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Veröffentlicht am 05.11.2024

Ermtitlungen auf hoher See

Kein Land in Sicht
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Als Sarah Peters verkatert und mit massivem Filmriss - sie kann sich zunächst nicht einmal an ihren Namen erinnern - in einer Kajüte auf hoher See aufwacht, ist ihr schnell klar, dass das nicht so recht ...

Als Sarah Peters verkatert und mit massivem Filmriss - sie kann sich zunächst nicht einmal an ihren Namen erinnern - in einer Kajüte auf hoher See aufwacht, ist ihr schnell klar, dass das nicht so recht ihr Tag ist. Während langsam die Erinnerung wiederkommt, dass sie als Kriminalkommissarin im Undercover-Einsatz unterwegs ist, lauert auch bald die nächste Erkenntnis - richtig seefest ist sie nicht, Panikattacken kommen auf, aber sie muss dennoch lächeln und gute Laune verbreiten, denn sie ist offiziell als Animateurin an Bord. Doch wo ist eigentlich ihr Kollege? und hat der Filmriss etwas mit den Ermittlungen gegen einen Schleuser zu tun, der mit Menschen- und Organhandel zu tun hat?

So weit der Start von "Kein Land in Sicht" von Christina Pertl. Das Buch soll zugleich Beginn einer Reihe sein. Cover und Klappentext haben mich neugierig gemacht, das Setting einer Kreuzfahrt fand ich interessant, gewissermaßen locked room setting auf dem Mittelmeer. Das Thema Menschenhandel ist ebenfalls aktuell und versprach spannende Lektüre.

Allerdings hat das Buch trotz des viel versprechenden Ansatzes einige ausgesprochene Schwächen. Zum einen hält es die Autorin in vielen Teilen sehr melodramatisch, für meinen Geschmack too much, zum anderen lassen ihre Figuren Tiefe vermissen. Wer der Schurke an Bord ist, war ziemlich früh klar, insofern wenig Überraschungen. Einiges war schlichtweg unglaubwürdig, wenn auch dem dramaturgischen Faden geschuldet. Da wird denn mal eben, um dem gehijackten Polizisten einen Dialogpartner zu geben, ein deutschsprachiges eritreisches Flüchtlingskind in die Handlung eingefügt. Ja klar, sicher doch.

Mein Fazit: Kann man sicher mal schnell lesen, aber leider trotz interessantem Ansatz nicht voll überzeugend.

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Veröffentlicht am 04.11.2024

Frau ohne Erinnerung

Kanadische Jagd
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Mit seinem Detective John Cardinal in der kanadischen Algonquin Bay hat Giles Blunt einen interessanten Protagonisten geschaffen: Ein Kleinstadtpolizist in der kanadischen Provinz, der sich mit vergangener ...

Mit seinem Detective John Cardinal in der kanadischen Algonquin Bay hat Giles Blunt einen interessanten Protagonisten geschaffen: Ein Kleinstadtpolizist in der kanadischen Provinz, der sich mit vergangener Schuld und der Sorge um seine bipolare Frau herumschlägt. Da kann das Privatleben schon mal gewaltig von der Arbeit ablenken. Spielte der letzte Fall von Cardinal und seiner frankokanadischen Kollegin Lise Delorme im eisigen Winter, ist nun Frühling an der Algonquin Bay - mit dazugehöriger Mückenplage. Wie schon in den vorangegangenen Bänden sorgt Blunt mit Landschafts- und Naturbeschreibungen dafür, dass auch die ferne Szenerie an den Großen Seen ihre Rolle im Buch spielt.

Cardinal und Delorme haben in "Kanadische Jagd" mit einem Verbrechensopfer zu tun, das zwar lebt, aber als Augenzeugin vorerst nicht zu gebrauchen ist: Die junge Frau, die mit einer Kugel im Kopf gefunden wurde, hat keine Erinnerung daran, wer sie ist und warum jemand sie umbringen wollte. Als obendrein eine Leiche auftaucht, ist diese in einem ausgesprochen üblen Zustand. Sadistischer Täter oder Ritualmord? Und wer ist der selbsternannte Schamane, der den Menschen in Algonquin Bay einerseits Karten legt, um das Schicksal zu erkunden, sich aber auch in den Drogenhandel einmischt und einen Konflikt mit der örtlichen Motorradgang heraufbeschwört?

Lange tappen Cardinal und Delorme im Dunkeln, denn auch als ihr Schützling das Gedächtnis allmählich zurückerlangt, verrät die junge Frau nicht alle ihre Geheimnisse. Schnell zeigt sich, dass blutsaugende Mücken nicht das einzige Problem dieses Frühjahrs sind - und obendrein scheint Cardinals Frau auf den nächsten manisch-depressiven Schub zuzusteuern, ausgerechnet auf einer Exkursion mit ihren Studenten in Toronto...

Blunt überzeugt mit einem sympathischen und menschlich glaubwürdigen Protagonisten, gerade weil der kein perfekter Mensch ist. Auch die übrigen Mitarbeiter seines Teams sind realistisch gezeichnet. Der Autor verrät den Leser*innen etwas mehr, als er zunächst seinen Ermittlern zugesteht, was die Spannung keineswegs trübt.

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Veröffentlicht am 27.10.2024

Verlust und Ankommen als Coming of Age Story

Kein Ort für ein Zuhause
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In JJ Bolas "Kein Ort für ein Zuhause" steckt vermutlich ein ganzes Stück Autobiographie: Wie sein Protagonist Jean wurde er in Kinshasa geboren und wuchs in London auf. Der Originaltitel "No place to ...

In JJ Bolas "Kein Ort für ein Zuhause" steckt vermutlich ein ganzes Stück Autobiographie: Wie sein Protagonist Jean wurde er in Kinshasa geboren und wuchs in London auf. Der Originaltitel "No place to call home" drückt noch deutlicher die Verlorenheit der Familie aus, die versucht, sich mit unsicherem Rechtsstatus ein Zuhause aufzubauen und eine Identität in der Fremde zu finden.

Bola erzählt einerseits die Coming of Age Geschichte des 16-jährigen Jean, andererseits aber auch die Geschichte von dessen Eltern, die für das Band zur alten Heimat und der Verhältnisse dort stehen. Jean und seine jüngere Schwester Marie stehen für die Hoffnung auf eine bessere Zukunft: Der Vater, der in Belgien Medizin studierte, arbeitet zwei Jobs als Sicherheitsmann und Reinigungskraft, die Mutter, die einst ein gehobenes Lyzeum in Kinshasa besuchte, als Hilfskraft in der Cafeteria von Maries Schule. Die Kinder sollen lernen, Leistung zeigen, erfolgreich sein, sie sollen es schaffen im neuen Land.

Diesen Druck spüren viele Kinder aus Einwandererfamilien, die erst noch ankommen. Erst spät erfahren Jean und Marie, dass die Eltern nicht einfach nur Einwanderer sind. Sie sind Flüchtlinge, haben keine Pässe, leben in ständiger Angst vor Ausweisung und sind daher geradezu überangepasst vor Angst, (negativ) aufzufallen.

Einen genauen Hintergrund gibt Bola nicht, aber ich vermute, die Geschichte spielt während der Mobutu-Herrschaft, als die Demokratische Republik Kongo den Namen Zaire trug. Die Andeutungen von Plünderungen und Gewalt auf den Straßen, von den Zuständen in den Gefängnissen, von sexueller Gewalt sind in dem Land ja leider nicht auf eine Ära beschränkt.

Insofern steht die Familiengeschichte zugleich für die große Geschichte von Verlust und Ankommen, von der kleinen Heimat in der Diaspora, in diesem Fall eine kongolesische Kirchengemeinde. Während die Eltern die enge Verbindung zur alten Heimat spüren, erlebt Jean das Schweben zwischen zwei Welten - an der Schule hat er das Gefühl, sich als afrikanischer Junge doppelt beweisen zu müssen und besonders gesehen zu werden. Während seine Schwester und er vor allem für die Mutter aus dem Englischen übersetzen, schwindet seine Muttersprache Lingala immer mehr aus seinem Bewusstsein.

Bola schreibt ohne Sentimentalität oder übertriebene Gefühligkeit, vieles ist tragikomisch, überwiegend aus der Sicht Jeans geschildert, der die meiste Zeit vor allem ein ganz normaler Teenager sein möchte. Der Epilog bringt am deutlichsten zur Sprache, was die Existenz von Flüchtlingen von anderen Migranten und jenen unterscheidet, die nie ihr Zuhause unfreiwillig verlassen mussten: "Wenn du Glück hast, wird Zuhause für dich nie etwas sein, woran dich die Tränen deiner Mutter oder die vor Wut bebende Stimme deines Vaters erinnern.... Zuhause sollte dich niemals brechen, so dass du nie vollständig bist, wohin du auch gehst, eine Hälfte immer dort, wo du sie zurückgelassen hast, und die andere nicht willkommen, wohin du auch gehst. Du bist ein gespaltenes Pendel, beide Hälften in der Luft."

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Veröffentlicht am 24.10.2024

Gold, Geld und Rache am Kap

Die Stunde des Löwen
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Bennie Griessel hat sich einen denkbar schlechten Termin zum Heiraten ausgesucht. Denn als ob der südafrikanische Polizist nicht schon genug mit der Nervosität, der Angst vor einem Alkohol-Rückfall und ...

Bennie Griessel hat sich einen denkbar schlechten Termin zum Heiraten ausgesucht. Denn als ob der südafrikanische Polizist nicht schon genug mit der Nervosität, der Angst vor einem Alkohol-Rückfall und den Hochzeitsvorbereitungen zu tun hätte, fordert ein neuer Fall ihn und seinen Partner Vaughn Cupido in Deon Meyers Polizeithriller "Die Stunde des Löwen".

Mit dem neuesten Bennie Griessel-Band schafft es Meyer einmal mehr, einen spannenden Plot sowohl mit dem persönlichen Leben seiner Protagonisten wie auch mit den Realitäten des modernen Südafrika zu verbinden. Bei der Polizei in Stellenbosch, wo Griessel und Cupido nach ihrer Entlassung bei einer Eliteeinheit gelandet sind, führen die beiden Beamten eigentlich ein ruhiges Leben. Kein Vergleich mit der Gewaltkriminalität in Johannesburg! Der Tod einer Studentin ist da schon fast spektakulär. In mühsamer Kleinarbeit finden die beiden Polizisten einen Verdächtigen, einen Anwalt.

Doch der ist wenig später Opfer eines ziemlich ungewöhnlichen Mordes. Die Schwester des Toten reagiert nach Ansicht der Ermittler ziemlich merkwürdig - und je mehr sie über das Mordopfer herausfinden, desto seltsamer wirkt der Fall: Ein ehemaliger Soldat der Spezialkräfte, der ein luxuriöses Haus hatte, und dessen finanzielle Mittel Fragen aufwerfen. Als sie von dem Fall abgezogen werden, holt ihre ehemalige Vorgesetzte die beiden Polizisten in eine ziemlich geheime Ermittlungseinheit, die Wirtschaftskriminalität mit Verbindung zu (früheren) Regierungskreisen untersucht. Wie passt das Mordopfer da hinein - und wer macht Jagd auf ehemalige Mitglieder der Spezialkräfte?

In einem weiteren Handlungsstrang geht es um einen gescheiterten Raubüberfall und einen geplanten Coup, der noch eine erhebliche Herausforderung für Griessels Hochzeitspläne wird.

Auch wenn die Fälle in Meyers Buch Fiktion sind, erinnert manches an Korruption, Bereicherung und Nepotismus in der Regierungszeit von Jacob Zuma. Und auch die "faulen Äpfel" im Dienste der Polizei, die integren Beamten das Leben schwer machen, erinnern ans "wahre Leben". Spannung ist in diesem Kap-Krimi mit zahlreichen Wendungen und einem dramatischen Finale jedenfalls garantiert.

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Veröffentlicht am 24.10.2024

Der traurige Kommissar und die toten Waisenkinder

Der Schatten einer offenen Tür
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Einerseits ist "Der Schatten einer offenen Tür" des belarussischen Exil-Autoren Sasha Filipenko ein Stück Kriminalliteratur, geht es doch um die Ermittlungen eines Moskauer Kriminalkommissars in der nordrussischen ...

Einerseits ist "Der Schatten einer offenen Tür" des belarussischen Exil-Autoren Sasha Filipenko ein Stück Kriminalliteratur, geht es doch um die Ermittlungen eines Moskauer Kriminalkommissars in der nordrussischen Provinz. In einer Kleinstadt, in der ein Kinderheim, ein Gefängnis und ein psychiatrische Klinik die größten Jobchancen für die Einwohner zu bilden sein, soll er eine Selbstmordserie aufklären. Vier jugendliche Bewohner des Kinderheims sind tot. Waren es am Ende gar keine Selbstmorde?

Zugleich ist der Roman ein Porträt einer perspektiv- und hoffnungslosen Gesellschaft, in der im Zweifelfall Brutalität und Intrigen den Sieg davontragen. Alexander Koslow, der aus Moskau geschickt wurde, um die Selbstmordserie aufzuklären, ist nach dem Scheitern seiner Ehe selbst tieftraurig und steht in der Provinz auf verlorenem Posten - der örtliche Polizeichef ist wegen eines vorangegangenen Falls schlecht auf ihn zu sprechen - und hat selbst bereits seinen Verdächtigen, den naiven und gutmütigen Petja, selbst einst Zögling des Kinderheims, von dem sich die örtliche Polizei genervt fühlt. Petja ist zwar unschuldig, soviel sei bereits verraten, aber die Polizisten haben Mittel und Wege, ein Geständnis zu bekommen.

Filipenko schreibt teils mit bitterem Humor, teils pointiert und legt den Finger in so manche Wunde. Das Kinderheim wie auch das lokale Polizeirevier werden zur Parabel einer Gesellschaft, die von Zwang und Anpassungsdruck bestimmt ist und Individualität unterdrückt. Verletzungen wie Selbstverletzungen sind hier Alltag. Der traurige Kommissar löst am Ende zwar seinen Fall, doch er kann weder sich noch Petja helfen. Angesichts der Realitäten kann er im Ringen um die Wahrheit nur scheitern.

Mit repressiven Systemen kennt sich Filipenko aus. In seinen früheren Romanen schilderte er das Leben unter dem Stalinismus ebenso wie Korruption und Gier in seiner Heimat in der Gegenwart. Sein neues Buch, im Stil der griechischen Tragödie in Gesänge gegliedert, beeindruckt mit seiner Kompromisslosigkeit und Düsternis.

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