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Veröffentlicht am 22.03.2020

Gegen das Vergessen

Rote Kreuze
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Von der Sowjetunion und ihren schlimmsten Phasen während des Stalinismus hat Sasha Filipenko nicht viel mitbekommen. Der weißrussische Autor wurde 1984 geboren. Seine Kindheit fiel in die Zeit von Glasnost ...

Von der Sowjetunion und ihren schlimmsten Phasen während des Stalinismus hat Sasha Filipenko nicht viel mitbekommen. Der weißrussische Autor wurde 1984 geboren. Seine Kindheit fiel in die Zeit von Glasnost und Perestroika, seine Jugend in den Zerfall der UdSSR. Sein Buch "Rote Kreuze" ist dennoch eine literarische Reise in die stalinistische Vergangenheit, zu den Prozessen gegen angebliche Volksfeinde, durch Folter erzwungene Geständnisse, Sippenhaft und Lagersystem.

"Rote Kreuze" ist auch die Geschichte einer untypischen und anfangs ungewollten Freundschaft zwischen dem verwitweten Alexander und seiner 91-jährigen Nachbarin Tatjana, die an Alzheimer leidet. Anfangs ist Alexander vom Mitteilungsbedürfnis der alten Frau genervt, er hat genügend eigene Probleme. Die Frau, deren Kurzzeitgedächtnis bereits gelitten hat und die durch Erzählen auch die Erinnerungen an eine dramatische Vergangenheit, an ihre Toten und die Zeit des Terrors bewahren will, findet erst nach und nach Zugang zu dem jungen Mann.

Sie ist ein eher herber Charakter, diese Tatjana Alexejewna, noch vor der Revolution in London geboren und von Gouvernanten erzogen. Der oft eher lakonische Erzählstil Filipenkos passt zu dieser Figur.

Trotz des privilegierten Hintergrundes hat sich ihr Vater der Idee des Kommunismus verschrieben und zieht kurzerhand nach Moskau, wo Tatjana zum neuen, sowjetischen Menschen heranwachsen soll.

Der jugendliche Idealismus hält an, die mehrsprachige junge Frau tritt eine Stelle im Außenministerium an. Dass immer wieder Kollegen verschwinden, dass in den Wohnblocks der Funktionäre nachts Menschen abgeholt werden, von denen man nie wieder hört - das weiß sie zunächst erfolgreich zu verdrängen. Sie hat die Illusion, all dem entkommen zu können, konzentriert sich auf das private Glück mit Mann und kleiner Tochter, selbst noch zu Beginn des Zweiten Weltkriegs. Wozu die Tschekisten fähig sind, muss sie nur allzu bald an eigenem Leib erfahren.

Gesäumt ist diese Lebensgeschichte mit tatsächlichen Dokumenten und Briefwechseln zwischen dem Internationalen Roten Kreuz und dem Außenministerium, geben dem Roman eine dokumentarischen Rahmen.

Von einer Freundschaft und einem Pakt gegen das Vergessen ist im Klappentext die Rede, doch angesichts der dramatischen Lebensgeschichte Tatjanas bleibt Alexander trotz seiner eigenen, persönlichen Tragödie als Ich-Erzähler eine eher blasse Figur und auch die Dyamik der sich entwickelnden Feundschaft ist beim Lesen nicht wirklich überzeugend. Eine bitterböse Pointe hat "Rote Kreuze" angesichts Tatjanas Bemühen, sich vor sich selbst zu rehabilitieren und ein vermeintlich begangenes Unrecht wiedergutzumachen.Hier schließt sich auch ein Kreis, denn es ist Alexander, der die Antwort findet, die Tatjana so lange gesucht hat. Eines ist klar: Tatjanas Erinnerungen können überdauern.

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Veröffentlicht am 22.03.2020

Das Mädchen und der Paramilitär

Milchmann
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Es ist eine zerrissene, disfunktionale Welt, in der die namenlose 18-Jährige Protagonistin des Romans "Milchmann" der nordirischen Autorin Anna Burns heranwächst. Autobomben Busentführungen Kontrollen ...

Es ist eine zerrissene, disfunktionale Welt, in der die namenlose 18-Jährige Protagonistin des Romans "Milchmann" der nordirischen Autorin Anna Burns heranwächst. Autobomben Busentführungen Kontrollen der paramilitärischen "Verweigerer" wie auch der Soldaten des "Landes jenseits der See", eine Gemeinschaft, die ebenso kontrollierend wie schützend wirkt, eine Trennwand die die Stadtvierteln "der Unsrigen" und der "Anderen" voneinander trennt. Selbst wenn man nicht schon aus dem Klappentext wüsste, dass Anna Burns in Belfast geboren wurde, wecken gleich die ersten Buchseiten Bilder aus dem nordirischen Bürgerkrieg, vermutlich 1970-er Jahre.

Doch die Stadt, das Land die Menschen bleiben fast immer namenlos. Die Ich-Erzählerin gilt in der Familie nur als die "Mittelschwester", die aud Erste, Zweite und Dritte Schwester gefolgt ist. Die drei jüngsten Schwestern gelten sogar als Gruppe zusammengefasst nur als die "Kleinen Schwestern". Ein Bruder ist im Bürgerkrieg ums Leben gekommen, liegt auf dem besonderen Teil der "Verweigerer" auf dem Friedhof begraben, ein anderer ist auf der Flucht - eine ganz übliche Familiengeschichte im Viertel der jungen Frau, die sich mit Politik am liebsten gar nicht befassen würde.

Die junge Frau, der die Mutter bereits mit Fragen nach einem Heiratskandidaten in den Ohren liegt, übt ihre kleinen Fluchten - die unverbindliche Beziehung zu "Vielleicht-Freund", Joggen mit Schwager Nummer drei, Französichkurs im Stadtzentrum, wo sie Normalität mit den "Anderen" erleben kann, und die Bücher aus dem 19. Jahrhundert, in die sie zur Irritation ihrer Nachbarn beim Gehen die Nase steckt. Das 20. Jahrhundert kann sie nämlich nicht ausstehen, nicht einmal seine Bücher.

Das trotz der politischen Trubulenzen gewollt ruhige Leben wird allerdings gestört, als sich der "Milchmann" der jungen Frau nähert, sie beobachtet, zu erkennen gibt, dass er alles über sie weiß. Der Stalker, Mitte 40 und ein hohes Tier bei den "Verweigerern" bringt mit seiner unerwünschten Aufmerksamkeit das Leben der jungen Frau durcheinander. Plötzlich wird über sie geredet. Kameras klicken, wenn sie durch den Park joggt. "Verweigerer-Groupies" bieten ihr die Freundschaft an, es wird über sie geredet, und obwohl sie den Milchmann fürchtet und zu vermeiden versucht, wird ihr eine Affäre angedichtet.

"Milchmann" ist eine Coming of Age-Story in unruhigen Zeiten, ein Roman über innere Einsamkeit und Flucht in die Selbstisolation, über sozialen Druck und Zusammenhalt in einem Quasi-Belagerungszustand. Die Endlosssätze inneren Monologs können da durchaus als Gedankenschleifen in einer Situation ohne Ausweg gesehen werden. Dabei bleiben die meisten Menschen im Umfeld der Erzählerin merkwürdig blass und unscharf, von einer gewissen Beliebigkeit. Ist die Namenlosigkeit der Figuren künstlerische Marotte? Vielleicht soll sie ja auch verdeutlichen, dass religiöses oder politisches Sektierertum in Bürgerkriegsgesellschaften nicht auf eine bestimmte Gesellschaft beschränkt sein muss. Die Geschichte der Erzählerin könnte ebenso gut im Libanon der 70-er Jahre, in Afghanistan oder im Irak spielen können.

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Veröffentlicht am 22.03.2020

Letzte Sause am Kilimanjaro

Das kann uns keiner nehmen
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Mit "Das kann uns keiner nehmen" hat Mattias Politycki eine Mischung aus Afrikaroman und Geschichte einer Männerfreundschaft angesichts von Krankheit und Tod geschrieben. Dabei sind offenbar zumindest ...

Mit "Das kann uns keiner nehmen" hat Mattias Politycki eine Mischung aus Afrikaroman und Geschichte einer Männerfreundschaft angesichts von Krankheit und Tod geschrieben. Dabei sind offenbar zumindest teilweise eigene Erfahrungen mit Reisen und Bergsteigen in Afrika eingeflossen. Herausgekommen ist eine Art "Knocking on Heaven´s Door" am Gipfel des Kilimanjaro. Wer Probleme mit bayrischem Dialekt hat, könnte hier ein getrübtes Lesevergnühen haben.

Hans will es noch einmal wissen, als er mit Anfang 60 den Kilimanjaro besteigt, den höchsten Berg Afrikas. Es ist nicht nur das Unternehmen eines Mannes, der sich mit der Bergbesteigung und einer Nacht im Krater des Vulkans dem Alter entgegenstemmen will. Es ist auch eine Konfrontation mit einer gescheiterten Liebe, einer ersten Reise nach Afrika, die nur schlechte Erinnerungen und diffuse Ängste hinterlassen hat.

Doch dann, als er der Höhenkrankheit getrotzt und den Gipfel bezwungen hat, muss er erkennen, dass es mit der einsamen Nacht da oben auf dem Dach Afrikas nichts wird: Im Krater hat bereits ein anderer Bergsteiger mit seinem Team Lager aufgeschlagen. Ausgerechnet ein derber, polternder Typ, den der zurückhaltende Hanseat Hans erst einmal ziemlich widerlich findet. Ein Macho mit grobem Humor, ohne jede politische Korrektheit, aber auch geradeheraus und herzlich.

Eine erschreckende Nacht in einem Schneesturm sorgt dennoch für eine erste Annäherung. Trotzdem überrascht es Hans, als er sich nach dem Abstieg nicht auf den Weg zur geplanten Serengeti-Safari macht, sondern zusammen mit Tscharli, der sich gerne selbst als "Big Simba" bezeichnet, an die tansanische Küste reist, nach Dar-es-Salaam und Sansibar. Denn Tscharli ist todkrank, und auf seiner letzten Reise will er es noch einmal krachen lassen - und das nicht allein.

Nur langsam kommt Hans zu einer Annäherung an den lauten Bajuwaren, der ihm so peinlich ist, dessen Auftreten er als undiskutabel beschreibt - und den er mittlerweile bestaunt, "als wäre er nicht mein Reisegefährte, sondern die schräge Hauptfigur eines ohnehin schrägen Stückes". Die Reise ist für ihn gleich doppelt eine Herausforderung - zum einen wegen des ungleichen Begleiters, zum anderen hat noch er noch eine Rechnung mit Afrika offen und will sie vor seinem Abflug begleichen.

Denn Hans hat eine tiefsitzende Angst vor dem Kontinent, vor Gewalt und Konflikten, eine Vergangenheit, die zunächst nur angedeutet ist. Er legt zwar Wert auf politisch korrekten Umgang mit den Afrikanern und hält den derben Tscharli für einen Rassisten - doch anders als Hans liebt dieser Afrika, hat in verschiedenen Ländern des Kontinents als Bauleiter gearbeitet und sah irgendwann keinen Grund mehr, nach Deutschland zurückzukehren.

Die entgegenkommenden jungen Frauen, etwa in seinem sich als Puff entpuppendem Lieblingshotel in Dar-Es-Salaam dürften daran nicht ganz unschuldig sein. Aber auch die Fahrer, der Tourguide, die Kellnerinnen, die Tscharlie unabhängig von dem erhofften Trinkgeld ins Herz geschlossen haben, sind Teil dieser Afrika-Liebe. Ja, er ist ein alter weißer Mann, der auf pidgin-Englisch radebrecht - aber irgendwie begegnet er trotz unkorrektem Vokabular den Afrikanern mit echter Wärme und mehr auf Augenhöhe als der politisch bewusste Hans, der sich stets kolonialer Vergangenheit und sonstiger Verfehlungen von Europäern in Afrika bewusst ist.

Ganz allmählich lernt Hans, Afrika durch Tscharlies Augen zu sehen, seine Farben und Gerüche, den Humor und die Herzlichkeit der Menschen, aber auch das sich Durchmauscheln, die große und kleine Korruption, die Straßenkriminalität, mit der man eben irgendwie leben muss.

"Die rote Erde, die Dornenbüsche, das karge Grasland, der Rauchfaden eines Feuers am Hang, ein kreisender Vogelschwarm am Himmel, ein Holzhüttendorf mit Mangobäumen an der Straße, von ferne Taubengurren, Hühnergackern, ein laut geführtes Gespräch, dessen Worte lediglich aus Vokalen bestanden, das offene Draufloslachen die große Verlorenheit danach. Ja, deshalb war ich gekommen, ich erinnerte mich. Und dazu der Geruch der roten Erde, des brennenden Holzes, irgendwelcher schwerer Blüten, vermischt mit den trockenen Anhauch der Savanne."

Bei Sätzen wie diesen beschreibt Politycki nicht das Safari-Afrika mit den "big five" und den exklusiven Lodges und Camps, die für viele Afrikatouristen Urlaubsträume verkörpern, sondern das Afrika, das jenseits der Nationalparks entlang der Straßen zu sehen ist, die kleinen Marktstädtchen, die Frauen mit Holzbündeln oder Wasserkanistern, die Hirten mit ihren Herden. Aber auch das Gassengewirr von Stone Town, das Vielvölkergemisch an der Küste des Indischen Ozeans lässt Politycki zwischen den Buchseiten aufleben, ganz jenseits der Kitschbilder von dramatischen Sonnenuntergängen über Dornakazien. Das Afrika dieses Buchs ist weniger spektakulär und entspricht mehr dem Alltag, Da kommt es dann auch schon mal zu Einschätzungen wie:
"Das ist Afrika - Alles voller Staub und immer eine Flasche Bier in Reichweite."

Reichlich Bier fließt jedenfalls auch zwischen den Buchseiten, wenn die beiden ungleichen Männer einander von der jeweiligen großen, unglücklichen Liebe ihres Lebens erzählen und sich irgendwann betrunken in den Armen liegen.

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Veröffentlicht am 08.02.2020

Tödliches Winterfeuer

Winterfeuernacht
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Äußerlich ist die Mittvierzigerin Laura eine erfolgreiche Geschäftsfrau, deren Spezialgebiet die Beurteilung von Menschen, die Aufdeckung von Schwächen, Geheimnissen und Risikofaktoren ist. Eine Frau, ...

Äußerlich ist die Mittvierzigerin Laura eine erfolgreiche Geschäftsfrau, deren Spezialgebiet die Beurteilung von Menschen, die Aufdeckung von Schwächen, Geheimnissen und Risikofaktoren ist. Eine Frau, die über alles Kontrolle hat und in deren Kleiderschrank sich fast ausschließlich Hosenanzüge und Kaschmirjacken befinden. Doch unter der perfekten Oberfläche ist Laura eine zutiefst verletzte, buchstäblich zerstörte Frau voller Ängste, Alpträume und Trauer. Nach dem Tod ihrer Tante, die ihr ein Feriendorf vererbt hat, muss sie sich der Vergangenheit stellen, die am Beginn all jener Ängste stand.

Eine Teenagerparty am Abend des Luziafestes endete damals in einer Tragödie in Anders de la Mottes Kriminalriman "Winterfeuernacht". Bei einem Brand wurde Laura schwer verletzt, ihre beste Freundin kam ums Leben, der Pflegesohn ihrer Tante, in den sich Laura verliebt hatte, ist seitdem verschwunden, ein Kindheitsfreund wurde bezichtigt, das Feuer gelegt zu haben. Und auch von der geliebten Tante, bei der Laura stets Sommer- und Winterferien verbrachte, meldete sich nicht mehr auf Lauras Briefe aus Hongkong, wo ihre Eltern lebten.

Eigentlich hat Laura wenig Lust, an den See ihrer Kindheit zurück zu kehren. Sie will sich nut um die Abwicklung des Erbes kümmern und dann in ihren Alltag zurückkehren. Doch dann kommt es wieder zu Bränden in der Umgebung, der scheinbar natürliche Tod der Tante wirft Fragen auf und Geheimnisse warten darauf, gelüftet zu werden.

Dieser schwedische Kriminalroman ist eigentlich mehr ein psychologischer Thriller. Denn auch wenn es in den beiden Erzählsträngen aus dem fatalen Winterferien im Jahr 1987 und der Gegenwart um Fragen von Schuld, Betrug und Täuschungen geht, ist da immer da unterschwellige Grauen, mit dem Laura lebt. Ihre materielle Sicherheit steht in krassem Kontrast zu ihrer fragilen Psyche, zu den Alpträumen, die sie mit Medikamenten in Schach zu halten versucht.

Je mehr sich Laura um Aufklärung des Tods ihrer Tante beüht, um so mehr Fragen kommen auf: Welchem Geheimnis war die Tante auf der Spur gewesen, welche Geheimnisse hütete sie selbst? Droht Laura Gefahr - und von wem? Sind alle, mit denen sie zu tun hat, wirklich diejenigen, als die sie erscheinen? Anders de la Motte spart nicht mit Andeutungen und Hinweisen, legt dabei aber auch einige falsche Spuren. Auch wenn sich bei der Lektüre schon recht früh einiges zusammenreimen lässt, bleibt es doch bis zum Schluss spannend und überraschend.

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Veröffentlicht am 08.02.2020

Eine toxische Familie

Je tiefer das Wasser
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Mit ihrem Debütroman "Je tiefer das Wasser" hat die russisch-amerikanische Autorin Katya Apekina eine komlexe und komplizierte Familiengeschichte geschrieben, die wie für die mit längeren durchgehenden ...

Mit ihrem Debütroman "Je tiefer das Wasser" hat die russisch-amerikanische Autorin Katya Apekina eine komlexe und komplizierte Familiengeschichte geschrieben, die wie für die mit längeren durchgehenden Texten überforderte Generation von digital natives gemacht scheint. Wie bei den schnellen Schnitten eines Musikvideos wechseln Erzähler und Zeitlinien, wenn sie in kurzen Episoden das toxische Beziehungsgeflecht schildert, in das die Schwestern Mae und Edith hereinwachsen. Und auch wenn die Sicht von Mae und Edith am häufigsten gezeigt wird, verschieben sich die Perspektiven immer wieder, so dass ein gutes Dutzend Erzähler immer wieder mal für ein paar Seiten zu Wort kommt.

Edie und Mae, zu Beginn des Romans 16 und 14 Jahre alt, werden aus dem heimischen Louisiana nach New York verpflanzt, um nach dem Selbstmordversuch ihrer Mutter beim Vater zu leben, einem berühmten Schriftsteller, der die Familie vor Jahren verlassen hat. Während Edie den fremden Vater ablehnt und zurück in den Süden will, ist Mae regelrecht besessen von der neuen Beziehung - und Schridtsteller Dennis meint in seiner Tochter wieder die junge Version der Mutter zu erkennen, die er heiratete, als sie erst 17 war - seine Kindbraut, wie ein alter Weggefährte konstatiert.

Marianne, das Mädchen aus Louisiana, war Dennis´ Muse, versuchte sich als Dichterin und beschreibt in ihren Texten symbiotische, zerstörerische Nähe. Wie groß war Dennis Bedeutung für die mentale Krise und innere Zerstörung seiner Frau? Welche Nachwirkungen und Zerrüttungen hat das Leben mit der labilen Mutter auf die Töchter gehabt? Die heile Familie, die Dennis in New York inszenieren will, hat es nie gegeben.

Auch zwischen den Schwestern herrschen Spannungen - Edie, die sich stets vernachlässigt und weniger geliebt fühlte, drängt es zurück nach Louisiana. Mae, das Ebenbild der Mutter, mit der sie mitunter zu verschmelzen glaubte, hängt an ihrem Vater und sucht seine Nähe in einer nahezu inzestiösen Enge. Um seine Schreibblockade zu lösen wird sie zu seiner Muse, verwandelt sich in Inszenierungen in eine Kopie ihrer Mutter und will doch mehr. Während Edie mit einem Nachbarn durchbrennt, um ihre Mutter aus einer psychiatrischen Klinik zu befreien, eskaliert die Situation in New York mit dramatischen Konsequenzen.

Alle glücklichen Familien, so heißt es bei "Anna Karenina", gleichen einander, die unglücklichen dagegen seien in ihrem jeweiligen Unglück besonders. Die Familie von Edie und Mae, sie ist schon sehr unglücklich. Die Kunst, in der auch Mae ihren Ausdruck erproben wird, ist letztlich auch ein Ausdruck von Leid und Zerstörung. In dieser verstörenden Familie ist fast keiner gut für die anderen. Nur Edie und Mae werden trotz aller Unterschiede ihre Bande nicht kappen. Eine Familiengeschichte zwischen Besessenheit und unerfüllbaren Sehnsüchten.

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