Profilbild von herr_stiller

herr_stiller

Lesejury Profi
offline

herr_stiller ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit herr_stiller über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 05.08.2022

Oh Susanna

Susanna
0

Ein bisschen in die Irre führt er schon, der Klappentext zu Susanna. Er verweist auf die Reise von Susanna Faesch zu Sitting Bull, auf ihr Portrait, das heute im State Museum von North Dakota ausgestellt ...

Ein bisschen in die Irre führt er schon, der Klappentext zu Susanna. Er verweist auf die Reise von Susanna Faesch zu Sitting Bull, auf ihr Portrait, das heute im State Museum von North Dakota ausgestellt ist, auf ihre Warnung an den berühmten Stammeshäuptling, der 1890 im Reservat ermordet wurde. Dabei spielt sich dieser Teil der Geschichte lediglich auf den letzten Seiten von Alex Capus‘ biografischer Erzählung ab. Der Fokus liegt auf den ersten 45 Lebensjahren von Susanna, besser bekannt unter ihrem Künstlernamen: Caroline Weldon. Und wenn man sich darauf einstellt, erwartet die Leser:innen eine kurzweilige Zeitreise in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Susanna wird in der Schweiz geboren, zieht mit ihrer Mutter nach New York, entdeckt dort schon früh die Malerei, die ihr – zusammen dem Vermögen ihrer Mutter und ihres Stiefvaters – ein unabhängiges Leben beschert. Sie verbringen die Wochenenden in Coney Island, ansonsten bewegt sie sich wenig aus ihrer New Yorker Blase heraus. Sie heiratet, wird geschieden, bekommt einen unehelichen Sohn, der – als großer Fan von Buffalo Bills Wild West Show – Susanna nach dem Tod ihrer Mutter zu einer Reise zu Sitting Bull überredet.

Alex Capus‘ Buch erinnert mehr an einen Fernsehfilm als an eine Biografie – unterhaltsam geschrieben, den Zeitgeist und die technische Entwicklung einbeziehend und mit einem leicht verrückten Fokus. Im Buch ist es ihr Sohn Christie, der den Anstoß zur Reise ins Dakota-Territorium gibt, in klassischen Biografien war es ihr eigener Wunsch. Dass sie Aktivistin für die National Indian Defense Association war, spielt im Buch keine Rolle.

Capus beschränkt sich auf Susanna als Künstlerin, als Tochter und Mutter und als Mensch. Das ist ein bisschen schade, wenn man Weldon/Faesch kennt und sich hier mehr Tiefe gewünscht hätte, aber völlig okay, da so andere, unbekannte und rein fiktionalisierte Etappen ihres Lebens beleuchtet und zu einer anziehenden Geschichte verwoben werden. Was wahr ist, was Fiktion, das weiß allein der Autor, das entscheiden die Leser:innen vielleicht auch ein Stück für sich selbst. Denn lesenswert ist der neue Capus allemal – und das Leben von Susanna Faesch sowieso.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 02.08.2022

Erst Metaware, dann Feinstoff

Freizeit
0

Zweimal wollte ich das Buch schon zuklappen, in den Schrank stellen, aufgeben, vergessen. Zu meta, zu anstrengend, zu bemüht. Ein wilder Mix aus Romanelementen und Skriptschnipseln aus längst vergessenen ...

Zweimal wollte ich das Buch schon zuklappen, in den Schrank stellen, aufgeben, vergessen. Zu meta, zu anstrengend, zu bemüht. Ein wilder Mix aus Romanelementen und Skriptschnipseln aus längst vergessenen Word-Dokumenten auf der alten Festplatte, die als Seitenfüller integriert wurden. Aber: Auch immer wieder einzelne Stellen, die Hoffnung machten, dass irgendwo der Turnaround lauert. Und tatsächlich: Am Ende entwirrt sich doch noch eine gute, emotionale Late-20s-Lebensgeschichte.

Franziska ist 27, frisch getrennt zurück aus Paris, schreibt einen Roman und zwischendurch Texte für Rap-Songs und Werbung, was ja manchmal auch relativ ähnlich erscheint. Genau wie die Parallelen zum Lebenslauf der Autorin, was ja manchmal auch relativ okay erscheint, schließlich lässt sich am einfachsten über das schreiben, was man selbst erlebt oder gesehen hat.

Schade nur, dass „Freizeit“ so schwer ins Rollen kommt. Der Titel von Kasparis Debütroman ist auch gleichzeitig der Titel von Franziskas Debütroman und wenn zwischendurch einmal Fragmente die Seiten füllen und die freundlich-mahnenden Worte von Franziskas Lektorin auffüllen, stellt sich im besten Fall die Frage, ob das noch Fiktion ist und im schlimmsten Fall, ob das bloß nötig war, um das Buch auf mehr als 200 Seiten zu strecken.

Irgendwann, recht spät, aber immerhin, konzentriert sich Carla Kaspari aber auf das Leben ihrer Protagonistin: ihre Freunde, ihre Eltern. Anfänge und Enden, Freundschaften, Affären, Beziehungen. Relatable moments, ganz behutsam beschrieben, einfühlsam formuliert, leise statt laut. Das ist wirklich gelungen, das macht „Freizeit“ dann doch noch zu einem ganz guten Generationenportrait, bei dem es sich lohnt, sich durchzubeißen und die anstrengenden Meta-Bezüge auszublenden. Aber die gehören halt auch zum Leben der Mid-20s.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 06.07.2022

Faszination Weltall

Wieso? Weshalb? Warum? junior. Sonne, Mond und Sterne
0

Die erste Doppelseite ist ein Novum für uns. Klappt man einen großen Teil der Seite um, ist da nur Bild. Kein Text mehr, der genau darauf vorbereitet hat. Nur eine schöne Landschaft mit traumhaften Nachthimmel ...

Die erste Doppelseite ist ein Novum für uns. Klappt man einen großen Teil der Seite um, ist da nur Bild. Kein Text mehr, der genau darauf vorbereitet hat. Nur eine schöne Landschaft mit traumhaften Nachthimmel und Sternschnuppe. Ein großes, tolles Wimmelbild, das zeigt, worum es in diesem Buch geht: die Faszination Weltall.

„Sonne, Mond und Sterne“ war hier ein lange erwarteter Band der Wieso-Weshalb-Warum-Reihe von Ravensburger. „Was macht ein Astronaut?“ gibt es bereits, aber hier geht es endlich um die Grundlage für die Weltraumforschung: die zahllosen Himmelskörper.

Von der wärmenden Sonne, vor der sich auch geschützt werden muss, über den Mond und der Landung auf dem Erdtrabanten, und die Planeten in unserem Sonnensystem bis zur ISS, die unsere Erde umkreist, ist alles dabei. Selbst Sternbilder abseits vom Großen Wagen, verpackt in ein kleines Sternzeichenquiz. Hinter vielen kleinen Klappen gibt es viel zu erfahren, zu lernen, schön formuliert für Leser:innen zwischen 2 und 4 Jahren.

Der perfekte Einstieg in das Thema All für die Weltraumforscher:innen und Astronaut:innen von morgen – und ein schönes Vorlese- und Erklärbuch für Eltern, die abends gerne in den Nachthimmel schauen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 29.06.2022

Ikarus am Boden

Der Mann, der vom Himmel fiel
0

Und dann sitzt er in einer Bar und weint in seinen Gin. Wie menschlich. Wie tragisch. Was für ein Buch.

Thomas Newton hat mit World Enterprises die Welt verändert. Zahllose Patente angemeldet, neue Produkte ...

Und dann sitzt er in einer Bar und weint in seinen Gin. Wie menschlich. Wie tragisch. Was für ein Buch.

Thomas Newton hat mit World Enterprises die Welt verändert. Zahllose Patente angemeldet, neue Produkte entwickelt oder die Rechte daran verkauft. Er hat Geld gescheffelt wie kaum ein anderer. Ein außerirdischer Erfolg. Im wahrsten Sinne. Denn Thomas Newton kommt nicht aus Kentucky. Er stammt von Anthea, einem sterbenden Planeten irgendwo in unserem Sonnensystem. Auf die Erde geschickt, um mit viel Geld ein Raumschiff zu bauen und die letzten 300 Überlebenden seines Volkes auf unseren Planeten zu holen – und dort nach Möglichkeit die Fehler zu verhindern, die sein Volk und die weiteren auf Anthea ausgelöscht haben.

„Der Mann, der vom Himmel fiel“ ist ein faszinierendes Buch mit einer genauso beeindruckenden Geschichte. Es spielt in den späten 1980er-Jahren und dennoch in der Zukunft, denn veröffentlicht wurde es bereits 1963. In den 1970er wurde es verfilmt, mit David Bowie als Thomas Newton und Rip Torn als dessen Mitarbeiter Nathan Bryce. Und nun wurde es neu und sehr gut übersetzt. Denn die Welt hat seinen Autoren wiederentdeckt: Walter Tevis.

Vor zwei Jahren wurde die Verfilmung seines Romans „Das Damengambit“ ein Netflix-Überraschungserfolg, das Buch ein Bestseller und nun soll mit The Man Who Fell to Earth ähnliches geschehen. Eine Neuübersetzung liegt da und eine Fortsetzung der Geschichte läuft gerade als neue Serie im US-Fernsehen. Mit Episodentiteln, die nach Songs von David Bowie benannt wurden.

Aber zurück zum Buch: Trotz kleiner Längen ist „Der Mann, der vom Himmel fiel“ aus gleich zwei Gründen eines der lesenswertesten Bücher des Sommers. Zum einen ist da der Blick in die Zukunft. Technologien, die Tevis in den 1960er-Jahren im Kopf hatte, die es, vielleicht noch nicht in den späten 1980er-Jahren und in der dargestellten Form, aber zumindest bis heute ähnlich durchaus zur Umsetzung geschafft haben.

Zum anderen ist da der zeitlose Blick auf eine Welt, die sich bedroht, bekriegt, statt gemeinsam für die Rettung des Planeten und der Menschheit zu kämpfen. Und hier ist Thomas Newton die entscheidende Figur. Selbst von einem Planeten, dem es nicht gelungen ist, rechtzeitig die Notbremse zu ziehen, sieht er erschreckende Parallelen im Handeln der Menschen, denen er äußerlich ähnelt und innerlich immer ähnlicher wird. Bis er in einer Bar sitzt und in seinen Gin weint. Scheinbar hoffnungslos. Hilflos. Am Boden, abgestürzt wie Ikarus. Aber: nicht allein.

Vielleicht gibt es also doch noch Hoffnung, 32 Jahre nach Ende der Geschichte, 59 nach der Erstveröffentlichung. Wenn wir uns bemühen. Dieses alte Buch kann dabei helfen. Wenn wir es möchten.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 23.06.2022

Rotoren an!

Wieso? Weshalb? Warum? junior. Der Hubschrauber
0

Der Hubschrauber hebt ab: Einsatz! Ob Autounfall, Waldbrand oder Bergrettung, die Besatzung des wendigen Fluggeräts hilft sofort. Im neuen WWW-Band „Der Hubschrauber“ wird Kindern zwischen 2 und 4 Jahren ...

Der Hubschrauber hebt ab: Einsatz! Ob Autounfall, Waldbrand oder Bergrettung, die Besatzung des wendigen Fluggeräts hilft sofort. Im neuen WWW-Band „Der Hubschrauber“ wird Kindern zwischen 2 und 4 Jahren ganz leicht erklärt, was das ist, das dort hin und wieder am Himmel entlang knattert.

Ganz sympathisch: Der Hubschrauber wird von einer Pilotin gesteuert, eine Notärztin ist an Bord – und somit auch zeitgemäße Geschlechterrollen. Dazu werden auch nur relevante Einsatzarten gezeigt – keine Aussichtsflüge mit Touristen oder Promi-Zubringerflüge zum Privatjet.

Auf den wimmligen Bildern gibt es ganz viel zu entdecken, von fliegenden Mützen bis zu Gaffern auf der Autobahn. Perfekt also, um immer wieder Neues zu sehen und zu erklären, von Dingen, die passieren bis zu Verhaltensweisen, die sich niemand aneignen sollte.

Hinter kleinen Klappen verstecken sich weitere Details und neue Geschichten, so dass hier auch ganz viel rund um den Arbeitsalltag der Hubschrauberpilot:innen erklärt wird, von der Steuerung des Helikopters über seine Wartung bis hin zur Pause der Crew.

Ein Buch, das mit Freude durchblättert wird, alleine oder mit Vorleser:in, das auch beim x-ten Mal noch Spaß macht und neue Kleinigkeiten finden lässt. Und mit einer Lieblingsseite Bergrettung, bei der nicht nur Kühe zu sehen sind, sondern auch der unglückliche Mountainbiker regelmäßig bedauert wird. Und oft der Satz fällt: „Ich möchte auch mal damit fliegen!“

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere