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Veröffentlicht am 14.01.2025

Doppelmörderin oder Justizopfer?

Schuld
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Eigentlich ist Harinder Singh von der norwegischen Polizei noch krankgeschrieben, um eine Schussverletzung auszukurieren. Und er hat auch gar keine Lust, wieder einmal bei seinem Vorgesetzten anzuecken, ...

Eigentlich ist Harinder Singh von der norwegischen Polizei noch krankgeschrieben, um eine Schussverletzung auszukurieren. Und er hat auch gar keine Lust, wieder einmal bei seinem Vorgesetzten anzuecken, indem er sich einen 20 Jahre alten Fall vornimmt, in dem dieser einst ermittelt hat. Der Mann ist schließlich für seine Gründlichkeit bekannt, und die Strafverteidigerin, die Singh bittet, sich die alten Akten noch einmal anzusehen, steht schließlich auf der "anderen Seite". Doch ganz kann Singh in "Schuld" von Sven Peter Naess seine Neugier dann doch nicht bezähmen - und stößt prompt auf eine Auffälligkeit, die ihn an der Schuld der wegen Doppelmordes verurteilten Helene zweifeln lässt.

Helene hat ihr halbes Leben im Gefängnis verbracht, ist nun vorzeitig entlassen worden und in ihren alten Heimatort zurückgekehrt, in dem auch Singh aufgewachsen ist. Beide gingen sogar auf dieselbe Schule, hatten aber nicht viel miteinander zu tun. Helene war schon als Teenager schwierig, hatte Probleme mit Alkohol und Drogen. Als Sängerin einer Metal Band träumte sie von Ruhm, doch auf dem Rückweg von einem Konzert soll sie Mutter und Stiefvater ermordet haben.

Helene wird nicht gerade mit offenen Armen aufgenommen. Sie erhält anonyme Drohungen, der Bruder des Stiefvaters reagiert empört auf die Bemühungen um eine Wiederaufnahme des Verfahrens. Und dann wird auch noch Helenes Vater tot aufgefunden, kurz nachdem sie öffentlich erklärt hatte, er verdiene den Tod. Auch bei der Polizei ist so mancher überzeugt, man müsse gar nicht nach weiteren Verdächtigen Ausschau halten. Singh allerdings erweist sich einmal mehr als hartnäckig und gründlich, und auch seine Kollegin, die offiziell die Ermittlungen leitet, will zum Verdruss einiger Ermittler sich nicht auf eine Verdächtige festlegen, sondern in alle Richtungen ermitteln.

Parallel zu dieser Haupthandlung erfahren die Leser, dass ein Unbekannter die Schritte Singhs und der Anwältin verfolgt, ihre Wohnungen verwanzt und Mobilgeräte manipuliert. Was es damit auf sich hat und wer hinter der Überwachung steckt, wird erst sehr spät im Buch geklärt und heizt die Spannung noch an - zumal die Leser*innen so über weite Strecken mehr wissen als die Polizei.

Auch wenn es am Ende ziemlich dramatisch wird, erzählt Naess vor allem ruhig und zurückgenommen. Wie in seinem vorangegangenen Buch "Furcht" ist Singh ein gründlicher, aufmerksamer Polizist, dessen Privatleben ebenfalls eine Rolle in dem Roman spielt. Dabei streut er zwischendurch immer wieder Hinweise, die eigentlich schon frühzeitig den Ausgang zumindest teilweise ahnen lassen. Eine Überraschung hält Naess dennoch parat.

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Veröffentlicht am 14.01.2025

Tödlicher Schnitt

Wehe, du irrst dich
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Mit "Wehe, du irrst dich" hat Susanne Mischke ihren 14. Hannover Krimi geschrieben. Ich kannte die Reihe um den Kommissar Bodo Völxen und sein Team bisher nicht und fragte mich daher, ob ich denn in eine ...

Mit "Wehe, du irrst dich" hat Susanne Mischke ihren 14. Hannover Krimi geschrieben. Ich kannte die Reihe um den Kommissar Bodo Völxen und sein Team bisher nicht und fragte mich daher, ob ich denn in eine so weit fortgeschrittene Reihe einsteigen kann. Aber jeder Band ist offenbar in sich abgeschlossen und in das Zusammenspiel der Protagonisten kommt man schnell rein.

Für eine wie mich, die die Schulzeit in Hannover verbracht hat, war es ein bißchen Deja vu - zum einen kannte ich die Orte der Handlung, zum anderen - schon der Name Bodo Völxen ist so ur-niedersächsisch und auch der ganze Typ mit seinen festgefügten Ansichten, dem Unbehagen vor zu viel Nähe, als der junge ostfriesische Kollege sein Tiny house ausgerechnet beim Grundstücksnachbarn aufschlägt. Sturmfest und erdverwachsen, wie es im Niedersachsenlied heißt.

Der spröde Charme des Nordens, an den man sich als Zugereister insbesondere weiter aus dem Süden erst mal gewöhnen muss, schlägt beim Lesen aus den Buchseiten entgegen. Wobei das Setting des eigentlichen Falls in einem Barbershop zwischen Altstadt, Landtag und Rotlicht auch im Frankfurter Bahnhofsviertel nicht fremd wirken würde. Nur dass dann eben Bankentürme statt Landtag in der unmittelbaren Nachbarschaft zu finden sind....

Völxen und sein Team müssen den Fall der ermordeten Barbiers Moussa aufklären, dem mit dem eigenen Rasiermesser die Halsschlagader durchtrennt wurde. Völxens Mitarbeiter Erwin Raukel fühlt sich persönlichg betroffen, er war nämlich Stammgast in dem Barbershop.

Je mehr die Ermittler sich das private und berufliche Leben des Mordopfers ansehen, desto mehr Anhaltspunkte in viele Richtungen finden sie: Die Witwe wirkt irgendwie nicht allzu traurig, ihre Eltern konnten den Schwiegersohn aus Neukölln nie besonders leiden, dessen Angehörige wiederum nahmen ihm den Umzug nach Hannover übel. Im Hinterzimmer treibt eine zwielichtige afrikanische Hellseherin merkwürdige Machenschaften, die zudem Verbindungen zu Zwangsprostitution westafrikanischer Frauen zu haben scheint.

Mit niedersächsisch-trockenem Humor und ironischer Distanz führt Mischke ihre Ermittler durch den Fall, in dem auch einiges aufgeklärt wird, was mit dem eigentlichen Mordfall gar nicht zu tun hat. Auch einige Vorurteile und Stereotypen werden gegen den Strich gerubbelt. Wer Hannover kennt, wird viele vertraute Orte finden. Für mich ist nach dem Lesen dieses soliden Polizeikrimis mit lebensnahen Figuren jedenfalls klar, dass ich mich nun nach den Vorgängerbänden umsehen will.

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Veröffentlicht am 12.01.2025

Ufo Gunnar und das Geheimnis ewigen Lebens

Eisiges Glas
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Es ist gewissermaßen ein nahtloser Übergang, den Anders de la Motte in seinem Polizeithriller "Eisiges Glas" vollzieht. Der Prolog ist zugleich der Abschluss des Vorgängerromans "Stille Falle" um die ...

Es ist gewissermaßen ein nahtloser Übergang, den Anders de la Motte in seinem Polizeithriller "Eisiges Glas" vollzieht. Der Prolog ist zugleich der Abschluss des Vorgängerromans "Stille Falle" um die bei einem Prepper aufgewachsene Polizistin Leonore Asker und ihren nerdigen Jugendfreund und urban Explorer Martin Hill. Der vorangegangene Fall um einen Serienmörder hat beide an Grenzen geführt - und in "Eisiges Eis" haben die ungleichen Freunde keine Zeit, wirklich zu entspannen.

Dabei dachte Martin, der Auftrag, eine Biographie des Unternehmers Gunnar zu schreiben, sei ein harmloser Zeitvertreib, während er seine Schussverletzung vom vorangegangenen Fall auskuriert. Denn "UFO-Gunnar" ist eine schillernde Figur - vor Jahren berichtete er über seine Erfindungen im medizintechnischen Bereich, sie seien ihm von Außerirdischen mitgeteilt worden. Zudem gehört zu dem Anwesen des Unternehmers eine Insel mit einem verlassenen Observatorium, das Martin nur allzu gern erkunden möchte.

Leo Asker dagegen ahnte, dass es Stress gibt, als sie nach fast 20 Jahren Funkstille einen Anruf ihres Vaters erhält. Prepper Per, der sie als Kind einem militärischen Drill unterwarf und versuchte, sie zu töten, als sie als 16-jährige ein selbstbestimmtes Leben führen wollte. Nun braucht er sie - denn in der Nähe seiner Farm ist eine Leiche gefunden worden. Per ist klar, dass er unter Mordverdacht geraten dürfte - und Leo weiß, das ein Versuch, ihren Vater auf seinem untertunnelten Grundstück voller Waffen und Sprengstoff festzunehmen, in einem Blutbad enden dürfte.

Der Ermittlungsleiter in dem Mordfall gibt Leo klar zu verstehen, dass sie sich raushalten soll. Klar, dass die eigensinnige Polizistin gar nicht daran denkt. Doch diesmal muss sie nicht im Alleingang vorgehen - als Leiterin der Abteilung für besondere Vorfälle und verlorene Seelen hat sie ein Team von Exzentrikern, die sie zwar zunächst für Versager gehalten hat, die aber durchaus Qualitäten haben.

"Eisiges Glas" ist nicht der übliche Krimi, sondern spielt mit Horrorelementen und dem düsteren Setting eines Lost Place, mit disfunktionalen Familien, Wissenschaftlern ohne Gewissen und Geheinnissen, die um jeden Preis gewahrt werden sollen. Erneut gibt es verschiedene Erzählperspektiven - Leo, Martin und den geheimnisvollen "gläsernen Mann", der ähnlich wie der Troll im ersten Band zum Mörder wurde und eine versteckte Existenz führt. Zusammengeführt werden diese Erzählfäden erst am Schluss. Bis dabei auch die letzten Geheimnisse gelüftet werden, herrschen Spannung und Paranoia. Die Fortsetzung hält, was der erste Band versprochen hat.

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Veröffentlicht am 11.01.2025

Kalle Blomquist auf der Wartburg

Mord auf Hohenhaus
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Wer die Regionalkrimi-Persiflagen von Gerhard Henschel kennt, weiß: Dieser Autor neigt zu lustvoller Überfrachtung sämtlicher Klischees und munterem Genremix. Das gilt auch für sein neues Buch "Mord auf ...

Wer die Regionalkrimi-Persiflagen von Gerhard Henschel kennt, weiß: Dieser Autor neigt zu lustvoller Überfrachtung sämtlicher Klischees und munterem Genremix. Das gilt auch für sein neues Buch "Mord auf Hohenhaus", angesiedelt zwischen Nordhessen und Thüringen in einem für seine edle Speisekarte bekanntem Hotel.

Dass hier sowohl die Dylanologen als auch die Anhänger des Schriftstellers Arno Schmidt tagen, macht die Anreise für den Berliner Rechtsanwalt Michael Ritz, gewissermaßen 60-jähriger Superheld und Universalexperte, gleich dreifach lohnend. Hier trifft er auf so illustre Mitstreiter wie einen amerikanischen Rechtsgelehrten, eine polyglotte britisch-deutsche Ex-Polizistin samt 60 Kilo-Schwergewicht von Rottweiler, den 90 Jahre alten ehemaligen Auslandskorrespondenten Kalle Blomquist und dessen Ehefrau Eva Lotta.

Zwischen regionalen Spezialitäten und Fachsimpeleien über Dylan-Songs und Schmidt-Erzählungen muss die Gruppe auch noch ermitteln: Gleich zwei Teilnehmer der Konferenz sterben unter verdächtigen Umständen, eine junge Frau aus einem nahen Ort wird von zwei angeblichen Polizisten entführt und endet fast als Hexe auf dem Scheiterhaufen.

Ein Hauch von Dan Brown weht durch das nördliche Hessen, als sich die rüstigen Ermittler mit Tandem und Picknickkorb auf die Suche nach den Unbekannten machen, die nicht nur die Inquisition wieder aufleben lassen wollen, sondern offenbar auch Spuren Luthers tilgen wollen.

Klingt überzeichnet? Ist es auch, macht aber Spaß zu lesen. Blödeleien lassen sich auch mit allerlei literarischen und musikalischen Anspielungen schmücken.

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Veröffentlicht am 06.01.2025

Große Liebe ohne Perspektiven

Wir sehen uns am Meer
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Es ist für beide eine ganz große Liebe - aber eine Liebe mit Verfallsdatum und ohne Perspektiven: Die israelische Literaturwissenschaftlerin und Übersetzerin Liat ist mit einem Stipendium ein halbes Jahr ...

Es ist für beide eine ganz große Liebe - aber eine Liebe mit Verfallsdatum und ohne Perspektiven: Die israelische Literaturwissenschaftlerin und Übersetzerin Liat ist mit einem Stipendium ein halbes Jahr in New York. Hier lernt sie über einen gemeinsamen Bekannten den Maler Chilmi kennen, der schon seit ein paar Jahren in der Stadt lebt.

Die beiden verlieben sich Hals über Kopf und voller Leidenschaft. Dabei wissen sie, ihre Beziehung ist auf den Zeitrahmen von Liats Visum beschränkt. Denn Chilmi ist Palästinenser aus Ramallah. Angesichts der politischen Verhältnisse in der Heimat des Paares, angesichts Besatzun, Siedlungsbau und Intifada hat die Beziehung keine Chance, in Israel zu überleben, auch wenn Chilmi, etwas romantischer und vielleicht auch realitätsferner als Liat, diese Möglichkeit in Gesprächen manchmal in den Raum stellt. Der Besuch von Chilmis in Berlin lebendem Bruder öffnet aber auch ihm die Augen über den Widerstand, auf den die Beziehung selbst in der eigenen Familie stößt.

Dorit Rabinyans Roman "Wir sehen uns am Meer" ist bereits 2016 erschienen und aktueller denn je. Denn Menschen verlieben sich, wenn sie die Chance haben, einander ohne den Ballast von Geschichte und Politik zu begegnen, auch über Grenzen hinweg, die sie zu einem modernen Romeo und Julia-Paar werden lässt. Und heute wäre diese israelisch-palästinensische Liebesgeschichte angesichts der Kluft, die der Hamas-Angriff vom 7. Oktober und der Gaza-Krieg weiter aufgerissen haben, vermutlich noch viel, viel schwieriger.

Rabinyan erzählt vor allem aus der Sicht Liats, die zwischen Herz und Verstand hin- und hergerissen ist, die darunter leidet, ihre Gefühle vor der eigenen Familie, vor jüdischen Freunden in New York, geheimhalten zu müssen und stets in der Angst vor einem Ende des Versteckspiels lebt. Israel ist schließlich klein, und zahlreiche Israelis haben Freunde oder Angehörige in der jüdischen Diaspora in New York. Da ist die Gefahr, einem Bekannten über den Weg zu laufen, auch in einer Millionenstadt nicht unerheblich.

Die Politik spielt in den Gesprächen des Paares nur eine Nebenrolle - unterschiedliche Erfahrungen sind zwar durchaus ein Thema, aber Liat und Chilmi suchen das Verbindende. Ein emotionales Buch, das seinen Protagonisten mit Wärme und Sensibilität folgt, Probleme nicht verschweigt, aber dennoch Ausdruck einer Hoffnung ist, dass eine Liebe wie die von Liat und Chilmi eines Tages nicht von vornherein chancenlos ist.

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