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Veröffentlicht am 14.02.2023

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Macht
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Eine von zehn Frauen in Norwegen wird im Laufe ihres Lebens vergewaltigt. Liv, die Protagonistin in Heidi Furres Roman "Macht", ist diese große Eins in der Zehn. Die eine von zehn Frauen in der Umkleide ...

Eine von zehn Frauen in Norwegen wird im Laufe ihres Lebens vergewaltigt. Liv, die Protagonistin in Heidi Furres Roman "Macht", ist diese große Eins in der Zehn. Die eine von zehn Frauen in der Umkleide des Fitnessstudios, die eine von zehn Frauen in der Reihenhauszeile, die eine von zehn Frauen auf dem Elternabend. Livs Vergewaltigung liegt zum Zeitpunkt der Geschichte 15 Jahre zurück. Sie lebt mittlerweile das wohlsituierte Leben einer verheirateten Mutter von zwei kleinen Kindern. Der Ehemann arbeitet im Managementbereich, sie selbst ist Pflegerin und verrichtet sowohl beruflich als auch zuhause Care-Arbeit. Nach außen hin hat sie ihr Leben im Griff. Sie kümmert sich um die Belange der Familie, geht gewissenhaft ihrem Job nach, macht viel Sport und achtet stets darauf, gepflegt auszusehen und gut gekleidet zu sein. Doch in ihrem Inneren sieht es anders aus.
Liv hat nach wie vor mit den Nachwirkungen ihrer Vergewaltigung zu kämpfen. Ihre Gedanken kreisen täglich und nächtlich um das Ereignis. Sie versucht seit Jahren verzweifelt die Macht über ihren Körper und ihr Leben zurückzuerlangen. Indem sie sich beim Sport verausgabt, ihr Äußeres mit teuren Kleidern und Kosmetikartikeln schmückt und formt, sich verzweifelt an das Idealbild einer heteronormativen Familie klammert. Doch immer begleitet und verfolgt sie der Moment, in dem sie die Macht verloren zu haben scheint. Alltägliche Situationen können Krisen auslösen, sie ist eine Hülle, wirkt in der Innenansicht passiv und gefühlsgedämpft, aber gleichzeitig auch mutig und stark, während sie mit sich kämpft und versucht, das Geschehene in ihrem Bewusstsein zurückzudrängen.
Die Autorin beschreibt in kurzen prägnanten Paragraphen das Leben ihrer Protagonistin. Diese Form hat mir sehr zugesagt. Es gibt weder Kapitel noch eine klare Struktur. Die Absätze wirken eher wie Splitter oder Scherben eines Tages oder einer Situation. In ihnen geht es nicht nur um sexuelle Gewalt an Frauen, sondern auch um Ausbeutung und das weibliche Rollenbild. Es werden immer wieder Bezüge zu Kunst und Kultur, sowie zu gesellschaftlichen Kontroversen, genommen. Die #metoo-Debatte wird beleuchtet, aber auch Medienwerke, wie z.B. der Film "Thelma & Louise" oder der Roman "Die Wand" werden thematisiert. Manchmal durchbricht Liv sogar die Trennlinie und spricht die Lesenden direkt an. Das hat mir gut gefallen.
Nichtsdestotrotz ist es nicht leicht in Livs Kopf zu sein. Die Vergewaltigung prägt sie maßgeblich, sie kreist in Gedanken quasi ständig um dieses Ereignis. Tatsächlich bietet das Buch wenig entlastendes Gegengewicht zu diesem Thema. Positiv wahrgenommen habe ich allerdings Livs Wahrnehmung von anderen Frauen, die ich als schwesterlich und emphatisch wahrgenommen habe. Ihr Trauma geht jedoch so weit, dass sie glaubt, in den Gesichtern jener Frauen erkennen zu können, ob diese vergewaltigt worden sind.

"Macht" von Heidi Furre ist sicherlich keine leichte Kost. Es ist ein schweres, bedrückendes Buch, das eine schwere und bedrückende Wahrheit über unsere Gesellschaften erzählt. Die Geschichte spielt in Norwegen und könnte doch überall verortet sein. Ich bin ein großer Fan davon, dass solche Geschichten und Schicksale in der Literatur aufgearbeitet werden. Dass erzählt wird, wie es ist oder wie es sein kann, eine Frau zu sein. Dass von schönen Dingen und schönen Menschen erzählt wird, ohne dass es dabei eine schöne Geschichte zu hören gibt. "Macht" gelingt dies in einer Vielschichtigkeit und mit einem Nachhall, den man auf so wenigen Seiten kaum erwarten kann.

An dieser Stelle auch ein großes Lob an den Dumont-Verlag für die herausragend schöne optische wie haptische Gestaltung dieses Buchs. Beginnend beim Schutzumschlag bis hin zu den Schwerz-Weiß-Drucken auf den Innenklappen merkt man wie viel Liebe und Gedanken in diesen Roman geflossen sind. "Macht" ist wirklich ein Buchschatz. Trotz und wegen der Thematik.

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Veröffentlicht am 19.01.2023

Der König von Amerika

Der Inselmann
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So viel Schönes und viel Trauriges haben sich in diesem kleinen, aber großartigen Buch vereint! "Der Inselmann" erzählt die Geschichte eines Jungen, der zum Inseljungen wird, dann zum Mann und schließlich ...

So viel Schönes und viel Trauriges haben sich in diesem kleinen, aber großartigen Buch vereint! "Der Inselmann" erzählt die Geschichte eines Jungen, der zum Inseljungen wird, dann zum Mann und schließlich zum Inselmann. Hans ist elf Jahre alt, als seine Eltern mit ihm die Stadt verlassen und sich auf den Weg machen - über's Wasser, über den See um genau zu sein, auf eine kleine, abgelegene Insel, die in Mitten dieses Sees liegt. Dort sind sie die einzigen Bewohner und Hans wird Stück für Stück eins mit der Natur. Er ist der selbstgekrönte König seiner Insel, findet Geborgenheit in der Einsamkeit und Stille, die ihn von nun an umgeben. Fremde Menschen werden ihm immer fremder, bis er allmählich und dann ganz plötzlich aus seinem Paradies verbannt wird. Dieses Paradies, das ihn Zeit seines Lebens nicht mehr loslassen wird.
Dirk Gieselmann erzählt mit klarer Sprache von Inseln, von Jungen, von Walen, von Menschen, vom Erwachsenwerden und von Einsamkeit. Der Text liest sich sehr lyrisch, manchmal wie eine Ballade - Die Ballade vom Inselmann. Es handelt sich um eine Art Hybrid aus Gedicht, Roman, Sage, dunklem Märchen, eindringlich und einnehmend. Die Atmosphäre ist düster. Man hat es hier mit einer traurigen Geschichte zu tun. Vor allem aber ist es eine schöne Geschichte. Der Text selbst spricht mehrfach von diesem Gegensatz und es stimmt wirklich. Diese Geschichte ätherisch und voller Melancholie. Der Spannungsbogen wird eng gespannt und durchweg aufrecht erhalten. Der Text bildet von der Einstiegsszene bis zum Schluss ein stimmiges Gesamtbild. Erzählt wird nicht nur von Hans, sondern auch in kurzen Einschüben von den Menschen, die er trifft. Seinen matten Eltern, seinem besten Freund Kalle, seinem Widersacher Manne. Außerdem erzählt das Buch Geschichten über Inseln, ihre Bewohner und das Wasser, das sie umschließt.
Der Roman ist dünn. Es liest sich leicht an einem Tag oder in einer Nacht. Erst einmal begonnen, wollte ich am liebsten gar nicht mehr aufhören ihn zu lesen. Das Buch hat mich begeistert. Es hat mir unwahrscheinlich gut gefallen.
"Der Inselmann" ist mein erstes Highlight im Jahr 2023.

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Veröffentlicht am 23.10.2022

Der Advent kann kommen!

Meine schönsten Weihnachtsmärchen
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Zu allererst die wichtigste Information:
Dieses Buch ist ein Adventskalender!
Das war mir anfangs gar nicht klar. Ich habe es erst feststellen dürfen, nachdem ich "Meine schönsten Weihnachtsmärchen" ...


Zu allererst die wichtigste Information:
Dieses Buch ist ein Adventskalender!
Das war mir anfangs gar nicht klar. Ich habe es erst feststellen dürfen, nachdem ich "Meine schönsten Weihnachtsmärchen" schon erhalten hatte, und habe mich irrsinnig darüber gefreut.
Ich kann mir einfach keinen schöneren und nachhaltigeren Kalender vorstellen, als diese Geschichtensammlung, die sicher für viele viele Jahre meine persönliche Hausbibliothek bereichern wird.
Ich stelle mir vor, wie schön es sein muss, wenn man Kind ist, und jeden Tag im Advent von seinen Eltern aus diesem wunderbar bunt illustrierten Buch ein Märchen vorgelesen bekommt. Auf den teils liebevollen und oft großflächigen Zeichnungen gibt es so viel zu entdecken!
Die Geschichten sind gut durchmischt. Sie reich von Klassikern wie "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern" über mir gänzlich unbekannte Erzählungen bis hin zur Weinachtsgeschichte.
Ich glaube, man kann an "Meine schönsten Weihnachtsmärchen" in jedem Alter Freude haben. Ich sehe eine Zielgruppe von 0 bis 99, weil die Machart dieses Geschichtenbands so eine zeitlose urweihnachtliche Emotion transportiert, an die sich wahrscheinlich jeder aus seiner Kindheit erinnern kann.

Fazit:
Dieses Buch weckt so viele warme, weihnachtliche Gefühle in mir! Es spricht zu dem Kind in mir und auf einmal wünsche ich mir, dass 2005 zurück, damit ich selbst noch im Vorleseadventskalenderalter sein kann. Ich kann den 1. Dezember in diesem Jahr kaum noch erwarten!

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Veröffentlicht am 18.09.2022

Carrie Soto wins!

Carrie Soto is Back
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Nach Evelyn Hugo, Daisy Jones und Malibu Rising hat Taylor Jenkins Reid im August endlich ein neues Buch veröffentlicht: In "Carrie Soto is back“ geht es um eine 37jährige Ex-Profisportlerin, die einst ...

Nach Evelyn Hugo, Daisy Jones und Malibu Rising hat Taylor Jenkins Reid im August endlich ein neues Buch veröffentlicht: In "Carrie Soto is back“ geht es um eine 37jährige Ex-Profisportlerin, die einst die beste Tennisspielerin der Welt gewesen ist, und nun zurückkommen will, um ihre alten Rekorde zu verteidigen. Dabei muss sie sich nicht nur sportlichen Herausforderungen stellen, sondern auch den Spott der Medien und der Öffentlichkeit ertragen.
Ich kann gar nicht exakt den Finger darauf legen und benennen, was es ist: Die Bücher von Taylor Jenkins Reid sind allesamt Volltreffer für mich. Dabei sind sie weder auf sprachlicher noch auf atmosphärischer Ebene auffallend besonders. Sie haben einfach einen gewissen Drive, ein unbestimmtes Etwas, ein ganz eigenes Herz. Schlage ich die erste Seite auf, fühlt es sich für mich so an, als würde ich auf einer leeren Autobahn fahren und das Gaspedal bis zum Anschlag durchtreten. Ich kann sie nicht mehr weglegen!
Carrie Soto steht ihren Vorgängerinnen in meinen Augen in nichts nach. Ich habe das Buch in wenigen Tagen inhaliert. An verschiedenen Stellen habe ich Kritik daran gelesen, dass sich die Geschichte zu sehr um Tennis dreht. Das ist ein berechtigter Einwand! Es geht wirklich um sehr, sehr viel Tennis. Ein Spiel, von dem ich vor diesem Buch absolut keine Ahnung hatte und an dem ich noch nie einen Funken Interesse verspürt habe. Und trotzdem haben mich der Plot und Carries Figur so sehr abgeholt. Jedes einzelne Tennisspiel liest sich aufregend für mich. Vielleicht liegt es daran, dass ich so gerne miterlebe, wenn ein Underdog sich entgegen aller Erwartungen an die Spitze kämpft. Carrie Soto hat mich übrigens ein bisschen an Beth aus Walter Tevis’ „Das Damengambit“ erinnert. Obwohl beide Bücher mit ihren Protagonistinnen sehr unterschiedlich sind, erkenne ich doch Parallelen.
Ich mag Carries Figur sehr. Sie ist kompromisslos, wenn es um ihre Ziele geht, vergreift sich manchmal im Ton. Sie versucht niemandem zu gefallen, will aber doch allen etwas beweisen. Ich finde, man merkt TJRs Büchern jedes Mal an, dass sie bemüht darum ist, etwas Wertvolles zu schreiben und „gute Werte“ zu vermitteln. Dass man als Frau nicht so sein muss, wie die Gesellschaft es vorgibt, dass man anecken darf, dass man Fehler machen darf. In diesem Sinne erinnert mich Carrie Soto stark an Evelyn Hugo und ich weiß, das ist eine unpopular opinion, aber ich glaube im direkten Vergleich mag ich sie fast noch ein bisschen lieber. Überhaupt finde ich es bewundernswert, wie es die Autorin schafft, bei diesen riesigen Erwartungen, die mittlerweile an ihre Geschichten gestellt werden, immer wieder großartige Bücher wie dieses zu schreiben. „Carrie Soto is back“ ist es definitiv wieder wert gelesen zu werden!
Einzig mit der deutschen Übersetzung bin ich in Teilen nicht ganz glücklich. Da sind sehr handlungsrelevante Begriffe oder Sätze teilweise unpassend ins Deutsche übertragen worden.

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Veröffentlicht am 08.08.2022

(Er)leuchtend

Matrix
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Nie hätte ich gedacht, dass ein Roman über Nonnen im 12. Jahrhundert einmal so begeistern könnte.

Inhalt:

Die siebzehnjährige Marie, uneheliche Tochter eines Monarchen, durch eine Vergewaltigung gezeugt, ...

Nie hätte ich gedacht, dass ein Roman über Nonnen im 12. Jahrhundert einmal so begeistern könnte.

Inhalt:

Die siebzehnjährige Marie, uneheliche Tochter eines Monarchen, durch eine Vergewaltigung gezeugt, wird von Eleonore von Aquitanien, ihrer geliebten Königin, verstoßen und in ein verarmtes Nonnenkloster verbannt. Für Marie erscheint dieses Schicksal zunächst unerträglich. Doch schon bald erkennt sie, dass die einzige Möglichkeit ihrem Elend zu entrinnen, ist, sich eben diesem zu fügen, und das Bestmögliche aus ihrer ausweglosen Situation zu machen. Zorn und Verzweiflung beflügeln sie, in den folgenden Jahren auf den Grundfesten des tristen Klosters einen Ort des Reichtums und der Göttlichkeit zu erbauen. In einer düsteren Zeit, in der Frauen ohne den Schutz eines Mannes hilflos und verwundbar sind, schafft sie eine Gemeinschaft aus Schwestern, die sich gegenseitig Halt und Sicherheit bieten - und gemeinsam selbst den größten Widrigkeiten trotzen. Aber nicht nur das. Marie bringt mit dem Kloster vor allem zu einem - nämlich zu Macht. Einer berauschenden und ebenso gefährlichen Waffe.

Meine Meinung:

Ich finde dieses Buch sehr ungewöhnlich und ganz ausgezeichnet. Eigentlich bin ich niemand der mit der Kirche oder kirchlicher Symbolik besonders viel anfangen kann. Auf „Matrix“ bin ich durch die schöne Covergestaltung aufmerksam geworden und schließlich hat mich die Leseprobe überzeugt, welche sehr aussagekräftig für die weitere Qualität dieser berauschenden Geschichte ist.

Marie ist eine großartige Protagonistin: Unerschrocken, gewaltig und modern.

Ich mag es, dass „Matrix“ ein Buch über Gemeinschaft und Familie ist. Ich mag den Zusammenhalt zwischen den Nonnen und habe ebenso gern über die Spannungen und Auseinandersetzungen zwischen ihnen gelesen. Ihre wundersamen Charaktere und wozu sie im Stande sind, das hat einfach Spaß gemacht.

Der Schreibstil der Autorin ist bildlich und mitreißend. Die Übersetzung liest sich auf den Punkt. Das muss an dieser Stelle gesondert hervorgehoben werden. Spätestens seit Sally Rooney sind wir es ja gewohnt, dass junge Autorinnen aus dem angloamerikanischen Sprachraum auf Redezeichen verzichten. Auch Lauren Groff macht das und es stört mich nicht.

„Matrix“ ist eigentlich ein moderner, feministischer, sogar queerer Roman, sehr 2022, in ein historisches Gewand gesteckt. Männer spielen nur am äußersten Rand eine Rolle. Keiner von ihnen wird auch nur mit einem Namen bedacht. Hier geht es ganz allein, um die Leistung der Frauen bzw. der Nonnen, einer Gruppe, die man auf den ersten Blick für schwach hält und die aus eben dieser Schwäche Macht schöpft.

Auch auf philosophischer Ebene hat mir das Buch etwas gegeben. Es hat beispielsweise Begriffe wie Heiligkeit sehr intelligent diskutiert.

Fazit:

„Matrix“ von Lauren Groff ist ein Buch das auf sprachlicher wie inhaltlicher Ebene leuchtet und aus der Masse der Neuerscheinungen hervorsticht. Eine Lektüre, die sich lohnt, und die ich jederzeit weiterempfehlen würde.

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