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Veröffentlicht am 25.03.2025

Deutsch-israelische Liebesgeschichte

Wie schwer wiegt ein Schatten
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In "Wie schwer wiegt ein Schatten" erzählt Christiane Wirtz eine deutsch-israelische Liebesgeschichte, zugleich aber auch das Trauma, das psychische Erkrankungen und Suizid in einer Familie hinterlassen. ...

In "Wie schwer wiegt ein Schatten" erzählt Christiane Wirtz eine deutsch-israelische Liebesgeschichte, zugleich aber auch das Trauma, das psychische Erkrankungen und Suizid in einer Familie hinterlassen. Mia, eine junge deutsche Journalistin, macht eine Elternzeitvertretung im Studio Tel Aviv. In einem Café lernt sie David kennen - es ist Liebe auf den ersten Blick, die Art von Gefühl, an das Mia für sich eigentlich gar nicht geglaubt hat. Allerdings auch problembelastet: Denn David ist verheiratet und Vater einer kleinen Tochter.

Während sich die Beziehung zu David intensiviert und in eine ungewisse Zukunft entwickelt, setzt sich Mia zugleich mit ihrer Vergangenheit auseinander: Ihre Großmutter, die sie nach dem Tod ihrer Mutter aufgezogen hat, ist vor kurzem gestorben. Der Vater hat schon längst in England eine neue Familie gegründet. Eine Jugendfreundin der Mutter hat einen Israeli geheiratet, lebt in einem Kibbutz. Das Paar wird zu Mias israelischer Ersatzfamilie und öffnet ihr einen neuen Zugang zur Mutter: Einerseits durch Ruts Jugenderinnerungen, andererseits durch die Briefe von Mias Mutter.

Das familiäre Trauma zeigt sich auch in diesen Briefen, die Mia einen Blick in die seelische Verfassung ihrer Mutter erlauben. Wenige Tage nach Mias Geburt hat sich ihr Onkel Konrad umgebracht. Er litt wohl jahrelang unter Depressionen. Das Thema wurde in der Familie totgeschwiegen. Doch auch Mias Mutter war depressiv, beging Suizid, als Mia sieben Jahre alt war. Ist die Traurigkeit, die Mia immer wieder spürt, familiäres Erbe, oder Reaktion auf den frühen Verlust der Mutter? Und wird die Liebe ihr heraushelfen? Hat diese Liebe überhaupt eine Zukunft?

Der Romantitel wirkt passend, denn Mia muss sich von den Schatten befreien, die über ihrem Leben liegen, muss sie überhaupt erst einmal bewusst machen. Das Buch hat ein paar Schwächen - die Dialoge sind so druckreif, dass sie oft nicht lebensnah wirken. Die Beschreibungen der Straßen und Cafés von Tel Aviv, von Strandspaziergängen und Negev-Wüste, den Klängen und Gerüchen Jaffas und dem Leben im Kibbutz, das sich immer mehr verändert hat bringen dagegen den Alltag in Israel nahe, zwischen der Allgegenwart möglicher Anschläge - der Roman spielt im Jahr 2008 - und gleichzeitiger Leichtigkeit und Lebensfreude. Da Tel Aviv zu meinen Lieblingsstädten gehört, habe ich Mia gerne auf ihren Spaziergängen zwischen Allenby und Rothschild Boulevard, Carmel-Markt und Uhrturm von Jaffa begleitet.

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Veröffentlicht am 24.03.2025

Bloggerin in Ängsten

Alle sehen dich
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Bodo Völxen von der Kriminalpolizei Hannover hatte schon bessere Tage gesehen in Susanne Mischkes Hannover-Krimi "Alle sehen dich": Er muss auf seine beiden Lieblingskolleginnen verzichten - die eine ...

Bodo Völxen von der Kriminalpolizei Hannover hatte schon bessere Tage gesehen in Susanne Mischkes Hannover-Krimi "Alle sehen dich": Er muss auf seine beiden Lieblingskolleginnen verzichten - die eine wechselte nach ihrer Heimat mit einem Revierkollegen zum LKA, die andere zieht der Liebe wegen nach Südfrankreich. Statt dessen hat er Ärger mit seinem Kollegen Raukel, der aus missverstandener Ritterlichkeit eine Kneipenschlägerei anzettelte und erst mal suspendiert ist. Und dann ist da noch Charlotte Engelhorst, Garten- und livestylebloggerin, die sich verfolgt fühlt und die für Völxen mehr und mehr eine persönliche Heimsuchung ist. Dumm nur, dass seine Ehefrau ein Fan des Videoblogs ist.

Die bunte und so gar nicht dröge Maschsee-Truppe hat dann allerdings mit zwei Todesfällen zu tun, die Engelhorst als Indiz ansieht, dass es jemand auf ihr Leben abgesehen hat: Der Tod ihres Ex-Mannes, der auf gerader Strecke frontal gegen einen Baum geprallt ist, und eine Ex-Schulfreundin, die offenbar beim Fensterputzen aus dem Fenster gefallen ist. Oder war doch alles ganz anders?

Einige Ungereimtheiten bringen das Team ins Nachdenken - hat die nervige Bloggerin womöglich Recht, und jemand will ihr ans Leben? Je genauer sie hinschauen, desto mehr Risse zeigen sich in der scheinbar heilen Welt. Das Verhältnis Engelhorsts zu ihren drei Kindern scheint schwierig, hinzu kommt das ungeklärte Schicksal eines Pflegekindes, das nach einem Überfall auf Charlottes Ex-Mann von einem Tag auf dem anderen verschwunden ist. Kommissarsanwärter Tadden, ein Neuzugang im Team, macht sich mit friesisch-herben Charme an eine Mitarbeiterin des Jugendamts heran, um mehr über die verschwundene junge Frau zu erfahren. Hatte sie womöglich noch eine Rechnung mit der Familie offen?

Mischke sorgt in ihrem Buch für immer neue Wendungen. Besonders reizvoll ist allerdings die Dynamik innerhalb des Teams mit seinen doch recht ausgeprägten Charakteren, gewürzt mit einer Prise Humor. Und wer Hannover kennt, wird viel Lokalkolorit zwischen Linden und Südstadt finden. Eine Reihe, die ich spät entdeckt habe, die mir aber gut gefällt. Völxen und seine Ermittler sind keine Superhelden, sondern ein bodenständiges Team mit ein paar kleinen Macken und internen Eifersüchteleien, das aber funktioniert, wenn es muss und keine Langeweile aufkommen lässt.

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Veröffentlicht am 22.03.2025

Kanzleipleite und Fußballträume

Pirlo - Doppeltes Spiel
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Eigentlich hatten die Düsseldorfer Rechtsanwälte Anton Pirlo und Sophie Mahler in den vergangenen reichlich schlagzeilenträchtige Mandanten und Prozesse, die den beiden Strafverteidigern ordentlich Aufmerksamkeit ...

Eigentlich hatten die Düsseldorfer Rechtsanwälte Anton Pirlo und Sophie Mahler in den vergangenen reichlich schlagzeilenträchtige Mandanten und Prozesse, die den beiden Strafverteidigern ordentlich Aufmerksamkeit verschafften- Im vierten Band von Ingo Botts Justizkrimi-Serie steht Pirlos Kanzlei dennoch vor dem wirtschaftlichen Aus. Und die privaten Schwingungen zwischen den beiden Anwälten sind ungeklärter denn je. Kurz, die Stimmung ist aufgeladen in der Kanzlei am Düsseldorfer Karlsplatz.

Da kommt Pirlos älterer Bruder Ahmid mit einer neuen Geschäftsidee - und sie ist, oh Wunder angesichts der Vergangenheit von Pirlos Bruder, sogar legal. Die beiden sollen ins Fußballgeschäft einsteigen, Spielermanagement und mit einem jungen Talent hat Ahmid sogar schon einen Spieler ausgeguckt. Der 16-jährige ist ein Riesentalent, hat mit einem Siegestor bei einem Lokalderby auf sich aufmerksam gemacht, neigt aber auch schon allein altersbedingt zu ein paar Dummheiten und zweifelhaften Kontakten. Wer könnte dafür mehr Verständnis haben als Ahmid, bei dem beides ein bißchen länger angedauert hat als das Teenageralter!

Pirlo soll dem ganzen Unternehmen die nötige Seriosität verleihen - Anwalt im Anzug usw, und natürlich Verträge und Kleingedrucktes im Auge haben. Doch schnell stellen die Brüder fest, dass ihre Kontaktaufnahme im Verein überhaupt nicht gerne gesehen wird. Schnell kommt es zu Anfeindungen, dann gibt es einen Toten, und Pirlo findet sich plötzlich sogar als Tatverdächtiger in Untersuchungshaft wieder.

Es bleibt nicht bei einem Toten, und alle Opfer stammen aus dem Umfeld des jungen Talents. Dass ein ehrgeiziger Journalist und Podcaster mit seiner sensationsheischenden Berichterstattung mit rassistischen Elementen die Stimmung noch weiter anheizt, ist der Begleitung des jungen Talents nicht gerade förderlich. Und mehr und mehr kommen Pirlo und Mahler zu der Überzeugung, dass ihnen ihr junger Klient irgendetwas Wichtiges verschweigt.

Ungeachtet von Pirlos Manierismes habe ich auch den vierten Band der Düsseldorfer Anwaltsserie gerne gelesen. Diesmal findet das Geschehen weniger in Gerichtssälen statt als in den Vorgängerbänden, doch sowohl der Hickhack zwischen Pirlo und Mahler als auch das ambivalente Verhältnis zwischen Pirlo und Ahmid sind ein wiederkehrendes und unterhaltsames Element. Die Auflösung des Plots ist schlüssig und überraschend zugleich. Gerne mehr davon.

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Veröffentlicht am 22.03.2025

Die Rache der alten Damen

Hieb und Strich
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Die Auswirkungen von Patriarchat und Misogynie hat Margaret Atwood in ihren Romanen mehrfach beschrieben - allen voran in ihrem berühmten "Report der Magd" oder "Die Zeuginnen". Mit "Hieb und Strich" schlagen ...

Die Auswirkungen von Patriarchat und Misogynie hat Margaret Atwood in ihren Romanen mehrfach beschrieben - allen voran in ihrem berühmten "Report der Magd" oder "Die Zeuginnen". Mit "Hieb und Strich" schlagen nun die Frauen zurück. Mit einer Länge von gerade mal 48 Seiten handelt es sich eher um eine Kurzgeschichte als eine Novelle, die aber ist vergnüglich zu lesen.

Ein bißchen erinnert die Handlung an das Sprichwort, wonach Rache am besten kalt gegessen wird: Eine Gruppe alter Damen, allesamt aus dem akademischen Lehrbetrieb, wollen sich an einer Gruppe Männern rächen, die einst die literarische Karriere einer Freundin mit Verrissen und hämischer Kritik in einer Literaturzeitschrift zerstörten. Die Autorin hatte sich nie von den Attacken des Männerklüngels erholt und ihr literarisches Potential ausgelebt, inzwischen ist sie todkrank. Späte Gerechtigkeit soll her. Die mobbenden Herren müssen bestraft werden, das aber endgültig.

Bei Gin Tonic, Weinschorle und Cola light planen die alten Damen ihren Rachefeldzug. Es gibt schließlich viel Diskussionsbedarf, wenn acht - oder waren es neun? - Männer ermordet werden sollen. Natürlich so, dass die später an die Reihe kommenden nicht gewarnt werden und die Polizei den Frauen nicht auf die Schliche kommt. Sind überhaupt alle gleich schuldig? Wird das Trio seine mörderischen Pläne umsetzen?

Hier soll natürlich nicht gespoilert werden, aber der ironische Stil Atwoods und die Dialoge des mörderischen Trios sorgen für ausgesprochenes Lesevergnügen. Da hätte Atwood gerne noch ein paar Seiten dranhängen können.

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Veröffentlicht am 22.03.2025

Leise Geschichte aus dem hohen Norden Kanadas

Wie Zugvögel
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"Wie Zugvögel" von Elizabeth Hay startet langsam, und das passt zu dieser langsamen Geschichte über Menschen im hohen Norden Kanadas. Wer in der Stadt Yellowknife nahe der arktischen Wildnis lebt, ist ...

"Wie Zugvögel" von Elizabeth Hay startet langsam, und das passt zu dieser langsamen Geschichte über Menschen im hohen Norden Kanadas. Wer in der Stadt Yellowknife nahe der arktischen Wildnis lebt, ist - mit Ausnahme der indigenen Menschen - ein Zugezogener, in so manchem Fall auf der Flucht vor sich selbst oder der Vergangenheit. In der klaren Luft des Nordens und seinen hellen Sommern scheint so mancher Neuanfang möglich.

Die Protagonisten arbeiten bei einem lokalen Rundfunksender, ihre Schicksale sind zunehmend miteinander verwoben: Harry, der unfreiwillige Sendechef mit Alkoholproblem, der sich erst in die Stimme, dann hoffnungslos in die schöne Sprecherin Dido verliebt. Doch die steht mehr auf den kompromisslosen Techniker Eddie. Die kluge, belesene Sendersekretärin Eleanor beobachtet die Vorgänge und sorgt auf unaufdringliche Art für mehr Harmonie. Gwen, eine junge Frau aus dem Osten, ist voller Unsicherheiten und wird in Yellowknife während ihrer einsamen Nachtschichten im Sender nach und nach aufblühen.

"Wie Zugvögel" wird ruhig erzählt, porträtiert entwurzelte Menschen, die die Chance haben, sich neu zu erfinden, zeigt aber auch eine Welt im Umbruch und voller Konflikte: Eine Ölpipeline soll gebaut werden, deren Auswirkungen für die Umwelt nach Ansicht der Kritiker dramatisch sein könnten. Vor allem die Indigenen fürchten die Konsequenzen für ihre traditionelle Lebensform. Hinzu kommt, dass die Landrechte der Menschen, die hier seit Jahrhunderten heimisch sind, noch immer ungeklärt sind. Die Anhörungen eines Richters, der eine Empfehlung für die kanadische Regierung erstellen soll, werden zu einem Kaleidoskop der Konflikte: Umwelt oder Profit? Wessen Interessen zählen? Und auch die Auseinandersetzung mit Rassismus und der Zerstörung der Kultur und Lebensweise der Indigenen, die gewaltsame Assimiliation an Internatschulen und sexuelle Ausbeutung werden thematisiert.

Hays Roman spielt in der zweiten Hälfte der 1970-er Jahre, doch die Themen des Buches sind gleichbleibend aktuell. Vor allem die Beschreibung der Natur und des Lichtes im hohen Norden sind beeindruckend. Ein Buch, auf das man sich einlassen und dem man Zeit geben muss, seine Wirkung zu entfalten.

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