Veröffentlicht am 22.05.2025

Tödliches Paradies

The Island - Auf der Flucht
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Krimis/Thriller an schönen und exotischen Schauplätzen scheinen gerade im Trend zu liegen. Vorzugsweise mit einem Schauplatz auf einer Insel, die bei Sturm dramaturgisch-praktisch von der Außenwelt abgeschlossen ...

Krimis/Thriller an schönen und exotischen Schauplätzen scheinen gerade im Trend zu liegen. Vorzugsweise mit einem Schauplatz auf einer Insel, die bei Sturm dramaturgisch-praktisch von der Außenwelt abgeschlossen sein kann. Locked room mystery mit Strand eben. Auch "The Island - Auf der Flucht" von Nicola Martin reiht sich in dieses Genre ein. Protagonistin ist Hospitality-Spezialistin Lola, die als Ich-Erzählerin durch die Handlung führt.

Lola hat in einem Hotel in Hongkong gearbeitet, doch nun muss sie die Stadt fluchtartig verlassen. Wie gut, dass Hotelkollegen international vernetzt sind. Und wie gut, dass ihr früherer Kollege Moxham einen passenden Job zu vergeben hat in einem Luxusresort auf der privaten Insel des Milliardärs Kip. Lola denkt nicht lange nach, den Luxus kann sie sich nicht leisten. Mit reichlich Jet lag findet sie sich an einem Traumstrand wieder. Doch das Paradies hat Tücken.

Da ist zum einen das Gästeklientel - superreich, superprivilegiert, super anstrengend. Menschen, die sich alles leisten können, fallen nicht unbedingt durch Empathie und Verständnis auf - wir kennen das von Trump und seinen Milliardärs-Freunden. Zwar ist die erfahrene Lola an anstrengende und anspruchsvolle Gäste gewöhnt, aber nicht jeder ist so hart im Nehmen, und so muss sie immer wieder ihre neuen Mitarbeiter, allen voran die dünnhäutige und nicht besonders leistungsfreudige part time-Influencerin Tessa, vor manchem Nervenzusammenbruch bewahren und gleichzeitig den Laden am Laufen halten.

Das ist umso schwerer, als Moxham, schon immer ein eher windiger Geselle, sein eigenes Süppchen unter den Schönen und Reichen zu kochen scheint, bei dem nur wenig legal sein dürfte. Noch ehe ein klärendes Gespräch möglich ist, ist Moxham tot - angeblich ein Unfall. Doch Lola kommen immer mehr Zweifel, vor allem, als sie mehr zu Moxhams Machenschaften herausfindet. Inselbesitzer Kip wischt alle Einwände beiseite - bis hin zur Vertuschung? Überhaupt scheint der alte Mann so manches Geheimnis zu haben. Lola fragt sich, ob der Tod seiner Frau vor einigen Jahren ein Unfall, Selbstmord oder gar ein Mord war. Doch alle anderen auf der Insel, vom Chef bis zu den Kollegen, halten an Verharmlosung, womöglich Vertuschung fest. Lola aber will nicht aufgeben....

"The Island" zeigt das Oben und Unten im Luxusressort - hier die Villen mit Designer-Einrichtung und Stil, da die Mehrbettzimmer der Angestellten, die stets ein strahlendes Lächeln zu zeigen haben. Geheimnisse könnte es hier wie dort geben. Auf ihrer Suche nach der Wahrheit muss sich Lola fragen, ob sie mehr riskiert als nur die eigene Karriere.

"The Island" bedient ein paar Klischees, ist aber eingängig zu lesen und bietet mit einer karibischen Insel eine traumhafte Kulisse - auch wenn der Aufenthalt für Lola zunehmend zum Alptraum wird. Die Autorin liefert den Leser*innen reichlich mögliche Verdächtige und manchen "red herring". Sowohl als Strand- und Pool-Lektüre wie auch zum Schüren von Fernweh geeignet.

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Veröffentlicht am 22.05.2025

SAchlicher und analytischer Blick auf den Nahostkonflikt

Der 7. Oktober und der Krieg in Gaza
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Wenn über den Gaza-Krieg diskutiert wird, verlaufen die Gesprächslinien zunehmend emotional, verhärtet und konfrontativ. Da tut es immer gut, wenn ein sachlicher Ton die Hitze aus der Debatte nimmt und ...

Wenn über den Gaza-Krieg diskutiert wird, verlaufen die Gesprächslinien zunehmend emotional, verhärtet und konfrontativ. Da tut es immer gut, wenn ein sachlicher Ton die Hitze aus der Debatte nimmt und zum Nachdenken anregt. "Der 7. Oktober und der Krieg in Gaza" von Muriel Asseburg ist so ein Beitrag zur Debatte - einordnend, erklärend, den historischen und politischen Hintergrund aufzeigend wie auch die jeweilige internationale Vernetzung der Konfliktparteien und die interessierten Seiten, die den Krieg als proxy für eigene Ziele nutzen.

Die Autorin ist Politikwissenschaftlerin, arbeitet und forscht bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, zu ihren Arbeitsschwerpunkten gehört der Nahe Osten. Da liegt es nahe, nicht einfach die Parolen der einen oder anderen Seite nachzubeten, sondern einen kühlen und sachlichen Blick auf den Konflikt und die Region. Asseburg erklärt Hintergründe, ordnet ein, zeigt bei aller Analyse auch Empathie für die Menschen auf beiden Seiten des Konflikts.

Schon im Vorwort wünscht sie sich, dass ihre Einschätzung der Lage falsch ist und es einen optimistischen Ausblick geben kann. Doch zugleich ist sie realistisch genug, dass so wohl die Brutalität beim Terrorangriff am 7. Oktober wie auch das anhaltende Leid der Zivilbevölkerung in Gaza tiefe Wunden gerissen hat und die Menschen mehrheitlich den Blick auf das eigene Leid werfen und das der anderen Seite übersehen oder ignorieren. "Der Weg aus der Gewalt wird zusätzlich dadurch erschwert, dass sowohl die israelische als auch die palästinensische Gesellschaft schwer traumatisiert sind", schreibt sie etwa. "Die kollektiven Traumata der Shoa und der Nakba verstärken die aktuellen Leiderfahrungen und lassen kaum Raum für Empathie mit der anderen Seite. ... In dieser Situation steht nicht die Suche nach Friedensregelungen im Vordergrund, sondern es dominieren die Sprache der Gewalt und der Entmenschlichung sowie der Ruf nach Vergeltung... Es ist zu befürchten, dass die Leiderfahrungen über Generationen nachwirken und zu einer weiteren Verstärkung des Nullsummendenkens statt zu Kompromissbereitschaft führen."

Für alle, die jenseits des aktuellen Konflikts an Hintergründen interessiert sind, skizziert die Autorin sowohl die Geschichte der Hamas und ihrer wichtigsten Protagonisten wie auch den Konflikt mit der palästinensischen Autonomiebehörde. Auch die übrigen staatlichen wie nichtstaatlichen Player - Iran, Syrien, Libanon einerseits, Hisbollah und Huthi-Milizen andererseits werden in den allgemeinen Kontext einbezogen. Ein Buch zur Zeit, für alle, die an einer sachlichen Debatte interessiert sind und mehr über die nahöstliche Thematik erfahren wollen.

Veröffentlicht am 21.05.2025

Ein Mädchen verschwindet

Moonlight Mile
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Der neue Fall des Bostoner Privatdetektivs Patrick Kenzie ist zugleich einer, der ihn und seine Ehefrau Angela Gennaro in die Vergangenheit führt: Vor Jahren haben sie ein entführtes vierjähriges Mädchen ...

Der neue Fall des Bostoner Privatdetektivs Patrick Kenzie ist zugleich einer, der ihn und seine Ehefrau Angela Gennaro in die Vergangenheit führt: Vor Jahren haben sie ein entführtes vierjähriges Mädchen nach monatelanger Suche wiedergefunden und zu seiner Mutter zurückgebracht. Nun ist das Mädchen wieder verschwunden, wie ihre Tante berichtet - im Gegensatz zu der drogen- und alkoholkranken Mutter, die so tut, als sei alles in Ordnung. Amanda, das entführte Mädchen von einst, ist inzwischen 16 Jahre alt, und je mehr Kenzie über ihr Leben herausfindet, desto mehr wachsen die Zweifel, ob er sich vor zwölf Jahren richtig entschieden hat. Mit "Moonlight Mile" hat Dennis Lehane abermals einen düsteren, stellenweise brutalen, aber immer spannenden Boston Noir-Krimi geschrieben.

Denn Amandas Mutter kann noch nicht einmal für sich selbst richtig sorgen, bei der Wahl ihrer Lebensgefährten hat sie zuverlässig ein schlechtes Händchen. Der aktuelle Lebensgefährte ist vorbestraft wegen Vergewaltigung einer Minderjährigen. Das sind alles andere als gute Verhältnisse, in denen Amanda aufwächst. Trotz dieser Umstände scheint sich Amanda zu einem äußerst zielstrebigen Teenager entwickelt zu haben - sie hat bereits mit zehn Jahren dafür gesorgt, mit einem Stipendium auf eine Eliteschule gehen zu können erzielt Bestnoten und hat gute Chancen, in Harvard oder Yale zugelassen zu werden. Gleichzeitig scheint sie sich bestens mit Identitätsdiebstahl auszukennen.

Dass auch Amandas einzige Freundin verschwunden ist, kann da doch kein Zufall sein? Doch während Patrick versucht, Hinweise auf Amanda zu finden, merkt er schnell, dass er mit seiner Suche in ein Wespennest gestochen hat. Russische Gangster bedrohen ihn und seine Familie und haben selbst größtes Interesse an Amanda. Wird er das Mädchen finden, ehe es zu spät ist - und welchen Preis muss er für seine Suche zahlen?

Zusammen mit Patrick lässt Lehane seine Leser*innen rätseln, wer hier die Fäden zusammenzieht, was hinter Amandas Verschwinden steckt und ob es angesichts zunehmender Eskalation noch einen heilen Ausweg gibt. Vor allem Amanda gibt Rätsel auf - das Mädchen ist hochintelligent, wirkt aber emotional überhaupt nicht fassbar. Welche Rolle sie spielt und was ihre eigentlichen Ziele sind, erschließt sich erst in einem dramatischen Finale.

Dass es sich bei "Moonlight Mile" bereits um den sechsten Band über Kenzie/Gennaro handelt, war mir vorher nicht klar. Das Lesevergnügen wird aber nicht gemindert, wenn man wie ich die vorangegangenen Bände nicht kennt. Zugleich wirft Lehane einen scharfen Blick auf die amerikanische Gegenwart, corporate money und die Ungleichbehandlung von Arm und Reich. Auch mit diesem Buch überzeugt der Autor von "Mystic River".

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Veröffentlicht am 15.05.2025

Das Schicksal steht in den Sternen - oder doch nicht?

Stars
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Von Hegel, Kant oder Schopenhauer hat sich Carla Mittmann seit ihrem Philosophiestudium weit entfernt. Statt akademischer Weihen und Kritik der reinen Vernunft bestimmt die Abwicklung von Möbelbestellungen ...

Von Hegel, Kant oder Schopenhauer hat sich Carla Mittmann seit ihrem Philosophiestudium weit entfernt. Statt akademischer Weihen und Kritik der reinen Vernunft bestimmt die Abwicklung von Möbelbestellungen für Behörden ihr Dasein. Akademisches Prekariat eben, Leserinnen mit einem geisteswissenschaftlichem Abschluss werden bei der Lektüre von Katja Kullmanns Roman "Stars" wissend nicken, jedenfalls wenn ihr Studium ebenfalls in eine Zeit viel, in der auf dem Arbeitsmarkt nicht verzweifelt nach jungen Menschen gesucht wurde.

Die Horoskop-Webseite, die Carla betreibt, ist ein Überbleibsel eines Studienprojekts, eine on-off-Sache und kleiner Nebenverdienst. Sie hat sich eingerichtet in einem Alltag, der ausgesprochen unspektakulär ist. Für ihren Job ist sie überqualifiziert, aber immerhin, die Kolleginnen sind nett. Und den rechten Schwung für Veränderungen hat sie eh nicht, bis es zu einem nächtlichen Zwischenfall vor ihrer Zweizimmerwohnung in bescheidener Nachbarschaft kommt: Ein Stein fliegt durch ihr Schlafzimmerfenster, auf den Bürgersteig wurde die Botschaft "Freiheit für Carla Mittmann" gesprüht und vor ihrer Wohnungstür ist ein Karton mit 10.000 Dollar.

Carla weiß nicht, was sie davon halten soll, doch sie beschließt, etwas an ihrem Leben zu ändern. Sie sorgt für ein neues Branding ihrer Horoskopseite, präsentiert sich als Astrophilosophin mit internationaler Erfahrung, kündigt den Job im Möbelhaus. Und siehe da: Mit einer gut vernetzten High Society-Klientin nimmt ihr Astro-Service Fahrt auf. Clara erzielt Einnahmen, von denen sie nicht zu träumen gewagt hätte. Per aspera ad astra, gewissermaßen. Fernsehsendungen, Zeitschriftenartikel und ein wachsender Kundenkreis - und mittendrin Clara zwischen Selbstzweifeln und neuen Überzeugungen. Ist sie eigentlich ein Art Hochstaplerin, oder haben die Sterne ihr tatsächlich etwas zu sagen? Ist ihr das Schicksal samt vergleichsweise spätem Erfolg durch die Sterne vorbestimmt gewesen?

Kullmann erzählt locker und folgt dem Aufstieg ihrer Protagonistin, die als Ich-Erzählerin durch das Geschehen führt, mit Humor und einem Schuss Ironie. Die Pointe am Schluss sorgt dann noch einmal für einen gelungenen Abschlusspunkt.

Für Leser
innen, die Katja Kullmanns Sachbücher kennen, ist "Stars" sicherlich überraschend und ganz anders als ihre Bücher über Feminismus, Frauenrollen und Gesellschaft. Die Unterhaltung ist aber auch hier mit klugen Beobachtungen gewürzt.

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