Profilbild von evaczyk

evaczyk

Lesejury Star
offline

evaczyk ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit evaczyk über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 05.08.2021

Nicht alles passt in schwarz-weiß-Muster

Die Hochzeit
0

Wenn Dorothy Wests schon in den 50-er Jahren geschriebener Roman "Die Hochzeit" etwas deutlich macht, dann dies: Nicht alles passt in schwarz-weiß-Muster, auch nicht die Einteilung von Menschen in Hautfarben. ...

Wenn Dorothy Wests schon in den 50-er Jahren geschriebener Roman "Die Hochzeit" etwas deutlich macht, dann dies: Nicht alles passt in schwarz-weiß-Muster, auch nicht die Einteilung von Menschen in Hautfarben. Und das Aussehen kann trügerisch sein, etwa im Fall von Shelby, der Braut: Sie ist blond und blauäugig - und dennoch sowohl nach eigener Einschätzung wie der aller Mitmenschen, die ihren Hintergrund kennen, schwarz. Dass sie nun ausgerechnet einen weißen Jazzmusiker heiraten will , passt ihren ebenfalls sehr hellhäutigen und wohlhabenden Eltern eigentlich gar nicht so recht. Sie befürchten, dass Shelby eine Schranke überschreitet, sich von den eigenen Leuten entfernt.

Shelbys weiße Urgroßmutter, als Tochter eines Plantagenbesitzers aufgewachsen, ist dagegen höchst erfreut. Wird sie den Tag erleben, an dem ihre Ur-Urenkel als weiß gelten? Sie hat zwar sowohl ihre Enkelin, Tochter einer weißen Mutter und eines schwarzen Vaters, liebevoll-streng aufgezogen und die meiste Zeit ihres Lebens auf der "schwarzen" Seite der Gesellschaft verbracht. Doch auch wenn sie zu schwarzen Menschen eine wesentlich innigere Beziehung hat als zu dem verachteten "armen weißen Pack", fühlt sie sich im Exil, sehnt sich danach, wieder bei "ihren Leuten" sein zu können. Dass Liz, die ältere Schwester Shelbys, einen ausgesprochen dunkelhäutigen Mann geheiratet hat und das Kind äußerlich nach dem Vater schlägt, hat sie nicht verwunden.

Rasse ist ein großes Thema in diesem Roman, und diesmal geht es nur am Rande um weiße Vorurteile gegen Afroamerikaner. Dorothy West stammte ebenfalls aus einer wohlhabenden schwarzen Familie, gehörte zu den Künstlern des "Harlem Revival", die den Ruf des Viertels als Zentrum afroamerikanischer Kultur begründeten. Black diamonds wurden die arrivierten Schwarzen in Südafrika genannt, Auch die in diesem Buch vorgestellte Gruppe gehört einer sozialen Schicht an, die mit Bildung und Wohlstand punkten kann und in Sachen Statusdenken in der Sommerfrische auf Martha´s Vineyard den Nachbarn der weißen Feriendomizile nicht nachsteht. Dass der soziale Aufstieg von Härten begleitet war, zeigt West ebenfalls.

Hilft das "helle" Aussehen in der weißen Mehrheitsgesellschaft? Die Eltern von Liz und Shelby haben bei der Wahl ihres Ehepartners diese Überlegung offenbar einbezogen - denn bei außerehelichen Beziehungen bevorzugen beide dunkelhäutige Partner. Und auch Liz schwärmt von der Virilität schwarzer Männer, wirft ihrer Schwester vor, Sex und Leidenschaft seien für sie wohl nicht so wichtig, da sie beschließt, ihr Leben mit einem Weißen zu teilen.

Gleichzeitig bleibt die "schwarze" Selbstwahrnehmung - wie sehr sich der eigene Blick und der von Fremden da unterscheidet, wird Shelby erstmals klar, als sie sich als kleines Kind in den Wäldern der Sommerfrische verirrt und in einer "weißen" Feriensiedlung auftaucht. Zwar ist das Verschwinden eines Kindes überall auf der Insel verbreitet worden, doch alle halten nach einem schwarzen Kind Ausschau. Dass das blonde kleine Mädchen das gesuchte Kind ist, ist lange Zeit niemandem bewusst. Und für Shelby wird das Erlebnis zum prägenden Punkt der Wahrnehmung als "Farbige", ein Begriff, der heutzutage wohl nicht mehr politisch korrekt ist.

Mir wurde beim Lesen wieder einmal bewusst, wie unterschiedlich die USA und die afrikanischen Länder - mit Ausnahme vielleicht von Südafrika - heute sind, wenn es um die "Schwarz" und "Weilß"-Einteilung geht. In einem Land wie Kenia gilt schon ein "Capuchino-Kind" mit einem weißen und schwarzen Elternteil nicht als wirklich schwarz, in den USA scheint weiterhin der "eine schwarze Blutstropfen" der Definition des alten Südens zu genügen, Menschen als schwarz zu kategorisieren.

Dass Spaltung nicht nur eine Sache der Hautfarbe ist und Abgrenzung auch auf schwarzer Seite erfolgt, zeigt Dorothy West in ihrem Buch, das auch ein Stück Zeitdokument der US-Gesellschaft der 50-er Jahre - vor der Bürgerrechtsbewegung, vor Black Power, vor Martin Luther King ist. Das macht "Die Hochzeit" einerseits zum Einblick in eine nicht zu ferne Vergangenheit, zum anderen zur Warnung von Schubladendenken. Zuschreibungen und Stereotypisierungen, die auch heute noch existieren.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 28.07.2021

Vermisst in Kopenhagen

Narbenherz
0

Der Titel von Anne Mette Hancock zweiten Roman um die Investigativjournalistin Heloise, "Narbenherz", ist schon ziemlich passend: Denn irgendwie sind fast alle Figuren des Buches beschädigt oder bechädigen ...

Der Titel von Anne Mette Hancock zweiten Roman um die Investigativjournalistin Heloise, "Narbenherz", ist schon ziemlich passend: Denn irgendwie sind fast alle Figuren des Buches beschädigt oder bechädigen andere. Beziehungen bröckeln, Familienbande sind angespannt, ein Kind wird vermisst und auch beruflich befasst sich Heloise mit einem zu dieser Stimmung passenden Thema: Eigentlich will sie eine Geschichte über traumatisierte Soldaten schreiben, hofft auf Input ihrer besten Freundin, einer Psychologin beim Militär.

Doch ihre Chefs haben andere Vorstellungen: Ein zehnjähriger Junge ist verschwunden, Kopenhagen ist in Aufregung, um so mehr, als die Jacke des Kindes in einem vereisten See gefunden werden, mit Blutflecken. Heloise ist mit dem leitenden Ermittler befreundet, und die Chefredaktion hofft, dass diese Beziehung bedeutet, dass Heloise an Exklusivinformationen gelangt.

Tatsächlich kann sie es sich nicht verkneifen, bei einem Abendessen im Haus ihres väterlichen Freundes in einem unbeobachteten Augenblick einen Blick in die Ermittlungsakte zu werfen und heimlich herausfinden, worauf sich die Polizei bei ihren Nachforschungen konzentriert: Lukas hat ein Instagramm Account und postet dort "Gesichter", die er in Wolken oder Gegenständen zu erkennen glaubt. Das einzige Motiv, das mehrfach auftaucht, ist ein Scheunentor, dass der als hochintelligent, still und freundlich beschriebene Junge mit Hasskommentaren versehen gepostet hat. Heloise weiß: Sie hat diese Scheune schon einmal gesehen. Unabhängig von der Polizei fängt auch sie an zu recherchieren.

Die Journalistin hat noch einen zweiten Bezug zu dem Fall - der Vater des verschwundenen Jungen ist ihr Frauenarzt. Die Blutreste an der Jacke führen zu einem Soldaten, der bei Heloises Freundin in Behandlung war. Sie hatte den Patienten an einen Kollegen abgegeben, als er aufdringliches Interesse an ihr entwickelte. Doch diese erste Spur gibt schon bald weitere Rätsel und Fragen auf....

Anne Mette Hancock hat mit "Narbenherz" einen Plot voller Wendungen entwickelt, die immer wieder überraschen. Die Puzzlestücke, die beim Lesen zusammengefügt schon stimmig erschienen, geben plötzlich ein ganz anderes Bild. Logische Verdächtige sind plötzlich in einem ganz anderen Blickwinkel zu sehen. Auch der Spannungsbogen funktioniert, bis zuletzt gibt es Überraschungen, die schwarz-weiß-Bilder, die sich beim Lesen eingestellt haben mögen, gründlich auf den Kopf stellen.

Ein wenig schwer tat ich mir mit der Protagonistin Heloise, die in meinen Augen zu ichbezogen ist, um sympathisch zu sein. Aber wer sagt, dass man die Hauptfigur eines Buches lieben muss?

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 24.07.2021

Unfreiwilliger Urlaub in den Bürgerkrieg

Wild Card
1

Weston Kogi ist Yoruba und in dem fiktiven westafrikanischen Staat Alcacia (Nigeria lässt grüßen!) geboren. Doch seit seine Tante Blossom ihn und seine Schwester als Teenager in ein Flugzeug nach England ...

Weston Kogi ist Yoruba und in dem fiktiven westafrikanischen Staat Alcacia (Nigeria lässt grüßen!) geboren. Doch seit seine Tante Blossom ihn und seine Schwester als Teenager in ein Flugzeug nach England gesetzt hat, um die Geschwister in Sicherheit vor politischen Unruhen zu bringen, ist einige Zeit vergangen. Weston mag Afrikaner sein, doch er fühlt sich als Südlondoner. Nun muss er aber zurück in die ursprüngliche Heimat: Die Tante ist gestorben, und Weston kann auf der Beerdigung nicht fehlen, Nur ein paar Tage, so hat er sich vorgenommen. Doch dann kommt für den Ich-Erzähler in Tade Thompsons Roman "Wild Card" alles ganz anders.

Weston gehört nicht zu den Diaspora-Afrikanern, die sich nach den fernen Wurzeln verzehren. Sein Yoruba ist holprig geworden, und schon die Ankunft auf dem Flughafen empfindet er als eher herbe:

"Niemand hieß einen in Ede City willkommen; man wurde lediglich darüber in Kenntnis gesetzt, dass man gelandet war, dann musste man selbst sehen, wie man zurecht kam oder unterging. Keiner war zum Spaß hier, nach Alcacia reiste nur, wer musste. So wie Abgeordnete der UN-Friedensmissionen. Wie UNESCO-Vertreter. So wie ich."

Der erste, aber keineswegs letzte korrupte Beamte lauert gleich bei der Passkontrolle. Auch sonst löst das Wiedersehen mit der Heimat wenig sentimentale Gefühle bei Weston aus: Da sind die Hitze, der Dreck, Aberglauben, das Wiedersehen mit so ungeliebten alten Bekannten wie seinem ehemaligen Mitschüler Church, der ihm auf dem Internat das Leben zur Hölle gemacht hat. Auge in Auge mit seinem Schul-Alptraum kann sich Weston eine kleine Hochstapelei nicht verkneifen, bezeichnet sich als Detective bei der Mordkommission. Dabei ist er lediglich Wachmann in einem Supermarkt.

Die kleine Schwindelei hat Folgen, denn in den 15 Jahren seit Weston Alcacia verlassen hat, ist die Lage dort nicht ruhiger geworden. Gleich zwei Rebellengruppen entführen ihn nacheinander und wollen ihn für ihre Zwecke einspannen. Er soll den Tod eines Politikers aufklären, der zwischen Rebellen und Regierung vermittelte, einen Frieden für das leidgeprüfte Land erreichen würde. Angesichts der ständigen Bedrohung durch Gewalt, Folter und einen vermutlich ziemlich unangenehmen Tod kann Weston gar nicht anders: Er muss ermitteln. Nicht nur fachlich fühlt er sich überfordert, denn Leichen, Gewalt und Gefahren findet er gewissermaßen an jeder Straßenecke.

Tade Thompson überzeugt einerseits mit einer rasanten Handlung und immer neuen Steigerungen der Abenteuer seines Helden, andererseits mit schwarzem britischen Humor und Understatement. So sarkastisch, unterhaltsam und realistisch zugleich habe ich seit Michael Holmans "Kuvisha" Triologie nicht über Afrika gelesen. Und so wie dort unter fiktivem Namen Missstände und Alltag in Kenia gleichermaßen dargestellt werden, ist Alcacia eine einzige literarische Anspielung auf Nigeria. Ob Geisterglauben, Ahnenkult, Korruption, das System der Kleinkriminalität oder der scheinbar ewige Kreislauf politischer, ethnischer und ideologischer Trennlinien und Konflikte - Weston stolpert in jede Krise, die seine alte Heimat bietet. Oft blutig und brutal, immer wieder haarsträubend, mit einem mitunter derben Humor, niemals langweilig ist "Wild Card" ein Lesevergnügen, dass bei mir eine Menge afrikanischer Erinnerungen wachruft. An das Afrika jenseits der Safari-Urlaube - herausfordernd, oft unberechenbar aber immer fesselnd.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 19.07.2021

Ermittlungen in der kleinen Stadt am Rhein

Die Akte Adenauer
0

Philipp Gerber ist Amerikaner - aber geboren wurde er als Deutscher. Seine Familie emigrierte in den frühen 30-er Jahren in die USA, weil sie unter den Nationalsozialisten keine Zukunft sah. Gerber kämpfte ...

Philipp Gerber ist Amerikaner - aber geboren wurde er als Deutscher. Seine Familie emigrierte in den frühen 30-er Jahren in die USA, weil sie unter den Nationalsozialisten keine Zukunft sah. Gerber kämpfte nicht nur in der US-Army, er war wegen seiner Deutschkenntnisse auch beim Militärgeheimdienst. Nun aber, es ist das Jahr 1953 und der Kalte Krieg im vollen Gang, bekommt er innerhalb von Stunden einen deutschen Pass und einen neuen Job beim noch jungen Bundeskriminalamt in Bonn. Offiziell soll er die Nachfolge eines bei einem Unfall getöteten Kollegen antreten. Inoffiziell soll er herausfinden, woran dieser Kollege gearbeitet hatte. Denn auch der hatte für den Militärgeheimdienst gearbeitet....

Gerber stößt bei seinen neuen Kollegen auf Misstrauen - zum einen, weil sein prompter Wechsel zum BKA als Protektionismus gesehen wird, zum anderen, weil in den deutschen Sicherheitsbehörden längst noch alles nicht so demokratisch ist, wie behauptet wird. Im Gegenteil - unter seinen Kollegen sind solche mit einer Vergangenheit bei der Waffen-SS, und wenn er manche Äußerungen hört, dürfte Gerber arge Zweifel am Erfolg der Entnazifizierung hegen.

Seine engste Verbündete - und mehr - wird ausgerechnet die Journalistin eines radikal linken Magazins, das finanzielle Unterstützung aus der Sowjetunion erhält. Doch für ideologische Diskussionen ist ohnehin wenig Gelegenheit, als Gerber auch die Motive seiner Amerikanischen Vorgesetzten anzweifeln muss. Ist er bloß eine Marionette? Haben die Amerikaner insgeheim über Mittelsmänner militanten Nazis unterstützt, nur weil sie als Speerspitze gegen den Kommunismus an der neuen Front des Kalten Krieges gesehen wurden?

Gerber merkt schnell - es gibt Menschen, für die der Krieg nie geendet hat. Doch wem kann er überhaupt trauen? Bei seinen Ermittlungen scheint die Lage mit jedem Erfolg gefährlicher zu werden - auch für Gerber selbst.

Mit "Die Akte Adenauer" hat Ralf Langroth einen spannenden Thriller geschrieben. Als "kleine Stadt in Deutschland" ist die alte Bundeshauptstadt Bonn den John LeCarré-Lesern sicher in Erinnerung. Bei Langroth geht es allerdings deutlich körperbetonten zu als bei dem eher intellektuellen und am Schreibtisch agierenden George Smiley. Die frühen Wiederaufbaujahre der Bundesrepublik, in der die meisten Menschen lieber vergessen wollten, sind spannend und nachvollziehbar gezeichnet.

Mit Philipp Gerber hat das Buch zudem einen interessanten Protagonisten - einen, der nicht durch das Dritte Reich vorbelastet ist und daher ausgerechnet bei seinen alten Landsleuten zwischen allen Stühlen sitzt. Auch er wird sich Fragen stellen müssen - nicht nach vergangener Schuld, sondern nach seiner Identität. Ist er Deutscher, oder ist er Amerikaner? Gibt es ein sowohl - als auch, oder nur ein entweder - oder?

Mit viel Zeit- und Ortskolorit ließ sich dieser spannende Thriller schnell lesen und macht schon neugierig auf weitere Ermittlungen,. Der Auftakt einer neuen Serie ist schon mal gelungen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 11.07.2021

Schuld, Sühne und eine Nacht mit tragischen Folgen

Von hier bis zum Anfang
0

2021 hat sich bisher als gutes Bücherjahr erwiesen - und mit Chris Whitakers Roman "Von hier bis zum Anfang" habe ich gerade ein weiteres Buch mit Wow-Effekt beendet, das sicher noch eine ganze Weile nachhallen ...

2021 hat sich bisher als gutes Bücherjahr erwiesen - und mit Chris Whitakers Roman "Von hier bis zum Anfang" habe ich gerade ein weiteres Buch mit Wow-Effekt beendet, das sicher noch eine ganze Weile nachhallen wird. Das liegt an zwei Gründen - an Whitakers Schreibstil, der manchmal klingt wie aus einem Chandler-Roman der Noir Serie ("Wenn Häuser Seelen hätten, wäre das von Star so schwarz wie eine Dezembernacht"), manchmal sowohl spröde als auch poetisch schreibt. Und an einer der Protagonistinnen, der 13-jährigen Duchess. Das Mädchen, das nicht weint und sich als Outlaw sieht, das sich nichts gefallen lässt und liebevoll den kleinen Bruder Robin umsorgt, da die alleinerziehende Mutter Star der beiden ihr Leben nicht in den Griff bekommt.

Das Unglück der Familie hat eine Vorgeschichte: Als Star 15 war, starb ihre kleine Schwester. Verantwortlich für den Tod ist Stars damaliger Freund Vincent - und auch wenn es sich um einen tragischen Unfall handelte, den er selbst gar nicht bemerkt hatte kommt der 15jährige in ein Gefängnis mit lauter erwachsenen Straftätern. Es war eine Nacht, so heißt es später in dem Buch, in der "eine Million Tragödien ihren Anfang genommen" haben - wie sehr sie auch eine Generation später nachwirken, wird gerade an Star mit ihren Alkoholproblemen, Depressionen und Selbstmordversuchen deutlich.

Nun wird Vincent nach 30 Jahren entlassen. Der einzige, der sich während all der Jahre um Kontakt bemühte, ist sein Walk, der Polizist der fiktiven kalifornischen Kleinstadt. Er war Vincents bester Freund - und hat doch die Polizei verständigt, als ihm klar wurde, dass sein Freund verantwortlich für den Tod der kleinen Sissy war. Für Duchess und Robin ist er die positive männliche Figur in ihrem Leben, der versucht, ein bißchen Stabilität zu schaffen.

Vincents Entlassung aus dem Gefängnis bringt das Gefüge der Kleinstadt durcheinander. Und als Star erschossen aufgefunden wird, wird Vincent als Tatverdächtiger verhaftet, ihm droht die Todesstrafe. Der kleine Robin hat den Täter möglicherweise gesehen, doch der schwer traumatisierte Junge leidet unter Gedächtnisverlust. Während Duchess und Robin zu ihrem Großvater nach Montana kommen, den sie nie zuvor gesehen haben, glaubt Walk als einziger an die Unschuld Vincents und versucht zusammen mit dessen Anwältin, Beweise zu finden, dass Vincent die Tat nicht begangen haben kann.

Hier splitten sich die Handlungsstränge auf - Walks Detektivarbeit auf der einen Seite, während gesundheitliche Probleme ihm die Arbeit immer mehr erschweren, das Leben von Duchess und Robin bei ihre Großvater auf der anderen Seite. Während Duchess ihrem Großvater voller Misstrauen begegnet, ihn ständig zu schockieren versucht und noch nicht mal Essen von ihm annehmen will, blüht Robin auf der Ranch, auf der er die Hühner versorgen darf, auf.

Doch gerade, als Duchess und ihr Großvater vorsichtige Schritte aufeinander zumachen können, kommt es zu einem weiteren Schicksalsschlag, die Geschwister enden in einer Pflegefamilie und Duchess, die überall aneckt und keiner Konfrontation aus dem Weg geht, merkt, dass die Chancen auf eine Adoption für Robin verschwindend gering sind, wenn sie bei ihm bleibt. Zugleich fühlt sie sich immer mehr getrieben, der Outlaw-Vergangenheit ihrer Vorfahren zu folgen und Rache für den Tod ihrer Mutter zu üben.

"Sie wusste, dass die Sehnsucht nach Rache manchmal alles Gute auffressen konnte, das einst in einem Menschen gesteckt hatte. Nur Walk hielt sie davon ab, etwas Dummes zu tun. Er war ihre Verbindung zum Guten, er ließ sie in die Zukunft schauen, nicht auf die Gegenwart. Walk erinnerte sie daran, dass Menschen gut sein konnten."

Dabei wird auch Walk zunehmend aufgerieben zwischen den Tragödien um ihn herum und den Kampf gegen seine Parkinso-Krankheit, die er irgendwann nicht länger verschweigen kann. Gerade weil Whitaker seine Protagonisten so erfolgreich ins Leser-Herz schreibt, ist es so quälend, ihre innere und äußere Zerstörung zu beobachten.

"Wenn Walk schon vorher ein gebrochener Mann gewesen war, dann waren die Einzelteile durch die Ereignisse in Montana jetzt so weiträumig versprengt, dass er die Hoffnung aufgab, jemals wieder ein ganzer Mensch zu werden."

Im Original heißt das Buch "we begin at the end", ein Satz, den Duchess immer wieder von ihrem Großvater hört - seine Hoffnung, dass es am Ende einer Serie schlimmer Erfahrungen etwas Versöhnliches geben kann. Wie sehr ein Ereignis eine ganze Lawine von Folgen auslösem kann, zeigt dieses Buch, das genremäßig schwer einzuordnen ist - Krimi, Spätwestern, Comin of Age-Geschichte? Auf jeden Fall aber ein Buch, dass ohne Gefühlsduselei Emotionen weckt, geschrieben in einer poetisch-spröden Sprache und mit Protagonisten, die auch nach der letzten Seite nachwirken..

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere