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Veröffentlicht am 20.05.2024

Persönlicher Blick auf den 9. Oktober und die Folgen

Feuer
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Ron Leshems Buch "Feuer" ist gleichzeitig Blick in die verwundete Seele Israels und Chronik des Massakers und seiner Folgen, aber auch reflektierte Darstellung der Geschichte des Nahostkonflikts, kritische ...

Ron Leshems Buch "Feuer" ist gleichzeitig Blick in die verwundete Seele Israels und Chronik des Massakers und seiner Folgen, aber auch reflektierte Darstellung der Geschichte des Nahostkonflikts, kritische Analyse der Regierung Nentanyahu und der Abhängigkeit des Regierungschefs von Koalitionspartnern, die statt Sachverstand Ideologie haben. Der Autor, Ex-Journalist, Ex-Nachrichtenoffizier schreibt einerseits aus der Distanz eines Israelis, der sich sein Leben in den USA aufgebaut hat und die Ereignisse nicht vor Ort miterlebt hat, doch gleichzeitig als persönlich Betroffener: Seine Tante und sein Onkel wurden am 7. Oktober in ihrem Kibbutz ermordet, sein Cousin verschleppt und nach wochenlanger Geiselhaft ebenfalls ermordet.

Dieses Buch ist voll Schmerz, Verzweiflung und Wut über das Versagen auf politische und Sicherheitsebene, trotz Warnungen und Analysen. Doch es ist kein Buch des Hasses - Leshem sucht weiterhin Kontakt zu palästinensischen Freunden in Gaza und im Westjordanland, ist bedrückt angesichts der Auswirkungen des Krieges, aber auch der Täter-Opfer-Umkehrung in einem großen Teil der Welt. Leshem lebt in Boston, sein Lebensgefährte ist Wissenschaftler. den Israel-Hass an den Campussen der Universitäten, der auch immer öfter in kruden Antisemitismus umschlägt, erlebt er unmittelbar. Auch, dass die Massaker vom 7. Oktober schlicht geleugnet werden und Terorristen, die gemordet, gefoltert, vergewaltigt und größtmöglichen Schmerz und Terror verbreitet haben, als Freiheitskämpfer verklärt werden.

Man kann seine Fassungslosigkeit spüren, dass ausgerechnet Minderheitengruppen, Linke oder LGBTQ-Aktivisten die Hamas verklären und ihren Kampf als antikolonialistischen Freiheitskampf umdeuten, ohne deren Haltung beispielsweise gegenüber Frauen oder Homosexuellen zur Kenntnis zu nehmen.

"Wenn ich in meinem Leben im Nahen Osten eines gelernt habe, dann, dass in einem Kult der Gewalt, die angeblich von Not befreit, kein Menschen Befreiung findet, und am allerwenigsten, wenn sie Zivilisten trifft", schreibt er. Und an anderer Stelle: "Die Hamas siegte bereits bei ihrem Angriff. Ihr gelang es, das palästinensische Problem an die erste Stelle der weltweiten Tagesordnung zu bringen, den Nahen Osten neu zu gestalten, Israels Legitimation auf einen historischen Tiefststand zu versetzen, das Land in einem Dilemma gefangen zu halten, es wirtschaftlich zu schädigen, seine kollektive Seele mit toxischen Bildern, mit abgrundtiefer Angst und Drohungen zu überfluten, den Konflikt ins Jahr null zu katapultieren und die Gemäßigten auf allen Seiten dazu zu bringen, ihre bisherige Haltung aufzugeben."

Leshem steht für die Stimmen jener Israelis, die vor dem 7. Oktober gegen die Regierung Netanjahu und seine sogenannte Justizreform auf die Straße gingen, von der sie eine Zerstörung der Demokratie befürchteten - die Beispiele Ungarn oder Polen während der PiS-Regierung waren in der Hinsicht warnende Beispiele. Er erinnert daran, dass die Kibbutzbewohner im Gegensatz zu dem nun gerne in den Protestcamps gepflegten Narrativ keine "Siedler-Kolonisten" waren, sondern linke Israelis, die oft schon viele Jahre in der Friedensbewegung engagiert waren. Sein Buch ist, immer noch, ein Appell, einen andere Weg zu beschreiten, jenseits der Gewalt, auch wenn all das Blutvergießen der vergangenen Monaten das auf beiden Seiten so viel schwerer macht. Und es ist eine Warnung vor Demokratiezerstörung und nationalistischen Trieben: "Schaut auf mein Heimatland, und ihr seht darin eure eigene Zukunft. Unser Unglück sind nicht nur die radikalen, fanatischen Ränder, es ist vor allem auch die schweigende Mehrheit, die sich nicht aufrafft, gegen diese in den Kampf zu ziehen."

"Feuer" zu lesen, ist schmerzhaft, gerade angesichts der Chronologie der Gewalt und des Terrors, angesichts des nachträglichen Wissens: Der 7. Oktober hätte verhindert werden können. Es ist ein wichtiges, nachdenkliches Buch, das nachempfinden lässt, wie tief die Verletzungen seit dem 7. Oktober sind. Und es wäre zu wünschen, dass es den Weg zu denen findet, die sich lieber auf Schablonen und Parolen verlassen, statt mit der komplexen Geschichte des Nahostkonflikts auseinanderzusetzen.

Veröffentlicht am 25.02.2024

Schuld und Sühne?

Notizen zu einer Hinrichtung
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Setzt sich Gewalt durch Generationen durch - und was führt dazu, Böses zu tun? Was geht in einem Menschen vor, der nur noch zwölf Stunden zu leben hat? Und was bedeutet sein bevorstehender Tod für die ...

Setzt sich Gewalt durch Generationen durch - und was führt dazu, Böses zu tun? Was geht in einem Menschen vor, der nur noch zwölf Stunden zu leben hat? Und was bedeutet sein bevorstehender Tod für die Angehörigen der Opfer? In "Notizen zu einer Hinrichtung" von Danya Kukafka geht es um schwere Kost. Doch ihr Buch über einen Serienmörder und die Frauen, die durch sein Leben berührt wurden, kommt ohne Voyeurismus oder Sentimentalität aus. Es ist auch eine Annäherung an das Böse, ohne zu dämonisieren.

Es ist ein Countdown der letzten Stunden von Ansel, der als Mädchenmörder in der Todeszelle sitzt. Zunächst ist er noch zuversichtlich, er glaubt, er hat einen Ausweg gefunden, das Schicksal anderer Todeskandidaten zu vermeiden. Er wird feststellen: Falsch gedacht. Während die Erzählung einerseits Ansels Leben folgt, widmet sich der zweite Erzählstrang den Frauen: Lavender, Ansels Mutter, die als Teenager in eine gewalttätige Beziehung geriet und schließlich floh, wobei sie ihre beiden kleinen Kinder zurückließ. Saffron, die als Kind im gleichen Kinderheim lebte wie Ansel und später Polizistin wird. Hazel, die Schwester von Ansels letztem Opfer.

Ansels Geschichte ist die eines verpfuschten Lebens, das andere Leben zerstörten, aber auch eine von Selbstüberschätzung, Manipulation und einem gewissen Narzissmus. Wer öfter mit Strafprozessen zu tun hat, kennt das: Sehr häufig sitzen auf der Anklagebank für schwere Straftaten Menschen, die eine grauenvolle Kindheit hatten. Andererseits: Nicht jeder, der als Kind Gewalt, Missbrauch oder Lieblosigkeit erfuhr, wird zum Gewalttäter. Was lässt also die einen zum Verbrecher werden und die anderen zu ganz normalen Nachbarn und Kollegen? Das ist auch eine Frage, zu der Ansel in der Zeit im Todestrakt eine Art philosophisches Manifest zu entwickeln versucht. Oder versucht er nur, vor sich selbst seine Taten zu rechtfertigen?

Vor allem Saffron als Kontrapunkt und gewissermaßen Gegenspielerin ist eine starke, beeindruckende Figur. Auch sie hätte angesichts schwieriger Ausgangsbedingungen scheitern können, war als wurzellose Jugendliche kurz vor dem Absturz. Dann aber schafft sie die totale Kehrtwende, behauptet sich in einer frauenfeindlichen und rassistischen Umwelt, hat bei der Polizei einer fördernde Vorgesetzte und wird später selbst zur Mentorin einer jungen Kollegin. Überhaupt sind die Frauennetzwerke in diesem Buch die Erfahrungen von Solidarität und Halt. Ist es das, was Ansel zu dem machte, was er wurde? Dass er diesen Rückhalt nicht erfahren hatte und eigentlich immer einsam blieb?

Warum Ansel zum Mörder wurde, aus welchem Motiv er tötete, bleibt unklar. Die Taten selbst werden nicht beschrieben, und auch im inneren Monolog des Täters bleibt die Frage nach dem Warum unbeantwortet. Ist die Todesstrafe die Antwort? Die Autorin argumentiert nicht explizit für oder gegen die Todesstrafe, auch wenn sie sich wiederholt auf die Ungerechtigkeiten und institutionellen Rassismus im Justizsystem bezieht: Im Trakt der Todeskandidaten ist Ansel einer von nur drei Weißen. Die Verzweiflung der letzten Minuten, die sterile Kälte der Hinrichtungskammer, das Ritual des staatlich legimitierten Tötens jedenfalls machen klar: Auch auf schreckliche Taten kann die Antwort nicht eine so schreckliche Strafe sein. Ein eindringliches Buch über ein schwieriges Thema, spannend geschrieben.

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Veröffentlicht am 19.02.2024

Weißer Jäger im Herzen der Finasternis

Trophäe
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Mit "Trophäe" ist der belgischen Autorin Gaea Schoeters ein großer Wurf gelungen, obwohl und vielleicht gerade weil er eine Welt und Wertvorstellungen schildert, die laut ihrem Interview auf der Verlagswebseite ...

Mit "Trophäe" ist der belgischen Autorin Gaea Schoeters ein großer Wurf gelungen, obwohl und vielleicht gerade weil er eine Welt und Wertvorstellungen schildert, die laut ihrem Interview auf der Verlagswebseite so gar nichts mit ihrer eigenen Lebensphilosophie zu tun hat. Sie sei eine, die wohl einen Moskito eher an die frische Luft tragen als töten würde. Bei ihrem Protagonisten dagegen kann man sagen: nomen est omen. Der Mann heißt Hunter White und ist in der Tat ein weißer Jäger in Afrika, eigentlich eine selbst langsam aussterbende weil nicht mehr zeitgemäße Alphamännchen-Sorte, die die meisten Menschen überhaupt nicht brauchen.

Wo der Roman spielt, bleibt offen, die Andeutungen sprechen für ein Land im südlichen Afrika, doch das bleibt vielleicht absichtlich vage, denn Afrika ist für Hunter nur Kulisse, notwendiges Übel, der Ort eben, an dem er die Tiere findet, die er jagen will. Zu dem Kontinent, zu den Menschen, die dort leben, hat er keinerlei Bezug, sieht sie nur in ihrer Funktion als Fährtenleser, Fahrer, Servicepersonal. Er versucht auch gar nicht erst, irgendwelche Beziehungen aufzubauen - kurz, er ist ein Typ, den ich, würde er mir im realen Leben begegnen, als ziemlichen Kotzbrocken bezeichnen würde.

Als Jäger, der die "Big Five" vollmachen und ein Nashorn erlegen will, sieht sich Hunter als Naturschützer und argumentiert so, wie man es auch von der Jagdlobby bei der Rechtfertigung von Jagdreisen kennt: Dass die Jäger ein Regulativ sind, dass die Einnahmen aus der Jagd in den Naturschutz fließen, das Tiere geschossen werden, die aus dem Genpool entfernt werden sollen, damit jüngere, stärkere Tiere sich fortpflanzen.

Dabei schafft es die Autorin, die Leidenschaft für die Jagd, für das Messen von Stärke, die Pirsch, die Ethik des Jagens so darzustellen, dass Hunters Liebe zur Jagd durchaus nachvollziehbar und verständlich ist, ähnlich so, wie Hemingway über den Stierkampf schrieb: Muss man nicht mögen, aber die Faszination an dem blutigen Spiel lässt sich verstehen.

Damit könnte sich Schoeters begnügen - Der Jäger, seine Beute, seine Ethik, die Moral der Geschichte, doch sie bringt noch ein zusätzliches, ebenso erschreckendes wie faszinierendes Element hinein, als Hunter von seinem Jagdfreund gefragt wird, ob er denn auch die "Big Six" kennt und mit einem indigenen Stamm auf dessen Jagdgebiet in Kontakt gebracht wird, das völlig im Einklag mit der Natur lebt, doch dafür auch einen hohen Preis zu zahlen bereit ist. Hunter erhält ein Angebot, das nicht nur seinen moralischen Kompass auf den Kopf stellt, sondern auch Leser:innen erst mal einiges abnötigt. Letztlich vermutlich die letzte Konsequenz einer Jagd, bei der die Grenzen zwischen Jäger und Beute, zwischen Menschlichem und Tierischem verschwimmen, ethische Regeln in Frage gestellt und das Gesetz des Überlebens zur einzigen Norm wird.

Zwischen den Abschnitten des Buches wird wiederholt aus Joseph Conrads "Herz der Finsternis" zitiert, das ja im Kongo spielt, dem einstigen privaten Eigentum des belgischen Königs Leopold und Paradebeispiel für die Schrecken und Grausamkeiten von Kolonialherrschaft. Hunters Jagd wird eine ganz eigene Reise in die Finsternis. Das Ergebnis ist ein faszinierendes, großartig geschriebenes Buch, das in seiner Radikalität ebenso erschreckend wie grandios ist.

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Veröffentlicht am 09.02.2024

Ein Geist auf Mördersuche

Die sieben Monde des Maali Almeida
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Es gibt Bücher - leider nicht so oft, wie ich es gerne hätte - die sind von Anfang an eine Entdeckungsreise voller Überraschungen, Offenbarungen und neuer Einsichten. "Die sieben Monde des Maali Almeida" ...

Es gibt Bücher - leider nicht so oft, wie ich es gerne hätte - die sind von Anfang an eine Entdeckungsreise voller Überraschungen, Offenbarungen und neuer Einsichten. "Die sieben Monde des Maali Almeida" von Shehan Karunatilaka ist so ein Buch. Ich kannte bisher überhaupt keine Literatur aus Sri Lanka, die Jahre des Bürgerkriegs, der Kampf der Tamil Tigers und die grottenschlechte Menschenrechtsbilanz des Inselstaates sind mir schon eher ein Begriff. Und jetzt dieser kraftvolle, farbige Roman voller Mythen, Poesie und zugleich sarkastisch-realistischer Beschreibungen der Zu- und Missstände!

Der Autor verbindet Mystik, Spannung und Phantasie, während die Leser*innen die Reise von Maali Almeida auf der Suche nach einem Mörder verfolgen. Das Problem dabei: Almeida ist tot, gewaltsam umgekommen, vermutlich ein Opfer der Todesschwadronen in den späten 1980-er Jahren. An die letzten Momente vor dem Ableben kann er sich nicht mehr erinnern, statt dessen steht er vor einer Reihe von Entscheidungen: Sieben Monde hat der Geist des Toten Zeit im "Dazwischen", wo die Geister der Toten noch im Diesseits unterwegs sind, dann muss er entweder in die Ewigkeit einchecken oder ist frei Beute für die Dämonen, die unter den Seelen der Toten ihren Nachwuchs rekrutieren.

Schon allein die Erzählperspektive ist interessant, denn der Geist als Ich-Erzähler ist schon abgespalten von seinem alten, körperlichen Selbst, das als "du" betitelt wird, während es Maali Almeidas Leben erzählt: Als Kriegsfotograf ein Zeuge des Grauens, der Verbindungen zu allen Seiten hatte, als versteckt lebender, aber nicht ganz so diskreter Homosexueller hin und her gerissen zwischen DD, seiner großen Liebe und den vielen hübschen Männern, denen er einfach nicht widerstehen kann, als bester Freund der Rundfunkjournalistin Jaki, Cousine von DD, Mitbewohnerin und Pseudo-Freundin, die ihm den Anschein von Heterosexualität verleihen kann.

DD, Jaki und Almeidas Mutter sind auf der Suche nach dem Vermissten, fürchten das Schlimmste. Ein ermordeter Kommunist will Almeida für einen Rachefeldzug an den Verantwortlichen der Todesschwadronen gewinnen, eine ermordete Universitätsdozentin will ihn bewegen, die Chance zum Eingang in die Ewigkeit nicht verstreichen zu lassen. Im Diesseits sind unterdessen viele Menschen aus ganz unterschiedlichen Motiven auf der Suche nach Almeidas ungedruckten Bildern, die durchaus Sprengkraft haben, verbinden sie doch einen hohen Politiker mit Massakern und zeigen Allianzen, die es eigentlich nicht geben dürfte. Währenddessen reist Almeidas Geist mit dem Wind überall dorthin, wo er seinen Namen hört und versucht verzweifelt, mit denen zu kommunizieren, denen er noch letzte Botschaften zukommen lassen will. Doch der Preis, den er dafür zahlen muss, könnte hoch sein.

Wie diese Reise verläuft, das soll hier nicht verraten werden, nur so viel: Hinduistische und buddhistische Mythen spielen ebenso eine Rolle wie existenzielle Fragen zu Leben, Tod und Wiedergeburt. Karunatilaka schreibt farbenprächtig und bildstark, lässt Bilder, Geräusche und Gerüche beim Lesen aufsteigen. Ein buchstäblich phantastischer Roman, an dessen Ende nicht nur Almeida eine große Überraschung erlebt, trotz der schweren Themen nicht ohne Humor. Ob "Die sieben Monde des Maali Almeida" auch ein queerer Roman ist, darüber lässt sich vermutlich streiten. Der Autor selbst sagte in einem Interview, es sei ihm nicht darum gegangen, einen LGBTQ-Roman zu schreiben, doch das verkappte Leben in einer repressiven Gesellschaft, die heimliche Subkultur und die Suche nach Asudrucksmöglichkeiten sind ein ganz wesentlicher und wichtiger Teil dieses Buches, für das ich eine unbedingte Leseempfehlung gebe.

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Veröffentlicht am 13.06.2023

Afrokaribische Magie

Als wir Vögel waren
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In ihrem Debütroman "Als wir Vögel waren" führt die aus Trinidad stammende Autorin Ayanna Lloyd Banwo ihre Leser auf eine fantastische Reise voller afrokaribischer Magie, Spiritualität und Geisterglaubens. ...

In ihrem Debütroman "Als wir Vögel waren" führt die aus Trinidad stammende Autorin Ayanna Lloyd Banwo ihre Leser auf eine fantastische Reise voller afrokaribischer Magie, Spiritualität und Geisterglaubens. Ihr Buch ist sowohl eine Liebesgeschichte als auch eine Reflektion über Leben, Tod und das Unbekannte jenseits des letzten Atemzugs. Auch wenn ich mich in der Karibik nicht auskenne, erinnert mich manches an die Geisterwesen der Igbo oder Yoruba, an Woodoo aus Benin - aber gerade daraus, aus dem kulturellem Erbe der versklavten Afrikaner, dürfte ja auch die karibische Entsprechung des Geisterglauens stammen.

Banwos Buch stützt sich auf zwei Protagonisten: Emmanuel Darwin ist ein junger Rastafarian vom Lande, der nach Port Angeles auf der Suche nach Arbeit gekommen ist, um seine alleinerziehende Mutter zu unterstützen. Der einzige erhältliche Job stößt ihn in einen Gewissenskonflikt: Er soll als Totengräber auf dem Friedhof arbeiten. Dabei verbietet ihm seine Religion, sich mit Toten zu umgeben. Für seine Mutter ist der Moment, an dem Darwin sein Gelübde bricht und seine Dreads abschneidet, der Bruch mit allem, was ihr wichtig ist.

Ein noch unbehaglicheres Gefühl hat Darwin angesichts seines neuen Chefs und seiner Kollegen. Es scheint Geheimnisse auf dem Friedhof zu geben, von denen er nichts weiß - und sein Chef scheint eine merkwürdige Macht zu genießen, die angesichts seines Berufes seltsam wirkt.

Die andere Hauptperson ist Yejide, die in einem alten Haus auf dem Berg im Dschungel lebt. Eingeführt wird sie als kleines Mädchen, dem die Großmutter die Geschichte der Cobeaus erzählt, der magischen Vögel, die die Toten fressen und Kriege beendeten. Als Erwachsene hadert Yejide mit ihrer dominanten Mutter, die sie in der Todesstunde beerben muss. Denn die Frauen der Familie sind auf geheimnisvolle Weise mit dem Reich der Toten verbunden, können den Tod rund um andere Menschen sehen. Es ist eine Macht, die persönliche Beziehungen schwierig macht.

Die Beziehung zwischen Darwin und Yejide ist buchstäblich von Magie erfüllt - sie sehen einander im Traum, ehe sie das erste Mal aufeinandertreffen, erkennen sich als Schicksalsgefährten. Doch kann ein Mensch sein Schicksal umgestalten?

Mich hat "Als wir Vögel waren" fasziniert. Das Buch ist bildreich, dramatisch und fantasievoll ausgeschmückt. Es gibt komplizierte Beziehungsdynamiken und tiefe Gefühle, die nie ins Kitschige abgleiten. Vor allem die Szenen rund um die Totentage Allerheiligen und Allerseelen, wo Religion, Mystisches und Magisches aufeinandertreffen, sind grandios. Beim Lesen konnte ich geradezu Trommelrhytmen hören und den Schein von Kerzen und Fackeln sehen, schwüle Dschungelluft riechen. Auch der alte Friedhof als zentraler Schauplatz des Geschehens besticht mit teils schauriger, aber auch faszinierender Athmosphäre. Ein großartiges Debüt, ich bin sehr gespannt, was von dieser Autorin noch kommen wird.

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