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Veröffentlicht am 22.04.2025

Tue-Trilogie, Band 2

Stadt
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„Stadt“ ist die Fortsetzung von Thomas Korsgaards Tue-Roman „Hof“. Während es in „Hof“ um Tues Kindheit geht, setzt „Stadt“ bei dem 17-jährigen Tue ein. Er zieht zu seiner besten Freundin Iben, in die ...

„Stadt“ ist die Fortsetzung von Thomas Korsgaards Tue-Roman „Hof“. Während es in „Hof“ um Tues Kindheit geht, setzt „Stadt“ bei dem 17-jährigen Tue ein. Er zieht zu seiner besten Freundin Iben, in die Stadt.

Da im Wohnheim niemand vom Mitbewohner wissen darf, wird das Ganze schnell kompliziert. Und so richtig weiß Tue auch noch nicht, was er aus seinem Leben machen will. Zwei Schritte vorwärts und einen wieder zurück – so kann man vielleicht am besten sein Verhalten beschreiben.

Derweil könnte es seinen Eltern besser gehen, hat die Versicherung doch wegen eines ärztlichen Kunstfehlers gezahlt – aber Tues Mutter denkt daran, ihren Mann für einen anderen zu verlassen. Und auch ihr Verhältnis zu Tue ist – gelinde gesagt – angespannt. Es gelingt Tue mitnichten, sich von seinem Elternhaus abzukapseln. Was seine Emanzipation angeht, tritt er auf der Stelle.

Auch schulisch könnte es besser laufen. Das Abitur steht an, und Tue kann sich nicht wirklich aufraffen, viel für die Schule zu tun.


Immerhin: der Titel des dritten Bandes der Tue-Trilogie lautet „Paradies“ – und verspricht ein positiveres Ende der Trilogie.

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Veröffentlicht am 22.04.2025

Lesenswert

Ginsterburg
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Arno Franks Roman „Ginsterburg“ spielt in einer fiktiven Stadt, allerdings nicht in einer fiktiven Welt. Arno Frank begibt sich mit „Ginsterburg“ in die Zeit des Nationalsozialismus, zwischen 1935 und ...


Arno Franks Roman „Ginsterburg“ spielt in einer fiktiven Stadt, allerdings nicht in einer fiktiven Welt. Arno Frank begibt sich mit „Ginsterburg“ in die Zeit des Nationalsozialismus, zwischen 1935 und der Nachkriegszeit spielt der Roman.

Hauptfiguren in „Ginsterburg“ sind die durchschnittlichen Menschen. Diejenigen, die sich mehr oder weniger schnell mit dem neuen System arrangieren. Helden gibt es in dieser Stadt nicht. Es gibt keine Widerstandskämpfer, allenfalls Kriegshelden. Menschlich handeln sie, sympathisch geben sie sich dabei selten.

Otto Gürckel profitiert vielleicht am meisten vom neuen System. Der Gärtnerei-Besitzer wird zum Blumengroßhändler und zum NSDAP-Kreisleiter. Dass seine Frau ihn mit einer NS-Größe hintergeht, macht ihn nur wenig sympathischer, nimmt er sich doch immer wieder vor, ordentlich „aufzuräumen“. Merle, die ihren Sohn zunächst nicht zur HJ gehen lässt, arrangiert sich damit, dass er schließlich zum Piloten ausgebildet wird – und sogar die neuen Wunderwaffen der Nazis testen darf. Die NS-Propaganda hinterfragt sie immer weniger.

Die tragischste Figur ist vielleicht Eugen, der vom kritischen Journalisten zum Zeitungsherausgeber und zum Schreiberling von Göbbels wird. Bei ihm wundert einen die Rückgrat-Losigkeit mit am meisten. Die Möglichkeit, sich in beruflichem Erfolg zu suhlen, wiegt für ihn mehr als seine innere Überzeugung. Hier – und das ist auch gut so – macht Arno Frank keine großen Worte über das Aufgeben einstiger Ideale. Es geschieht einfach und bleibt letztlich schwer erklärbar.

Arno Frank geht es nicht darum, Helden zu erschaffen. Er zeigt mit „Ginsterburg“, wie alle mehr recht als schlecht im neuen System leben, sich arrangieren und unterordnen. Deshalb erzählt er aus ihrer Perspektive – wodurch diese im Roman häufig wechselt. Um die Verführbarkeit von Menschen geht es Frank nicht. Die setzt er voraus. Vielleicht ist der Name Ginsterburg kein Zufall – wächst Ginster doch an nährstoffarmen Stellen. Viel ist es nicht, was entstehen kann, wenn die Nährstoffe fehlen, ist vielleicht eine Lehre aus dem Roman. Schlechte Umstände setzen nichts Gutes frei.

Man könnte aber auch einen Schritt weiter gehen: Als der Prophet Elija nicht mehr konnte, legte er sich unter einen Ginsterbusch, um zu sterben. Und so sind auch die Figuren in Arno Franks Roman erschreckend lethargisch und zutiefst unpolitisch. Elija gibt sich geschlagen, will nichts mehr von seinem großen Auftrag wissen und verliert seinen Antrieb. Und so wirken auch die Gintersburger energie- und antriebslos. Freilich mit einem Unterschied: Elija wird von Gott durch Raben gerettet, während Ginsterburg untergeht, als böses Omen dienen dabei die Kraniche.

Überhaupt die Motive in diesem Buch! Sie sind es, die dieses Buch zu guter Literatur machen. Die Wahrsagerin gibt es da, die immer wieder im Laufe der Geschichte auftaucht, ebenso die Kraniche, die schon mit einem Schiller-Zitat dem Roman vorangestellt sind und dann, an der Front, sinnlos abgeschossen werden – aus Langeweile.

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Veröffentlicht am 22.03.2025

Thomas Manns Radioansprachen

Deutsche Hörer!
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Genau 59 Mal wendete sich Thomas Mann über den Rundfunk an die Deutschen. „Deutsche Hörer“ heißt nun das Buch, das diese Reden gesammelt veröffentlicht. Herausgegeben sind sei von Mely Kiyak,

Thomas Mann ...

Genau 59 Mal wendete sich Thomas Mann über den Rundfunk an die Deutschen. „Deutsche Hörer“ heißt nun das Buch, das diese Reden gesammelt veröffentlicht. Herausgegeben sind sei von Mely Kiyak,

Thomas Mann war schon über 60 Jahre alt, als er ab 1941 aus den USA sich an die Deutschen wandten. Insgesamt waren es 59 Rundfunkansprachen über die BBC. Die letzte erfolgte nach dem Krieg, als Thomas Mann sich verteidigen musste, weshalb er nicht nach Deutschland zurückkehrte. Dennoch stellt Mely Kiyak Thomas Mann das Urteil aus, dass er „merkwürdigerweise politisch fürchterlich naiv war“. So habe Thomas Mann keinerlei Vorbereitungen für seine Emigration getroffen. Messerscharf hingegen ist das Urteil Manns zum Nationalsozialismus.

Liest man Thomas Manns Reden heute, so fällt auf, wie klar Thomas Mann das Menschenverachtende des Nationalsozialismus benennt – um starke Worte ist er dabei nicht verlegen. So spricht er vom „Unflat des Hitlerismus“, vom „Teufelsdreck“ des Nationalsozialismus und von Hitler als „fanatischem Idiot“ oder einer „hohlen Null“. So gut wie in jeder Ansprache gibt es eine Kaskade an Beschimpfungen gegen den Nationalsozialismus.

Schon 1940 spricht Thomas Mann darüber, was nach dem Zweiten Weltkrieg sein könnte – „die Errichtung einer Gesellschaft freier, aber der Gesamtheit verantwortlicher Völker mit gleichen Rechten und Pflichten“, eine Neuordnung der Welt. Später dann verteidigt er den Gedanken an ein geeintes Europa – den die Vereinnahmung des Europa-Begriffs durch die NS-Politik.

Wie ein roter Faden zieht sich durch Manns Reden der Wunsch, dass die Deutschen den Aufstand gegen Hitler wagen. In Blick auf Deutschlands Zukunft berge der Aufstand gegen Hitler die Chance, dass Deutschland nicht zerstört wird. Und so sagt Thomas Mann: „euer Gehorsam ist grenzenlos, und er wird, dass ich es euch nur sage, von Tag zu Tag unverzeihlicher“. „Ein ewiges Kopfschütteln wird sein über ein Volk, das deutsche, das, wo längst aller Wahn, alle Hoffnung zerstoben, weiterkämpft“, schreibt Mann im März 1944 und spricht von Deutschland als einem Trümmerfeld, bewohnt von „wenigen wölfisch schweifenden Halbtieren“.

Für Mann ist es unverständlich, weshalb die Nationalsozialisten nicht kapitulierten, sondern ein „Blutkonto des totalen Krieges“ betrieben. Thomas Mann erwartet Anfang 1944 20 bis 25 Millionen Opfern des Krieges. Dass es schließlich über 60 Millionen wurden, allzu sehr hätte es Thomas Mann nicht verwundert. Unermüdlich hat Thomas Mann den Deutschen ins Gewissen geredet. Den Schrecken hatte er immer vor Augen.

Auf Kriegsgräuel geht Thomas Mann ein, auch auf den Massenmord von Mauthausen, wobei Thomas Mann den Umfang der Judenvernichtung mit ihren Konzentrationslagern nicht wusste, sondern von Vergasungen in Zügen spricht.

An manchen Stellen hört man den Literaturnobelpreisträger noch heraus. Zwischen die klar formulierten Aussagen schleichen sich Wörter wie „Gelichter“, „Piedestal“, „Pönitenz“, er spricht von einem Land der „Traulichkeit“ und dem „maniakalischen Entschluss zur völligen Austilgung der europäischen Judenschaft“.

Leider fehlen in dem Buch Anmerkungen, die an manchen Stellen hilfreich gewesen wären. So spricht Thomas Mann etwa von einem Manifest in Russland gefangener Offiziere oder von einer historischen Zusammenkunft von Teheran – den wenigsten dürfte das etwas sagen. Interessant wäre auch zu wissen, woher Thomas Mann seine Informationen zu Deutschland bekam – aber das würde wohl den Rahmen dieses Buches sprengen.

Veröffentlicht am 15.02.2025

Schaurig-schöne Reise durchs Ödland

Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland
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Geheimnisvoll bleibt es, das Ödland. In ihrem Buch „Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland“ beschreibt Sarah Brooks die Reise von Peking nach Moskau mit dem Transsibirien-Express im Jahr ...

Geheimnisvoll bleibt es, das Ödland. In ihrem Buch „Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland“ beschreibt Sarah Brooks die Reise von Peking nach Moskau mit dem Transsibirien-Express im Jahr 1899.

Ein Abenteuer für die Reisenden, so wirkt es am Anfang des Romans. Ein Abenteuer durch ein gefährliches Gebiet, in dem man besser den Zug nicht verlässt. Doch im Verlauf des Buches wird immer deutlicher, dass es kein gewöhnliches Abenteuer ist, auf das sich eine illustre Gruppe an Reisenden eingelassen hat. Und dass es einen Reiseführer dazu gibt, hilft auch nicht wirklich weiter, denn das Ödland ist nicht mehr nur öde, sondern auch ziemlich angriffslustig und birgt für die Zugreisenden jede Menge Gefahren. Und die beginnen bereits, wenn man im falschen Moment aus dem Zug schaut.

Sarah Brooks „Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland“ ist ein ganz wunderbar verrückter Reiseroman. Die Reisegesellschaft hätte kaum interessanter gewählt sein können. Da ist die erste weibliche Lokführerin, der Captain, dann eine unter falschem Namen reisende Frau, eine Zugbegleiterin, die bereits im Zug geboren wurde und dort ihr Zuhause hat, ein blinder Passagier, ein Wissenschaftler… Hinzu kommen noch zwei Vertreter der Eisenbahn-Gesellschaft. Sie sollen überprüfen, wie sicher die Fahrt durch das Ödland noch ist .Bei der letzten Reise nämlich kam es zu einem Zwischenfall…

Die Reise durchs Ödland ist spannend und unterhaltsam geschrieben. Und das auf mehreren Ebenen.

Da ist das Ödland selbst: es bleibt geheimnisvoll, scheint sich dem Zug anzupassen und bringt mitunter seine Betrachter in den Wahnsinn. Von seinen Bewohnern erfährt man nicht viel.

Dann ist da die Reisegesellschaft, die sehr exzentrische Figuren hat wie etwa den Wissenschaftler, der seine Reputation wiederherstellen will oder die 16-jährige Zugbegleiterin, die ihr ganzes bisheriges Leben im Zug verbracht hat.

Schließlich ist da noch die Eisenbahngesellschaft, die um der guten Profite willen die Strecke durchs Ödland um jeden Preis erhalten will, auch wenn sie alles andere als sicher ist.

Und zuletzt ist da die Reise selbst mit dem gepanzerten Zug, der eine Welt für sich darstellt. Wird er sein Ziel erreichen oder wird er kontaminiert aus dem Verkehr gezogen?

Das „Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland“ ist ein Schauer-Roman voller überbordender Fantasie. Was will man mehr!

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Veröffentlicht am 15.02.2025

Ein sehr distanzierter Thomas Mann

Gefährliche Betrachtungen
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Ein Kriminalroman mit Thomas Mann? In seinem Roman „Gefährliche Betrachtungen“ lässt Tilo Eckardt an Thomas Manns Ferienparadies in Nidden ein Kriminalfall spielen, um den es um ein verschwundenes Manuskript ...

Ein Kriminalroman mit Thomas Mann? In seinem Roman „Gefährliche Betrachtungen“ lässt Tilo Eckardt an Thomas Manns Ferienparadies in Nidden ein Kriminalfall spielen, um den es um ein verschwundenes Manuskript Thomas Manns geht.

Das klingt originell und unterhaltsam. Beides trifft aber leider nur bedingt zu.

Ein litauischer Übersetzer mit dem unaussprechlichen Namen Zydrūnas Miuleris – dankenswerterweise im Roman zumeist Müller genannt – reist zu Thomas Manns Ferienhaus in Nidden an der Kurischen Nehrung. Er will Thomas Mann davon überzeugen, dass er dessen Werke ins Litauische übersetzt. Ebenjener Müller ist dabei nicht nur ein glühender Verehrer Thomas Manns, sondern besitzt zugleich ein fotografisches Gedächtnis. Das wird ihm zum Verhängnis. Denn als er zufälligerweise Manuskriptseiten Thomas Manns sieht, schreibt er sie aus dem Gedächtnis auf – und verliert sie.

Das wäre weiters nicht schlimm, wären es nicht Manuskriptseiten, auf denen der Entwurf für eine politische Rede Thomas Manns stünde. Denn wir befinden uns im Jahr 1930, und der Nobelpreisträger will sich gegen den Nationalsozialismus äußern. Da wäre es fatal, wenn ein Entwurf der Rede vorab in die falschen Hände käme!

Müller weiht Thomas Mann in das Missgeschick ein und gemeinsam machen sie sich auf die Suche. Müller sieht sich selbst bereits als Watson und Thomas Mann als Sherlock Holmes. Doch freilich: Dieser vergleich hinkt zutiefst. Denn eigentlich ist es nur Müller, der sich auf die Suche nach dem verlorenen Manuskript macht. Thomas Mann bleibt immer im Hintergrund. Er wird als distanzierter Beobachter beschrieben. Gefühlsregungen scheinen ihm fremd, allenfalls zuckt der Mund oder eine Augenbraue wird gehoben.

Interessant wäre gewesen, in Thomas Manns Kopf hineinzuschauen, zu sehen, wie er fühlt, denkt, argumentiert, Dinge betrachtet, aber an all das traut sich Eckardt nicht heran. Das ist schade. Denn gerade der Wandel vom Unpolitischen hin zum politischen Mann hätte man ausfabulieren können. Doch für Eckardt scheint dies ein Rätsel zu sein, das er offen lassen möchte.

Stattdessen nehmen wir auch als Leser nolens volens einen ehrfurchtsvollen Abstand zu Thomas Mann ein, und dürfen aus der Ferne mitverfolgen, wie Thomas Mann durch den Wald spaziert, wie er schweigt, zwischendurch bedachte Worte von sich gibt und jede Menge Zigarren raucht.

Dennoch bleibt es eine gute Idee, Manns Rede gegen den aufkommenden Nationalsozialismus als Ausgangspunkt des Kriminalromans zu nehmen. Denn Thomas Mann hat seine Rede ja tatsächlich als Überraschungscoup geplant, indem er eine Lesung aus dem Josephs-Roman schlichtweg zu einer politischen Rede umwandelte.

Freilich ist Spannung kaum vorhanden, der Stoff bleibt doch recht dünn, am interessantesten sind noch die Ausführungen zur Rede. Das liegt vor allem daran, dass das Gespann Mann-Müller an keiner Stelle ein Duo wie Holmes-Watson ist. Müller findet dies und jenes mehr oder weniger zufällig heraus, dabei ist er dankenswerterweise deutlich emotionaler als Thomas Mann. Die Gespräche zwischen Mann und Müller bleiben eher holprig – denn da ist die Ehrfurcht vor de Nobelpreisträger auf der einen Seite und das Misstrauen Thomas Manns gegenüber dem Eindringling Müller auf der anderen Seite. Ein offener Austausch von Gedanken findet kaum statt.

Das letzte Drittel des Romans entwickelt sich schließlich zum Abenteuer-Klamauk inklusive eines Mannes, der im Toilettenfenster feststeckt. Das kann man mögen, muss man aber nicht.

Für den, der sich für Thomas Mann interessiert, bietet der Roman insgesamt zu wenig. Für den, der sich für einen Kriminalroman interessiert, bietet der Roman erst am Schluss ein wenig Action.

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