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Veröffentlicht am 27.02.2025

Ein ungewöhnliches Ermittlerpaar

Schmerz
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Mit dem Titel "Schmerz" hat Jon Atli Jonasson schon einiges vorweggenommen, denn sein ungewöhnliches Ermittlerpaar bei der Polizei Reykjavik muss sich mit reichlich seelischem und körperlichen Schmerz ...

Mit dem Titel "Schmerz" hat Jon Atli Jonasson schon einiges vorweggenommen, denn sein ungewöhnliches Ermittlerpaar bei der Polizei Reykjavik muss sich mit reichlich seelischem und körperlichen Schmerz auseinandersetzen. Als Team sind sie eine Art Schicksalsgemeinschaft - zusammengekommen, weil andere Probleme haben, mit ihnen zu arbeiten. Zwei Menschen, die einander zunächst sehr fremd sind und erst mit ihren ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten zueinander finden müssen.

Da ist Dora: Ein Routineeinsatz endete tragisch, seitdem hat sie die Reste einer Kugel im Kopf und ist nicht mehr die, die sie einmal war. Eigentlich ein Fall für Frühpensionierung, doch ihr ehemaliger Partner, der inzwischen Karriere gemacht hat, hält sie im Polizeidienst - ohne Außeneinsätze, sie soll alte Fälle überprüfen, denn ihr fallen Dinge auf, die andere übersehen.

Rado ist ganz anders: Sohn von Einwanderern aus Ex-Jugoslawien, dessen Familie während des Bürgerkriegs nach Island flüchten konnte. Er war in einer Spezialeinheit, doch plötzlich ist er außen vor: Ein Einsatz richtet sich ausgerechnet gegen seine polnische Schwiegerfamilie, die in Drogengeschäfte verwickelt ist. Plötzlich scheinen die Kollegen Rado nicht mehr zu trauen. Plötzlich darf er sich nicht mehr als Isländer fühlen.

Ein Vermisstenfall bringt die beiden zusammen, eigentlich vor allem, weil niemand anders Zeit für den Fall hat. Plötzlich ist Dora wieder im Außendienst. Ein vermisster non-binärer Teenager, den alle anderen längst aufgegeben haben, lässt das ungleiche Team nicht ruhen. Vielleicht lebt Morgan ja doch, allen Statistiken zum Trotz. Bei ihren Ermittlungen stoßen Dora und Rado auf Fragen, die sie zu weiteren Untersuchungen jenseits des Vermisstenfalls führen - und merken zu spät, dass sie in ein Wespennest gestochen haben.

Der Plot soll hier nicht vorweggenommen werden. Doch Jonasson zeichnet sehr sensibel und empathisch zwei Protagonisten, die teils gesellschaftlichen Erwartungen nicht entsprechen, teils plötzlich auf ihre Herkunft reduziert werden und sich mit solchen Zuschreibungen nicht abfinden wollen. Es ist auch ein Buch über den Kampf um Würde, um Solidarität und eine Freundschaft, die aus Bewährungsproben erwächst.

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  • Charaktere
Veröffentlicht am 17.02.2025

Lasst und mal miteinander reden

Den Bach rauf
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Den Eindruck eines abgebrühten Polit-Profis, an dem alles abprallt, macht Robert Habeck auch nach zwei Jahrzehnten in der Politik eigentlich nicht. Und als Angehöriger einer Generation, die noch Erinnerungen ...

Den Eindruck eines abgebrühten Polit-Profis, an dem alles abprallt, macht Robert Habeck auch nach zwei Jahrzehnten in der Politik eigentlich nicht. Und als Angehöriger einer Generation, die noch Erinnerungen an die Grünen auch in ihrer frühen Phase haben dürfte, dürfte ihm das Bedürfnis, alles auszudiskutieren, nicht ganz fremd sein. In seinem Wahlkampf setzte er auch auf "Gespräche am Küchentisch" als Format, mit Menschen ins Gespräch über ihren Alltag und ihre Probleme zu kommen. Sein Buch "Den Bach rauf" ist auch so zu verstehen - ein Monolog zwar, aber einer, der auch ein bißchen Erklärungs- und Rechtfertigungsbericht eines Vielgescholtenen ist. Nach dem Motto: Lasst uns doch mal miteinander reden.

Es geht, natürlich, um die Koalition und ihre Streitigkeiten, die Herausforderungen, gerade auch für die Wirtschaft, Ukraine-Krieg und Energiepreise, die Projekte, die Habeck viel Ärger einbrachten, gerade auch durch Indiskretionen des Koalitionspartners. Da sind dann auch durchaus Verletzungen spürbar über Anfeindungen, auch persönlicher Art, über Hass im Netz, der auch ans Persönliche geht. Ein bißchen scheint es, als werbe der Autor: Leute, habt mich doch auch ein bißchen lieb.

Habecks Buch ist auch ein Appell, nach Gemeinsamkeiten und Verbindendem zu suchen, in einer Zeit, in der in daueraufgeregten Sprechblasen vor allem der Streit im Vordergrund steht. Eine Diskussion über einen Wertekompass, auch in der Politik, um die Frage: In was für einem Land wollen wir leben? Gerade vor dieser Wahl, angesichts der Debatten der letzten Wochen, ist das eine Frage, auf die die Leserinnen und insbesondere die Wählerinnen sehr schnell eine Antwort finden müssen. Ist Habecks Buch dabei eine Entscheidungshilfe? AfD-Wähler werden es vermutlich nicht im Bücherschrank haben. Als einstiger Kinderbuch-Autor dürfte Habeck um die Wichtigkeit von Mutmach-Büchern wissen, die Kinder stärken. Dieses Buch ist gewissermaßen ein Mutmach-Buch für Erwachsene, ohne sie dabei zu bevormunden.

Veröffentlicht am 07.02.2025

Gespräche jenseits der Blasen und Echokammern

Dennoch sprechen wir miteinander
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Es ist leicht, sich seiner eigenen Ansichten und Überzeugungen zu vergewissern - man bewegt sich einfach innerhalb der eigenen Denkblasen und Echokammern. In seinem Buch "Und dennoch reden wir miteinander" ...

Es ist leicht, sich seiner eigenen Ansichten und Überzeugungen zu vergewissern - man bewegt sich einfach innerhalb der eigenen Denkblasen und Echokammern. In seinem Buch "Und dennoch reden wir miteinander" macht Stephan Lamby das Gegenteil - er nähert sich Populisten und Verschwörungstheoretikern an, ja Menschen, die sich voller Stolz als Faschisten bezeichnen, und porträtiert sie zunächst einmal als Menschen, deren Denkweise er zu verstehen versucht, ohne sie zu teilen. Das ist so ziemlich das genaue Gegenteil des politischen Diskurses der Gegenwart.

Ausgangspunkt ist eine Familienfeier im Rheinland, wo Lamby aufgewachsen ist. Auch die Verwandtschaft aus Amerika ist gekommen, einschließlich eines Cousins, dem sich der Autor immer sehr nahe gefühlt hat - gegenseitige Besuche, viele Gespräche, auch wenn sie politisch schon damals unterschiedlicher Meinung waren. Mittlerweile ist der Cousin Trump-Anhänger und war beim Sturm auf das Capitol dabei.

Lamby recherchiert in den USA, in Argentinien, in Italien, er reist in den Osten Deutschlands in die Hochburgen der AfD und trifft einige ihrer Vertreter, besucht eine Parteiveranstaltung mit Björn Höcke. In Italien begleitet er Mussolini-Fans bei einer Gedenkfeier für den "Duce", in den USA führt er Gespräche mit seinem Cousin und dessen Freunden, aber auch mit der Tante, die diese Ansichten so gar nicht teilt. Wann ist die Mitte der Gesellschaft zerbröselt? Warum haben sich so viele Menschen Demagogen zugewandt und mit welchen Mitteln haben diese ihren Einfluss vergrößert? Warum hält für manche Menschen die Faszination für Diktatoren an, die schwerste Verbrechen begangen haben und dennoch glorifiziert werden? Sind in einer komplizierten Welt nur die einfachen Parolen gefragt?

Lamby erzählt an Menschen und Begegnungen entlang, ohne theoretischen Überbau, reist als einer, der verstehen will. Seine offene, ja zugewandte Haltung macht das besondere dieses Buches aus, denn häufig ist gerade bei Themen, mit denen sich ein Autor so gar nicht identifizieren kann, eine deutlich spürbare Distanz im Spiel.Er erfährt aber auch Grenzen, an denen er feststellen muss; hier geht gar nichts. Den Dialog zu suchen, auch wenn zunächst die Kontraste zwischen den Überzeugungen alles andere überdecken könnten, macht diese politische Reisereportage besonders lesenswert.

Veröffentlicht am 06.02.2025

Tod einer Wahrsagerin

Das Mörderarchiv: Der Tod, der am Dienstag kommt
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"Das Mörderarchiv" von Kristen Perrin war ein charmanter Cozy-Krimi, in dem die bislang erfolglose Krimischriftstellerin Annie sich als Hobby-Detektivin betätigen musste, um an das Erbe ihrer Großtante ...

"Das Mörderarchiv" von Kristen Perrin war ein charmanter Cozy-Krimi, in dem die bislang erfolglose Krimischriftstellerin Annie sich als Hobby-Detektivin betätigen musste, um an das Erbe ihrer Großtante zu kommen und deren Mord aufzuklären. Nun gibt es einen Folgeband - "Der Tod, der am Dienstag kommt".

Annie ist mittlerweile Bewohnerin des stattlichen Herrenhauses ihrer Großtante, aber ihr Kriminalroman ist immer noch nicht vorangekommen. Liegt es am allgemeinen Verdruss Annies, die sich in der malerischen Kleinstadt Castle Knoll eher ungeliebt und außen vor vorkommt? Nicht ganz unschuldig dürfte das Mörderarchiv der Tante sein, in dem es nicht nur um Mord ging, sondern die Geheimnisse der Einwohner akribisch aufgeführt wurden. So was sorgt natürlich nicht unbedingt für entspannte Beziehungen.

Als die Wahrsagerin, die einst der Großtante ihre Ermordung voraussagte und damit überhaupt erst den Anstoß zum Mörderarchiv gab, tot in Annies Gewächshaus gefunden wird, ist sie natürlich eine "person of interest" - und fängt erneut an zu ermitteln, unterstützt von ihrer besten Freundin. Dabei gilt es einmal mehr, in die Vergangenheit der Tante und die Geheimnisse der Kleinstadt einzutauchen. Dabei macht Annie einige überraschende Entdeckungen und kommt vergangenem Unrecht auf die Spur.

Auch hier hat Perrin wieder einen Wohlfühl-Cozy geschrieben, der allerdings nicht an den ersten Band heranreicht. Außerdem gibt es logische Brüche, hatte doch Annie im ersten Band verlorene Familienbande in Castle Knoll ausfindig gemacht, die ihre isolierte Stellung im zweiten Band rätselhaft erscheinen lassen. Auch einige Familienintrigen, die im ersten Band für zusätzliche Würze gesorgt haben, fehlen diesmal. Einige ungelöste Rätsel lassen allerdings einen dritten Band vermuten - zu wünschen wäre, dass Perrin dabei dann wieder zur Form des ersten Buches über Annie und das Mörderarchiv aufläuft.

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Veröffentlicht am 06.02.2025

Niederschwellig leichte Küche

What I eat in a day
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Wenn Influencer Bücher schreiben, gehe ich zugegebenermaßen immer mit einer gewissen Grundskepsis ran. Bei Sarah Franssen und "What I eat in a day" hält sich die buchstäbliche Nabelschau allerdings in ...

Wenn Influencer Bücher schreiben, gehe ich zugegebenermaßen immer mit einer gewissen Grundskepsis ran. Bei Sarah Franssen und "What I eat in a day" hält sich die buchstäbliche Nabelschau allerdings in überschaubaren Grenzen, auch wenn Fotos der Autorin im bauchfreien Top, offenem Blondhaar und irgendwie provenzalischer Sommervillakulisse vermutlich motivationsfördernd quer durch das Buch platziert sind.

Im Mittelpunkt steht aber tatsächlich healthy Eating, gewissermaßen als niederschwelliges Angebot. Der Theorieteil über Diätmythen ist kurz und überschaubar - wenn ich da vertiefen möchte, würde ich eh eher zum Buch eines Experten oder einer Expertin greifen.

Die Philosophie hinter dem vorgestellten Ernährungsplan lautet: Es muss individuell passen. Leser*innen werden daher u individuellen Anpassungen ermutigt, wer kein Frühstücksmensch ist, kann sich dann bei einer anderen Mahlzeit mehr gönnen. Dabei sind die 14 Tage des Ernährungsplans in Frühstück, Mittagessen, Snack und Abendessen aufgeteilt. Oft sind Smoothies und Salate dabei, doch auch Pasta und Kartoffeln sind nicht verpönt. Süß darf es durchaus sein, wobei gleichzeitig Wert auf unverarbeitete Lebensmittel gelegt wird. Saisonal und regional soll es natürlich auch möglichst sein.

Unterbrochen wird der Ernährungsplan von "Mottogerichten" - was die Autorin bei einem romantischen Abendessen, bei einem Familienessen, bei Herbstblues oder für Sommerstimmung vorschlägt.

Für die vorgestellten Rezepte braucht es weder große Kocherfahrung noch hohen Zeitaufwand. Auch die Zutaten sind ohne Probleme zu beschaffen und dürften auch diejenigen nicht überfordern, für die selber kochen bisher eher selten ein Thema war.