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Veröffentlicht am 23.07.2019

Das Schwiegermonster

Die Schwiegertöchter des Monsieur Le Guennec
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„Keine unangemessenen Bemerkungen zu deinen Schwiegertöchtern, kein Handy und du achtest auf dein Cholesterin.“ (S. 14)
Jaques ist nicht nur der Schrecken seiner Frau Martine, auch seine Schwiegertöchter ...

„Keine unangemessenen Bemerkungen zu deinen Schwiegertöchtern, kein Handy und du achtest auf dein Cholesterin.“ (S. 14)
Jaques ist nicht nur der Schrecken seiner Frau Martine, auch seine Schwiegertöchter drücken sich nur zu gern um die Besuche bei ihnen. Bisher kam es jedes Weihnachten zum Eklat, weil sich der ewig nörgelnde und stichelnde Despot einfach nicht zusammenreißen konnte.
Die Frauen seiner Söhne machen es ihm aber auch nicht leicht, findet er. Matthieus Stéphanie ist mit dem dritten Kind schwanger noch empfindlicher als sonst, ihre zwei kleinen Söhne stören ihn nur, Alexandres Laura ist eine militante Veganerin und Jeanne, die neueste Eroberung von Nicolas, hat einen schlimmen Marseiller Dialekt – darüber muss er sich in seinem eigenen Haus doch aufregen dürfen!
Dass der auf Arbeit angeblich unersetzliche Bauingenieur sein eigenes Haus nach und nach verkommen lässt, statt endlich die anfallenden Reparaturen zu erledigen, gibt Martine den Rest: Wenn Jaques sich nicht bald ändert, zieht einer von ihnen aus!

Beim Lesen hatte ich immer Christian Clavier als Jaques vor Augen, er und Claude Verneuil aus dem Film „Monsieur Claude und seine Töchter“ könnten aber auch wirklich Zwillinge sein. Egoman, egozentrisch, besserwisserisch, ein echter Patriarch und nervig bis zum Abwinken, tyrannisiert er die ganze Familie.
Martine hat bisher als Puffer fungiert und versucht, die Familie trotz Jaques Eigenheiten zusammenzuhalten, schließlich will sie ihre Enkel regelmäßig sehen. Allerdings gehen sie jetzt beide auf die Rente zu – soll es das schon gewesen sein? Soll sie sich weiter seinen Launen und Ansprüchen unterordnen? Ein Urlaub ohne ihn und vielen Gesprächen mit ihren Schwiegertöchtern öffnet ihr die Augen. So kann und soll es nicht weitergehen. Sie will ihre Rente schließlich genießen können!

Aurélie Valognes Roman ist in Frankreich bereits ein Bestseller. Geschickt hält sie uns allen den Spiegel vor – ich habe mich und meine Familie in einigen Szenen wiedererkannt (ich sage nur „abgelaufene Konserven“) und auch wenn einige Vorfälle wirklich bitterböse oder sogar dramatisch sind, muss man immer wieder schmunzeln. Aber die Autorin schlägt auch ernste Töne an und bringt Jaques und den Leser zum Nachdenken.
„Die Schwiegertöchter des Monsieur Le Guennec“ ist perfektes Kopfkino und ein rundum gelungenes Debüt, das Lust auf weitere Bücher der Autorin macht.

Veröffentlicht am 06.07.2019

Spielball der Politik

Scherben des Glücks
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„Wir werden geboren, um gut verheiratet zu werden.“ (S. 83/84)
Wilhelmine, die Tochter des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm, gilt als nicht besonders hübsch, missgestaltet und auch noch intelligent – ...

„Wir werden geboren, um gut verheiratet zu werden.“ (S. 83/84)
Wilhelmine, die Tochter des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm, gilt als nicht besonders hübsch, missgestaltet und auch noch intelligent – was für eine Schmach. Dass sie zumindest gerade gewachsen ist, wird den Brautwerbern anderer Königshäusern bewiesen, indem sie sich als Jugendliche vor ihnen ausziehen muss. Und auch sonst wird sie nicht auf Rose gebettet. Ihre erste Erzieherin misshandelt sie tägliche. Ihre Eltern hatten endlich einen Thronfolger erwartet und dann war es wieder nur ein Mädchen – Wilhelmine konnte sie also nur enttäuschen. Als Mann geboren, wäre sie der perfekte Erbe ihres Vaters gewesen – sie ist intelligent, sehr gebildet, musisch begabt und politisch interessiert. So aber wird sie zum Spielball ihrer dauernd verstrittenen Eltern, die durch Wilhelmines Heirat ihre politischen Ambitionen durchsetzen wollen. Ihrem Lieblingsbruder, Friedrich dem Großen, geht es ähnlich. Als sich die Beiden dieser Situation durch Flucht entziehen wollen, werden sie erwischt und eingesperrt. Ihr Vater zwingt Wilhelmine, Friedrich III. von Brandenburg-Bayreuth zu heiraten, obwohl ihre Mutter seit Jahren mit der englischen Krone verhandelt. Wider Erwarten verlieben sich Wilhelmine und Friedrich und führen zumindest in den ersten Jahren eine sehr harmonische Ehe. Sie ergänzen sich perfekt, sind beide musikalisch interessiert, bauen Bayreuth nach ihren Wünschen neu auf – doch ein Thronfolger bliebt ihnen versagt ...

Ich wusste bis zu diesem Buch nichts über Wilhelmine, ihre Errungenschaften um die Modernisierung des Landes, den Bau der Bayreuther Oper, diverser Schlösser und Parks. Wilhelmine liebte die schönen Künste, Theater, Malerei, Bücher und vor allem Musik, sie komponierte sogar selbst. Außerdem scharte sie berühmte Philosophen und Künstler um sich, unterhielt lebenslange Briefwechsel und Freundschaften mit ihnen.
Cornelia Naumann erzählt auch spannend und ungeschönt von den Schattenseiten: Wilhelmines schwerer Kindheit, ihren ständig wiederkehrenden Krankheiten und der Untreue ihres Mannes ausgerechnet mit ihrer engsten Vertrauten.

Ich mag biografische Romane, weil man nicht nur etwas über die jeweilige Person, sondern auch über die Zeit und Lebensumstände erfährt. Die Autorin hat ein sehr lebendiges Bild von Wilhelmine gezeichnet, allerdings waren mir einige Vorkommnisse und politischen Erwägungen zu ausführlich beschrieben. Auch die kleinen Zwischenkapitel der Spiegelscherben haben sich mir nicht immer erschlossen. Waren es Fieber- / Albträume? Aber solche Eindrücke sind ja immer sehr subjektiv und davon abgesehen, bin ich gern in Wilhelmines Leben abgetaucht habe die knapp 700 Seiten an nur 3 Abenden gelesen, so fesselnd und abwechslungsreich war ihre Geschichte.

Veröffentlicht am 21.06.2019

Mallorca für alle Sinne

Das Tal der Orangen
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Wenn ich „Mallorca“ höre, denke ich zuallererst an den Ballermann und die Partyszene. Béatrice Courtot hat mir in „Das Tal der Orangen“ eine bisher völlig unbekannte Seite der Insel gezeigt und die Sehnsucht ...

Wenn ich „Mallorca“ höre, denke ich zuallererst an den Ballermann und die Partyszene. Béatrice Courtot hat mir in „Das Tal der Orangen“ eine bisher völlig unbekannte Seite der Insel gezeigt und die Sehnsucht nach den Gassen und Stränden von Sóller geweckt, den Orangenhainen und Wochenmärkten, den Fincas und Volksfesten. „Damit die Insel einem schenkt, was man von ihr erwartet, muss man sich ihr nähern und lauschen und fühlen, sie berühren, alles ansehen, ohne der Sache überdrüssig zu werden.“ (S. 189)

Anaïs betreibt in Paris das Café de l’Ensaïmada, welches ihre Urgroßmutter Magdalena zum Ende der 30er Jahre gegründet hat. Sie ist überrascht, als sie einen Anruf aus Marseille bekommt, dass man bei der Renovierung eines Hotels eine alte Blechschachtel von Magdalena gefunden hat. Darin befinden sich ein Foto, ein Heft, eine Gewehrkugel und ein Medaillon. Anaïs, die sich nie weiter mit ihrer oder Magdalenas Herkunft beschäftigt hat, beginnt nach deren Vergangenheit zu recherchieren und stößt so auf das Städtchen Sóller und die Orangenfarm, welche früher Magdalenas Vater gehörte und heute von Miquel betrieben wird.
Bisher hat Anaïs nichts vermisst und ist in ihrer Arbeit für das Café aufgegangen, doch die Erinnerungsstücke ihrer Urgroßmutter wecken ihre Sehnsucht nach Mallorca. Sie beginnt, Magdalenas Geschichte zu recherchieren und nach ihren eigenen Wurzeln zu suchen „... ich glaube, auf gewissen Weise versuche ich, sie wieder zum Leben zu erwecken. Aus Liebe zum Kochen, aber auch zu ihr.“ (S. 57)

Parallel auf zwei Zeitebenen werden Anaïs Suche und Magdalenas Leben erzählt, wobei mir der historische Teil etwas besser gefiel.
Durch Magdalena habe ich zum ersten Mal erfahren, dass der spanische Bürgerkrieg auch vor Mallorca nicht halt gemacht hat und was die Bewohner erdulden mussten. Magdalena wird als echte Kämpferin mit einem großen Herz geschildert, die ich nur bewundern konnte. Sie ist erst geflohen, als ihr eigenes Leben in unmittelbarer Gefahr war und hat sich danach in Frankreich erfolgreich ein neues Leben aufgebaut. Dass sie später über das Erlebte nicht mehr sprechen wollte, konnte ich gut verstehen.
Anaïs Nachforschungen werden sehr spannend beschrieben. Sie ist überrascht, wie freundlich die Mallorquiner sie aufnehmen und wie sehr sie sie unterstützen. Am Ende deckt sie sogar Geheimnisse auf, die auch Magdalenas ehemalige Freunde noch nicht kannten.

Die Insel, ihre Bewohner und deren Bräuche und die überbordende, fast schon tropische Flora und Fauna ziehen sich als roter Faden durch das Buch und machen seinen besonderen Flair aus. Magdalenas Kapitel beginnen jeweils mit einem Rezept für ein landestypisches Gericht, wobei mir besonders die Ensaïmadas gefallen würden, die dem Café ja auch ihren Namen gegeben haben.

Veröffentlicht am 14.06.2019

Die Schuldfrage

Hannah und ihre Brüder
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„Was hast du mit den Wertsachen gemacht?“ (S. 14) klagt ein völlig Fremder Elliot Rosenzweig, einen honorigen Wohltäter Chicagos, vor großem Publikum bei einer Gala an. Der Fremde ist Ben Solomon, ein ...

„Was hast du mit den Wertsachen gemacht?“ (S. 14) klagt ein völlig Fremder Elliot Rosenzweig, einen honorigen Wohltäter Chicagos, vor großem Publikum bei einer Gala an. Der Fremde ist Ben Solomon, ein Überlebender des Holocausts, der sich sicher ist, in Elliot seinen ehemaligen Ziehbruder Otto Piontek – den „Schlächter von Zamość“ – erkannt zu haben. Otto ist für den Tod tausender polnischer Juden verantwortlich. Zudem hatte Bens Familie ihm damals alle Wertsachen und sämtliches Geld anvertraut, aber nie wiederbekommen. Elliot wehrt sich gegen diese Anschuldigungen, verklagt Ben gegen den Rat seiner Anwälte aber nicht – weil er Angst hat, sagt Ben. Angst, dass seine Verbrechen und sein wahres Gesicht nach so vielen Jahrzehnten doch noch ans Licht kommen. Doch Ben ist sich sicher und will ihn zur Rechenschaft ziehen, sucht sich eine Anwältin. Cathrin Lockhart will diesen Fall eigentlich nicht übernehmen. Er passt nicht in das Portfolio der Kanzlei, für die sie arbeitet. Außerdem glaubt sie ihm nicht, denn er hat keine Beweise. „Sich mit jemandem wie Rosenzweig anzulegen wäre in Chicago gesellschaftlicher und geschäftlicher Selbstmord.“ (S. 47) Doch je mehr er aus seiner Vergangenheit erzählt, um so unsicherer wird sie. Und dann beginnen Rosenzweigs Anwälte, sie massiv zu bedrängen – warum, wenn es nichts zu verbergen gibt?!

Ronald H. Balson ist selbst Anwalt und „Hannahs“ Brüder das zweite Buch nach „Karolinas Töchter“, dass sich speziell mit dem Holocaust der polnischen Juden befasst und in dem die Anwältin Catherine Lockhart und der Privatdetektiv Liam Taggart ermitteln.

Ben erzählt rückblickend, wie Otto zu ihnen kam, als dessen Eltern nicht mehr für ihn sorgen konnten, und sie als Brüder aufwuchsen und auch, wie Otto sich mit der Übernahme Polens immer mehr wandelte, vom Bruder zum brutalen Gegner wurde. Seine Erzählungen sind sehr eindringlich. Er schildert ungeschönt das Grauen der Judenverfolgung, wie die Familie nach und nach auseinandergerissen und vernichtet wurde.

Besonders spannend gestaltet der Autor bis zuletzt die Frage, ob Elliot wirklich Otto ist. Immerhin sind inzwischen 70 Jahre vergangen und Ben hat ihn zunächst nur an der Stimme und dann erst am Aussehen erkannt. Wie kann er sich so sicher sein? Und dann geht es auch darum, nicht grundlos einen bisher untadeligen Ruf zu zerstören. „Was bleibt von einem Menschen übrig, wenn nicht sein Ruf? Ich lasse nicht zu, dass ein Irrer mein Vermächtnis zerstört.“ (S. 377)
Catherine setzt bei der Suche nach der Wahrheit ihre Karriere aufs Spiel und muss sich darüber klar werden, wie und wofür sie ihr Wissen und ihre Arbeitskraft in Zukunft einsetzen will.

Nicht ganz so glücklich war ich mit den schnellen Wechseln zwischen den Zeitsträngen und den zum Teil recht kurzen Kapiteln. Bei Cathrin und Liam hätte ich mir an einigen Stellen etwas mehr Tiefe im Hinblick auf ihre Vergangenheit, Persönlichkeiten und Beweggründe gewünscht. Sie waren mir zeitweise etwas blass.

Von diesen kleinen Kritikpunkten abgesehen, kann ich das Buch sehr empfehlen. Spannend und mit viel Einfühlungsvermögen arbeitet Ronald H. Balson ein wichtiges, dunkles Kapitel unserer Geschichte auf und stellt die Schuldfrage. #gegendasvergessen

Veröffentlicht am 08.06.2019

Pipe Dream

Eine Handvoll Asche
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Kalkutta, Weihnachten 1921: Für einen Pipe Dream – ein Hirngespinst – hält der britische Ermittler Sam Wyndham zuerst die grausam zugerichtete Leiche, über die er nachts stolpert, als er wegen einer Razzia ...

Kalkutta, Weihnachten 1921: Für einen Pipe Dream – ein Hirngespinst – hält der britische Ermittler Sam Wyndham zuerst die grausam zugerichtete Leiche, über die er nachts stolpert, als er wegen einer Razzia aus einer Opiumhöhle flieht. Aber sie ist sehr real und seine Kleidung voller Blut. Als er am nächsten Tag noch einmal dort nachsieht, findet er allerdings keine Spur von dem Toten. Sollte er ihn sich doch nur eingebildet haben?
Eigentlich haben Wyndham und sein indischer Sergeant Surrender-not Banerjee auch genug andere Sorgen. Der Besuch von Prince Edward of Wales steht unmittelbar bevor und sie sollen Chitta-Rajan Das, einen brillanten Anwalt und Gandhis rechte Hand, dazu bringen, dass dieser die geplanten Demonstrationen zu Edwards Besuch absagt. Dies bringt Surrender-not in eine Zwickmühle. Seine Familie ist mit Chitta-Rajan befreundet und auch er achtet ihn sehr, außerdem kann er seinen Standpunkt verstehen (und denkt insgeheim genau so). Wie soll er sich verhalten?

Abir Mukherjee hat es wieder geschafft, ein mir bis dato völlig unbekanntes Stück indische Geschichte mit einem spanenden Kriminalfall zu verbinden. Vor dem Hintergrund der „Kampagne der Nichtkooperation“, bei der die Inder u.a. westliche Kleidung verbrennen, bis nur noch „eine Handvoll Asche“ übrig ist, versuchen Wyndham und Surrender-not nicht nur die angekündigte Großdemonstration zu verhindern, sondern auch weitere Morde - denn bei dem einen Toten bleibt es nicht ...

Im Gegensatz zu den ersten beiden Büchern („Ein angesehener Mann“ und „Ein notwendiges Übel“) überwiegt diesmal der Romananteil. Der Kriminalfall ist in reale historische Ereignisse eingebettet und nimmt erst am Ende Fahrt auf. Dann überschlagen sich allerdings die Ereignisse und Sam Wyndham zeigt, dass er trotz seines Drogenkonsums ein exzellenter Ermittler ist. Und Surrender-not ergänzt ihn perfekt.
Wyndham ist sehr pragmatisch und analytisch. Ihm ist klar, dass er seine Opiumsucht dringend in den Griff bekommen muss und dass seine Tage (und die der Kolonialzeit) in Indien gezählt sind, wenn die Inder ihre Ziele erreichen. „Wir würden den Kampf, in den wir hier verstrickt waren, dieses verzweifelte Ringen um ein Indien unter britischer Herrschaft, zwangsläufig verlieren.“ (S. 226)
Surrender-not hat es ebenfalls nicht leicht. Da er weiterhin für die Engländer arbeitet anstatt zu streiken, gilt er als schwarzes Schaf der Familie und hat seit einem Jahr keinen Kontakt mehr zu ihr.

„Eine Handvoll Asche“ gibt wieder spannende neue Einblicke in das damalige Leben in Kalkutta, die Verwaltung des riesigen Landes und die Unterschiede zwischen arm und reich, Engländern und Indern. Das besondere Augenmerk liegt diesmal in deren fortschreitendem Kampf um ihre Unabhängigkeit vor einer sehr exotischen Kulisse.